In Thüringen kann die AfD nun wichtige Entscheidungen blockieren. Das Arbeitsgericht in Tel Aviv ordnete ein Ende des israelischen Generalstreiks an. Ex-Richter Jens Maier könnte als AfD-Abgeordneter in den Bundestag nachrücken.
Thema des Tages
Sperrminorität: Die AfD hat bei der Landtagswahl in Thüringen mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag gewonnen. Sie hat damit eine Sperrminorität inne und muss bei Entscheidungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist, beteiligt werden, bzw. sie kann diese blockieren. Welche politischen Möglichkeiten die AfD in Thüringen dadurch hat, erläutern SZ (Ronen Steinke), zeit.de (Eva Ricarda Lautsch), tagesschau.de (Thomas Vorreyer) und spiegel.de (Anna Reimann). So ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit u.a. für Verfassungsänderungen, die Wahl von Verfassungsrichter:innen und für die Auflösung des Landtags während einer laufenden Wahlperiode vorgesehen. Mit Zwei-Drittel-Mehrheit werden auch die vom Landtag entsandten Mitglieder des Thüringer Richterwahlausschusses und des Staatsanwältewahlausschusses gewählt, die jeder dauerhaften Ernennung einer Richter:in bzw. einer Staatsanwält:in zustimmen müssen.
Dagegen hat die AfD bei der Landtagswahl in Sachsen die Sperrminorität knapp verpasst, auch wenn dies aufgrund eines Software-Fehlers beim Landeswahlleiter zunächst vermeldet worden war. Hierüber berichtet u.a. LTO.
Im Hinblick auf die Sperrminorität der AfD in Thüringen fragt Reinhard Müller (FAZ): "Werden also Verfassungsfeinde die Verfassung formen?" Neue Verbotsdebatten würden allerdings nur der AfD nutzen, die nun Normalität sei.
Rechtspolitik
Geschlechtliche Selbstbestimmung: Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold und Nick Markwald, wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in, analysieren auf dem Verfassungsblog, was Transpersonen drohen könnte, wenn die AfD an die Regierung käme; und was etwa in den USA, Ungarn und Polen längst Realität ist.
Justiz
OLG Frankfurt/M. zu Anfechtung der Erbausschlagung: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat entschieden, dass ein Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses die Anfechtung der zunächst erfolgten Erbausschlagung rechtfertigt. Im zugrundeliegenden Fall habe sich die Tochter über die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses ihrer verstorbenen Mutter und damit über verkehrswesentliche Eigenschaften geirrt, weshalb sie einem Eigenschaftsirrtum unterlegen sei. Ein Irrtum über den Wert des Nachlasses an sich rechtfertige dagegen keine Anfechtung. Auch wäre die Anfechtung ausgeschlossen gewesen, wenn die Entscheidung für die Erbausschlagung lediglich aufgrund von Vermutungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses getroffen worden wäre. LTO berichtet.
OLG Hamburg zu PKK-Funktionär: Wie spiegel.de schreibt, verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht einen Funktionär der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Kenan A. soll in erster Linie organisatorische, personelle und propagandistische Angelegenheiten der PKK in Deutschland koordiniert haben. Eine Beteiligung etwa an Anschlägen wurde ihm im Prozess nicht vorgeworfen.
OLG Köln zu Prozesskostenhilfe im Anwaltsprozess: Das Oberlandesgericht Köln hat laut beck-aktuell entschieden, dass die Nennung eines vertretungsbereiten Anwalts oder die Darlegung und Glaubhaftmachung, dass ein solcher trotz Suche nicht gefunden werden konnte, keine zwingende Voraussetzung für einen erfolgreichen Prozesskostenhilfeantrag ist. Die Postulationsfähigkeit müsse nicht schon bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag vorliegen, sondern lediglich wahrscheinlich sein. Zwar werde ein Anwalt in der Regel gleichzeitig mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordnet; zwingend notwendig sei das aber nicht.
LG Braunschweig – Ex-VW-Chef Winterkorn: Nun geben auch LTO (Max Kolter) und beck-aktuell einen ausführlichen Ausblick auf den am heutigen Dienstag beginnenden Strafprozess gegen Martin Winterkorn wegen bandenmäßigen Betrugs und Marktmanipulation im Dieselskandal vor dem Landgericht Braunschweig. Verhandelt werden drei unterschiedliche Anklagen, die die Wirtschaftsstrafkammer im März 2024 zur gemeinsamen Hauptverhandlung verbunden hatte. Die Kernfrage im Prozess wird lauten: Zu welchem Zeitpunkt wusste Martin Winterkorn, dass in bestimmten Fahrzeugtypen illegal Abschalteinrichtungen verbaut worden waren?
LG Erfurt zu Dieselskandal/Rechte der Natur: Der Rechtsprofessor Christoph Degenhart kritisiert auf beck-aktuell das Anfang August verkündete Urteil, in dem das Landgericht Erfurt erstmals in Deutschland Eigenrechte der Natur anerkannt hat. Zum einen sei schon unklar, inwiefern der Umwelt dadurch konkret geholfen sei und wer diese Rechte geltend machen solle. In erster Linie aber schade eine solche Gesinnungsjudikatur dem demokratischen Rechtsstaat.
LG München I zu Jérôme Boateng: Das wegen Körperverletzung und Beleidigung ergangene Urteil des Landgerichts München I gegen den Fußballprofi Jérôme Boateng ist laut spiegel.de rechtskräftig, nachdem die Staatsanwaltschaft München I ihre Revision zurückgezogen hat. Die Staatsanwaltschaft gab an, weiterhin nicht von der Richtigkeit des Urteils überzeugt zu sein. Aufgrund der mehr als fünfjährigen Verfahrensdauer und "unter Berücksichtigung der Interessen der Geschädigten und ihrer Kinder" sei ein Fortdauern des Verfahrens aber "kaum mehr zumutbar".
LG Mosbach zu Vergewaltigungen durch "Life Coach": Wie spiegel.de schreibt, hat das Landgericht Mosbach einen selbst ernannten "Life Coach" wegen Geiselnahme und besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der 38-jährige Nikolaus G. hatte über Jahre hinweg junge Frauen in sein Haus gelockt, sie dort gefangen gehalten und vergewaltigt. Sein Bruder, der ihm bei den Taten geholfen hatte, wurde wegen Beihilfe zur Geiselnahme und wegen Vergewaltigung zu drei Jahren Haft verurteilt.
LG Berlin I - Manipulation von Kassensystem: Laut spiegel.de hat die Staatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen einen Mitarbeiter einer Pizzeria wegen gewebsmäßigen Diebstahls erhoben. Der 24-Jährige soll das Kassensystem ausgetrickst und sich so mehr als 39.000 Euro verschafft haben. Zwischen Dezember 2021 und Mai 2023 habe der Mann insgesamt 1255 Bestellungen manipuliert.
ArbG Siegburg zu sexueller Belästigung: Das Arbeitsgericht Siegburg hat laut LTO entschieden, dass ein Schlag auf den Po einer Kollegin und das Festhalten gegen ihren Willen eine außerordentliche Kündigung begründen kann. Dies gelte auch für den Fall, dass sich der Vorfall in lockerer Atmosphäre auf einer Betriebsfeier ereignet hat. Die Äußerung des Mannes, der zuvor bereits wegen unflätigen Verhaltens abgemahnt worden war, seine Kollegin solle den Klaps als Kompliment auffassen, lasse seine sexuell bestimmte Motivation klar erkennen. Das Festhalten der Kollegin gegen ihren Willen stelle zudem einen nicht hinnehmbaren Eingriff in ihre Freiheit dar.
Recht in der Welt
Israel – Generalstreik für Geiseldeal: Das Arbeitsgericht in Tel Aviv hat den Generalstreik, zu dem Israels größte Gewerkschaft Histadrut aufgerufen hatte, um den Druck auf Ministerpräsident Benjamin Netanyahu für ein Abkommen mit der Hamas zur Freilassung der verbliebenen Geiseln zu erhöhen, für unzulässig erklärt. Der Generalstreik, konnte daher nicht wie geplant 24 Stunden dauern. Das Gericht ordnete vielmehr per Eilentscheidung an, dass der Streik am Montagmittag offiziell beendet werden musste. Der Gerichtsentscheid war auf Antrag des rechtsextremen Finanzministers Bezalel Smotrich erfolgt, der sich darauf berufen hatte, der Streik sei politisch motiviert und habe nichts mit einem Tarifkonflikt zu tun. Es berichten SZ (Peter Münch), FAZ (Franca Wittenbrink) und taz (Felix Wellisch).
IStGH – Wladimir Putin: Wie spiegel.de schreibt, ist Russlands Präsident Wladimir Putin ungeachtet eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs in die Mongolei gereist und dort empfangen worden. Es handelt sich dabei um Putins ersten Besuch in einem Mitgliedstaat des IStGH seit Ausstellung des Haftbefehls im März 2023. Eigentlich ist die Mongolei an die Entscheidungen des IStGH gebunden. Die Ukraine fordert nun "Konsequenzen" für die Mongolei.
Brasilien – X: Laut der SZ (Christoph Gurk) schloss sich der brasilianische Oberste Gerichtshof der Entscheidung von Bundesrichter Alexandre de Moraes an, das soziale Netzwerk X im Land zu blockieren, nachdem der Dienst zuvor wiederholt Anweisungen der brasilianischen Justiz zur Blockade von Hasspropaganda, Diffamierungen und Falschinformationen nicht nachgekommen war. Seit dem Wochenende ist X nur noch über Umwege in Brasilien erreichbar. Elon Musk, der Eigentümer der Plattform, hatte die Entscheidung de Moraes' scharf kritisiert. Er sprach von "Zensur" und nannte den Bundesrichter einen "bösen Diktator". Dieser wiederum hatte Musk in seinem Urteil vorgeworfen, der Milliardär zeige "völlige Respektlosigkeit gegenüber der brasilianischen Souveränität und insbesondere gegenüber der Justiz".
Österreich – Staatsbürgerschaft: 19 Prozent der Menschen im Wahlalter dürfen in Österreich bei der Nationalratswahl Ende September mangels österreichischer Staatsbürgerschaft nicht abstimmen, obwohl fast die Hälfte davon seit mindestens zehn Jahren im Land lebt, ein Fünftel sogar über 20 Jahre, so die taz (Florian Bayer). Dies liege vor allem an dem strengen österreichischen Einbürgerungsgesetz, bei dem noch das Abstammlungsprinzip gilt, das Doppelstaatsbürgerschaften grundsätzlich ablehnt und für Einbürgerungen zehn Jahre Aufenthalt und ein relativ hohes Einkommen fordert.
Frankreich – Vergewaltigung als Angebot: Im südfranzösischen Avignon läuft derzeit ein Prozess gegen einen 72-jährigen Rentner, der seine Ehefrau fremden Männern in einem Internet-Forum zur Vergewaltigung angeboten haben soll. Der Ehemann filmte die Vergewaltigungen, bei denen die Frau jeweils mit Medikamenten betäubt war. Von über 80 Mittätern konnten 51 identifiziert werden und sind mitangeklagt. Für den Missbrauch, der sich über einen Zeitraum von rund zehn Jahren erstreckt haben soll, drohen den Angeklagten bis zu 20 Jahre Haft. Die SZ (Oliver Meiler) berichtet.
Ungarn – Ermittlungen durch EuStA: Die Rechtsprofessorin Krisztina Karsai schildert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache), warum die Europäische Staatsanwaltschaft aufgrund eines baumlosen Baumwipfelpfades gegen Ungarn ermittelt: Das Projekt wurde mit EU-Mitteln finanziert, die allerdings nicht für den vereinbarten Zweck eingesetzt worden waren. Ungarn bestritt daraufhin die Zuständigkeit der EuStA.
Sonstiges
Ex-Richter Jens Maier: LTO (Markus Sehl) erläutert, dass der rechtsextreme Ex-Richter Jens Maier als AfD-Abgeordneter in den Bundestag zurückkehren könnte. Eventuell würde dies möglich, wenn der AfD-Bundestagsabgeordnete Mike Monczek, der bei der Landtagswahl in Sachsen ein Mandat erzielte, auf sein Mandat in Berlin verzichtet und Maier dann über die Landesliste nachrückt. Da Monczek jedoch ein Überhangmandat errungen hatte, gibt es noch Diskussionen, ob das von der AfD geplante Manöver am Ende aufgeht. Maier war von 2017 bis 2021 bereits Abgeordneter im Bundestag, bevor er bei der Bundestagswahl seinen Sitz verlor und in die sächsische Justiz zurückkehrte. Um Schaden von der Rechtspflege abzuwenden, wurde er vorzeitig in den Ruhestand versetzt.
BSW: Der Philosophieprofessor Dietmar von der Pfordten analysiert in der FAZ, warum in Demokratien die Nennung einer einzelnen Führer:in in Parteinamen – wie etwa beim "Bündnis Sahra Wagenknecht" – nicht nur "vollkommen ungewöhnlich" ist, sondern auch gegen die Grundsätze der Demokratie verstoße.
BfDI Specht-Riemenschneider: Die taz (Svenja Bergt) stellt die neue Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Louisa Specht-Riemenschneider vor, die der Bundestag im Mai mit großer Mehrheit gewählt hatte und die an diesem Dienstag vom Bundespräsidenten ernannt wird, und gibt einen Ausblick auf die Aufgaben, die vor ihr liegen. Specht-Riemenschneider war Rechtsprofessorin und gilt als pragmatisch.
Resilienz der Demokratie: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der türkische Rechtsanwalt Veysel Ok befassen sich in einem Gastkommentar in der Welt mit der Frage, wie die Demokratie geschützt werden kann. Dabei komme es auf jeden Einzelnen an: Jeder Einzelne müsse den "Mund aufmachen" und denen, "die unsere demokratischen Werte jeden Tag leben", zeigen, dass sie damit nicht allein sind. Gleichzeitig müssten die Strafverfolgungsbehörden finanziell und personell so ausgestattet werden, dass sie gegen Hass und Hetze im Netz wirkungsvoll vorgehen können.
Das Letzte zum Schluss
Namenloses Boot: Weil er seinem Schlauchboot keinen Namen gegeben hatte, musste ein 25-Jähriger, der beim Paddeln im Spreewald von der Brandenburger Polizei kontrolliert worden war, ein Bußgeld in Höhe von 55 Euro zahlen, so bild.de. Denn: Boote ohne amtliches Kennzeichen müssen im Spreewald außen einen Namen und innen die Adresse des Eigentümers tragen. Der Paddler erkannte: "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht"; und taufte sein Boot – nach erfolgter Zahlung des Bußgeldes – kurzerhand auf den Namen "Speedy".
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 3. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55321 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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