Die Rufe nach einer Verschärfung des Asyl- und Waffenrechts werden lauter. Ein Jugendarrest führt zum Ausschluss von Grundsicherungsleistungen. Ein türkisches Gericht wies die Berufung des DW-Journalisten Bülent Mumay zurück.
Thema des Tages
Messermorde von Solingen: Die politische Debatte um Konsequenzen aus der tödlichen Messerattacke von Solingen hält an. Überblicksartig berichten u.a. FAZ (Mona Jaeger/Jonas Jansen/Eckart Lohse/Markus Wehner), Hbl (Daniel Delhaes/Silke Kerstin/Frank Specht/Carsten Volkery) und LTO.
Asyl: Die Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz nach einem Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan wurde unter anderem von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert mit Verweis auf das individuelle Asylrecht zurückgewiesen. Unions-Fraktionsvize Jens Spahn forderte nun Grenzschließungen, um irreguläre Migration zu stoppen. Es berichten u.a. SZ (Jan Bielicki), taz (Dinah Riese/Anna Lehmann) und Welt (Marcel Leubecher).
Frederik Eikmanns (taz) kommentiert: "Auch Merz dürfte wissen, dass es rechtlich quasi unmöglich ist, Geflüchtete aus gefährlichen Ländern wie Afghanistan oder Syrien generell vom Asylrecht auszunehmen." "Seiner CDU wird das wenig nutzen – aber der AfD".
Abschiebungen nach Syrien: Die Frage, ob die geforderten Abschiebungen nach Syrien überhaupt möglich sind, thematisiert die SZ (Bernd Dörries).
Daniel Brössler (SZ) meint, die "Abschiebung von Gefährdern nach Syrien und Afghanistan" müsse versucht werden. Wer aber so tue, "als sei sie rechtlich ohne Weiteres und in großem Stil möglich", wecke falsche Erwartungen. Reinhard Müller (FAZ) schlägt vor, das Problem "bei der Wurzel zu packen", statt sich gegenseitig "in vermeintlicher Härte" zu überbieten. Und die Wurzel sei die unkontrollierte Einwanderung.
Überstellung nach Bulgarien: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und andere verlangten Aufklärung, weshalb die nordrhein-westfälischen Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Täter im Zuge der Dublin-Regeln nach Bulgarien zu überstellen. Am Donnerstag soll im Landtag von NRW eine entsprechende Sondersitzung stattfinden. SZ (Kassian Stroh/Markus Balser/Constanze von Bullion) und spiegel.de (Lukas Eberle/Wolf Wiedmann-Schmidt/Jean-Pierre Ziegler) berichten. LTO (Tanja Podolski) und tagesschau.de (Kolja Schwartz) erklären unter anderem, wie Überstellungen nach der Dublin III-Verordnung in der Praxis ablaufen und welche rechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen.
Jürgen Kaube (FAZ) kritisiert das Vorgehen der zuständigen Behörden: “Weshalb genügt es, nicht da zu sein, um sich über lange Zeiten hinweg dem polizeilichen Zugriff zu entziehen?”
Messer: Die bisherige Diskussion über eine Verschärfung des Waffenrechts fasst u.a. die SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion) zusammen. Insbesondere geht es um ein Verbot, Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern öffentlich mit sich zu führen.
Kriminalpolitik: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderten eine Ausweitung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden. Konrad Litschko (taz) konstatiert in dem Zusammenhang, dass eine offene Gesellschaft immer schärfere Regelungen wie digitale Rasterfahndungen oder heimliche Wohnungsdurchsuchungen nicht wollen könne. Nichts aber hindere den Staat und die Sicherheitsbehörden daran, "weiter sehr präzise die islamistische Terrorgefahr in den Blick zu nehmen" und "auf breiter Front auf Präventionsprojekte zu setzen, um Radikalisierungen schon im Keim zu verhindern".
Rechtspolitik
Antisemitismus: Die taz (Frederik Eikmanns/Stefan Reinecke) befasst sich ausführlich mit der fraktionsübergreifenden Initiative für eine Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Die jetzige Fassung sehe unter anderem vor, Fördergeldvergaben von einem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, dem Existenzrecht Israels sowie der Ablehnung von Antisemitismus abhängig zu machen. In einem gesonderten Artikel weist die taz (Christian Rath) darauf hin, dass die letzte Antisemitismusresolution des Bundestags aus dem Jahr 2019 mit der Meinungsfreiheit kollidierte. Damals wollte der Bundestag "Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels infrage stellen", keine Räumlichkeiten und Einrichtungen mehr zur Verfügung stellen und solche Projekte nicht mehr finanziell fördern. Bundesländer und Kommunen wurden aufgefordert, dieser Linie zu folgen. Im Jahr 2022 entschied schließlich das Bundesverwaltungsgericht, dass entsprechende Stadtratsbeschlüsse gegen die Meinungsfreiheit verstoßen.
Stefan Reinecke (taz) hält der neuen Initiative zwar zugute, dass sie "wahrscheinlich gut gemeint" sei. Gut gemacht sei sie dagegen nicht, sondern "schädlich": "Gerade die Mixtur aus Vagheit und konkreten Aufforderungen, Verdächtiges wenn nicht zu verbieten, so doch faktisch aus dem Kulturbetrieb zu verbannen", öffne die Tür für eine zensurartige Praxis. So entstehe ein "Klima von Denunziation", das nicht "in eine liberale Demokratie" passe.
Justiz
LSG Nds-Bremen zu Bürgergeld im Jugendarrest: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat laut LTO entschieden, dass auch ein Jugendarrest zu einem Ausschluss von Grundsicherungsleistungen führt. Damit gab das Gericht dem Jobcenter Recht, das von einem Bürgergeldempfänger, der zwei Wochen lang im Jugendarrest saß, einen Betrag von rund 400 Euro zurückgefordert hatte. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Sache wurde die Revision zugelassen.
OVG Lüneburg zu MOYN-Festival: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat entschieden, dass das MOYN-Festival keine bauliche Anlage im Sinne des Baurechts darstelle und daher keine Baugenehmigung benötige, da es nur temporär stattfinde und keine dauerhaften baulichen Veränderungen auf dem Gelände hinterlasse. Damit gab das Gericht der Veranstalterin des 2017 ins Leben gerufenen Musik-Festival Recht, das in diesem Jahr mit einer höheren Zahl an Gästen stattfinden sollte als in den Vorjahren. Der Landkreis war der Ansicht, dass die Veranstaltung einer Baugenehmigung bedürfe, er diese aber wegen der Außenbereichslage nicht erteilen könne. Es berichtet beck-aktuell.
LG Erfurt zu Diesel-Skandal/Rechte der Natur: Katja Gelinsky (FAZ) kritisiert das Anfang August verkündete Urteil im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal, in dem das Landgericht Erfurt erstmals in Deutschland Eigenrechte der Natur anerkannt hat. Zum einen sei schon unklar, inwiefern der Umwelt dadurch konkret geholfen sei, in erster Linie aber überdehne die Anerkennung "ökologischer Personen" das Recht. Der Richter habe sich auf die EU-Grundrechtecharta berufen, in der sich jedoch lediglich der Grundsatz finde, dass "ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität" sicherzustellen seien. Weder nach deutschem noch nach europäischem Recht habe die Natur daher Rechtspersönlichkeit.
Post-Doc Camilla Haake hält auf dem Verfassungsblog dem Gericht zwar zugute, dass es mit seiner Entscheidung dem "Diskurs über die Integration ökozentrischer Schutzdimensionen in westlich geprägte Rechtssystemen eine Bühne gegeben" habe. Es sei jedoch von zentraler Bedeutung, das Konzept der "Subjektivierung" der Natur solide dogmatisch zu verankern, statt die "Rechte der Natur" durch willkürliche richterliche Rechtsfortbildung etablieren zu wollen.
LG Frankfurt/M. zu "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Im Steuerprozess zu dubiosen Millionenzahlungen rund um die Fußball-WM 2006 hat das Landgericht Frankfurt/M. das Verfahren gegen den früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach laut LTO gegen eine Geldauflage von 25.000 Euro vorläufig eingestellt. Die Vorsitzende Richterin begründete die Entscheidung damit, dass Niersbach "möglicherweise der Einzige ist, der nicht explizit involviert war in die Vorgänge", stellte aber auch klar, dass es sich bei der Entscheidung nicht um einen Freispruch handele. Niersbach Anwältin dagegen betonte, dass kein Schuldeingeständnis vorliege. Die Prozesse gegen Niersbachs Vorgänger im Amt, Theo Zwanziger, sowie den früheren DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt laufen weiter.
Christoph Becker (FAZ) prognostiziert, dass das Verfahren keinen "großen Erkenntnisgewinn zu den Hintergründen der Geldflüsse" mehr erbringen werde.
Recht in der Welt
Türkei – Bülent Mumay: Nachdem der Journalist der Deutschen Welle Bülent Mumay, der auch für die FAZ schreibt, in der Türkei zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden war, weil er 2002 einen Tweet über einen Account veröffentlichte, der zuvor durch eine gerichtliche Anordnung für die Öffentlichkeit gesperrt worden war, hat ein Gericht in Istanbul die gegen das Urteil eingelegte Berufung nun zurückgewiesen, so SZ (Raphael Geiger) und LTO. Mumay hatte in dem Tweet über ein regierungsnahes Bauunternehmen berichtet. Beobachter:innen halten die Entscheidungen für politisch motiviert. Die Deutsche Welle kündigte an, Verfassungsklage zu erheben.
Spanien – Geschlechtliche Selbstbestimmung: Wie die SZ (Patrick Illinger) schreibt, sorgt in Spanien derzeit das Zusammenspiel zweier neuer Gesetze für Diskussionen. Eines der Gesetze erlaubt es Bürger:innen, ihr Geschlecht frei zu wählen und amtlich eintragen zu lassen; unabhängig von der Vornahme körperlicher Veränderungen oder einer Namensänderung. Die entsprechenden Regelungen werden nun in Einzelfällen von Männern ausgenutzt, um einer verschärften Strafverfolgung für Männergewalt zu entgehen. Das zweite Gesetz nämlich sieht in Fällen von Gewalt von Männern gegen Frauen spezielle Gerichte und Staatsanwaltschaften vor, die auf solche Taten spezialisiert sind. Sobald sich die entsprechenden Männer jedoch als Frauen registrieren lassen, ist diese Zuständigkeit nicht mehr gegeben.
Italien – Untergang Luxusyacht Bayesian: Die Staatsanwaltschaft in Palermo hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Kapitän der vor der sizilianischen Küste im Sturm gesunkenen Luxusyacht Bayesian wegen fahrlässiger Tötung und Schiffbruchs eröffnet, so die SZ (Marc Beise). Vieles deute auf ein Fehlverhalten des 51-jährigen Neuseeländers und weiterer Besatzungsmitglieder hin.
Frankreich – Telegram-Chef Pawel Durow: Über die Festnahme von Telegram-Chef Pawel Durow in Frankreich berichten SZ (Helmut Martin-Jung), FAZ (Reinhard Veser), taz (Inna Hartwich) und spiegel.de (Markus Becker/Patrick Beuth/Max Hoppenstedt/Marcel Rosenbach/Britta Sandberg). Der 39-Jährige, der neben der russischen auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, soll sich geweigert haben, mit den französischen Behörden zusammenzuarbeiten. Telegram wird vorgeworfen, zu wenig gegen Straftaten auf der Plattform vorzugehen, insbesondere bei Verbreitung von Kinderpornografie, Drogenhandel und organisiertem Bandenbetrug. Telegram weist die Vorwürfe als "absurd" zurück und behauptet, alle geltenden europäischen Regeln einzuhalten. Die Welt (Stefan Beutelsbacher/Benedikt Fuest/Philipp Vetter) erklärt in einem Frage-und-Antwort-Format, wie das Geschäft mit der Telegram-App funktioniert. Die SZ (Andrian Kreye) nimmt die Festnahme Durows zum Anlass für eine Diskussion über Meinungsfreiheit im Netz.
Österreich – Messerverbot: Wie die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet, liegt in Österreich seit April ein Entwurf aus dem Innenministerium vor, der ein umfassendes Verbot für das Mitführen von Messern vorsieht. Bislang bezieht sich das österreichische Waffenrecht in erster Linie auf Schusswaffen. Neuerdings dürfen Kommunen allerdings an bestimmten Orten das Führen von Messern verbieten.
Australien – Recht auf Nichterreichbarkeit: In Australien räumt ein neues Gesetz Arbeitnehmer:innen das Recht ein, in ihrer Freizeit nicht erreichbar sein zu müssen. Nach Feierabend dürfen sie sich folglich weigern, auf Nachrichten ihres Arbeitgebers zu reagieren. Für Unternehmen mit weniger als 15 Mitarbeitenden soll das Gesetz erst in einem Jahr in Kraft treten. SZ (Paulina Würminghausen) und FAZ (Hendrik Ankenbrand) berichten.
Sonstiges
Resilienz der Demokratie: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Vanessa Wintermantel und Klaas Müller stellen auf dem Verfassungsblog das Online-Symposium "Wen es trifft" des Thüringen-Projekts vor und fassen Beiträge zusammen, die – mit unterschiedlichen Schwerpunkten – der Frage nachgehen, wie eine autoritär-populistische Regierung auf Landesebene Demokratie und Rechtsstaat Schaden zufügen und was insbesondere rechtspolitisch dagegen unternommen werden kann. In einem gesonderten Artikel, der ebenfalls Teil des Online-Symposiums ist, befasst sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Berkan Kaya auf dem Verfassungsblog mit der Frage, ob die (Re-)Etablierung eines rassistischen Volksbegriffs durch die AfD möglich wäre und welche Folgen dies gegebenenfalls hätte.
Journalistengespräche im Kanzleramt: Mit einer parlamentarischen Anfrage möchte die AfD die Informationspolitik von Ministerien, Kanzleramt sowie weiteren Bundesbehörden gegenüber Journalist:innen umfassend aufklären, schreibt tagesspiegel.de (Jost Müller-Neuhof). Dabei beruft sich die AfD auf drei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts, nach denen Behörden zur Auskunft darüber verpflichtet sind, mit welchen Medien und zu welchen Themen sie Hintergrundgespräche führen; einschließlich der Namen der Journalist:innen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 27. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55274 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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