Die juristische Presseschau vom 19. Juli 2024: VG Berlin zu "Junge Welt" / BVerfG zu Min­dest­lohn in Yoga­ve­rein / Begrün­dung des Com­pact-Ver­bots

19.07.2024

Die Tageszeitung "Junge Welt" darf weiterhin im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden. Yogazentrum scheiterte mit Verfassungsbeschwerden. Die Begründung des Compact-Verbots wurde bekannt.

Thema des Tages

VG Berlin zu Junge Welt vs. BfV: Die Tageszeitung "Junge Welt" darf vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) weiterhin in der Rubrik Linksextremismus des jährlichen Verfassungsschutzberichts erwähnt werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin und folgte dabei im Wesentlichen der Argumentation des BfV. So strebe das Medium die "Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischem Verständnis an", was einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip darstelle. Zudem informiere die Zeitung nicht nur, sondern mobilisiere und forme Widerstand. Auch gebe es eine Verflechtung mit der linksradikalen Szene. Die "Junge Welt" kündigte an, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Es berichten SZ (Ronen Steinke) und LTO (Maryam Kamil Abdulsalam)

Ronen Steinke (SZ) findet es "schlecht", dass die Zeitung vom Verfassungsschutz beobachtet wird und stellt klar, dass es dem BfV nicht um ein "Beobachten" gehe, sondern um ein "Anprangern". Und genau dies sei "Gift für die Pressefreiheit". Die "Junge Welt" hätte von dieser Stigmatisierung befreit werden müssen. Da dem VG Berlin dazu wohl der Mut gefehlt habe, müsse es "eben Karlsruhe richten". 

Rechtspolitik

Maßregelvollzug: Rechtsprofessor Jörg Kinzig zieht auf LTO Bilanz über die Entwicklungen, die seit der im Oktober 2023 in Kraft getretenen Reform des Maßregelvollzugs eingetreten sind. Er kritisiert in erster Linie, dass "hier an falscher Stelle gespart wurde". Zwar sei das Ziel, durch eine Verschiebung von Straftäter:innen von den Entziehungs- in die Justizvollzugsanstalten kurzfristig eine finanzielle Entlastung herbeizuführen, erreicht worden, die "für die Gesellschaft mit dieser Strategie verbundenen Folgekosten" könnten allerdings erheblich werden. 

Haftentschädigung: Nun berichtet auch beck-aktuell über den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, der eine Erhöhung der Haftentschädigung für zu Unrecht erlittene Untersuchungs- oder Strafhaft vorsieht. 

Künstliche Intelligenz: Anlässlich des baldigen Inkrafttretens der Verordnung zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (AI Act) stellt der Rechtsanwalt Tim Wybitul auf beck-aktuell die Risiken und Chancen der Verordnung für Unternehmen vor und weist darauf hin, dass bereits jetzt vieles darauf hindeute, dass in Deutschland die Bundesnetzagentur Marktaufsichtsbehörde nach der KI-VO werde. Die Datenschutzbehörden würden aber dennoch eine wichtige Rolle spielen. 

Asyl: Im Interview mit der taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde) spricht der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) unter anderem über seine Forderung nach einer strikten Zurückweisung von Geflüchteten an der deutschen Grenze. Auf die Anmerkungen, dass viele seiner Vorschläge gegen EU-Recht verstoßen, antwortet er, die EU brauche "eine Rosskur und wahrscheinlich eine maximal harte". 

Justiz

BVerfG zu Mindestlohn in Yoga-Zentrum: Das Bundesverfassungsgericht nahm zwei Verfassungsbeschwerden eines Yogavereins nicht zur Entscheidung an. Der Verein wollte mit seinen Beschwerden zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts, die ehemaligen Vereinsmitgliedern Mindestlohn statt eines Taschengeldes zusprachen, kippen. Nach Auffassung des BVerfG komme es auf die Frage, ob es sich bei der Yoga-Gemeinschaft um eine Religionsgemeinschaft handele, nicht an, denn es sei weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Dienste der Aufrechterhaltung des Beherbergungs- und Seminarbetriebs und des Vertriebs von Yoga-Produkten, um die es bei der arbeitsrechtlichen Beurteilung ging, für sich genommen religiös geprägt waren. Es berichten FR (Ursula Knapp) und LTO (Tanja Podolski)

VerfGH Bayern zu AfD in der Geheimdienstkontrolle: Laut beck-aktuell hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die AfD keinen Anspruch auf einen Sitz im parlamentarischen Kontrollgremium des bayerischen Landtags hat. Es sei zulässig, die tatsächliche Besetzung des Gremiums von einer freien Mehrheitswahl durch das Landtagsplenum abhängig zu machen. Die AfD-Fraktion hatte sich in ihrer Klage, die nun als teilweise unzulässig, im übrigen aber als unbegründet abgewiesen wurde, insbesondere auf eine Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit der Fraktion sowie ihres Rechts auf effektive Oppositionsarbeit berufen. 

OLG Dresden zu Böhmermann vs. Imker: Wie SZ (Marvin Zubrod) und LTO schreiben, unterlag der Satiriker Jan Böhmermann im Streit um die Zulässigkeit zweier Werbeaktionen des Imkers Rico Heinzig auch in zweiter Instanz. Das Oberlandesgericht Dresden wies die Berufung Böhmermanns gegen ein Urteil des Landgerichts Dresden vom Februar mit der Begründung zurück, der satirische Charakter der Werbeaktion sei erkennbar. Heinzig hatte, nachdem der Satiriker den Bienenzüchter in seiner Sendung "ZDF Magazin Royal" vorgeführt hatte, mit Böhmermanns Konterfei und Namen für seinen Honig geworben und das als Satire verstanden wissen wollen, woraufhin sich Böhmermann in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah.

VG Berlin – Auskunft über Kraftstoff: Wie die taz (Florian Nass) berichtet, verklagt die Deutsche Umwelthilfe Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor dem Verwaltungsgericht Berlin, weil dieser sich weigert, vorliegende Abgasmessungen für den neuen Kraftstoff HVO100 herauszugeben. Wissing und sein Staatssekretär Oliver Luksic (FDP) bewerben den Dieseltreibstoff seit Monaten als klimaneutral. Die Bewertung ist allerdings umstritten. 

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun/von Erffa: Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München I setzte der mitangeklagte Chef der Buchhaltung, Stephan von Erffa, seine Erklärung fort; und sah sich dabei zunehmend mit kritischen Nachfragen des Vorsitzenden Richters Markus Födisch konfrontiert. "Die Frage ist, warum Sie hier nichts erkennen", kommentierte Födisch etwa die Erklärungen von Erffas zu Ungereimtheiten bei Kontosalden im Jahr 2017, bei denen es um 35 Millionen Euro ging. Das Gericht hatte von Erffa für den Fall eines "qualifizierten Geständnisses" eine Freiheitsstrafe von sechs bis acht Jahren in Aussicht gestellt. Ein solches Geständnis erfolgte jedoch auch am zweiten Tag der Aussage nicht, vielmehr wies der Angeklagte die Verantwortung weiterhin von sich. SZ (Stephan Radomsky) und LTO berichten. 

LG Stuttgart zu Polizistenbeleidigung: Laut LTO (Kevin Japalak) verurteilte das Landgericht Stuttgart einen Studenten, der zwei ihm entgegenkommende Polizisten anlasslos mit dem Satz "Da ist ja wieder der Rassistenverein" begrüßte, wegen Beleidigung. Die Äußerung sei keine straflose Kollektivbeleidigung, weil der Mann die Polizisten als Individuen direkt adressiert habe. Sie sei für die Beamten auch nicht hinnehmbar, da es sich "bei dem Vorwurf, Rassist zu sein, um einen hohen herabwürdigen Angriff auf die Ehre der betroffenen Polizeibeamten" handele. Die Grenze zur Ausübung der Meinungsfreiheit sei damit überschritten. 

LG Berlin zu Schließfacheinbruch: Das Landgericht Berlin verurteilte vier Männer wegen Diebstahls mit Waffen und teilweise wegen versuchter Brandstiftung zu Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und acht Jahren. Ein Angeklagter wurde freigesprochen. Das Gericht stützte sich in seinem Urteil in weiten Teilen auf das Geständnis des Angeklagten Thomas St., der sehr früh mit den Ermittlungsbehörden kooperierte. Er war Geschäftsführer der Tresor- und Schließfachanlage in einer Seitenstraße des Berliner Kurfürstendamms, aus der die Diebe im November 2022 säckeweise Gold, Schmuck und Uhren hinaustrugen. Wo sich die Beute befindet, ist bis heute unklar. Es berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).  

LG Hamburg zu Onlinerätsel Wordle: Laut der FAZ unterlag die US-Zeitung "New York Times" in einem Markenrechtsstreit vor dem Landgericht Hamburg gegen den Hamburger Rätselmacher und Verleger Stefan Heine. Die Zeitung wollte Heine mit ihrer Klage die Bezeichnung "Wordle" für Onlineworträtsel unter Berufung auf vermeintlich prioritäre eigene Markenrechte untersagen. Da der Verlag der "New York Times" und Heine allerdings am 1. Februar 2022 simultan Kennzeichenrechte an dem Begriff Wordle angemeldet hatten – die Zeitung eine Unionsmarke auf EU-Ebene, Heine eine deutsche Wortmarke – darf sich auch Heine laut Gericht auf sein Markenrecht berufen. 

Recht in der Welt

IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Am heutigen Freitagnachmittag entscheidet der Internationale Gerichtshof, ob Israels Besatzung der palästinensischen Gebiete und ihre Praxis völkerrechtskonform ist. Die FAZ (Alexander Haneke/Christian Meier) fasst Hintergründe des Verfahrens in einem Frage-und-Antwort-Format zusammen. 

USA – Trump/Dokumente: Sonderermittler Jack Smith hat Berufung gegen die Einstellung des Strafverfahrens gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump in der Dokumentenaffäre eingelegt. Richterin Aileen Cannon hatte die Einstellung des Verfahrens mit Zweifeln an der rechtmäßigen Ernennung des Sonderermittlers Smith in dem Fall begründet. Sollte Smith mit seiner Berufung Erfolg haben, könnte das Verfahren wieder aufgenommen werden. Dass es in diesem Fall noch vor der Präsidentenwahl im November zum Prozess kommt, gilt jedoch als praktisch unmöglich. Es berichtet LTO

Polen – Korruption/PiS-Regierung: Die FAZ (Reinhard Veser) berichtet über die Korruptionsermittlungen gegen den früheren stellvertretenden Justizminister Polens, Marcin Romanowski, und andere Mitglieder der nationalkonservativen PiS. Einer der Vorwürfe betrifft den illegalen Einsatz der Spionagesoftware Pegasus. Das Programm, dessen Erwerb die PiS lange geleugnet hatte, wurde nicht nur gegen Kriminelle verwendet, sondern auch gegen PiS-Kritiker:innen. Derzeit befindet sich Romanowski auf freiem Fuß, weil er als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Immunität genießt. 

Österreich – Mordprozess gegen Vater: Vor dem Landgericht Innsbruck hat ein Prozess gegen einen Vater begonnen, dem vorgeworfen wird, seinen sechsjährigen Sohn ertränkt zu haben, so die SZ (Gerhard Fischer). Das Kind hatte einen seltenen Gendefekt, der unter anderem mit epileptischen Anfällen und einer geistigen Beeinträchtigung einherging. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, damit überfordert gewesen zu sein, was dieser jedoch zurückweist. Es habe sich um einen Unfall gehandelt. Das Urteil wird für den 1. August erwartet. 

Sonstiges

Compact-Verbot: Inzwischen wurde die bisher unveröffentlichte Begründung des am Dienstag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verfügten Verbots der rechtsextremen Compact Verlags GmbH bekannt. LTO (Felix W. Zimmermann/Markus Sehl/Max Kolter) fasst die Begründung zusammen. So lege das BMI anhand von Zitaten aus Compact-Beiträgen dar, dass das Magazin ein "völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept" vertrete und Verschwörungserzählungen des "Großen Austausches" verbreite. Die Organisation nehme auch "eine aggressiv-kämpferische Haltung" ein. Dass das Verbot einer Medienpublikation nicht nur in die Vereinigungsfreiheit eingreift, sondern auch in die Meinungs- und Pressefreiheit, und hierfür besondere Schranken gelten, behandele das BMI in dem 79-seitigen Papier eher knapp. 

spiegel.de (Matthias Bartsch/Sven Röbel/Wolf Wiedmann-Schmidt/Steffen Winter) gibt einen Überblick über die Hintergründe der Verbotsverfügung und die Machenschaften der Macher des Magazins. Detlef Georgia Schulze (taz-blogs) befasst sich ausführlich mit den Schranken von Artikel 5 Absatz 2 GG. 

Sabine Rennefanz (spiegel.de) kritisiert in ihrer Kolumne, dass der Staat meine, "Menschen schützen zu müssen vor bestimmten Äußerungen". Die Verbotsverfügung erwecke den Eindruck, "dass hier die Exekutivmacht des Staates benutzt wird, um missliebigen politischen Gegnern ein Signal zu senden". Darüber hinaus stellt sich die Autorin die Frage, ob nicht der Schaden, der mit einem Verbot einhergeht, größer ist als der Nutzen: "Rechtsextremismus bekämpft man nicht durch Verbote, sondern durch bessere Politik, Streit – und bei kriminellen Vergehen mit dem Strafrecht".

Einstufung der AfD: Die FAZ (Friederike Haupt/Mona Jaeger) geht der Frage nach, was für eine Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz spricht und was die Folgen wären. So dürfte es dadurch etwa tendenziell leichter werden, bestimmte Maßnahmen als erforderlich und angemessen zu begründen. In politischer Hinsicht sei zwar nicht zu erwarten, "dass sich sofort erhebliche Mengen von Wählern von der AfD abwenden", über ein Verbot würde dann aber lauter diskutiert werden.

Widerstandsrecht: Reinhard Müller (FAZ) befasst sich mit dem Widerstandsrecht, das im Rahmen der Notstandsverfassung von 1968 in das Grundgesetz eingefügt wurde, und legt dar, dass das Grundgesetz "kein Widerstandsrecht gegen demokratisches Handeln" gewährt, "sondern im Gegenteil, gegen jeden, der es unternimmt, unsere freiheitliche Ordnung zu beseitigen". Zwar sei es hierzulande wohl – anders als in den USA – nicht möglich, dass "jemand, der ankündigt, eine Diktatur zu errichten", in ein Regierungsamt gewählt wird, letztlich seien aber auch "die Sicherungen wie eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit und der Föderalismus auf Mehrheiten und Akzeptanz angewiesen". Es komme daher auf jeden Einzelnen an. 

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Juli 2024: VG Berlin zu "Junge Welt" / BVerfG zu Mindestlohn in Yogaverein / Begründung des Compact-Verbots . In: Legal Tribune Online, 19.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55034/ (abgerufen am: 19.07.2024 )

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