Die juristische Presseschau vom 5. Juli 2024: Gene­ral­an­walt zum Fremd­ka­pi­tal­verbot / Wahl­rechts-Urteil am 30. Juli / Mit Urhe­ber­recht gegen MeToo-Pod­cast

05.07.2024

Das Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien verstößt laut EuGH-Generalanwalt gegen EU-Recht. Das BVerfG wird sein Urteil zum Bundestags-Wahlrecht Ende Juli verkünden. Rammstein-Mitglieder zwangen NDR zum Entfernen des Podcasts "Row Zero".

Thema des Tages 

EuGH – Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien: Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona sieht im deutschen Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien (§ 59a ff BRAO) einen Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Zwar sei es grundsätzlich möglich, die Dienstleistungsfreiheit auf Grund von Gemeinwohlbelangen einzuschränken; die Mitgliedsstaaten hätten hier einen weiten Gestaltungsspielraum. Der deutschen Regelung fehle es aber an der geforderten Kohärenz. So sei nicht nachvollziehbar, warum ein Anwalt als Gesellschafter einer Anwaltsgesellschaft in dieser Gesellschaft "tätig" sein muss. Auch sei nicht einleuchtend, warum die 49-prozentige Beteiligung eines Steuerberaters unproblematisch sei, die 51-prozentige Beteiligung aber verboten. Der Fall wurde dem EuGH vom Bayerischen Anwaltsgerichtshof vorgelegt. Dort geht es um die Halmer RA UG, bei der eine österreichische Gesellschaft 51 Prozent der Anteile übernehmen sollte, was die Rechtsanwaltskammer München unter Verweis auf die BRAO untersagte. Es berichten LTO (Martin W. Huff) und beck-aktuell

Rechtspolitik

Commercial Courts: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Ampel-Koalition und der CDU/CSU die Einrichtung von Commercial Courts geregelt, an denen zivilrechtliche Wirtschaftstreitigkeiten auch in englischer Sprache verhandelt werden können. In den Beratungen war der Zuständigkeitsbereich noch auf bestimmte Streitigkeiten innerhalb von Unternehmen ausgeweitet worden. FAZ-Einspruch (Marcus Jung) berichtet.

Genossenschaften: Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf vorgelegt, um die genossenschaftliche Rechtsform attraktiver zu machen. So soll die Gründung von Genossenschaften schneller und einfacher möglich sein. Zugleich soll der Missbrauch der Rechtsform erschwert werden. beck-aktuell berichtet. 

Grenzkontrollen: Die CDU/CSU-Fraktion hat in einem Antrag die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) aufgefordert, die Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen auch nach dem Ende der Fußball-EM fortzuführen. Dies soll die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl erhöhen. "Auch kontrollierte Grenzen sind offene Grenzen", sagte der Abgeordnete Alexander Throm (CDU). Die SZ (Robert Roßmann) berichtet. 

Gewalt gegen Frauen: Der Bundestag diskutierte in erster Lesung einen Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Gewalt gegen Frauen, der Gesetzesverschärfungen fordert. Ein zentraler Punkt ist die Ausweitung der Mordmerkmale um die Ausnutzung körperlicher Überlegenheit. Andere Fraktionen übten in der Debatte Kritik. So komme es nicht auf körperliche Überlegenheit, sondern auf männliches Besitzdenken an, das es auch bei schmächtigen Männern gebe. Strafverschärfungen seien Symbolpolitik, die keine Taten verhindere; wichtiger sei Prävention. Die FAZ (Helene Röhnsch) berichtet. 

Anwaltsgebühren: Rechtsanwalt Jens Ferner kritisiert auf beck-aktuell den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Erhöhung der Anwaltsgebühren. Eine Erhöhung um sechs bis neun Prozent nach drei Jahren sei "nicht ansatzweise kostendeckend". Dies gefährde den Zugang derjenigen zum Recht, deren Fälle nach Gebührentabelle abgerechnet werden. Es drohe eine "Unterversorgung" der Bedürftigsten. 

Betriebsratsvergütung: Der Anwalt Jörn Kuhn kritisiert auf LTO die klarstellende Neuregelung der Betriebsratsvergütung, die der Bundestag vorige Woche beschlossen hat. Die Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe beende die Rechtsunsicherheit nicht. Insbesondere seien variable Vergütungsbestandteile wie Boni nicht geregelt worden.

LVerfG Berlin-Richterwahl: Das Berliner Abgeordnetenhaus hat auf gemeinsamen Vorschlag von SPD, Grünen, CDU und Linken (ohne die AfD) sechs neue Richter:innen für den Berliner Verfassungsgerichtshof gewählt. Dort waren zwei Richterposten unbesetzt und die Amtszeit von vier weiteren Richter:innen schon seit 2021 beendet. Gewählt wurden nun: Richterin Juliane Pätzold (VG Berlin), Rechtsprofessor Florian Rödl (FU Berlin), Richter Florian Schärdel (AG Schöneberg), Richterin Rosanna Sieveking (BVerwG), Richter Björn Retzlaff (KG) und Rechtsanwältin Lucy Chebout (Raue, DJB). LTO berichtet. 

Justiz

BVerfG – Bundestags-Wahlrecht: Das Bundesverfassungsgericht wird am 30. Juli sein Urteil über das von der Ampel-Koalition reformierte Bundeswahlgesetz verkünden. Bei der mündlichen Verhandlung im April zeichnete sich ab, dass der Wegfall der Grundmandateklausel beanstandet werden könnte, weil dies die Wirkung der 5-Prozent-Klausel unverhältnismäßig verschärfe. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet. 

BVerfG – Strompreisbremse: Am 24. September wird das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde von 22 Ökostrom-Herstellern verhandeln, meldet die taz. Sie wenden sich gegen die Gewinnabschöpfung zur Finanzierung der Strompreisbremse. Diese hätte mit Steuergeldern finanziert werden müssen. 

BVerfG zu Auslieferung nach Ungarn: Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) verteidigte im Plenum des Berliner Abgeordnetenhauses die Auslieferung der Linksradikalen Maja T. an Ungarn, bevor das Bundesverfassungsgericht über einen Eilantrag entschieden hatte. Das Verfahren sei nicht rechtzeitig bekannt geworden. Badenberg geht davon aus, dass es keine Pflicht zur Rückholung von Maja T. gibt. Auch Anwälte nehmen an, dass die vom BVerfG erwähnte Pflicht zur Rückholung sich nur auf den Weg nach Ungarn (durch Österreich) bezog. Es soll die ungarische Zusage geben, dass Maja T. nach einer Verurteilung in Ungarn die Strafe in Deutschland verbüßen darf. LTO (Tanja Podolski) berichtet. 

BFH zu Akteneinsicht in Steuerakten: Bürger, die ihren Steuerberater auf Schadensersatz verklagen wollen, haben aus diesem Anlass keinen Anspruch auf Einsicht in ihre Steuerakte, entschied der Bundesfinanzhof. Nachdem die Steuerfestsetzung rechtskräftig ist, sei das Steuerstrafverfahren abgeschlossen. Die Klage gegen den Steuerberater sei ein Zweck jenseits des Steuerverfahrens. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und beck-aktuell

BGH zu Fluggastrechten/Pauschalreise: Ansprüche auf Ausgleichszahlungen aus der EU-Fluggastrechte-Verordnung unterliegen auch dann der Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB, wenn der annullierte oder verspätete Flug Teil einer Pauschalreise war. Das entschied der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell. Eine Anwendung der kürzeren reiserechtlichen Verjährungsfrist von zwei Jahren würde zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Fluggästen führen. 

OLG Köln zu Airport-Fast Lane und Bestechung: Das Oberlandesgericht Köln hat die Nutzung sogenannter Fast Lanes an deutschen Verkehrsflughäfen nicht als strafbare Korruption bewertet. In einem Strafverfahren gegen einen Line-Manager hat es diesen nicht als Amtsträger eingestuft. Anwalt Sebastian Wollschläger und Rechtsprofessor Mark A. Zöller begrüßen auf LTO das Urteil, halten es allerdings für zu oberflächlich. 

OLG Frankfurt/M. – Umsturzpläne/Reuß: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet über die Aussage der Ex-Richterin und Ex-AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. Sie äußerte sich ausführlich zu ihrem Lebensweg, nicht aber zu den Tatvorwürfen. Sie soll den Verschwörer:innenn beim Auskundschaften des Bundestags geholfen haben. Nach dem Umsturz sollte sie Justizministerin werden.

LG Mönchengladbach zu Tötung einer Fußgängerin: Das Landgericht Mönchengladbach verurteilte einen 19-jährigen Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung, Unfallflucht und versuchten Totschlags durch Unterlassen zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe. Der junge Mann, der unter dem Einfluss von Alkohol und Kokain stand, hatte eine rote Ampel überfahren und dabei mit Tempo 70 km/h eine hochschwangere Fußgängerin überfahren. Er war dann zunächst weitergefahren. Die Behauptung des Fahrers, er habe geglaubt, die Frau sei ein Gegenstand, glaubte ihm das Gericht nicht. spiegel.de berichtet. 

Waffenerlaubnis/AfD: LTO gibt einen Überblick über die divergierende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Frage, ob die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit nur dort festgestellt werden kann, wo die AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wird, oder ob die Annahme der Unzuverlässigkeit der AfD-Mitglieder bereits bei der Einstufung der AfD als Verdachtsfall möglich ist. 

Recht in der Welt

Griechenland – Siemens: Die juristische Aufarbeitung des Siemens-Bestechungsskandals ist in Griechenland abgeschlossen. Bis 2002 hatte Siemens in Griechenland rund 130 Millionen DM Bestechungsgelder bezahlt, um an Großaufträge zu kommen. Zu rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen kam es nicht, weil 2022 Verjährung eintrat. Am Dienstag entschied das Athener Berufungsgericht, dass die deutschen und griechischen ehemaligen Angeklagten auch alle eingefrorenen Vermögenswerte zurückerhalten. Die taz (Ferrry Batzoglou) berichtet. 

Niederlande – Suizidhilfe: Ein Gericht in Arnheim hat zwei Rentner:innen wegen tausendfacher Weitergabe eines Suizid-Medikaments zu Bewährungsstrafen von einem Jahr bzw. vier Monaten verurteilt. Die Seniorinnen gehörten zu einer altruistischen Organisation namens "Kooperative Letzter Wille", die das Gericht als kriminelle Vereinigung einstufte. beck-aktuell berichtet. 

Juristische Ausbildung

Moot Court am BGH: swr.de (Catrin Kocis) berichtet über den Bundesentscheid des Elsa Moot Courts am Bundesgerichtshof. Die Studierenden des Teams Regensburg siegten gegen das Team Osnabrück. Der zu entscheidende Fall drehte sich um einen defekten Computer. 

Sonstiges

Rupert Scholz: Der emeritierte Rechtsprofessor Rupert Scholz, Herausgeber des Grundgesetz-Kommentars Dürig/Herzog/Scholz, hat dem rechtsextremistischen Online-Magazin compact ein Interview gegeben. Dabei hat er die Brandmauer zur AfD als "unklug" bezeichnet. Thomas Haldenwang, dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, warf er verfassungswidriges Verhalten vor und die Öffnung der Grenzen durch Kanzlerin Angela Merkel 2015 bezeichnete Scholz als "rechtswidrig". Die SZ (Ronen Steinke) weist darauf hin, dass der Kommentar von Scholz im Verlag C.H. Beck erscheint, in dem bis vor kurzem auch Hans-Georg Maaßen an einem anderen Grundgesetz-Kommentar mitarbeitete. 

Rammstein-Podcast: Der NDR hat alle vier Folgen seines Podcast "Rammstein - Row Zero" über die Rammstein-Affäre aus den Podcast-Plattformen entfernt. LTO (Felix W. Zimmermann) erläutert, dass der Sender damit auf Eil-Anträge der sechs Rammstein-Mitglieder reagierte. Das LG Hamburg habe Anfang Juni in einem Hinweisbeschluss signalisiert, dass die Anträge Erfolg haben dürften. Der NDR habe nämlich das Urheberrecht verletzt, weil er Rammstein-Songs ohne Genehmigung "bearbeitet" habe, indem Text über die Songs gesprochen wurde. Dies sei auch nicht vom Zitatrecht gedeckt. Außerdem seien die Rammstein-Mitglieder im Abspann des Podcasts nicht als Autoren und Komponisten angegeben worden. Der NDR verzichtete auf einen weiteren Rechtsstreit in dieser Sache und bearbeitet derzeit den Podcast. 

Polizeiliche Schmerzgriffe: Rechtsprofessor Andreas Ruch kritisiert auf dem Verfassungsblog die polizeiliche Praxis, friedliche Sitzblockaden mit Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken aufzulösen. Da es möglich (wenn auch anstrengender) ist, die Aktivist:innen wegzutragen, seien Schmerzgriffe unverhältnismäßig.


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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. Juli 2024: Generalanwalt zum Fremdkapitalverbot / Wahlrechts-Urteil am 30. Juli / Mit Urheberrecht gegen MeToo-Podcast . In: Legal Tribune Online, 05.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54935/ (abgerufen am: 05.07.2024 )

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