Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2024: BGH zu Wer­bung mit Kli­ma­neu­tra­lität / Gewalt und Gemein­wohl / BayVGH zu "From the river to the sea"

28.06.2024

Grundsatzurteil des BGH stellt klar, wann Werbung mit Klimaneutralität irreführend ist. Buschmann-Entwurf zu Gewalt gegen Polizisten und Politiker. Der BayVGH hält ein pauschales Verbot der Parole "From the river..." für rechtswidrig.  

Thema des Tages

BGH zu Werbung mit Klimaneutralität: Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Werbung mit dem Attribut "klimaneutral" irreführend ist, wenn nicht bereits in der Werbung selbst erläutert wird, ob sich der mehrdeutige Begriff der Klimaneutralität auf eine Reduktion von CO₂ im Produktionsprozess oder – wie im Falle des Süßwaren- und Lakritzherstellers Katjes – auf eine bloße Kompensation durch Unterstützung von Klimaschutzprojekten bezieht. Katjes darf somit künftig immer noch mit der "Klimaneutralität" werben, muss aber darlegen, wie genau diese zu verstehen ist. Die Nutzung von QR-Codes und der Verweis auf Webseiten reicht hierfür nicht mehr aus. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale, die vor dem BGH Erfolg hatte, weil die beanstandete Katjes-Werbung nach den Kriterien des BGH "irreführend" im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) war. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), taz (Christian Rath), FR (Ursula Knapp) und tagesschau.de (Philip Raillon). Der Rechtsanwalt Karl Hamacher stellt die Entscheidung auf LTO vor. 

Kai Schöneberg (taz) begrüßt das Urteil. Es sei allerdings auch erforderlich, dass umweltbezogene Werbung stärker reguliert werde und umweltbezogene Siegel von unabhängigen Dritten überprüft werden. 

Rechtspolitik

Gewalt und Gemeinwohl: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will laut FAZ (Marlene Grunert) härter gegen gemeinwohl-gefährdende Gewalt vorgehen. Ein Referentenentwurf, der nun in die Ressortabstimmung ging, sieht eine Reform von § 113 StGB vor. Als besonders schwerer Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte soll danach künftig auch ein "hinterlistiger Überfall" zählen. Zum Schutz von Menschen, die sich als Ehrenamtliche, Mandats- oder Amtsträger für das Gemeinwesen engagieren, sieht der Entwurf zudem vor, dass in § 46 StGB bei der Strafzumessung auch berücksichtigt werden soll, ob die Tat geeignet ist, "eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen".

Reinhard Müller (FAZ) meint, es sei "dem üblichen gesetzgeberischen Aktionismus geschuldet, dass jetzt die Strafen ein weiteres Mal für diejenigen verschärft werden, die Polizisten oder auch Rettungskräfte im Einsatz angreifen". Dennoch sei es wichtig, darauf hinzuweisen, dass "hier in jedem Fall ein Angriff auf uns alle vorliegt". 

Aufarbeitung NS-Euthanasie: Der Bundestagsabgeordnete Erhard Grundl (Grüne) hat einen fraktionsübergreifenden Antrag zur Aufarbeitung von NS-Euthanasie und Zwangssterilisation in den Bundestag eingebracht. Mit diesem möchte er erreichen, dass Menschen mit Behinderungen, die in der NS-Zeit ermordet oder sterilisiert wurden, als NS-Opfer anerkannt werden. Im Interview mit der taz (Sabrina Osmannn) spricht er über Ziele und Hintergründe des Antrags. 

Migration: Heribert Prantl (SZ) fordert in seiner Kolumne, Migration nicht aufzuhalten, sondern "zu gestalten". Er kritisiert, dass in der Asylpolitik noch immer auf "Push-Faktoren" wie Mauern, Zäune und Pushbacks, sowie auf die Beseitigung vermeintlicher "Pull-Faktoren" gesetzt werde. "Baustein" einer guten Migrationspolitik müsse es dagegen sein, "diejenigen, die real kommen, zu qualifizieren, damit sie hier arbeiten können". Dafür brauche es allerdings auch eine "öffentliche Rhetorik, die aufhört, Einwanderer als Pauschalbedrohung darzustellen".

Schwangerschaftsabbruch: Nun berichtet auch die FAZ (Marlene Grunert) über den Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion für eine Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches. Die Grünen befürworten die Pläne. Die FDP steht dem Vorstoß jedoch skeptisch gegenüber.

Resilienz des Bundestags: Nun berichtet auch die SZ (Markus Balser) über ein Gutachten des Rechtsprofessors Klaus Gärditz zur Frage, wie der Bundestag besser vor verfassungsfeindlichen Aktionen oder Einflussnahmeversuche durch Abgeordnete oder Mitarbeiter:innen geschützt werden könnte. 

Einbürgerungen: Am gestrigen Donnerstag trat das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft. Nun gibt auch beck-aktuell einen Überblick über die Regelungen. SZ (Constanze von Bullion) und zeit.de (Alena Kammer) fassen die Neuerungen im Frage-und-Antwort-Format zusammen. 

Nicolas Richter (SZ) hält das neue Staatsangehörigkeitsrecht für "sinnvoll". Es sei zu begrüßen, dass "Ausländer schneller als bisher Deutsche werden" könnten, andererseits dafür aber auch Leistungen erbringen müssten in Form von "Fleiß, Rechts- und Verfassungstreue". 

Justiz

VGH Bayern zu "From the river to the sea": Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat laut LTO entschieden, dass die Äußerung der Parole "From the river to the sea" nicht pauschal im Vorfeld einer Demonstration untersagt werden darf. Bei einer mehrdeutigen Meinungsäußerung müsse grundsätzlich die Deutung unterstellt werden, die für den Äußernden im Verfahren am günstigsten ist. Konkrete Anhaltspunkte, wonach die Parole der Hamas zuzuordnen sei, müssten von der zuständigen Behörde in ihrer Gefahrenprognose dargelegt werden. Denn "darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen einer unmittelbaren, konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" sei der Staat. Die Frage der Zulässigkeit der Parole wurde von den Gerichten bislang unterschiedlich bewertet. 

EuGH zu Klagefrist bei Kündigungen von Schwangeren: Es verstößt gegen EU-Recht, dass Schwangere, die erst nach ihrer Kündigung von ihrer Schwangerschaft erfahren, in Deutschland nur binnen zwei Wochen gegen die Kündigung klagen können. Dies entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Arbeitsgerichts Mainz. Zwei Wochen seien zu kurz, um sich anwaltlich beraten zu lassen und ggf. zu klagen. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und tagesschau.de (Max Bauer)

EuGH zu Immunität von MdEP Fest: Wie LTO (Hasso Suliak) schreibt, wies der Europäische Gerichtshof eine Klage des Europaabgeordneten Nicolaus Fest (Ex-AfD) gegen die Aufhebung seiner Immunität ab. Fest wollte mit seiner Klage verhindern, dass gegen ihn wegen Beleidigung des früheren Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) ermittelt wird. Nach Auffassung des EuGH seien die Äußerungen Fests, in denen er Beck als "notorischen Lügner und Pädophilen" bezeichnete, nicht in Ausübung seines Amtes als Abgeordneter getätigt worden. Auch gebe es keine Hinweise, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen von dem Willen getragen seien, Fests politische Tätigkeit zu beeinträchtigen.

EuGH zu Asylgrund Gleichberechtigung: Der Rechtsassessor Sebastian Losch analysiert auf dem Verfassungsblog das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni, wonach die Verinnerlichung europäischer Vorstellungen der Gleichberechtigung von Männern und Frauen die Zugehörigkeit zu einer verfolgungsrelevanten sozialen Gruppe und damit einen Asylgrund darstellen kann. Ein weites Verständnis derartiger sozialer Gruppen könne auch für Asylansprüche von Klimaflüchtlingen relevant sein.

BGH – unerlaubte Sportwetten: Vor dem Bundesgerichtshof wurde die Frage verhandelt, ob Spielende ihre Sportwettenverluste aus den 2010er-Jahren ersetzt bekommen. Konkret geht es um die Frage, ob die Wettanbieter, die seinerzeit in einem halblegalen, geduldeten Zustand Wetteinsätze mit "rechtlichem Grund" erhalten haben. Laut dem Vorsitzenden Richter Thomas Koch neige der Senat nach vorläufiger Einschätzung dazu, Verträge mit Wettanbietern ohne Konzession als nichtig anzusehen, auch wenn diese Lizenz schon beantragt worden war. Es berichten FAZ (Gregor Brunner) und spiegel.de

BSG zu Impfung als Arbeitsunfall: Das Bundessozialgericht hat laut spiegel.de entschieden, dass eine betriebliche Impfung unter gewissen Umständen als Unfall am Arbeitsplatz gelten kann. Es müsse allerdings ein direkter Zusammenhang zwischen der Impfung und der beruflichen Tätigkeit bestehen, etwa wenn die Impfung wegen des Arbeitsverhältnisses notwendig war oder der Arbeitnehmer dies aufgrund besonderer Umstände annehmen durfte. Diese Umstände habe die Vorinstanz, das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, im konkreten Fall eines Krankenhaus-Caterers, der 2009 gegen Schweinegrippe geimpft wurde, nicht näher ausgeführt. Dies müsse nun nachgeholt werden. 

OVG Berlin-BB zu Verhütungspille: Ein Apotheker darf nicht aus Gewissensgründen die Herausgabe der "Pille danach" verweigern. Dies entschied das Berufsobergericht für Heilberufe am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und gab damit der Apothekerkammer Recht, die ein Verfahren gegen einen Apotheker eingeleitet hatte, der sich bei der Verweigerung der Herausgabe des Medikaments auf sein Gewissen berufen hatte. Als selbstständiger Apotheker müsse er aber dem gesetzlichen Versorgungsauftrag mit Arzneimitteln genügen. Es berichtet spiegel.de

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Strafverfahren gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun sagten Mitarbeiter:innen der Commerzbank zu der Frage aus, ob die Bank von Braun betrogen worden sei, als sie Wirecard kurz vor dem Ende noch einen Kredit über 200 Mio. Euro gab. Es habe intern zwar einen kritischen Bericht gegeben, schließlich habe jedoch das Interesse an dem Geschäft obsiegt. Es berichtet die SZ (Stephan Radomsky/Meike Schreiber).

LG Halle – Björn Höcke: Über das zweite Strafverfahren gegen Björn Höcke wegen Verwendung der SA-Losung "Alles für Deutschland" vor dem Landgericht Halle berichtet nun auch die FAZ (Markus Wehner)

LG Hanau zu KZ-Wachmann Sachsenhausen: Nun schreiben auch die taz (Klaus Hillenbrand) und beck-aktuell über die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen 99-jährigen ehemaligen SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen aufgrund von dessen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit. Die Staatsanwaltschaft Gießen hatte Gregor F. vorgeworfen, durch seine Tätigkeit als Wachmann im KZ die dortigen systematischen Tötungen mit ermöglicht zu haben. 

GenStA München – Petr Bystron: Laut spiegel.de hat die Generalstaatsanwaltschaft München erneut Räumlichkeiten und Wohnungen, u.a. auch in Tschechien, durchsucht, um Beweismittel für das gegen den AfD-Abgeordneten Petr Bystron laufende Ermittlungsverfahren wegen Bestechlichkeit von Mandatsträgern und wegen Geldwäsche zu sammeln. Der Bundestag hob zudem erneut Bystrons Immunität auf.

GenStA Frankfurt/M. – Hass im Netz: Über eine Initiative der hessischen Generalstaatsanwaltschaft, die gemeinsam mit DFB und UEFA gegen Hass im Netz, insbesondere auch während der Fußball-EM, vorgehen will, berichtet nun auch die SZ (Christoph Koopmann)

StA München I – Alfons Schuhbeck: Nachdem Alfons Schuhbeck wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vom Landgericht München I zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden war, ermittelt die Staatsanwaltschaft München I nun erneut gegen den Starkoch. Ihm wird Insolvenzverschleppung und Betrug im Zusammenhang mit Coronahilfen vorgeworfen, so spiegel.de

Klimaklagen: Wie die FAZ (Katja Gelinsky) schreibt, wurden im vergangenen Jahr weltweit mehr als 200 neue Klimaklagen gegen Regierungen und Unternehmen eingereicht, wobei die Zahl der Verfahren gegen Unternehmen am stärksten zunahm. Die Autoren des am Donnerstag veröffentlichten Jahresberichts zum Thema Klimaklagen der London School of Economics bewerten die Klagen als Beispiele "strategischer Prozessführung, die eine breitere Klimaschutzagenda vorantreiben solle". Ob dieses Ziel mit den Klagen erreicht werde, sei allerdings fraglich. 

Sonstiges

Polizeibeauftragter: zeit.de (Johanna Sagmeister) porträtiert den ersten Polizeibeauftragten des Bundes, Uli Grötsch, und legt dar, vor welchen Herausforderungen dieser steht. Anlass ist der erste Tätigkeitsbericht des Polizeibeauftragten.

Fake-Maskottchen: Die Doktorandin Katharina Reisch befasst sich auf LTO mit möglichen strafrechtlichen Folgen für den Journalisten und Youtuber Marvin Wildhage, der sich als EM-Maskottchen verkleidet auf das EM-Spielfeld in München mogelte und so bestehende Sicherheitslücken offenlegte. In Betracht komme etwa eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung und Erschleichens von Leistungen. 

Gefängnis-Telefonate: Bis vor wenigen Tagen sollen Telefon-Verbindungsdaten von mehr als 14.000 Strafgefangenen ungeschützt im Internet einsehbar gewesen sein. Auch Entlassungsdaten der Gefangenen und Ausschnitte der Gespräche sollen online abrufbar gewesen sein. Grund war eine Datenschutz-Panne bei der Hamburger Firma Gerdes Communications. LTO berichtet.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2024: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54877 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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