Wie ist das Flugblatt, das einst bei Hubert Aiwanger gefunden wurde, strafrechtlich zu bewerten? Die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe greift erst vier Monate später. Der Prozess gegen Donald Trump in Washington soll im März 24 beginnen.
Thema des Tages
Hubert Aiwanger: Ronen Steinke (SZ) prüft, ob die Anfertigung und/oder Verteilung des antisemitischen Flugblatts, das im Schuljahr 1987/88 bei Hubert Aiwanger, dem heutigen bayrischen Vize-Ministerpräsidenten, gefunden wurde, zur damaligen Zeit strafbar war. Der Autor sieht unter Verweis auf ein BGH-Urteil von 1979 den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Die Tatbestände des "Billigens" und "Verherrlichens" der NS-Gewaltherrschaft waren erst 1994 in den Volksverhetzungs-Tatbestand eingefügt worden. Aiwangers mögliche Tat sei allerdings nach fünf Jahren bereits verjährt gewesen.
Rechtspolitik
Ersatzfreiheitsstrafe: Die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe verzögert sich wegen IT-Problemen um vier Monate. Eigentlich sollte der neue 2:1-Umrechnungsschlüssel ab 1. Oktober gelten, allerdings hat der Bundestag Anfang Juli das Inkrafttreten auf Wunsch Bayerns auf den 1. Februar 2024 verschoben. Grund hierfür ist die erforderliche Umprogrammierung der Software zur Strafzeitberechnung im Programm "web.sta", das von neun Bundesländern unter der Federführung Bayerns genutzt wird. Dies führt dazu, dass Tausende Personen doppelt so lange in Haft müssen, als vom Gesetzgeber ursprünglich vorgesehen. taz (Christian Rath) und LTO berichten.
Kindergrundsicherung: Die Ampel-Koalition hat sich auf Einzelheiten der im Koalitionsvertrag vereinbarten Kindergrundsicherung geeinigt. Das Kindergeld heißt künftig Kindergarantiebetrag. Daneben wird es einen einkommens- und altersabhängigen Kinderzusatzbetrag geben, in dem Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Bürgergeld über ein Internetportal gebündelt werden, um das Verfahren zu digitalisieren und zu vereinfachen. Außerdem sollen Unterhaltsleistungen an Alleinerziehende künftig nicht mehr vollständig auf Zahlung des Kinderzusatzbeitrages angerechnet und das sozioökonomische Existenzminimum soll neu definiert werden. Für dieses Paket sollen im Bundes-Haushalt zusätzlich 2,4 Mrd. Euro eingeplant werden. FAZ (Katja Gelinsky) und LTO (Leonie Ott) berichten
Katja Gelinsky (FAZ) begrüßt, dass Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nicht die geforderten 12 Mrd. Euro für das Projekt erhalten hat. Der Staat solle lieber dafür sorgen, dass Eltern arbeiten können und ihre Kinder selbst vor Armut bewahren. Nicole Opitz (taz) bemängelt, zur Bekämpfung der Kinderarmut wären jährlich 17 - 26 Mrd. Euro erforderlich. Die vereinbarten 2,4 Milliarden Euro genügten nicht der von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention, die ein Recht der Kinder auf Teilhabe vorsehe..
Genossenschaften: Das Bundesjustizministerium hat ein Eckpunktepapier für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform veröffentlicht. Dieses soll die Förderung der Digitalisierung bei Genossenschaften, die Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform sowie Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften umfassen. Es berichtet das HBl.
Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Der Berliner Senat plant ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, das unter anderem Kriterien für eine Vergesellschaftung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge und deren Entschädigung regeln soll. Der Senat will in den nächsten zwei Wochen mit den Arbeiten für den Gesetzentwurf beginnen. Das Gesetz soll dann erst zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten, um eine vorherige Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen. Es berichten taz- (Erik Peter) und LTO.
KI: Im HBl kommentiert Rechtsanwalt Richard Backhaus die geplante KI-Verordnung der EU. Falls von den weiten Definitionen der Verordnung auch normale Software erfasst sein soll, müsse die EU das klar sagen. Besser wäre aber, die KI-Verordnung beschränke sich auf die Regelung von KI-Anwendungen, bei denen Menschen Bewertungen und Entscheidungen abgenommen werden.
Justiz
BGH zu Insolvenz-Warnpflichten von Anwälten: Nun berichtet auch das HBl (Alexander Pradka) über ein Anfang August veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofs. Danach kann die Hinweis- und Warnpflicht eines Rechtsberaters des Unternehmens bei möglichem Insolvenzgrund auch zugunsten des Geschäftsführers gelten. Als Grund hierfür nannte der Senat Hinweispflichten von Rechtsanwälten nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG).
DGH Thüringen zu Weimarer Familienrichter: LTO (Tanja Podolski) berichtet vertieft, dass der Thüringer Dienstgerichtshof am OLG Jena die vorläufige Suspendierung des Weimarer Familienrichters wegen eines Formfehlers bei der elektronischen Signatur beanstandete. Das Ministerium stellte hieraufhin einen neuen Antrag, der nun wirksam war.
OLG Jena – "Knockout 51": Im Prozess vor dem Oberlandesgericht Jena gegen vier Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung "Knockout 51" forderte der Verteidiger des Hauptangeklagten Leon R. die sofortige Einstellung des Verfahrens. Das Recht seines Mandanten auf ein faires Verfahren sei verletzt, da sein Auskunftsverweigerungsrecht im Prozess gegen die militante Antifa-Gruppe um Lina E. missachtet worden sei. Dort musste Leon R. als Zeuge aussagen, obwohl schon gegen ihn ermittelt wurde. FAZ (Stefan Locke), SZ (Iris Mayer) und taz (Konrad Litschko) berichten.
OVG Berlin-BB zu Zweitwohnungssteuer: Die Anknüpfung an eine Wasserversorgung auf einem Grundstück für die Erhebung der Zweitwohnsitzsteuer erfordert eine Versorgung mit Trinkwasser. Dies entscheid das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg auf die Klage zweier Grundstückseigentümer gegen die Gemeinde Lindow nach Bericht von LTO (Hasso Suliak). Das Gericht führte aus, dass die gemeindliche Satzung die Wasserversorgung zu Ausstattungsmerkmalen zähle, die zum Wohnen erforderlich seien und damit nicht "Wasser beliebiger Qualität" meinen könne.
LAG MV zu Verdachtskündigung: Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden, dass ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens ordentlich kündigen darf. Erforderlich seien Tatsachen, die auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätten. Laut Bericht des HBl hatte sich der betroffene Arbeitnehmer an Tagen mit Anwesenheitspflicht von zuhause in das Online-Zeiterfassungssystem des Unternehmens eingecheckt. Dies sei laut Gericht "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen.
LG Hannover zu Mord durch 15-Jährigen: Laut Berichten von FAZ, taz und Welt hat das Landgericht Hannover einen Fünfzehnjährigen wegen Mordes und zwölffacher versuchter räuberischer Erpressung zur Höchststrafe im Jugendstrafrecht von zehn Jahren Haft verurteilt. Der damals 14 Jahre alte Schüler hatte im Januar einen gleichaltrigen Mitschüler auf ein Brachgelände gelockt, gefesselt und erschlagen. Zuvor soll der Verurteilte in der Nachbarschaft gedroht haben, Kindern zu schaden oder Häuser zu zerstören, falls seine Geldforderung nicht erfüllt würden.
AG Mönchengladbach zur Untreue eines Pfarrers: Das Amtsgericht Mönchengladbach hat einen ehemaligen Pfarrer wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Der Verurteilte hatte mehr als 100.000 Euro von einem Spendenkonto seiner Gemeinde ins Ausland transferiert. Es berichtet die FAZ.
Recht in der Welt
USA – Trump/Verschwörung: Der Prozess gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump wegen Wahlbetruges in Washington soll am 4. März 2024 beginnen und damit mitten im Präsidentschafts-Wahlkampf stattfinden. Dies entschied die zuständige Richterin, nachdem sie die vorgeschlagenen Termine beider Seiten abgelehnt hatte. Laut Bericht der FAZ (Sofia Dreisbach) hatten Trumps Anwälte versucht, den Prozessbeginn auf April 2026 zu verschieben. Wie spiegel.de berichtet, sieht Trump im festgesetzten Termin "Wahlbeeinflussung" und will diesen nun anfechten, obwohl Verhandlungstermine nicht anfechtbar sind.
Sonstiges
Grundgesetz: Jakob Krembzow (FAZ) stellt das Buch von Michael F. Feldkamp "Adenauer, die Alliierten und das Grundgesetz" vor, in dem es unter anderem um die Rolle der Alliierten bei der Entstehung des Grundgesetzes geht. Es handele sich um ein "hochrelevantes Buch", das dabei helfe "die Entstehung des so erfolgreichen Grundgesetzes und die Rolle der Alliierten besser nachzuvollziehen."
Fraunhofer-Präsident: Im Interview mit FAZ-Einspruch (Alexander Armbruster) spricht der neue Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft Holger Hanselka über Wissenschaft und Innovation, insbesondere über künstliche Intelligenz. Er beklagt eine "Überregulierung und überbordende Bürokratie", welche dringend abgebaut werden müsse. Beispiele hierfür seien das Beihilfe-, Zuwendungs-, Gemeinnützigkeits- und das Datenschutzrecht.
Testament: Finanzanalytiker Volker Looman gibt in der FAZ Hinweise, wann es ratsam sein kann sein Testament zu überarbeiten. Der Autor empfiehlt, sich zunächst klar zu machen, was man regeln wolle, bevor man sich mit rechtlichen und steuerlichen Aspekten beschäftigt.
Das Letzte zum Schluss
Erbin vermisst: Eine Riesenschnauzer-Hündin aus Löbau soll nach dem Tod ihres Herrchens ein teures Grundstück mit Wald am Fluss "erben". Ein Treuhänder soll das Vermögen dann für die Hündin verwalten. Das Problem: seit Samstag ist die Hündin verschwunden, weil sie sich erschreckte und von der Leine losriss. bild.de (Jürgen Helfricht) berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lkh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 29. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52584 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag