Bundesregierung beschließt, dass BGH schneller Leitentscheidungen treffen können soll. Kabinett beschließt auch Entwurf zur Teillegalisierung von Cannabis. Gericht in den USA ordnet extremen Schadensersatz wegen Versand intimer Bilder an.
Thema des Tages
Massenverfahren: Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf zur Einführung des Leitentscheidungsverfahrens am Bundesgerichtshof (BGH) beschlossen. Das Verfahren soll es dem BGH ermöglichen, über Grundsatzfragen in Massenverfahren auch dann zu entscheiden, wenn sich das konkrete Revisionsverfahren schon erledigt hat. Zu grundsätzlichen Rechtsfragen in Verfahren mit massenhaft gleichgelagerten Ansprüchen einzelner Kläger:innen soll dadurch schneller eine höchstrichterliche Leitentscheidung getroffen werden können. Die nachfolgenden oder noch anhängige Verfahren können von den unteren Instanzen dann effizienter bearbeitet werden, so die Idee. Es berichten die FAZ (Katja Gelinsky) und LTO.
Rechtspolitik
Cannabis: Das Bundeskabinett hat auch einen Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) "zum kontrollierten Umgang mit Cannabis" gebilligt. Mit der Teillegalisierung soll einem ansteigenden Konsum von Cannabis, einem florierenden Schwarzmarkt und damit einhergehender Drogenkriminalität und Gesundheitsgefahren durch "unreine" Drogen begegnet werden. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass der Besitz von Cannabis bis zu 25 Gramm für erwachsene Privatpersonen straffrei sein soll, ebenso der Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen zum Eigenkonsum. Nicht-gewerbliche Cannabis-Anbauvereinigungen dürfen Cannabis anbauen und zum Eigenkonsum an Mitglieder weitergeben. Für Minderjährige ist ein strenges Konsumverbot vorgesehen. Der Deutsche Richter:innenbund befürchtet, dass durch die vielen speziellen Regeln mehr Arbeit auf die Justiz zukommen könnte. Ein zweiter Gesetzentwurf, der noch nicht vorliegt, soll in Modellregionen den Verkauf von Cannabisprodukten in speziellen Geschäften regeln. Es berichten FAZ (Kim Björn Becker), SZ (Paul-Anton Krüger), taz (Luisa Faust) und LTO.
Der Gesetzesentwurf müsse als gescheitert angesehen werden, da sich die Kritik auf so viele Details beziehe, meint Werner Bartens (SZ). Auch Reinhard Müller (FAZ) sieht den Entwurf kritisch und ist der Ansicht, die Neuregelung führe auch zu mehr Arbeit für die Polizei. Manuela Heim (taz) ist offener: Der Gesetzentwurf sei möglicherweise ein Mittelweg, "der sowohl medizinischen Bedenken Rechnung trägt als auch Fragen der Kriminalprävention und Selbstbestimmtheit".
StGB/Unfallflucht: Nun kritisiert auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) den Vorschlag von Justizminister Marco Buschmann (FDP) zur teilweisen Entkriminalisierung der Unfallflucht. Um den Aufwand für die Polizei zu verringen, hatte Buschmann vorgeschlagen, eine Unfallflucht ohne Personenschaden künftig nicht mehr als Straftat, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit zu werten, so LTO. Dies entlaste aber ggf. nur die Staatsanwaltschaften, die Bußgeldstellen würden stärker belastet, gibt die GdP zu bedenken. Zudem führe eine Herabstufung vermutlich zu mehr Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.
Justiz
LG Hamburg zu Till Lindemann/NDR und SZ: In mehreren Beschlüssen hat das Landgericht Hamburg nun auch dem NDR und der SZ verschiedene Aussagen über Rammstein-Sänger Till Lindemann und Bandmitglied Christoph Schneider untersagt und entsprechende Unterlassungsverfügungen erlassen. Wie LTO (Felix W. Zimmermann) erläutert, war für die Hamburger Richter:innen entscheidend, ob sich aus den Gesamtumständen der Berichte der Verdacht von nicht einvernehmlichem Sex ergibt. Für einen solchen – strafrechtlich relevanten – Vorwurf bedürfe es dann eines "hinreichenden Mindestbestands an Beweistatsachen", der in den streitgegenständlichen Berichten jeweils nicht gegeben war. NDR und SZ können noch Widerspruch einlegen. Zuvor hatte das LG bereits dem Spiegel eine ähnliche Berichterstattung untersagt, wogegen das Magazin Widerspruch einlegte. Die mündliche Verhandlung in dieser Sache findet am Freitag kommender Woche statt.
LG Berlin – Till Lindemann/Campact: Vor dem Landgericht Berlin haben die Anwälte von Till Lindemann ihren Unterlassungsantrag gegen den Verein Campact zurückgezogen. Das Berliner Gericht hatte zuvor in einer Zwischenverfügung mitgeteilt, die Bezeichnung als "Täter" müsse Lindemann genauso hinnehmen wie die Verwendung des Begriffs des "sexuellen Missbrauchs". Diese seien als Meinungsäußerungen zulässig. Campact hatte eine Petition gestartet, die sich gegen die Konzerte von Rammstein in diesem Sommer in Berlin richtete. SZ (Sebsatian Erb) und FAZ (Johanna Dürrholz) berichten.
RDG Leipzig – rechtsextremer Richter Jens Maier: Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) hat gegen den früheren AfD-Bundestagsabgeordneten und Richter Jens Maier Disziplinarklage beim Dienstgericht für Richter:innen in Leipzig erhoben. Der AfD-Politiker soll gegen das Mäßigungsverbot verstoßen und rechtsextremistische Gewalt gerechtfertigt haben, so die FAZ (Stefan Locke) und welt.de. Die Klage bezieht sich auf Äußerungen von Jens Maier noch vor seiner Wahl in den Bundestag. Damals habe er über die Gewalttaten des norwegischen Terroristen Anders Breivik öffentlich geäußert, dieser sei "aus Verzweiflung" zum Massenmörder geworden. Über die ZDF-Journalistin Marietta Slomka habe er geschrieben: "GEZ abschaffen, Slomka entsorgen!"
Recht in der Welt
USA – Schadensersatz wegen Racheporno: Weil er intime Aufnahmen seiner Ex-Freundin gegen deren Willen in sozialen Medien verbreitet hat, verurteilte eine Jury im US-Bundestaat Texas einen US-Amerikaner zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar. Nicht nur wegen der hohen Schadensersatzsumme erhielt der Fall weite mediale Aufmerksamkeit. Den Anwält:innen ging es auch darum, ein Bewusstsein für derartige Fälle zu schaffen, schreiben spiegel.de (Annette Langer) und netzpolitik.org (Sebastian Meineck).
USA – Abtreibungsmedikament: Ein Bundesgericht in Louisiana hat zwar die grundsätzliche Zulassung des Abtreibungsmedikaments Mifepriston im Jahr 2000 akzeptiert, aber die seit 2016 erleichterte Anwendung beanstandet. Dadurch wäre der Einsatz von Mifepriston nur noch bis zur siebten und nicht mehr bis zur zehnten Schwangerschaftswoche möglich. Außerdem könnte das Medikament nicht mehr mit der Post verschickt werden. Allerdings hat der US-Supreme Court im April 2023 entschieden, dass derartige Urteile bis zu einer endgültigen Entscheidung durch den US-Supreme Court ausgesetzt sind. spiegel.de berichtet.
USA – Anwalt Billot: In einem Interview mit der FAZ (Roland Lindner) spricht der US-Anwalt Robert Billot über seinen juristischen Kampf gegen Chemiekonzerne wegen PFAS-Substanzen, sog. Ewigkeits-Chemikalien wie Blei, Asbest und Arsen. Er fordert schon lange ein Verbot dieser hoch giftigen Substanzen sowohl in den USA und Europa, bisher aber gegen großen Widerstand der Chemie-Lobby, wie er berichtet. Seine Auseinandersetzung mit dem Chemiegiganten Dupont wurde in "Dark Waters" verfilmt.
USA – Trump/Wahlbeeinflussung in Georgia: Anlässlich der in Georgia gegen Ex-Präsident Donald Trump erhobenen neuen Anklage wegen unzulässiger Wahlbeeinflussung portraitiert nun auch die SZ (Peter Burghardt) die federführende Bezirksstaatsanwältin Fani Willis. Sie und ihr Team recherchierten zweieinhalb Jahre jedes Detail, bis sie die Anklage erhoben. Dazu passt auch Willis Ruf als hartnäckige Aufklärerin. Sie ist Demokratin und wurde in ihr Amt gewählt.
Sonstiges
Cyberkriminalität: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik ging die Anzahl der Cyberstraftaten in Deutschland um 6,5 Prozent zurück. Grund dafür ist u.a., dass immer weniger Unternehmen den Ransomware-Hackern das geforderte Lösegeld zahlen. Die Zahlungsbereitschaft ging von 76 Prozent auf 41 Prozent zurück. Das Bundeskriminalamt geht aber von einer Dunkelziffer bis zu 90 Prozent der Fälle aus. Zudem steige die Qualität der Angriffe, weil die Täter künstliche Intelligenz nutzen. Es berichtet die FAZ (Maximilian Sachse).
Überwachung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jason Tenta prüft auf LTO, ob die Überwachungs-Dystopie des Romans "Every" von Dave Eggers mit EU-Recht vereinbar wäre. Er verneint dies unter Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung, die Digital-Services-Act-Verordnung, die Digital-Markets-Act-Verordnung, die Data-Governance-Act-Verordnung und die geplante KI-Verordnung.
Siesta: Im Expertenforum Arbeitsrecht untersucht Simona Markert, Rechtsanwältin, den Vorschlag deutscher Amtsärzt:innen, im Sommer eine "Siesta" für Arbeitnehmende einzuführen, auf dessen arbeitsrechtliche Machbarkeit. Die Anordnung einer stundenlangen Mittagspause könnte unverhältnismäßig sein, weil dies unweigerlich stark in die Freizeitgestaltung der Beschäftigten eingreift. Außerdem muss beachtet werden, dass zwischen Arbeitsende und Arbeitsanfang mindestens elf Stunden Ruhepause liegen müssen. Aufgrund der komplizierten Durchsetzbarkeit sei eine Siesta-Anordnung in näherer Zukunft eher selten praktikabel.
Aktenzeichen XY: Die Regisseurin Regina Schilling erzählt im Interview mit der ZEIT (Stephan Lebert) über ihre Konzeption und Arbeit am Dokumentarfilm über die Sendung "Aktenzeichen XY ... Ungelöst", deren langjährigen Moderator Eduard Zimmermann und die Ängst, die diese Sendung bis heute bei ihren Zuschauer:innen schürt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 17. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52502 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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