Ärzte dürfen Natrium-Pentobarbital nicht einführen, so das OVG NRW. Das OLG Schleswig hob Freispruch für Baumbesetzer auf. 75 Jahre nach dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee wird die Notwendigkeit einer wehrhaften Demokratie betont.
Thema des Tages
OVG NRW zu Suizidmedikament: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist nicht dazu verpflichtet, Ärzt:innen die Einfuhr des Suizid-Medikaments Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Eilverfahren und bestätigte damit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln. Der Einfuhr des todbringenden Medikaments stehe § 5 I Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz entgegen, nach dem eine Erlaubnis zu versagen ist, wenn das Medikament zu anderen Zwecken genutzt werden soll, als zur Sicherung der notwendigen medizinischen Versorgung. Dies sei bei einem Suizid der Fall. Geklagt hatte der Leiter des Ärzteteams des Vereins Sterbehilfe aus Hamburg. Es berichten SZ und LTO.
Rechtspolitik
Digitalcheck für Gesetze: Die Bundesregierung will Ende August den bisher nur probeweise praktizierten Digital-Check für alle Gesetzgebungsvorhaben verbindlich vorschreiben. Dabei soll geprüft werden, ob ein digitaler Vollzug des Gesetzes möglch ist (Digitaltauglichkeit). So soll tendenziell auf Schriftform-Erfordernisse verzichtet werden. Ob der Digitalcheck korrekt durchgeführt wurde, soll der Normenkontrollrat prüfen. Die FAZ (Dietrich Creutzburg) berichtet.
Ausweisung/Clanmitglieder: Im Interview mit der Welt (Marcel Leubecher) ordnet der ehemalige BVerwG-Richter Harald Dörig den Vorschlag von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zur erleichterten Ausweisung von kriminellen Clanmitgliedern ein. Er weist darauf hin, dass nur Mitglieder einer Vereinigung im Sinne des § 129 StGB erfasst sind, nicht bloße Familienmitglieder eines Clans. Die Ausweisung ohne strafrechtliche Verurteilung sei auch heute schon möglich, wobei die Ausländerbehörden davon nur in einer Handvoll Fälle pro Jahr Gebrauch machen.
Abschiebungen: Nun widmet sich auch die Zeit (Heinrich Wefing) dem letzte Woche von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgestellten Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung, der eine Verlängerung des Ausreisegewahrsams und erleichterten polizeilichen Zutritt zu Unterkünften vorsehe - "ohne große Rücksicht auf die Privatsphäre, die das Grundgesetz auch diesen Menschen garantiert".
Asyl: Alexander Haneke (FAZ) greift im Leitartikel die Diskussion um die Abschaffung des individuellen Asylrechts wieder auf und stellt fest: "Vordergründig genügt das Recht unseren moralischen Ansprüchen." Tatsächlich basiere es aber auf dem "Kalkül, dass die Aussicht auf einen kostspieligen und oft auch lebensgefährlichen Weg in das gelobte Land genug Menschen abschrecken wird." Die Lösung sieht Haneke in einer Beschneidung des Non-Refoulement-Gebots und einer quantitativen Begrenzung der Zuwanderung.
Cannabis: Die Welt berichtet von Plänen des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), die Entkriminalisierung von Cannabis mit einer umfangreichen Informationskampagne über mögliche Risiken zu begleiten. Kommende Woche wird sich das Bundeskabinett mit den Plänen befassen. Daniel Deckers (FAZ) bezeichnet dieses Vorhaben als "urkomische Kampagne" und meint, dass "die Politik mit ihrer Realitätsverweigerung mittlerweile pathologische Züge annimmt."
Justiz
OLG Schleswig zu Klimaprotest: Nachdem eine Richterin des Amtsgerichts Flensburg den Klimaaktivisten Philipp A. im November 2022 vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freisprach, weil sie seine Baumbesetzung vom rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB gedeckt sah, gab das Oberlandesgericht Schleswig nun der Revision der Staatsanwaltschaft statt und verwies den Fall zurück an das AG Flensburg. taz-nord (Esther Geisslinger) gibt den Hintergrund des Falls und die Begründung des OLG Schleswig wieder: "Nur weil der Angeklagte sagt, es gehe zu langsam, darf er nicht das Recht in die eigene Hand nehmen." Zudem seien Emissionen in der Übergangsphase bis zur deutschen Klimaneutralität im Jahr 2045 noch erlaubt.
BVerfG-Rechtsprechung: In einem Gastbeitrag widmet sich Rechtsprofessor Uwe Volkmann in der FAZ der Verfassungsrechtsprechung, die "die Gestalt einer immer weiteren Kleinarbeitung der Verfassung annimmt". An dem Beschluss zum Gebäudeenergiegesetz begrüßt Volkmann, dass "erstmals ein idealer allgemeiner Gehalt" anstelle einer "bloßen Nachverdichtung" formuliert wurde und dass die Entscheidung "einen Impuls für das parlamentarische Verfahren setzt, wie man ihn sich vielleicht auch während der Pandemie gewünscht" hätte.
OLG Saarbrücken zu Garantenpflicht des Ärztekammerpräsidenten: Das Oberlandesgericht des Saarlands bestätigte die Nichteröffnung des Hauptverfahrens gegen den Präsidenten der saarländischen Ärztekammer durch das Landgericht Saarbrücken. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Ärztekammerpräsidenten u.a. versuchten Totschlag zur Last gelegt, weil er trotz Kenntnis um die Suchterkrankung eines Pathologen, aufgrund derer es zu fehlerhaften Diagnosen kam, keine approbationsrechtlichen Maßnahmen in die Wege leitete. Das OLG Saarbrücken stellte nun fest, dass aus den Meldepflichten gegenüber der Approbationsbehörde keine für die Strafbarkeit des Unterlassens nach § 13 Abs. 1 StGB erforderliche Garantenpflicht folgt, weil die Meldepflichten nicht dem individuellen Patienteninteresse dienen. LTO berichtet.
ArbG Berlin zu nicht mehr approbiertem Arzt: Ein Arzt, der an Operationen teilnahm, obwohl seine Approbation ruhte, muss für sechs Monate sein Gehalt zurückzahlen, da er es rechtsgrundlos erhalten habe. Dies entschied laut spiegel.de das Arbeitsgericht Berlin. Dass der Arzt vom Ruhen seiner Approbation nichts wusste, weil ihm die Mitteilung nicht zugestellt werden konnte, entlaste ihn nicht, denn er sei selbst verantwortlich dafür, dass die Landesärztekammer über seine korrekte Adresse verfügt.
LG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Fortis: Wie das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) weiß, beginnt ab dem 7. September vor dem Landgericht Frankfurt/M. das Strafverfahren gegen den ehemaligen Manager der Bank Fortis, Frank H., dem im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Manipulationen schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Einem Vernehmungsprotokoll zufolge, das dem Hbl vorliegt, hatte H. sich entgegen eines Störgefühls auf den Rechtsrat eines Freshfield-Steuerpartners verlassen, dass aus dem Nichttätigwerden des Gesetzgebers trotz Hinweis von Freshfield-Anwält:innen gefolgert werden könne, dass durch die Erstattung nicht gezahlter Steuern Banken gezielt subventioniert werden sollten.
GBA – Deutscher Spion im Beschaffungsamt: Die Bundesanwaltschaft ließ einen Mitarbeiter des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr festnehmen, der dringend verdächtigt wird, für einen russischen Geheimdienst zu arbeiten. Thomas H. hatte dem russischen Generalkonsulat in Bonn mehrfach Informationen angeboten, wie SZ (Christoph Koopmann), Welt, LTO, zeit.de und bild.de (Robert Becker) schreiben. In einem ausführlichen Bericht gibt spiegel.de (Matthias Gebauer) Informationen wieder, wonach der festgenommene Thomas H. über seine berufliche Situation frustriert gewesen sein soll und möglicherweise aus Geltungsdrang dem russischen Konsulat die Zusammenarbeit "aus eigenem Antrieb" anbot.
StA Berlin – Roger Waters: bild.de (Axel Lier) schreibt, dass die Staatsanwaltschaft Berlin eine Anklage wegen Volksverhetzung gegen den Musiker Roger Waters prüft, weil er auf einem Berliner Konzert einen langen Ledermantel und eine rote Armbinde trug, was der Kleidung eines SS-Offiziers ähnele. Dies sei geeignet, die NS-Herrschaft zu verherrlichen.
Recht in der Welt
Rumänien – Mord durch deutschen Systemsprenger: Ein Gericht in Sibiu hat einen jungen Deutschen wegen Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Der Täter hatte als 17-Jähriger eine rumänische Seniorin erstochen und die Tat gefilmt, um Zugang zu einem Internet-Forum zu erhalten. Er war von einem deutschen Jugendamt als Systemsprenger zu einer Familie nach Rumänien geschickt worden. Diese Familie soll sich nun an der Zahlung von 500.000 Euro Schmerzensgeld an die Angehörigen des Opfers beteiligen. spiegel.de (Diana Meseșan/Lina Verschwele) berichtet.
USA – Trump/Verschwörung: spiegel.de (Roland Nelles) analysiert die Strategie der Anwält:innen des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, eine Haftstrafe Trumps zu vermeiden, indem man den Jury-Prozess von Washington DC in einen Trump-freundlich gesonnen Bundesstaat verlegen, die Richterin auswechseln, den Prozess verzögern, die Äußerungen Trumps im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar als von der Meinungsfreiheit gedeckt darstellen und die Kenntnis Trumps negieren wolle.
USA – Schwangerschaftsabbruch/Ohio: Bevor im November in Ohio via Referendum entschieden werden soll, ob das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung des Bundesstaats verankert wird, wollten die Republikaner:innen eine höhere Hürde für Verfassungsänderungen einführen – und scheiterten nun damit. 56,5 Prozent der Wähler:innen lehnten es ab, das Quorum für Verfassungsänderungen von 50 auf 60 Prozent anzuheben. Damit dürfte das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im November in Ohio verfassungsrechtlich verankert werden, nachdem der US-Supreme Court 2022 das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Abkehr einer jahrzehntelangen Rechtsprechung kippte, so SZ (Christian Zaschke), FAZ (Sofia Dreisbach) und taz.
Juristische Ausbildung
Juristische Praktika: LTO-Karriere (Sabine Olscher) stellt drei Möglichkeiten zur Absolvierung des juristischen Pflichtpraktikums jenseits von Kanzleien oder Gerichten vor: Justizvollzugsanstalt, Bundeskriminalamt und Rechtsredaktion.
Sonstiges
Wehrhafte Demokratie: Anlässlich des 75. Jahrestags des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee zieht Nicolas Richter (SZ) Bilanz bezüglich der Intention der Mütter und Väter des Grundgesetzes, die deutsche Verfassung wehrhaft auszugestalten. Der Autor resümiert, dass "jede Demokratie bei der Abwehr ihrer Feinde in einem Dilemma steckt: Ist der Staat zu nachsichtig, liefert er sich aus. Ist er zu forsch, missachtet er das Recht, das er eigentlich verteidigen will." Bisher habe die deutsche Demokratie die Balance meist gefunden.
In einem Gastbeitrag auf spiegel.de betont Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Notwendigkiet einer wehrhaften Demokratie: "Unser Grundgesetz verträgt harte und härteste Auseinandersetzungen. Verfassungsfeinde jedoch kann es nicht integrieren." Die Unterscheidung zwischen politischer Gegnerschaft einerseits, die "eine Säule der Demokratie ist", und Verfassungsfeindschaft andererseits kann jedem und jeder zugemutet werden, so Steinmeier und appelliert an die gemeinsame Verantwortung, "Freiheit und Demokratie, die vor 75 Jahren als Antwort auf Diktatur, Krieg und Völkermord entstanden sind, mit Mut und Entschlossenheit zu verteidigen."
Gefährdung von Demokratien: Angesichts der Trump-Anklage und der Justizreform in Israel widmet sich die Zeit (Heinrich Wefing) der Frage, inwiefern fundamentale demokratische Grundsätze gefährdet sind. Der "Infragestellung der Gewaltenteilung" liegt "die immergleiche Erzählung" zugrunde, dass "das Recht geschützt und von korrupten, liberalen Eliten zurückgeholt" würde. Die Zeit resümiert: "Für Autokraten ist Recht ein Instrument, ihre Macht zu sichern und durchzusetzen. Es ist Gewalt, aber mit dem Anschein höherer Legitimität."
BKartA/RWE: RWE nimmt auf dem Strommarkt weiterhin eine marktbeherrschende Stellung ein. Zu diesem Schluss kommt das Bundeskartellamt in seinem Marktmachtbericht. Der aus Braunkohle- und Erdgaskraftwerken erzeugte Strom von RWE sei insbesondere dann "unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage in Deutschland", wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. FAZ und LTO berichten.
Antifa/Veröffentlichung von AfD-Adressen: Die AfD Hessen will juristisch gegen die Antifa Frankfurt vorgehen, weil diese Adressen von AfD-Politiker:innen veröffentlichte. Hessische CDU-Minister betonen, dass der Rechtsstaat auch AfD-Repräsentant:innen vor möglichen Übergriffen schützen müsse. Es berichten FAZ (Timo Steppat), Welt, LTO, zeit.de und spiegel.de.
BRAK/Cyberattacke: Das Brüsseler Büro der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ist Opfer eines Ransomware-Angriffs geworden, wie beck-aktuell (Pia Lorenz) weiß. Insgesamt seien 160 Gigabyte Daten abgeflossen, darunter möglicherweise "Kontaktinformationen oder Kommunikationsverläufe".
Netzwerken für Jurist:innen: Anhand der vier Verhaltenstypen des DISG-Persönlichkeitsmodells erklärt LTO-Karriere (Anja Schäfer), wie man erfolgreich Kontakte knüpfen kann. Dominante Menschen sind zielstrebig und direkt, initiative Typen sehr kontaktfreudig, stetige Verhaltenstypen wertschätzend und geben viel Raum, während Konversationen mit dem gewissenhaften Typ sich schnell in detaillierte Fachgespräche wandeln.
Das Letzte zum Schluss
Zensierter Shakespeare: Die voreheliche Beziehung von Romeo und Julia gehört zu den Passagen Shakespeare'scher Literatur, die der strikten Zensur eines Gesetzes von Floridas Gouverneur Ron DeSantis zum Opfer fällt und daher nicht mehr in Floridas Schulen gelehrt werden darf. spiegel.de nennt weitere verbotene Literatur, wie etwa ein Kinderbuch über männliche Pinguine, die – der Realität entsprechend – gemeinsam ein Ei ausbrüten und das Küken aufziehen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 10. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52455 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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