Die juristische Presseschau vom 8. August 2023: Keine Aus­wei­sung von Clan-Ver­wandten / BGH zu anwalt­li­chen Warnpf­lichten / LG Mün­chen zum Recht des Auf­trags­ma­lers

08.08.2023

Der Plan von Innenministerin Faeser zur Ausweisung von Clan-Angehörigen ohne Strafurteil wird analysiert. Der BGH beschreibt Warnpflichten von Anwälten im Insolvenzfall. Das Landgericht München sieht einen Auftragsmaler als Miturheber.

Thema des Tages

Ausweisung/Clanmitglieder: Der Vorschlag von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die Angehörigen krimineller Clans auch ohne strafrechtliche Verurteilung auszuweisen, wird intensiv analysiert. Entweder es wird davon ausgegangen, dass eine Ausweisung aufgrund bloßer Verwandschaft bzw. des falschen Nachnamens gar nicht gemeint ist oder dass dies jedenfalls verfassungswidrig wäre und/oder vor Gericht scheitern würde. Mit dem Vorschlag beschäftigen sich LTO (Tanja Podolski/Antonetta Stephany), taz.de (Christian Rath), spiegel.de (Sophie Garbe/Dietmar Hipp u.a.)zeit.de (Lisa Caspari/Christian Parth), bild.de (Nadja Aswad/Björn Strizel) sowie Rechtsprofessor Daniel Thym im Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp).

Über die ganz überwiegend ablehnenden politischen Reaktionen auf den Vorschlag Faesers berichten SZ (Tobias Bug/Carim Soliman) und FAZ (Tim Niendorf).

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert: "In Sippenhaft wird niemand genommen. Aber wenn die ganze Sippe Verbrechen zum Zweck hat, muss ihr das Handwerk gelegt werden." Joachim Käppner (SZ) findet, dass Faeser über das Ziel hinaus schieße: "Eine reine Verwandtschaftsbeziehung kann verfassungsrechtlich keine Grundlage für Abschiebungen sein, da sie dann auch unbescholtene Menschen treffen könnte." Christian Rath (taz) stellt fest, dass Innenministerin Faeser ungeplant zu einem skrupellosen Haudrauf-Image kam, weil ein Aspekt ihres Diskussionsentwurf falsch verstanden wurde. Sie habe aber auch nicht vehement dementiert, sondern als hessische Wahlkämpferin lieber die Aufmerksamkeit der emotionalisierten Debatte genossen. Axel Spilcker (focus.de) zählt auf, warum Faesers Vorschlag sich ohnehin nicht realisieren lasse - u.a. weil 40 Prozent der registrierten Clan-Angehörigen deutsche Staatsbürger sind. Andere seien staatenlos oder kommen aus Syrien, wohin nicht abgeschoben werden kann.

Rechtspolitik

Asyl: Die SZ (Josef Kelnberger) informiert über den Stand der Reform am Gemeinsamen EU-Asylsystem (GEAS). Der Trilog zwischen Rat, Parlament und Kommission hat noch nicht begonnen, weil dort über alle Rechtsakte gleichzeitig verhandelt werden soll. Es fehlt aber noch eine gemeinsame Verhandlungsposition des Rats zur so genannten Krisen-Verordnung, der u.a. Deutschland nicht zugestimmt hat. Allerdings habe nur Deutschland humanitäre Bedenken gegen zu lange Grenzverfahren, andere EU-Staaten fürchten eher zuviel Umverteilung von Flüchtlingen. 

Asyl/EU-Abkommen mit Tunesien: Nun befasst sich auch die SZ (Jan Disteldorf/Josef Kelnberger) mit der Frage, ob das EU-Migrationsabkommen mit Tunesien formell rechtmäßig zustande kam. Möglicherweise verstieß die Unterzeichnung durch die EU-Kommision gegen gemeinsame Vorschriften von EU-Kommission, EU-Parlament und Auswärtigem Dienst aus dem Jahr 2017. Danach hätte ein Entwurf des Rechtsakts mindestens fünf Wochen vorab an den Rat übersandt werden müssen. Ausnahmen seien nur "in hinreichend begründeten dringenden Fällen" möglich. Ob ein derartiger dringender Fall vorlag, sei umstritten.

Prostitution: Der Parlamentskreis Prostitution und Pornographie um die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier prüft eine Normenkontroll-Klage zum Bundesverfassungsgericht gegen die Gesetzeslage bei der Prostitution. Erforderlich wären hierzu 184 Abgeordnete. Breymaier stützt sich auf ein Gutachten der Ethikprofessorin Elke Mack und des Anwalts Ulrich Rommelfanger, die "Sexkauf" für einen Verstoß gegen die Menschenwürde halten. Die Welt (Sabine Menkens) berichtet. 

Erbrecht: Im Interview mit der taz (Gareth Joswig) plädiert der Philosoph Stefan Gosepath für die Abschaffung des Erbrechts. "Es ist eine ungerechte Lotterie, weil es der pure Zufall ist, ob ich reiche Eltern hatte oder nicht." Gosepath schlägt eine Erbschaftssteuer von 100 Prozent vor, um mit den Einnahmen öffentliche Institutionen wie Schulen zu finanzieren, die die Chancengerechtigkeit verbessern. Gosepath räumt ein, dass seine Vorschläge von der Bevölkerung in allen Schichten abgelehnt werden.

Digitale Dienste: Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Digitale Dienste-Gesetz soll die "Koordinierungsstelle für digitale Dienste" (KDD), die den Digital-Services-Act (DSA) der EU in Deutschland durchsetzen soll, bei der Bundesnetzagentur angesiedelt sein. Offen ist aber noch, was unter Koordination zu versten ist, ob die KDD nur Sekretariat für andere Behörden ist oder ob sie selbst entscheidet und das Know How anderer Behörden einbezieht. Auf netzpolitik.org plädiert Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung für zweiteres, weil es effizienter sei. 

Justiz

BGH zu Insolvenz-Warnpflichten von Anwälten: Berät ein Rechtsanwalt ein Unternehmen regelmäßig, muss er bei einer drohenden Insolvenz die Geschäftsleiter auch vor deren eigener Haftung warnen. Das entschied der Bundesgerichtshof in einem jetzt veröffentlichten Urteil von Ende Juni. Erforderlich ist allerdings ein "Näheverhältnis" des Anwalts zur Hauptleistung des Mandatsvertrags. Außerdem müsse der Insolvenzgrund offenkundig und nicht nur erkennbar sein. beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet. 

LG München zu Kunst und Urheberrecht: Das Landgericht München hat entschieden, dass der Plakatmaler Götz Valien neben Martin Kippenberger als Miturheber der Gemälde "Paris Bar Version 1" und "Paris Bar Version 2" gilt und daher als solcher namentlich zu nennen ist. Kippenberger hatte beide Bilder bei Valien als Konzeptkunst in Auftrag gegeben, weshalb er bisher als Alleinurheber galt. Doch das Gericht stellte fest, dass Valien "bei der Schaffung der Gemälde ein hinreichend großer Spielraum für eine eigenschöpferische Leistung" geblieben sei. Es berichten die SZ (Peter Richter) im Feuilleton und spiegel.de

BGH zu langfristigen Persönlichkeitsrechten: Das ZDF durfte in einer Dokumentation aus dem Jahr 2018 über zwei Entführungsfälle von 1981 und 1982 kein Photo des damals neun-jährigen entführten Mädchens zeigen, meldet die FAZ. Das Persönlichkeitsrecht der heute erwachsenen Frau habe Vorrang vor dem öffentlichen Informationsinteresse. 

BGH zu Grundstückskauf: Der Käufer eines Grundstücks kann den Kauf nicht rückabwickeln, wenn das Grundstück entgegen seiner Erwartung nicht das benachbarte Flurstück mitumfasst. Laut BGH-Urteil von Ende Juni gebe es hier keinen Gewährleistungsanspruch, weil sich die Beschaffenheit auf die Kaufsache beziehen muss und ein nicht verkauftes Flurstück nicht erfasst. LTO-Karriere (Luisa Berger) berichtet. 

BAG zu Kündigung von Mitarbeiter nach Schlaganfall: Die Anwältin Charlotte Wolff stellt im Expertenforum Arbeitsrecht ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Juni 2022 vor. Danach ist es kein Indiz für eine Diskriminierung, wenn ein Arbeitgeber einen Beschäftigten nach einem Schlaganfall kündigt, ohne zuvor das Integrationsamt um Erlaubnis zu fragen - soweit eine Behinderung nicht offensichtlich vorlag. Im konkreten Fall war die Schwerbehinderten-Eigenschaft noch nicht behördlich anerkannt, außerdem hat der gekündigte Kläger nicht genug für eine offensichtliche Behinderung vorgetragen. 

BVerwG LNG-Terminal Lubmin: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die Genehmigung des Flüssiggas-Terminalschiffs Neptune in Lubmin. Die Genehmigung sei zu Unrecht ohne Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt. Laut LNG-Beschleunigungsgesetz wäre dies nur möglich, wenn das Terminal einen erheblichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten würde. Es erreiche jedoch die erforderliche Regasifizierungsmenge bei weitem nicht. Die taz (Hannah Koban) berichtet.

LG Berlin zu Untervermietung an Flüchtlinge: Eine Mieterin, die ein Zimmer ihrer Wohnung an eine geflüchtete Ukrainerin untervermieten wollte, hat gegen die Vermieterin einen Anspruch auf Erlaubnis hierfür. Das humanitäre Motiv der Untervermietung sei als "berechtigtes Interesse" anzuerkennen, entschied das Landgericht Berlin laut LTO.

AG München zu Informationspflicht von Reisebüro: Ein Reisebüro muss seine Kunden nicht über die Pflicht informieren, dass bei Reisen in Drittländer jenseits der EU ein gültiger Reisepass erforderlich ist. Diese Selbstverständlichkeit müsse jedem Kunden bekannt sein, so das Amtsgericht München. Die in Art. 250 § 3 Nr. 6 EGBGB geregelt Unterrichtungspflicht über "allgemeine Pass- und Visumserfordernisse des Bestimmungslandes" erfasse nur tendenziell unbekannte Informationen. LTO berichtet.

Recht in der Welt

Israel Justizreform: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat angekündigt, dass seine Koalition nur noch die (besonders umstrittene) Reform des Richterwahlausschusses anstrebe und auf weitere Elemente der mehrteiligen Justizreform verzichte. Im Juli war dem Obersten Gericht bereits die Einspruchsmöglichkeit gegen "unangemessene" Maßnahmen der Regierung entzogen worden. Die FAZ (Christian Meier) berichtet. 

Polen - russischer Einfluss: Das polnische Parlament hat eine neue Fassung der von  Kritikern so genannten Lex Tusk beschlossen. Danach kann die neue Kommission, die den russischen Einfluss auf Polens innere Sicherheit bis 2022 untersuchen soll, keine Amtsverbote mehr aussprechen, sondern nur feststellen, dass jemand für öffentliche Ämter ungeeignet ist. Auch andere Regelungen wurden auf Druck der USA und der EU verändert. Die taz (Gabriele Lesser) berichtet. 

Großbritannien Prozessfinanzierung: Ein Urteil des britischen Supreme Court von Ende Juli verunsichert laut FAZ (Marcus Jung) die britische Szene der Prozessfinanzierer, die in London auch für das gesamte EU-Gebiet Sammelklagen finanzieren und koordinieren. Im Streit der vom "LKW-Kartell" Geschädigten gegen die Mitglieder des Kartells hatte der Supreme Court entschieden, dass eine branchenübliche Klausel in den Verträgen der Prozessfinanzierer nicht zulässig ist. 

USA  Supreme Court: Die SZ (Christian Zaschke) schildert in einer Seite-3-Reportage die Zusammensetzung und Rechtsprechung des US-Supreme Courts aus Sicht der 79-jährigen Journalistin Nina Totenberg, die das Gericht bereits seit fünf Jahrzehnten beobachtet. Der aktuelle Supreme Court sei der konservativste seit 90 Jahren. 

Das Letzte zum Schluss

Einbrecher als Helfer: In Erfurt überraschte ein Mann zwei Einbrecher in seiner Wohnung. Als diese flüchteten, lief er hinterher und erwischte die Einbrecher auch. Allerdings hatte er sich in der turbulenten Situation aus seiner eigenen Wohnung ausgesperrt. Deshalb fragte er die Einbrecher, ob sie ihm wieder Zutritt verschaffen könnnten, was diese freundlicherweise auch taten. Anschließend wurden sie von der inzwischen eingetroffenen Polizei festgenommen. spiegel.de berichtet. 


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52437 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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