Die juristische Presseschau vom 21. Juli 2023: Abschieds­in­ter­view von Richter Grö­schel / Straf­be­fehl gegen Zverev bean­tragt / Pläd­oyer gegen Nawalny

21.07.2023

Der Frankfurter Richter Werner Gröschel spricht über Steuerhinterziehung. Gegen Tennisstar Alexander Zverev wurde ein Strafbefehl wegen häuslicher Gewalt beantragt. Russische StA fordert weitere 20 Jahre Strafkolonie gegen Alexej Nawalny.

Thema des Tages

Richter Gröschel im Interview: Die SZ (Gianna Niewel/Meike Schreiber) interviewt den Vorsitzenden der 24. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt Werner Gröschel, der vor Kurzem Frankfurts Ex-OB Peter Feldmann zu einer Geldstrafe wegen Vorteilsnahme verurteilte und auch die Verhandlung gegen den korrupten Oberstaatsanwalt Alexander Badle führte. Der seit 35 Jahren als Richter tätige Gröschel geht bald in Ruhestand. Im Interview geht es um organisierte Steuerhinterziehung mit Scheinrechnungen, Cum-Ex, Richtergefühle, seine Zweifel an der ökonomischen Elite, Gleichbehandlung vor Gericht, seinen Einsatz im Kosovo, die Ausstattung der Justiz.

Rechtspolitik

Justizminister Buschmann im Interview: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) spricht im Interview mit dem Hbl (Heike Anger/Thomas Sigmund) unter anderem über die einstweilige Anordnung zum Heizungsgesetz, Eilverfahren der Gesetzgebung, Wirtschaftspolitik gegen Abstiegsängste und die AfD, Migration in die Sozialsysteme, wirtschaftsrechtliche BMJ-Vorhaben und die Entfesselung der Wirtschaft. 

Asyl: Nachdem der CDU-Politiker Thorsten Frei am vergangenen Dienstag gefordert hat, den Individualanspruch auf Asyl in der EU durch Kontingentlösungen zu ersetzen, berichtet die taz (Cem-Odos Güler), dass sich sowohl Frei als auch der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz zum Grundrecht auf Asyl und zur Genfer Flüchtlingskonvention bekennen. Frei äußerte gegenüber der taz, aus der Flüchtlingskonvention ergebe sich kein individuelles Recht auf Asyl, die von ihm eingebrachte Kontingentlösung sei daher mit der Konvention vereinbar. Der Seenotretter Axel Steier kritisierte hingegen Freis Vorschlag, da auch in der Vergangenheit zugesagte Kontingente nie eingehalten worden seien.

spiegel.de (Markus Becker u.a.) berichtet ausführlich über die Debatte. Auch unter Migrationsrechtsexpert:innen werde Freis Analyse über das darwinistische Asylrecht geteilt, nicht aber seine Schlussfolgerung, das Individualrecht deshalb abzuschaffen. 
 
In einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch legt Rechtsprofessor Daniel Thym dar, dass es zwar möglich wäre, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen, ohne gegen internationale Verpflichtungen zu verstoßen, dass aber das Refoulementverbot von der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und weiteren Verträgen garantiert werde. Auch eine völlige Abschaffung von Sozialleistungen wäre nicht möglich.

V-Leute: Nun berichten auch LTO (Leonie Ott) und taz (Konrad Litschko) über den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur gesetzlichen Regelung des Einsatzes von V-Leuten bei der Polizei. Kritiker:innen des Entwurfs befürchteten eine Behinderung der effektiven Strafverfolgung, während Befürwortende geltend machen, dass die Wahrheitsfindung nicht zu Lasten rechtsstaatlicher Kontrolle und Transparenz gehen dürfe. Aufgrund dieser komplexen Abwägungsfragen sei mit viel Abstimmungsbedarf zwischen den Ministerien zu rechnen. 

Justiz

AG Berlin-Tiergarten - Alexander Zverev: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten gegen den Tennisprofi Alexander Zverev einen Strafbefehl wegen Körperverletzung beantragt, wie SZ (Joshua Beer) und FAZ berichten. Das Verfahren hatte offenbar Zverevs Ex-Freundin wegen Vorwürfen der häuslichen Gewalt angestoßen. Die Staatsanwaltschaft fordert für Zverev eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 5.000 Euro. Auch eine frühere Ex-Partnerin hatte Zverev 2020 vorgeworfen, sie während ihrer Beziehung misshandelt zu haben. 

BVerwG zu Umweltprüfung bei Neubaugebieten: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass auch für kleinere Neubaugebiete außerhalb des Siedlungsbereichs eine Umweltprüfung durchgeführt werden muss, wie die FAZ (Jan Hauser) berichtet. In dem Prozess ging es um ein Neubaugebiet auf einer Streuobstwiese in der Nähe von Heidelberg. Die Umweltorganisation BUND hatte gegen den dort geltenden Bebauungsplan geklagt. Das Gericht hat nun entschieden, dass die zugrundeliegende Regelung im Baugesetzbuch, wonach Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde von weniger als 10.000 Quadratmetern im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung überplant werden dürfen, nicht mit den im EU-Recht verankerten Standards zum Umweltschutz vereinbar sei. 

BGH zu Gehörsverstoß: Der ZPO-Blog (Peter Bert) bespricht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von Januar diesen Jahres zum Gehörsverstoß durch unterlassene Beweisaufnahme. Danach dürfen insbesondere die Anforderungen an die Substantiierungslast nicht überspannt werden. Ähnliche Entscheidungen werden häufiger vom Bundesgerichtshof getroffen, es sei daher fraglich, warum Gerichte immer wieder sich aufdrängende Beweisaufnahmen unterließen.

OLG Hamm zu sittenwidrigem Testament: Das Oberlandesgericht Hamm hat laut LTO entschieden, dass eine testamentarische Bedingung für eine Erbin, ihrem Lebensgefährten anlasslos Hausverbot für das vererbte Grundstück zu erteilen, sittenwidrig ist. Die Mutter der Erbin hatte eine solche Klausel in ihrem Testament vorgesehen. Vor ihrem Tod war der Lebensgefährte der Erbin in dem von Mutter und Tochter bewohnten Haus ein und aus gegangen. Das Gericht stellte klar, dass die Sittenwidrigkeit einer testamentarischen Regelung nur im Ausnahmefall angenommen werden dürfe, das konkrete Verbot betreffe aber den höchstpersönlichen Lebensbereich der Erbin und ihrer Familie und sei daher nichtig. 

OLG Oldenburg zu sittenwidrigen Darlehensverträgen: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat entschieden, dass eine Person nicht von einer Bank auf Rückzahlung der Restforderung eines Darlehens nach Fälligstellung wegen nicht gezahlter Raten in Anspruch genommen werden kann, da die Bank schon bei Vertragsschluss hätte erkennen müssen, dass für die Person im Haftungsfall offensichtlich eine existenzbedrohliche Situation eintreten würde, wie LTO schreibt. Die Person hatte einen Darlehensvertrag über 90.000 Euro mit monatlichen Raten in Höhe von 1.000 Euro ihres nunmehr ehemaligen Partners mitunterschrieben, verdiente zu der Zeit aber lediglich 1.300 Euro monatlich. Laut OLG konnte die Bank beim Vertragsschluss erkennen, dass eine volle Haftung die Person finanziell ruinieren würde. 

LG München – Ex-Wirecard-Chef Braun/Marsalek: Die SZ (Klaus Ott) berichtet ausführlich über den mutmaßlich vom flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek diktierten Brief, der der SZ vollständig vorliegt. Das Schriftstück lese sich weniger als ein Bekenntnis, sondern mehr wie ein Ablenkungsmanöver. Laut spiegel.de hatte Marsalek außerdem nach einer Aussage einer früheren Kollegin Zugriff auf Milliardenbeträge innerhalb des Unternehmens, unabhängig von den übrigen Vorstandsmitgliedern. 

Klaus Ott (SZ) meint in einem getrennten Kommentar, dass der Brief von der Verteidigung des Wirecard-Konzernchefs Markus Braun für einen Rundumschlag genutzt worden sei. Es handele sich um eine Schmierenkomödie vor Gericht. Der Brief enthalte Attacken auf den Kronzeugen der Staatsanwaltschaft Oliver Bellenhaus, ohne diese weiter zu belegen. Der Brief sei juristisch bedeutungslos und keiner Aufregung wert.

ArbG Köln zu befestigtem Laptop: Das Arbeitsgericht Köln hat entschieden, dass die Überlassung eines Laptops unter der Bedingung, diesen im Betriebsratsbüro zu befestigen, den Anspruch des Betriebsrats auf Bereitstellung eines funktionstüchtigen Laptops nicht erfüllt, wie LTO schreibt. Ein Laptop sei gerade dazu gemacht, standortunabhängig genutzt zu werden, eine Befestigung stehe der definitionsgemäßen Verwendungsmöglichkeit entgegen. 

VG Hannover zu Leistungsdaten: Für das Expertenforum Arbeitsrecht bespricht Rechtsanwältin Ramona Segler eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover vom Februar, wonach der dauerhafte Einsatz einer Software zur Erfassung und Verarbeitung von Leistungsdaten der Arbeitnehmenden im Einzelfall rechtmäßig sein könne, wenn es entscheidend auf schnelle und effiziente Arbeitsabläufe ankomme, wie in einem amazon-Logistikzentrum.

Letzte Generation und die Prozesse: Die FAZ (Friederike Haupt) berichtet von einer internen virtuellen Veranstaltung der Letzten Generation, bei der das Legal Team der Gruppe juristische Fragen von Teilnehmenden beantwortete. Die Gruppe propagiert, Prozesse auch als eine Protestform zu sehen. Nur beschleunigte Verfahren wolle man für die die Justiz unattratkiv machen. Deshalb werden den Aktivist:innen hier Anwält:innen gestellt. 

GBA – Iran: Nachdem die Tochter des im Iran inhaftierten Jamshid Sharmahd im Juni beim Generalbundesanwalt Anzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen acht Beteiligte des iranischen Justizsystems erstattete, widmet sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Damien Nippen auf LTO den Erfolgsaussichten. Es bestehe eine Verfolgungspflicht, wenn ein Anfangsverdacht vorliegt. Konkret gehe es um das Vorliegen einer Einzeltat im Kontext einer Gesamttat ("ausgedehnter oder systematischer Angriff gegen eine Zivilbevölkerung"). Die Verfolgungspflicht sei jedoch durch § 153f Strafprozessordnung wesentlich eingeschränkt, wonach von der Verfolgung abzusehen ist, wenn ein Aufenthalt des Beschuldigten in Deutschland nicht zu erwarten ist. 

Recht in der Welt

Russland - Alexej Nawalny: Die russische Staatsanwaltschaft hat weitere 20 Jahre Strafkolonie für den Oppositionellen Alexej Nawalny unter anderem wegen Extremismus gefordert, wie spiegel.de schreibt. Nawalny befindet sich bereits in einem russischen Straflager, er weist die Anschuldigungen als frei erfunden zurück. Ein Urteil wird am 4. August erwartet. 

USA - Trump/Angriff aufs Kapitol: Nun berichtet auch die FAZ (Oliver Kühn)  über den Brief des Sonderermittlers Jack Smith an Ex-Präsident Donald Trump. Im Brief soll es um die Straftatbestände der Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten, Behinderung des Kongresses sowie Entzug von verfassungsmäßig garantierten Rechten enthalten. Der letzte Vorwurf ist dabei neu. Der Sonderermittler Smith war vom US-Justizminister eingesetzt worden, um die Ereignisse aufzuarbeiten, die zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 führten. 

Sonstiges

Letzte Generation als kriminelle Vereinigung: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet vertieft darüber, dass eine juristische Prüfung der Senatsjustizverwaltung zu dem Ergebnis kommt, dass die "Letzte Generation" keine kriminelle Vereinigung nach § 129 des Strafgesetzbuches darstellt. Laut dem 30-seitigen internen Vermerk, der der SZ vorliegt, sei die Erheblichkeitsschwelle nicht erreicht. Die Autoren üben Kritik an Ermittlungsverfahren der Justiz in anderen Bundesländern.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ls/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Juli 2023: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52305 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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