Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2023: Scha­dens­er­satz bei Ther­mo­fens­tern? / Res­trik­tive Regeln für Cannabis-Clubs? / Verbot von rus­si­schen Flaggen

09.05.2023

Der BGH tendiert zur Haftung von Diesel-Herstellern wegen der Nutzung von Thermofenstern. Lauterbach-Gesetzentwurf enthält strenge Regulierungen für Cannabis-Anbauvereine. Das OVG B-BB verbot russische Fahnen beim Weltkriegs-Gedenken. 

Thema des Tages

BGH – Thermofenster: Der Bundesgerichtshof hat über die Frage verhandelt, ob Automobilhersteller Schadensersatz leisten müssen, wenn sie in Diesel-Fahrzeugen durch so genannte Thermofenstern dafür sorgten, dass die Abgasreinigung nur bei bestimmten Temparaturen vorschriftsgemäß funktioniert. Der Europäische Gerichtshof hatte bereits in mehreren Urteilen festgestellt, dass Thermofenster tendenziell verbotene Abschalteinrichtungen gem. EG-Verordnung 715/2007 (zur Typgenehmigung der Euro-5- und Euro-6-Schadstoffklassen) darstellen. Am 21. März hatte der EuGH zudem entschieden, dass die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung von 2011 drittschützend ist. Damit hat der EuGH den Weg frei gemacht, von Diesel-Herstellern wegen der eingebauten Thermofenster Schadensersatz wegen Verstoß gegen ein Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB zu verlangen, wobei Fahrlässigkeit genügen würde. Der VIa-Senat des BGH (Diesel-Senat) deutete an, dass er dem EuGH in dieser Frage folgen und seine bisherige Rechtsprechung aufgeben werde. Im Mittelpunkt der fünfstündigen Verhandlung stand die Frage, welche Art von Schadensersatz den Diesel-Käufern ggf. zustehen würde. Die Käufer-Anwälte verlangten einen "großen Schadensersatz", bei dem das Fahrzeug gegen Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung der bisherigen Nutzung zurückgegeben werden kann. Die Hersteller-Anwälte verneinten, dass bisher überhaupt ein Schaden eingetreten ist, weil die Typengenehmigung der betroffenen Fahrzeuge noch bestehe. Der Bundesgerichtshof tendierte dazu, den Käufern von Dieselautos mit illegalem Thermofenster den Ersatz einer Art Vertrauensschaden zuzusprechen. "Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz" nannte ihn Eva Menges, Vorsitzende Richterin des VIa-Zivilsenats, Der Anspruch liefe wohl auf die Wertdifferenz zwischen einem funktionsfähigen Auto ohne unzulässige Abschalteinrichtung und dem tatsächlich erhaltenen Auto mit der Abschalteinrichtung hinaus. Das Urteil soll am 26. Juni verkündet werden. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO (Felix W. Zimmermann). Die SZ (Christina Kunkel) schreibt im Frage-Antwort-Stil.

Rechtspolitik

Cannabis: LTO (Hasso Suliak) stellt Einzelheiten des Referentenentwurf eines Cannabisabgabegesetzes von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, der sich noch in der Ressortabstimmung der Bundesregierung befindet. Danach sollen Cannabis-Clubs ausschließlich "Anbauvereine" sein, bei denen vor Ort oder innerhalb von 250 Metern kein Cannabis-Konsum erlaubt ist. Anbau, Verteilung, Mitgliedschaft und Organisation der Räumlichkeiten sollen streng reguliert werden. Abgeordnete von Grünen und FDP haben bereits Bedenken geäußert, dass die regulatorischen Hürden für Cannabis-Clubs zu hoch sind und eine legale Alternative zum Schwarzmarkt unpraktisch machen könnten.

Alexandra Hilpert (taz) betont, dass die bloße Entkriminalisierung nicht genüge, um Menschen vor Drogenmissbrauch zu schützen. Die Abschottung von Cannabis-Clubs "dränge den Konsum" und die damit verbundenen Probleme "ins Private". Es bräuchte mehr "Aufklärung, Zugang zu Unterstützungsmöglichkeiten und sichere Erfahrungsräume".

Asyl: Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass Georgien und Moldawien als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, weil die Schutzquote für Antragstellern aus diesen Ländern zuletzt jeweils deutlich unter einem Prozent lag. Rechtsfolge der Einstufung wären verkürzte Asylverfahren, wobei der Anspruch auf eine individuelle Prüfung der Asylanträge erhalten bliebe. Es berichtet spiegel.de (Anna-Sophie Schneider/Wolf Wiedmann-Schmidt).

Digitale Verwaltung: Die FAZ (Corinna Budras) portraitiert Markus Richter,  Staatsekretär im Bundesinnenministerium und Deutschlands inoffizieller "Chief Information Officer". Anlass ist der Plan der Bundesregierung, Ende Mai den Gesetzentwurf für ein neues Onlinezugangsgesetz im Kabinett zu verabschieden, nachdem das bestehende Onlinezugangsgesetz seine Ziele, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranzutreiben, weitgehend verfehlt hatte. Richter war noch unter Innenminister Horst Seehofer (CSU) 2020 ins Amt gekommen. Die jetzige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hielt an ihm fest.

Justiz

OVG Berlin-BB zu russischen Fahnen: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat im Eilverfahren entschieden, dass am 8. und 9. Mai bei Kundgebungen anlässlich des Jahrestages zum Ende des Zweiten Weltkrieges keine russischen Flaggen oder Symbole gezeigt werden dürfen. Es bestätigte damit die Prognose der Polizei, nach der die Symbole aufgrund des andauernden Kriegs in der Ukraine geeignet seien, Gewaltbereitschaft zu vermitteln. Eine getrennte Betrachtung des Kriegsende 1945 und der aktuellen Lage in der Ukraine sei momentan nicht möglich. Das Zeigen von Symbolen könnte als "Sympathiebekundung" für den russischen Angriffskrieg gewertet werden, so das Gericht. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte russische Fahnen teilweise zugelassen. spiegel.de berichtet.

OLG Oldenburg zu Marderschaden: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat entschieden, dass ein Hausverkäufer nicht für Schäden haftet, die durch Marder verursacht wurden, wenn er keine Kenntnis darüber hatte, dass diese im Dachstuhl des Hauses leben. Im vorliegenden Fall hatte eine Käuferin Schadensersatz verlangt, da sie nach dem Kauf des Hauses Marderschäden entdeckt hatte. Eine Aufklärungspflicht treffe den Hausverkäufer jedoch nur, wenn er von den Mardern gewusst hat. Andernfalls liege kein arglistiges Verschweigen vor. LTO berichtet.

OLG Frankfurt/M. zu Atomwaffen-Division: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat den 21-jährigen Marvin E., der einen deutschen Ableger der rechtsextremen US-Gruppierung "Atomwaffen Division" (AWD) gegründet hatte, wegen versuchter Gründung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die deutsche Vereinigung bestand im wesentlichen nur aus ihm selbst. Es schreiben taz (Christoph Schmidt-Lunau) und spiegel.de.

StA Berlin – Julian Reichelt: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat einen Anfangsverdacht wegen Betrugs bejaht und Ermittlungen gegen Julian Reichelt eingeleitet. Zuvor hatte der Axel Springer-Verlag eine Klage beim Arbeitsgericht Berlin gegen den ehemaligen Chefredakteur der Bild-Zeitung eingereicht, weil dieser im Zusammenhang mit der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses Pflichten aus dem Abwicklungsvertrag verletzt haben soll. SZ, FAZ und spiegel.de berichten.

StA Berlin – Mord in der Kardiologie: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat gegen einen Kardiologen der Charité in Berlin einen Haftbefehl wegen Mordverdachts erwirkt und ihn festnehmen lassen. Dem 55-Jährigen wird vorgeworfen, in den Jahren 2021 und 2022 zwei schwer kranken Patienten wissentlich zu hohe Dosen eines Sedierungsmittels verabreicht zu haben, die zum Tod der Patienten führten. Der Mann wurde bereits im August 2022 von der Charité freigestellt, nachdem ein anonymer Hinweis eingegangen war. Inzwischen hat ein medizinisches Gutachten den Verdacht erhärtet. Es schreibt die SZ.

StA Braunschweig - Phishing/Postbank: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat das Ermittlungsverfahren in einem Phishing-Fall nach Paragraph 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt, berichtet die FAZ (Archibald Preuschat). Eine Postbank-Kundin hatte den Betrügern ihre Kontodaten mitgeteilt, worauf diese 4927 Euro vom Konto der Kundin abbuchten.  Die Staatsanwaltschaft begründete die Einstellung damit, dass ein aufwändiges Rechtshilfeersuchen zu Konten in Großbritannien und Irland nötig wäre, das aber voraussichtlich keinen Erfolg bringen würde, da Phishing-Täter bei der Konto-Eröffnung ihre Identität verschleiern oder die Konten von unbeteiligten Dritten nutzen. 

Recht in der Welt

Simbabwe – Tsitsi Dangarembga: FAZ (Jordi Razum) und spiegel.de berichten, dass die vielfach preisgekrönte Autorin Tsitsi Dangarembga beim Obersten Gerichtshof in Simbabwe erfolgreich Rechtsmittel eingelegt hat und freigesprochen wurde. Sie war zuvor zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa 200 Euro wegen öffentlichem Aufruf zur Gewalt, Friedensbruch und Bigotterie verurteilt worden. Zusammen mit der Jounalistin Julie Barnes hatte Dangarembga 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.

Türkei – Bülent Mumay: Der Journalist der Deutschen Welle Bülent Mumay ist in der Türkei zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden, weil er 2002 einen Tweet über einen Account veröffentlichte, der zuvor durch eine gerichtliche Anordnung für die Öffentlichkeit gesperrt worden war. Mumay hatte in dem Tweet über ein regierungsnahes Bauunternehmen berichtet. Die Deutsche Welle kündigte Berufung gegen das Urteil an und bezeichnete es als Versuch, kritischen und unabhängigen Journalismus in der Türkei "mundtot" zu machen. SZ und FAZ berichten.

Sonstiges

ARD-Gefängnisserie: Auf LTO beleuchtet Proberichter Lorenz Bode die TV-Serie "Asbest" und die mit ihr einhergehenden Vorurteile zum Alltag hinter Gittern. Nach Darstellung der ARD-Serie seien die Verhältnisse im Gefängnis unter anderem von florierendem Drogenhandel, Clankriminalität und prügelnden Vollzugsbediensteten geprägt. Es werde vor allem in Bezug auf die gewalttätigen Vollzugsbeamten ein "falsches Bild von der Realität" geschaffen, was zu "Misstrauen" in der Gesellschaft führe und der "Erfüllung des Resozialisierungsauftrags" schade. Auch wenn die fiktionale Geschichte von der Kunstfreiheit gedeckt sei, sei eine derartige vorurteilsbehaftete Darstellung des Gefängnisalltags "zu bedauern", so Bode.

Das Letzte zum Schluss

Seltener Fahrgast: Am Sonntagmorgen ritt ein Mann mit seinem Pferd zu einer Haltestelle des Stuttgarter Naherkehrs. Er stieg ab und führte das Pferd in die Straßenbahn. Von der Nutzung sah er jedoch kurz danach ab, stieg noch an derselben Haltestelle mit dem Pferd wieder aus und ritt davon. Die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) verwies auf die Frage, ob die Mitnahme eines Pferdes überhaupt erlaubt sei, auf die eigenen Beförderungsbedingungen. Fahrgäste dürften nicht eingeschränkt oder belästigt werden. Die Entscheidung treffe am Ende jedoch der Fahrer der Straßenbahn. Es schreibt spiegel.de.

 

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LTO/ok/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2023: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51722 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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