Die juristische Presseschau vom 28. März 2023: Netan­jahu schiebt Jus­tiz­re­form auf / BGH zu Ersatz von Flug­meilen / VG Berlin zum Gen­dern in der Schule

28.03.2023

In Israel wird frühestens Ende April über die Reform abgestimmt. Eine Rücktrittskostenversicherung umfasst auch verloren gegangene Bonus-Flugmeilen. Das VG Berlin lehnt Eilantrag gegen das Gendern ab. 

Thema des Tages

Israel – Justizreform: Israels Premier Benjamin Netanjahu hat die geplante Justizreform aufgeschoben. Das Gesetzespaket wird dem Parlament frühestens Ende April zur Abstimmung vorgelegt. Zuvor hatten sich die Massenproteste zugespitzt, nachdem Netanjahu den Verteidigungsminister Joav Galant wegen seiner Kritik an der Justizreform entlassen hatte. Erneut waren zehntausende Menschen auf den Straßen, um gegen den hochumstrittenen Umbau des Justizsystems zu protestieren. Diesmal hatte aber auch der Dachverband der Gewerkschaften Histradut gemeinsam mit wichtigen Wirtschaftsvertreten zu einem Generalstreik aufgerufen, der sofort weithin befolgt wurde. Netanjahu sagte, er habe die Entscheidung zur Verschiebung aus "nationalem Verantwortungsbewusstsein" heraus getroffen. Er strecke der Opposition "seine Hand zum Dialog" aus. Es könne jedoch nicht sein, dass eine "extremistische Minderheit" Israel "in Stücke" reiße, betonte Netanjahu. Als Zugeständnis an seine Koalitionspartner soll der Minister für Innere Sicherheit Itamar Ben-Gvir eine "Nationalgarde" aufstellen dürfen. Was hierunter zu verstehen ist, ist bislang unklar. Es berichten SZ (Leopold Zaak/Sina-Maria Schweikle), FAZ (Christian Meier), taz (Judith Poppe), LTO und spiegel.de (Richard C. Schneider).

Für Alexandra Föderl-Schmid (SZ) bedeutet Netanjahus Ankündigung keinerlei inhaltliches Entgegenkommen an die Kritiker:innen. Er spiele lediglich auf Zeit, während er die Befürworter:innen seines Projekts aufforderte, ebenfalls zu protestieren. "So spricht einer, der seinen Staatsstreich weiter vorantreiben will, der weder zurückschreckt noch zurücksteckt." Auch Judith Poppe (taz) meint, dass Netanjahu an seinem Kurs festhalten wird. Falls die Justizreform jedoch aufgegeben werden sollte, müsse man sich auf "enormen Frust" der Befürworter:innen gefasst machen, der sich "an vielen Fronten entladen" könnte.

Rechtspolitik

Geldwäsche/Barzahlung: Auf LTO äußert sich der Notar Martin Thelen kritisch zum Barzahlungsverbot bei Immobiliengeschäften, das ab April 2023 in Kraft tritt, um Geldwäsche effektiver zu bekämpfen. Er zweifelt an der Zweck- und Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Es sei unklar, warum es bei der Bekämpfung von Geldwäsche einen Unterschied machen sollte, ob man mit Bargeld eine Immobilie oder etwas anderes kauft. Schließlich gebe es keinen Beweis dafür, dass Barzahlungen bei Immobilien besonders häufig vorkommen. Zudem hätte eine Bargeldobergrenze auch hier ein milderes angemessenes Mittel darstellen können, um den Risiken der Geldwäsche entgegenzuwirken, so Thelen.

Geldautomatensprengung: Der hessische Justizminister Roman Poseck und der hessische Innenminister Peter Beuth (beide CDU) fordern, die Strafbarkeit von Geldautomatensprengungen in Deutschland neu zu regeln und die Mindeststrafe anzuheben. Automatensprengungen seien an die Stelle des bewaffneten Bankraubs getreten, für den Tätern regelmäßig eine Mindeststrafe von fünf Jahren drohe. Bislang gibt es im Strafgesetzbuch keinen eigenen Tatbestand für Automatensprengungen. Die Taten werden in der Regel als "Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion" in Tateinheit mit Diebstahl geahndet. Die Mindeststrafe beträgt zwar nur ein Jahr, doch wenn Menschen gefährdet werden, verhängen die Gerichte auch Freiheitsstrafen jenseits von fünf Jahren. Die FAZ (David Klaubert) berichtet.

Bundestags-Wahlrecht: Jost Müller-Neuhof (Tsp) betont, dass Grundmandats- und Sperrklausel keine zwingenden Gebote der Verfassung seien und mit einfacher Mehrheit gestrichen werden könnten. Er befürwortet daher die Idee Gregor Gysis, die Wahlhürde niedriger zu setzen, um kleineren Parteien die Chance zu geben Einzug in den Bundestag zu finden, stabile Mehrheiten zu sichern und so Wähler:innen entgegenzukommen.

Parität im Wahlrecht: Die FAZ (Stephan Klenner) stellt drei Dissertationen vor, die mit unterschiedlichen Akzenten zum Ergebnis kommen, dass ein Paritätsgesetz gegen das Grundgesetz verstoßen würde.

Justiz

BGH zu Flugstornierung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Rücktrittskostenversicherung nach einem stornierten Flugs auch verloren gegangene Bonus-Flugmeilen zu ersetzen hat. Bonusmeilen hätten ungeachtet ihrer fehlenden Handelbarkeit einen Wert, weil der Kläger sie im Bonusprogramm als Gegenleistung für angebotene Waren und Dienstleistungen einsetzen kann. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer gehe davon aus, dass diese von der Versicherung abgedeckt werden. Bonusmeilen fallen daher unter "vertraglich geschuldete Rücktrittskosten", wenn in den Versicherungsbedingungen nichts Gegenteiliges vereinbart wurde, so der BGH. Geklagt hatte ein Reisender, der aus Krankheitsgründen seine Reise stornieren musste. Die Flüge hatte er zuvor mit Bonusmeilen bezahlt, die nach den Bedingungen der Fluggesellschaft nicht wieder gutgeschrieben werden konnten. Es berichtet LTO.

VG Berlin – Gendern in der Schule: Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Antrag eines Vaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die das Gendern an Schulen verbieten sollte, zurückgewiesen. Weder sei eine Verletzung des elterlichen Erziehungsrechts ersichtlich noch eine Indoktrination der Kinder festzustellen. Die Schulleitung stelle den Lehrkräften die Verwendung genderneutraler Sprache im Unterricht ausdrücklich frei und habe gleichzeitig klar darauf hingewiesen, dass die Regeln der deutschen Rechtschreibung im Lehr- und Lernprozess einzuhalten seien. Es sei Kindern zuzumuten, mit verschiedenen Auffassungen und Wertvorstellungen einer pluralistischen Gesellschaft konfrontiert zu werden, begründete das Gericht. Es schreiben LTO und spiegel.de.

BAG zu Equal Pay/Verhandlungen: Im Expertenforum Arbeitsrecht schreibt nun auch die Anwältin Nora Nauta über die Konsequenzen des Mitte Februar am Bundesarbeitsgericht entschiedenen Rechtsstreits zu geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden. Ein besseres Verhandlungsgeschick allein stellt kein geeignetes Kriterium zur Rechtfertigung einer Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen dar. Arbeitgeber sollten deshalb geschlechterspezifische Entgeltungleichheiten vermeiden und ein objektives Entgeltvergütungssystem einführen.

LG Frankfurt/M. zu Missgendern: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. hat die Transgender-Aktivistin Janka Kluge wegen "Misgendern" gegen den Blog des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt in einem vorläufigen Eilverfahren einen Anspruch auf Unterlassung erwirkt. Das Persönlichkeitsrecht umfasst auch die rechtsgültige – geschlechtliche Identität eines Menschen, sodass das absichtliche Bezeichnen einer Transfrau als Mann (Missgendern) eine Verletzung darstellen kann. Kluge wurde auf einem Blog, den die Firma von Reichelt betreibt, zunächst als Transfrau, dann als biologischer Mann und daraufhin nur noch als Mann bezeichnet. Es berichtet die SZ (Ronen Steinke).

LG Leipzig zu MDR/Udo Foht: Wie spiegel.de meldet, hat der frühere Unterhaltungschef des MDR Udo Foht, Revision gegen seine Verurteilung durch das Landgericht Leipzig wegen Betrugs und Bestechlichkeit eingelegt. Foht war zuvor geständig, da ihm eine milde Strafhöhe in Aussicht gestellt worden war. Das Urteil bewegte sich im Rahmen dieser Verständigung.

LG Berlin zu Betrug mit Coronatests: Das Landgericht Berlin hat den ehemaligen Betreiber von Coronatestzentren Kemal C. wegen Betrugs zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Der 47-Jährige hatte 18 seiner Spätkaufs als Testzentren registriert und dort von Mai bis Oktober 2021 gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin für nicht stattgefundene Tests rund 9,7 Millionen Euro abgerechnet. spiegel.de berichtet.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Vor dem Landgericht München I hat Daniel S., der ehemalige Compliance-Chef von Wirecard, ausgesagt. Der Konzern sei wie ein "Luftschloss" aufgebaut gewesen, bei dem Markus Braun und Jan Marsalek alles taten, um den Schein zu wahren. Sobald Personen aus der Rechts- und Complianceabteilung Einwände gehabt hätten, wurden diese behindert. Keine der Aussagen von S. belastete Braun direkt, er sei jedoch im Gesicht immer "röter" geworden, berichtet die SZ (Harald Freiberger).

Gewalt gegen Klimaproteste: In Hamburg hat ein Lkw-Fahrer einen Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" von der Fahrbahn gezerrt und ihn getreten. Die Staatsanwaltschaften sind der Ansicht, dass solches Verhalten von Autofahrern unerlaubt ist, auch wenn die Klimaaktivist:innen unrechtmäßig gehandelt haben. Das Notwehrrecht erlaube Autofahrern nicht, ihre Weiterfahrt mit Gewalt zu erzwingen. Es bleibe eine hoheitliche Aufgabe, die Blockierer fachgerecht fortzutragen. Auch das Ablösen ohne Verletzungen sei grundsätzlich nur der Polizei möglich. Der Bundesgerichtshof betont, dass Selbstjustiz bei einem krassen Missverhältnis, wie es bei der Abwägung von körperlicher Unversehrtheit und Fortbewegungsfreiheit besteht, nicht den "Segen des Rechtsstaates" bekommen könne. Dies schreibt die SZ (Ronen Steinke).

Verfahren an Bundesgerichten: Wie die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet, ist die Anzahl neuer Fälle, die bei deutschen Bundesgerichten eingingen, im letzten Jahrzehnt deutlich gesunken. Etwas anderes ergibt sich nur am Bundesgerichtshof, wo dieser Trend bislang nicht zu erkennen ist. Das BSG verweist darauf, dass es früher besonders viele Streitigkeiten um DDR-Renten und später um Hartz-IV-Bescheide gab. Der BFH meint, dass die Digitalisierung der Steuerbearbeitung zu weniger Streitigkeiten in Grauzonen führt. Die abnehmenden Zahlen könnten jedoch die Bedeutung der Bundesgerichte untergraben.

Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim: Das Gerichtsgebäude, in dem vor fast 50 Jahren der Prozess gegen die RAF-Terrorist:innen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe geführt wurde, soll im April wegen schadstoffhaltiger Baumaterialien abgerissen werden und durch ein modernes Gefängniskrankenhaus ersetzt werden. Dies schreibt spiegel.de.

Recht in der Welt

Sexualstrafrecht international: Die SZ (Nadja Tausche/Alex Rühle/Kathrin Müller-Lancé/Viktoria Großmann/Isabell Pfaff) gibt einen Überblick, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen in Spanien, Schweden, Frankreich, Polen und der Schweiz eine Vergewaltigung vorliegt. In Spanien und Schweden kommt es bereits auf die fehlende Zustimmung zu sexuellen Handlungen an. Die Schweiz plant eine entsprechende Reform. In Frankreich und Polen ist dagegen weiterhin Gewalt oder Drohung erforderlich. 

Juristische Ausbildung

Elektronisches Staatsexamen: Laut LTO-Karriere kann das Zweite Staatsexamen in Berlin ab Dezember auch digital in den Räumlichkeiten des Center für Digitale Systeme der Freien Universität (CeDiS) geschrieben werden. Eine Anfertigung der Klausuren auf Papier bleibt daneben weiterhin möglich.

Sonstiges

ChatGPT in der Rechtsberatung: Auf LTO befasst sich der Rechtsanwalt Benjamin Lotz mit den Vorteilen und rechtlichen Risiken, die mit der Nutzung des KI-Bots ChatGPT im Rahmen der anwaltlichen Beratung einhergehen können. Zwar habe ChatGPT 4 "deutlichen Kompetenzzuwachs" in seiner neuen Version durch verschiedene zusätzliche Funktionen erfahren, dennoch mahnt Lotz, dass "blindes Vertrauen" gefährlich bleibe.

Jogginghosen-Verbot: Eine Sekundarschule in Wermelskirchen hat in ihrer Kleiderordnung das Tragen von Jogginghosen verboten und Schüler:innen, die hiergegen verstoßen haben, vom Unterricht ausgeschlossen. Laut LTO (Linda Pfleger) ist eine solche Kleiderordnung nicht rechtmäßig. Gemäß § 42 Abs. 8 SchulG NRW kann die Schulkonferenz zwar Regelungen für eine einheitliche Schulkleidung empfehlen, aber keine Verpflichtungen dazu erlassen. Es fehle auch an einer gesetzlichen Grundlage für einen schulischen Ausschluss. 

Tatverdächtige Kinder und Jugendliche: Wie spiegel.de berichtet, hat die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2022 ergeben, dass die Zahl tatverdächtiger Kinder um mehr als 20.000 im Vergleich zum Jahr 2019 gestiegen ist. Zu den häufigsten Taten zählten Diebstahl, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Rauschgiftdelikte. In der Altersgruppe der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren wurden 2022 insgesamt 189.149 Tatverdächtige verzeichnet. Im Jahr 2019 waren es lediglich 177.082.

Klimaschutz: In einem Interview mit spiegel.de (Susanne Götze) kritisiert die Rechtsprofessorin Sabine Schlacke (Co-Vorsitzende des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz der Bundesregierung) die mangelhafte Umsetzung des Klimaschutzgesetzes: "Einige Ministerien halten sich nicht an die Ziele, es wird weder nachgebessert, noch gibt es Sanktionen. Wir schieben einen Berg von nicht umgesetzten Maßnahmen vor uns her." Statt "von Monat zu Monat" zu denken, sollten Ministerien vor allem mittel- und langfristige Pläne erarbeiten.

Das Letzte zum Schluss

Zugriff auf Umwegen: In Bremen sind Diebe in einen Friseursalon eingebrochen, haben sich dann durch die Wände dreier weiterer Länden in einem Bremer Einkaufszentrum gebohrt, um Schmuck aus einem Juwelierladen zu stehlen. Ihnen gelang es daraufhin, unerkannt zu fliehen. Allein der Sachschaden umfasst mehr als zehntausend Euro. Es berichtet spiegel.de.

 

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LTO/ok/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. März 2023: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51415 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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