Die juristische Presseschau vom 3. März 2023: Handy-Blitzer-Fotos sind ver­wertbar / G20-Pro­test­camp durfte ver­boten werden / Libra wird ein­ge­s­tellt

03.03.2023

Das erste Urteil zu Handy-Blitzer-Fotos erklärt diese für verwertbar. OVG Hamburg bestätigt G20-Protestcamp-Verbot. Ein Rechtsgutachten attestiert dem Onlinemagazin Libra fehlende Staatsferne und das BMJ verkündet die Einstellung.

Thema des Tages

AG Trier zu Handy-Blitzer: Derzeit fehlt eine Rechtsgrundlage für den Einsatz sog. "Handy-Blitzer". Dennoch durften die dabei entstandenen Aufnahmen für Bußgeldverfahren verwertet werden. Dies entschied das Amtsgericht Trier und ist damit das erste Gericht, dass sich zur Verwertbarkeit der "Handy-Blitzer"-Fotos äußert. Das Interesse der Allgemeinheit an der Verfolgung und der Sicherheit des Straßenverkehrs wiegt schwerer als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Geblitzten. Bei dem "Handy-Blitzer" handelt es sich um eine Kamera, die automatisch Bilder aufnimmt, wenn eine KI erkennt, dass Fahrer:innen während der Fahrt ihr Handy zu benutzen scheinen. Die Fotos werden dann von geschulten Polizist:innen ausgewertet. In Rheinland-Pfalz gab es in Mainz und Trier 2022 einen halbjährigen Pilotversuch. Über einen Regelbetrieb ist noch nicht entschieden. In den Niederlanden wird der Handy-Blitzer bereits regulär eingesetzt. zdf.de (Gianna Pagliaro/Samuel Kirsch) berichtet.

Rechtspolitik

Schwangerschaftsabbruch: Die FDP-Frauenpolitikerin Nicole Bauer fordert die Ampelkoalition auf, nicht auf die Ergebnisse der nun eingesetzten Expertenkommission für die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen jenseits des Strafrechts zu warten. Ein Verbot von Gehsteigsbelästigungen vor Beratungsstellen und Abtreibungskliniken sei ebenso dringend wie eine Verbesserung der Versorgungslage. spiegel.de (Milena Hassenkamp) berichtet.

Dokumentation der Hauptverhandlung: In den Bundesländern gibt es laut FAZ (Helene Bubrowski) über Parteigrenzen hinweg starke Bedenken gegen die Pläne des Bundesjustizministeriums, strafrechtliche Hauptverhandlungen in Ton und Bild zu dokumentieren. Diese beziehen sich überwiegend auf die bereits vom Richterbund geäußerte Kritik, dass Missbrauchsrisiken bestünden und eine unangemessene Mehrbelastung der Justiz drohe.

Verbraucherschutz-Verbandsklagen: Für den FAZ-Einspruch erläutern die Rechtsanwält:innen Sandra Reschke und Claus Thiery die Pläne der Ampelregierung für eine direkt auf Entschädigung gerichtete kollektive Klagemöglichkeit für Verbraucher:innen (so genannte Abhilfeklage). Wesentlicher Streitpunkt ist die Frage, ob die Anmeldung weiterer Verbraucher:innen zur Verbandsklage nur bis einen Tag vor Beginn der mündlichen Verhandlung (Position des Bundesjustizministeriums) oder sogar bis nach Erlass des Urteils möglich sein soll (Position des Umwelt- und Verbraucherschutzministeriums). Das Gesetz soll am 25. Juni 2023 in Kraft treten.

Justiz

OVG Hamburg zu G20-Protestcamp: Das Verbot des Protestcamps während des G20-Gipfels 2017 durch die Hamburger Versammlungsbehörde war rechtmäßig. Zu diesem Ergebnis kam das Oberverwaltungsgericht Hamburg in einem noch nicht begründeten Urteil. Bei der Verhandlung am Mittwoch nahm das Gericht aber ausdrücklich Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum "Klimacamp 2017" am Braunkohletagebau Garzweiler. Dort wurde der Schutz der Versammlungsfreiheit für die Gesamtkonzeption der Protestaktion anerkannt mit der Begründung, dass die Übernachtungsfläche für eine auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungzsbildung gerichtete Kommunikation "logistisch erforderlich" war. In Hamburg hätten hingegen vielfältige alternative Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden. Dagegen hatte die Klägervertreterin Ulrike Donath argumentiert, dass andere Schlafmöglichkeiten an diesen Tagen nur unzureichend zur Verfügung gestanden hätten und der Verkehr in der Stadt an den Gipfeltagen nahezu stillgestanden habe. Sobald die Urteilsbegründung vorliegt, wollen die Kläger:innen eine Revision prüfen. taz-nord (André Zuschlag) berichtet.

EuGH zu Ruhezeiten: Tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sind zwei voneinander unabhängige Rechte, auf die jeweils selbstständige Ansprüche bestehen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof im Fall eines ungarischen Lokführers, dessen Arbeitgeber eine über die Mindeststundenzahl hinausgehende wöchentliche Ruhezeit zugestand, ihm aber die tägliche Ruhezeit verwehrte. Beide Ruhezeiten verfolgten unterschiedliche Schutzzwecke und könnten deshalb nicht miteinander verrechnet werden, zitiert LTO die Entscheidung.

BGH zu anwaltlicher Unterschrift: Es spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass der unterzeichnende Anwalt sich den Inhalt eines Schreibens zu eigen gemacht habe, dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernehme und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig werde. Dies bestätigte der Bundesgerichtshof im Fall einer zunächst verworfenen Berufungsbegründung, in der der unterzeichnende Rechtsanwalt in keinem explizit angegebenen (Vertretungs-)Verhältnis zum eigentlich bevollmächtigten Anwalt stand. Über den Fall berichtet auf beck-aktuell der Richter Oliver Elzer.

OVG NRW zu Reichsflagge an Parteibüro: Die rechtsextreme Kleinpartei "Dritter Weg" muss eine am Parteibüro im nordrhein-westfälischen Hilchenbach aufgehängte Reichsflagge vorläufig nicht abhängen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Das OVG begründete dies laut LTO damit, dass die Stadt ihr gesetzlich vorgeschriebenes Ermessen nicht ausgeübt hatte. Damit blieb offen, ob im Einzelfall eine Gefahr für die öffentliche Ordnung vorlag.

VGH Bayern – Klimaschutzprogramm: Wie bild.de berichtet, hat die Deutsche Umwelthilfe ihre Klage am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Klimaschutzsofortprogramm des Freistaats Bayern zurückgezogen, nachdem das Gericht seine Rechtsauffassung geäußert hatte, die Klage gegen das erst vor wenigen Monaten beschlossene Programm sei vermutlich unzulässig.  Die Lage sei anders als in Baden-Württemberg, wo das gesetzlich vorgesehene Klimaschutzprogramm gar nicht vorlag. Das Gericht stellte nach Rückzug der Klage das Verfahren ein. Die DUH kündigte eine neue Klage in zwei Jahren an, dann habe sich erwiesen, dass das bayerische Programm nicht ausreiche.

OVG Berlin-BB zu AfD-Spendenaffäre: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat ein gegen die AfD verhängtes Bußgeld in Höhe von 396.000 Euro bestätigt. Dem lag die verbotene Annahme einer anonymen Parteispende in Höhe von 132.000 Euro an die AfD zugrunde. spiegel.de und zeit.de berichten.

LAG RhPf zu Hund im Büro: Ist ein Hund nicht "sozial kompatibel" und arbeitsvertraglich nicht grundsätzlich erlaubt, ist ein Verbot seitens des Arbeitgebers zulässig. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Mainz im Fall einer Angestellten, die sich den Hund wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung als "Beschützer" anschaffte. Weil der Hund jedoch andere Mitarbeiter:innen anbellte und anknurrte, untersagte der Betriebsleiter die Mitnahme. Das LAG sah dies laut spiegel.de vom Weisungsrecht gedeckt.

LG Leipzig – Online-Drogenshop Candylove: LTO (Linda Pfleger) schreibt über den sechsten Verhandlungstag im Candylove-Prozess, an dem es auch um die Frage der Verwertbarkeit der aufgezeichneten Gespräche zwischen dem Angeklagten G. und dem Anwalt R. ging. Trotz umfassenden Schutzes der Gespräche zwischen Anwalt und Mandant geht das Gericht aktuell nicht von einer vollständigen Unverwertbarkeit der Gespräche aus, da diese spezifisch und mit konkreten Mandatsbezug geführt sein müssten. Verwertbar seien dann wohl die Gespräche, die geführt wurden, als R. nicht Anwalt, sondern Arbeitgeber von G. war.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Wirecard-Prozess will der angeklagte Ex-Vorstandschef Markus Braun seine Unschuld mit Kontoauszügen beweisen, aus denen sich ergebe, dass der mitangeklagte Kronzeuge Oliver Bellenhaus Firmengelder in großem Stil abgezweigt habe. Das Gericht erklärte, die Unterlagen zu prüfen. Es berichten LTO und SZ (Johannes Bauer/Stephan Radomsky).

Die SZ (Stephan Radomsky) porträtiert zudem den Vorsitzenden Richter Markus Födisch. Dieser habe sich schon zu seiner Zeit am Amtsgericht viel mit Steuerhinterziehung beschäftigt und später als Staatsanwalt lange im Cum-Ex-Skandal ermittelt.

AG Augsburg zu Ehrenmord-Drohung: Wegen Körperverletzung und Bedrohung sind der Vater und der Bruder einer 16-jährigen Jesidin vom Amtsgericht Augsburg zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Beweggrund der Misshandlungen und Morddrohungen war laut Welt (Per Hinrichs), dass die 16-Jährige einen Freund hatte, der nicht den religiösen Vorstellungen der Familie entsprach.

StA Stade – Fynn Kliemann/Masken: Gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 20.000 Euro hat die Staatsanwaltschaft Stade die Ermittlungen gegen den Influencer Fynn Kliemann nach § 153a Strafprozessordnung eingestellt. Aufgenommen wurden die Ermittlungen, nachdem ZDF-Journalist Jan Böhmermann aufgedeckt hatte, dass Kliemann Masken als "fair in Europa produziert" anpries, sie in Wirklichkeit aber teilweise aus Bangladesch bezog. LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet.

SPD-Schiedskommission zu Gerhard Schröder: Die Anträge mehrerer SPD-Parteigliederungen auf Ausschluss von Ex-Kanzler Gerhard Schröder aus der SPD sind auch in zweiter Instanz gescheitert. Die SPD-Schiedskommission des SPD-Bezirks Hannover sieht laut spiegel.de (Veit Medick/Christian Teevs) in der Nähe Schröders zu Russland keinen Verstoß gegen die Parteiordnung. Inzwischen hat der Ortsverein Leutenbach (BaWü) Rechtsmittel zur Bundesschiedskommission angekündigt, heißt es bei spiegel.de in einem weiteren Bericht. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass das Rechtsmittel nach den klaren Ergebnissen der ersten beiden Instanzen zugelassen werde. Auch LTO berichtet.

OVG NRW-Jahres-PK: Auf der Jahrespressekonferenz des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts kam erneut Kritik an der mittlerweile vom Bundestag beschlossenen Beschleunigung von Infraktrukturvorhaben im Verwaltungsprozess auf. Wie wdr.de (Philip Raillon) berichtet, ging es aber auch um anstehende Urteile: So wird das OVG im Sommer darüber entscheiden, ob die Räumung des Hambacher Forsts 2018 rechtswidrig war.

Schöff:innenwahl: Im Frage-und-Antwort-Format erläutert zdf.de (Samuel Kirsch) das Amt der Schöff:innen und wie man Schöff:in werden kann. Die meisten Städte und Gemeinden nehmen Bewerbungen bis Ende März entgegen.

Recht in der Welt

USA – IS-Opfer gegen Twitter/Google: In einem ausführlichen Beitrag auf LTO berichtet Jura-Student Benedikt Gremminger über die mündlichen Verhandlungen in zwei Fällen vor dem US-Supreme Court, in denen Opfer von IS-Attentaten die Tech-Unternehmen Google bzw. Twitter wegen der Verbreitung von IS-Propaganda verklagten. In Gonzales v. Google geht es maßgeblich um die Frage, ob der Youtube-Algorithmus ("Empfehlungen") einen eigenen, die Schadensersatzpflicht auslösenden, Beitrag darstellen kann. In Twitter v. Taamneh steht die rechtliche (Vor-)Frage im Zentrum, ob das bloße Erscheinen von IS-Inhalten auf Twitter eine "wissentliche, substanzielle Unterstützung" einer internationalen Terrororganisation im Sinne des Anti-Terror-Gesetz sein kann. Die Bejahung von Schadensersatzansprüchen hätten eine Haftungserweiterung der Plattformen zur Folge, die auch von den eher zögerlichen Richter:innen als existenzgefährdend bezeichnet wurde.

Großbritannien/Argentinien – Falklandinseln: Der argentinische Außenminister hat angekündigt, dass sein Land den gemeinsamen Standpunkt mit Großbritannien über die Falklandinseln aufgekündigt hat und wieder über die Souveränität der Inseln verhandeln möchte. Argentinien sieht sich in der aktuellen Regelung zur Nutzung der Gas- und Ölförderung benachteiligt. spiegel.de berichtet über den Streit über die Inseln, der 1982 zu einem mehrmonatigen Krieg eskalierte.

Israel – Justizreform: beck-aktuell (Monika Spiekermann) hat mit Rechtsprofessor Christian Walter über die geplante Justizreform in Israel gesprochen. Walter hebt dabei insbesondere die Bedeutung des Supreme Courts hervor, der sich 1995 in einem Urteil selbst zum Verfassungsgericht gemacht habe, das über die Einhaltung bestimmter Grundgesetze durch den Gesetzgeber wacht. Dass Israel keine Verfassung hat, sei kein Problem an sich, sondern Ausdruck der grundlegenden Gespaltenheit Israels zwischen religiösen und säkularen Kräften, die eine Verständigung über die Grundstrukturen des Staates behindere.

Juristische Ausbildung

Klimaproteste/Öffentliches Recht: Auf LTO gibt Rechtsprofessor Michael Fehling Antworten auf prüfungsrelevante Fragen des Öffentlichen Rechts im Zusammenhang mit Klimaprotesten. Im Zentrum stehen dabei die Anwendbarkeit des Versammlungsrechts, dessen Zusammenspiel mit dem Polizei- und Ordnungsrecht, Amtshaftungsansprüche sowie die Rechtmäßigkeit von Präventivgewahrsam.

Sonstiges

Libra: Das juristische Onlinemagazin Libra verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse. Zu diesem Ergebnis kam Rechtsprofessor Christoph Möllers laut FAZ (Jochen Zenthöfer) in seinem vom Bundesjustizministerium (BMJ) beauftragten Gutachten. Es sei "ohne weiteres als Presseerzeugnis einzuordnen", da es über Herausgeberkreis und Redaktion verfüge und sich presseüblicher Textformen bediene. Organisatorisch und finanziell sei Libra vollständig von der juris GmbH abhängig, die ihrerseits mehrheitlich aus staatlichem Budget finanziert wird. Es seien keine* Versuche erkennbar, die Unabhängigkeit der Redaktion zu schützen. Nach Angaben des BMJ soll der Dienst schon am Freitag nicht mehr frei im Netz erreichbar sein.

Das Letzte zum Schluss

Ein Hund in der Bahn? Anders als im Büro sind Hunde in der Deutschen Bahn grundsätzlich willkommen. Nach seiner Fahrt nach Braunschweig ist ein schwarzer Labrador dennoch von der Bundespolizei in Empfang genommen worden. Der Grund: Er fuhr ohne sein Herrchen, das er verdutzt am Bahnsteig Salzgitter-Bad zurückließ. Welche rechtlichen Konsequenzen Hund und Herrchen nun erwarten, lässt der Bericht auf spiegel.de offen.
 

* Das fehlende Wort "keine" wurde am Erscheinungstag um 7.42 h eingefügt.


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/jpw/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. März 2023: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51205 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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