Die Ampel-Koalition plant die Einführung eines Polizeibeauftragten und hat sich bereits auf die Personalie geeinigt. Die StA München I geht Missbrauchsvorwürfen gegen die Kirche nach. In Hamburg soll ein digitales Prüfungszentrum entstehen.
Thema des Tages
Polizeibeauftragter: Die Ampelkoalition plant die Einführung des Amtes eines unabhängigen Polizeibeauftragten, der sich um mögliche Missstände in den Bundespolizeibehörden kümmern soll. Noch vor der Sommerpause soll ein entsprechendes Gesetz beschlossen werden. Die Position soll beim Deutschen Bundestag angesiedelt sein und mit Akteneinsichts- und Zutrittsrechten ausgestattet werden. Der bayerische Bundestagsabgeordnete Uli Grötsch (SPD), der selbst Polizist war und seit 2014 Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) ist, soll das Amt übernehmen. Uneinigkeit besteht darüber, ob der Beauftragte nur Ansprechpartner für Bürger:innen oder auch für Polizist:innen sein soll. FAZ (Helene Bubrowski) und SZ (Markus Balser) berichten.
Rechtspolitik
Schwangerschaftsabbruch: spiegel.de (Milena Hassenkamp) nennt erste Mitglieder der aus 18 Expert:innen bestehenden Kommission, die sich mit der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs jenseits des Strafgesetzbuches befassen soll: Maria Wersig (Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes), Christiane Woopen (Ex-Vorsitzende des deutschen Ethikrates) und die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf.
Maßregelvollzug/Drogenentzug: Ein von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereiteter Gesetzentwurf soll die Fehlanreize für einen Aufenthalt im Maßregelvollzug beenden. Die SZ (Verena Mayer) berichtet ausführlich über die Hintergründe. Immer mehr Straftäter müssten nach ihrer Verurteilung auf freien Fuß gesetzt werden, weil die Einrichtungen im Maßregelvollzug am Limit sind und zu wenig Therapieplätze existieren. Geschildert wird das Beispiel des Berliner Ex-Boxers Muhamad R., der wegen des Überfalls auf einen Geldtransporter verurteilt worden war, nun aber in der Türkei Erdbebenopfern hilft. Weil im Maßregelvollzug eine frühere Entlassung möglich ist, erzählen Angeklagte vor Gericht häufig Geschichten von Drogensucht oder Alkoholmissbrauch. So aber landen unpassende Täter im Maßregelvollzug und überlasten diesen.
Medienaufsicht: In der FAZ warnt Wolfgang Kreißig, Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) und Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), vor einer Bedrohung der staatsfernen deutschen Medienaufsicht durch EU-Vorhaben. Schon der Digital Services Act (DSA) gebe der EU-Kommission wichtige Aufgaben der Medienaufsicht. Dies könnte sich noch verstärken durch den geplanten European Media Freedom Act (EMFA).
Justiz
StA München I - Missbrauch in der Kirche: Die Staatsanwaltschaft München I hat einen Durchsuchungsbeschluss gegen das Erzbistum München und Freising im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal der katholischen Kirche und möglichen Vertuschungsvorwürfen gegen Bistumsverantwortliche erwirkt. Der Staatsanwaltschaft zufolge gehe es um den Fall eines inzwischen verstorbenen Priesters, dessen Taten bis in die 1960er Jahre zurückreichen sollen. Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", sieht im Durchsuchungsbeschluss eine "bemerkenswerte Aktion", die ein "Zeichen für einen Kurswechsel der Justiz im Umgang mit der Kirche" darstellen könnte. SZ (Bernd Kastner), taz (Dominik Baur), spiegel.de und LTO berichten.
BGH zu beA-Übermittlung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Gerichte nach der Übermittlung eines Schriftsatzes nebst Anlage über das elektronische Anwaltspostfach (beA) weder verpflichtet sind zu prüfen, ob die Formalitäten eingehalten wurden, noch den Einreicher auf Fehler hinweisen müssen. Die für den Papierweg entwickelten Grundsätze könnten nicht eins zu eins auf den elektronischen Rechtsverkehr übertragen werden. Im Fall ging es um einen Anwalt, der durch eine Verwechslung nicht die Berufungsschrift, sondern nur eine Anlage richtig signiert hatte. Eine "Sammelsignatur" für mehrere Dokumente gebe es nicht, sie sei gem. § 4 Abs. 2 der Elektronischen-Rechtsverkehrs-Verordnung ERRV sogar untersagt, so das Gericht. Es berichtet LTO (Martin W. Huff/Hasso Suliak).
OVG NRW – Corona-Soforthilfen: Wie LTO berichtet, wird das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 17. März in drei Verfahren über die Rückforderung von Corona-Soforthilfen entscheiden. Geklagt hatten Selbstständige, die von den infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betroffen waren und eine Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro erhielten, die das Land NRW nun anteilig zurückforderte. Im Kern wird es um die Frage gehen, ob die Bewilligung der Soforthilfe nur vorläufig erfolgte, welche Maßstäbe für eine spätere Rückforderung im Bewilligungsbescheid geregelt waren und ob das Land NRW diese nachträglich konkretisieren bzw. ändern durfte.
LG Meiningen zu militante Antifa/Johannes D.: Das Landgericht Meiningen hat Johannes D. als Mittäter des Antifa-Angriffes auf einen Eisenacher Neonazi 2019 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Zudem muss der 30-Jährige 1.500 Euro an den Weißen Ring zahlen. Die Strafe wurde aufgrund der Kronzeugenregelung nach § 46b StGB gemildert, weil Johannes D. am OLG Dresden im Prozess gegen die übrigen Gruppenmitglieder um Lina E. als Kronzeuge aussagt. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.
LG Leipzig – Online-Drogenshop Candylove: Wie SZ (Iris Mayer) und spiegel.de schreiben, hat der ehemalige "Kinderzimmerdealer" Maximilian S. vor dem Landgericht Leipzig gestanden, an dem Online-Drogenshop "Candylove" beteiligt gewesen zu sein. Er beteuerte jedoch, dass er kein "Chef" gewesen sei. Er habe nur die Programmierung des Onlineshops für den Handel und die Entwicklung einer Software für die Abarbeitung der Bestellungen durchgeführt. Mit dem Rauschgift habe er nichts direkt zu tun gehabt. Der nächste Verhandlungstermin ist für den 2. März angesetzt. Ein Urteil wird nicht vor Juni erwartet.
AG-Berlin-Tiergarten zu Klimaprotesten: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat die 23-jährige Sprecherin der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" Aimée van Baalen wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt, weil sie sich am 20. und 23. Juni 2022 an einer Straßenblockade beteiligte. Der 24-jährige Klimaaktivist Hendrik H. wurde zu insgesamt 90 Tagesätzen à 30 Euro verurteilt, weil er durch sein Festkleben auf der Straße bei drei Blockaden im vergangenen Jahr Verkehrsbeeinträchtigungen verursacht hatte. Die taz (Volkan Agar/Ambros Waibel) berichtet ausführlich über einen Verhandlungstag mit mehreren ähnlichen Verfahren.
StA Braunschweig - "Judenpack" zu Nicht-Juden: Nun berichtet auch LTO über die Einstellung eines Verfahrens wegen Beleidigung und Volksverhetzung gegen Martin Kiese, Vorstandsmitglied der Partei "Die Rechte". Er hatte im November 2020 Journalist:innen mit den Worten "Judenpresse, Judenpack" beschimpft und angekündigt, dass er und seine Mitstreiter:innen "Feuer und Benzin" für sie hätten. Laut Staatsanwaltschaft Braunschweig sind die Worte "Jude" und "Judenpresse" objektiv keine Beleidigung. Zwar könne der Begriff "Pack" eine Beleidigung darstellen, als Voraussetzung für Ermittlungen hätten aber die konkret angesprochenen Personen Strafantrag stellen müssen. Auch für den Tatbestand der Volksverhetzung bestehe kein hinreichender Tatverdacht, da die Aussage "Feuer und Benzin für euch" sich nicht auf eine klar abgrenzbare Personengruppe beziehe. Journalisten seien kein solcher abgrenzbarer Teil der Bevölkerung.
Rechtsextremismus vor Gericht: Im Sammelband "Recht gegen rechts. Report 2023", herausgegeben von sieben bekannten Jurist:innen, unter ihnen SZ-Redakteur Ronen Steinke, Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano und Opferanwältin Kati Lang, werden auf 346 Seiten die wichtigsten juristischen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremist:innen im vergangenen Jahr dokumentiert und analysiert. Dies meldet die SZ im Feuilleton.
Siemens-Korruptionsaffäre: spiegel.de (Sara Wess blickt in der Rubrik "Mein Fall" zurück auf die Aufklärung des Siemens-Korruptionsskandals im Jahr 2006. Führende Ermittlerin war Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl, die heute die Wirecard-Ermittlungen leitet. Aufgrund anonymer Hinweise untersuchte sie Konten in der Schweiz, die zu dem führenden Siemens-Mitarbeiter Reinhard Siekaczek führten. Siekaczek wurde verhaftet und sagte als Kronzeuge aus. Über Jahre hinweg nutzten Siemens-Mitarbeiter schwarze Kassen, fälschten Beraterverträge und gründeten zahlreiche Briefkastenfirmen, um Schmiergeld an korrupte Geschäftspartner und Beamte zu zahlen und so Aufträge zu sichern. Insgesamt wurden 350 Verfahren wegen Bestechung und Untreue eingeleitet. Der Konzern zahlte eine Milliardenbuße.
Richter Manfred Götzl: Annette Ramelsberger (SZ) porträtiert Manfred Götzl, den ehemaligen Richter im NSU-Prozess, der inzwischen im Ruhestand ist. Er sei für seine "Liebe zum Detail, Disziplin und Formalität", aber auch für seine "eigenwilligen Entscheidungen" bekannt gewesen. In seinem zweitwichtigstem Fall, dem Mord an einem wohlhabenden Münchner Parkhausbesitzer, könnte nun eine Wiederaufnahme des Prozesses drohen, die der Münchner Verteidiger Peter Witting aufgrund neuer Beweise fordert.
Justizüberlastung: Nun berichtet auch die FAZ (Corinna Budras) über eine Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der Roland Rechtsschutzversicherung. Sie zeige, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften in Deutschland personell und technisch schlecht ausgestattet sind. 61 Prozent der Richter und Staatsanwälte fühlen sich bei der Bearbeitung von Rechtsfällen zeitlich eingeschränkt. Auch die Verfahrensdauer habe zugenommen, was von Bürgern und Justizmitarbeitern gleichermaßen kritisiert wird. Eine Lösung für die Überlastung der Justiz sei ein zweiter Rechtsstaatspakt von Bund und Ländern, fordert der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn.
Recht in der Welt
Frankreich – Klimaklage/BNP: Nun berichtet auch die FAZ (Niklas Záboji) über die Klagen der katholische Organisation Comissão Pastoral da Terra und des Vereins Notre Affaire À Tous gegen die französische Großbank BNP Paribas wegen der Finanzierung des brasilianischen Rindfleischproduzenten Marfrig und anderer Unternehmen. Die Fleischproduzenten seien an der Abholzung des Amazonaswaldes und der Cerrado-Savanne, dem Landraub in geschützten indigenen Gebieten und der Zwangsarbeit in Farmen beteiligt. Die Bank verstoße als Kreditgeber gegen ein französisches Gesetz, das Unternehmen Sorgfaltspflichten auferlegt und die Duldung von solchen Rechtsverletzungen untersagt.
Frankreich – Total: In Paris könnte heute die französische Ölfirma Total wegen mangelnder Sorgfaltspflicht bei ihrer Ölpipeline Eacop in Uganda verurteilt werden. Geklagt hatten zwei französische und vier ugandische Organisationen. Es ist der erste Prozess auf Grundlage eines Gesetzes von 2017, das multinationale Unternehmen bei Investitionsprojekten zur Erstellung und Veröffentlichung von Plänen zum Umgang mit Menschenrechts- und Umweltrisiken verpflichtet. Die Kläger fordern, dass das Gericht Total verpflichtet, seine Pläne rechtskonform zu gestalten und angemessene Maßnahmen zum Umgang mit Risiken zu ergreifen sowie Entschädigungen an betroffene Gemeinschaften zu leisten. Es schreibt die taz (Francois Misser).
Spanien – Ohrfeige gegen Ehefrau: Ein Gericht in Soria in Kastilien-León hat den Ehemann einer Frau wegen "Misshandlung im Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, weil er sie in einem Livechat auf der Onlineplattform Tiktok geohrfeigt hatte. Er darf außerdem keine Waffen tragen und sich ihr drei Jahre lang nicht nähern und weder indirekt noch direkt mit ihr kommunizieren. Bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten sei keine Anzeige des Opfers notwendig, sondern die Tat müsse von Amts wegen bestraft werden, sobald sie bekannt geworden ist. Die Zustimmung des Opfers könne keine Aggression und Ohrfeige rechtfertigen, so das Gericht. Es berichtet die FAZ (Hans-Christian Rößler).
Sanktionen gegen Russland/Enteignungen: LTO bringt den Beitrag von Juliane Kokott, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, zur Frage, ob die Europäische Union den Wiederaufbau der Ukraine mit eingefrorenem russischem Vermögen finanzieren kann, nun auch in englischer Sprache. Das Einfrieren als Sanktion basiert auf Art. 215 AEUV bzw. Art. 3 (f) und (g) der EU-Verordnung 269/2014. Für eine Enteignung russischer Vermögenswerte sei eine andere Ermächtigungsgrundlage erforderlich.
Juristische Ausbildung
E-Klausuren: Laut LTO-Karriere plant die Hamburger Justizbehörde die Schaffung eines neuen digitalen Prüfungszentrums, um die Umstellung auf die neue E-Klausur voranzutreiben. In der Dammtorstraße soll eine komplette Büroetage angemietet werden, in deren Räumlichkeiten künftig bis zu 140 Kandidat:innen gleichzeitig ihre Prüfungen ablegen können. Erste Probeklausuren sollen in den Räumlichkeiten ab Spätherbst stattfinden, der Echtbetrieb ist für Anfang 2024 angesetzt. Die Digitalisierung sei "dringend notwendig". So werde die Chancengleichheit verbessert und Prüfungsverzerrungen verringert, erklärte Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).
Sonstiges
Facebook-Fanpage der Bundesregierung: Das Bundespresseamt (BPA) hält trotz der Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber am Betrieb einer Facebook-Fanpage fest. Der Facebook-Auftritt sei ein wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit. Neben Informationen, die mit der Bevölkerung geteilt werden könnten, seien soziale Netzwerke ein wichtiger Ort, um Desinformationen entgegenzuwirken. Man werde alle rechtlichen Fragen innerhalb der gegebenen Frist sorgfältig prüfen. Eine Klage gegen den Bescheid Kelbers sei nicht ausgeschlossen, so der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. Kelber hatte zuvor aus datenschutzrechtlichen Gründen die Abschaltung des Accounts gefordert. LTO berichtet.
WhatsApp-Betrug: Die SZ (Benjamin Emonts) berichtet über eine neue Betrugsmasche, für die der Messenger-Dienst WhatsApp verwendet wird. Die Täter geben sich als Tochter oder Sohn aus und bitten um dringende Überweisungen aufgrund eines vermeintlich defekten Telefons. Die Überweisungsbeträge sind meist vierstellig. Allein das Landeskriminalamt Niedersachsen verzeichnete 9.000 Fälle und einen Schaden in Höhe von 5 Millionen Euro.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ok/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 28. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51177 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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