Die juristische Presseschau vom 14. Februar 2023: Ex-Wire­card-Chef Braun sagte aus / Schwuler tschet­sche­ni­scher Boxer gestand / CDU will Maaßen aus­sch­ließen

14.02.2023

Ex-Wirecard-Chef Braun sagte erstmals aus und beteuerte seine Unschuld. Im Prozess wegen der Tötung eines Transmannes gestand der Angeklagte. Hans-Georg Maaßen hält den vom CDU-Bundesvorstand beantragten Parteiausschluss für rechtswidrig. 

Thema des Tages

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Strafprozess gegen den ehemaligen Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sagte dieser erstmalig aus. Braun beteuerte seine Unschuld und bestritt, dass er Kenntnis von Fälschungen hatte. Er sei bis zum Schluss davon ausgegangen, dass alle Geschäfte von Wirecard und alle Gelder "vollständig existent" gewesen seien. Der Zusammenbruch des Unternehmens im Juni 2020 sei für ihn ein "echtes Schockerlebnis" gewesen. Er selbst habe erst im Juni 2020 gemerkt, dass es für das Unternehmen "richtig eng ist". Über den untergetauchten Jan Marsalek sagte Braun, dass er für ihn "gefühlt ein Glücksgriff war" und aus einer Gruppe "talentierter junger Menschen herausstach". Dagegen habe er mit dem Kronzeugen Bellenhaus, der ihn als dominierenden Chef des Milliardenbetrugs bezeichnete, kaum Kontakt gehabt. Am Donnerstag wird der Strafprozess, der noch bis 2024 terminiert ist, fortgesetzt. Es berichten FAZ (Henning Peitsmeier), SZ (Johannes Bauer/Stephan Radomsky), taz (Patrick Guyton), Hbl (Vinzenz Neumaier) und Hbl (René Bender), Welt (Steffen Fründt), LTO, spiegel.de (Martin Hesse), bild.de (Oliver Grothmann) und focus.de.

Henning Peitsmeier (FAZ) bestreitet die Glaubhaftigkeit der Aussagen von Braun, er habe als Vorstandsvorsitzender "jahrelang nicht mitbekommen, wie enge Mitarbeiter von ihm Geschäfte zum Schein erfinden, Bilanzen frisieren und immer wieder Millionenbeträge veruntreuen." Dennoch liege es an der Staatsanwaltschaft, die Schuld des Angeklagten nachzuweisen.

Rechtspolitik

Planungsbeschleunigung/VwGO: Rechtsanwältin Julia Wulff gibt im Verfassungsblog einen Überblick über die am Freitag im Bundestag beschlossene Novelle der Verwaltungsgerichtsordnung. Hiernach sind gerichtliche Verfahren bei ausdrücklich benannten Vorhaben, etwa dem Bau von Windenergieanlagen oder LNG-Terminals, "vorrangig und beschleunigt" durchzuführen. Zudem darf das Gericht in Eilverfahren gegen Infrastrukturprojekte zukünftig solche Mängel außer Acht lassen, die offensichtlich in absehbarer Zeit behoben werden. Wulffs Fazit: "Wieder einmal ein Gesetz, bei dem die angekündigte Beschleunigung wohl ein Papiertiger bleiben wird."

Kinderrechte in der Hamburger Verfassung: Der rot-grüne Senat in Hamburg und die Hamburgische CDU möchten Kinderrechte in der Präambel der Landesverfassung verankern, wie die taz meldet. SPD, Grüne und CDU legten der Bürgerschaft einen entsprechenden interfraktionellen Antrag vor.

Pakt für den Rechtsstaat: Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes Sven Rebehn betont in einem FAZ-Einspruch-Gastbeitrag die Pflicht der Bundesregierung, dem Mangel an Richter:innen und Staatsanwält:innen entgegenzuwirken. Die gestiegenen Verfahrensdauern seien vor allem auf neue Bundesgesetze zurückzuführen, die die überlastete Justiz nicht wirkungsvoll durchsetzen kann. Rebehn fordert die Bundesregierung auf, sich "für einen durchsetzungsfähigen, wehrhaften Rechtsstaat zu engagieren" und eine solide Finanzierung durch einen zweiten Rechtsstaatspakt sicherzustellen.

Justiz

LG Münster – Tötung von Transmann Malte C.: Im Strafprozess wegen Körperverletzung mit Todesfolge hat der tschetschenische Angeklagte Nuradi A. die Tat gestanden. Der 20-jährige professionelle Boxer hatte den Transmann Malte C. niedergeschlagen, nachdem dieser sich voriges Jahr am Rande des Christopher-Street-Days in Münster schützend vor drei Transfrauen stellte, die der Angeklagte zuvor beleidigt hatte. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit soll der Angeklagte über seine eigene uneingestandene Homosexualität gesprochen haben. Es berichten die FAZ (Kathrin Hummel), spiegel.de und bild.de (Sebastian Prengel/Tilman Luz).

BGH zu Anwaltsvergütung bei Kanzleiabwicklung: Zur Kanzleiabwicklung bestellte Anwält:innen können im Falle besonders chaotisch geführter Kanzleien eine höhere Vergütung verlangen. Dies stellte der Bundesgerichtshof in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss aus dem Dezember klar. Kanzleiabwickler:innen können von der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer bestellt werden, wenn eine Rechtsanwält:in verstorben ist und sonst niemand zur Abwicklung der Mandate vorhanden ist. Im konkreten Fall hatte ein Kanzleiabwickler gegen die Vergütungsfestsetzung der zuständigen Rechtsanwaltskammer in Höhe von 30.000 Euro brutto geklagt, weil diese seiner Ansicht nach angesichts des Arbeitsaufwandes zu niedrig bemessen war. Der zuständige Anwaltsgerichtshof gab dem Kanzleiabwickler Recht und setzte eine Vergütung in Höhe von 151.475,10 Euro fest. Die hiergegen beantragte Berufungszulassung wies der Bundesgerichtshof nun ab, wie LTO (Martin W. Huff) berichtet. Dem Bundesgerichtshof zufolge muss im Rahmen einer monatlichen Pauschalvergütung das konkrete Arbeitsaufkommen mit Zu- oder Abschlägen gewürdigt werden.

OLG Hamm zu Fristsetzung/Nacherfüllung: Das Oberlandesgericht Hamm entschied nun, dass eine Fristsetzung zur Nacherfüllung bei einem Werkvertrag entbehrlich ist, wenn die Auftraggeber:in bereits vor der Abnahme wegen derselben Mängel eine Erfüllungsfrist setzte. Das Hbl berichtet.

LG München I zu Schuhbeck/Mietrückstände: Aufgrund säumiger Mietzahlungen in Höhe von 333.840 Euro muss die Schuhbeck Company GmbH den Schuhbeck’schen Gewürzladen in der Münchener Innenstadt räumen. Die Vermieterin ließ sich indes darauf ein, ihren Räumungsanspruch bis zum 15. März nicht durchzusetzen, weil ein Investor aus dem Freundeskreis Schuhbecks die Zahlung der Mietrückstände vorerst übernehmen wolle. Die SZ (Annette Ramelsberger) schreibt über die zivilprozessualen Auseinandersetzungen der Parteien.

LG München I zu Focus-Ärzte-Siegel: Das "Top-Ärzte-Siegel" des Magazins Focus verstößt gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot und darf in dieser Form nicht mehr verwendet werden, so das Landgericht München I. Das Siegel erwecke fälschlicherweise den Eindruck, die Siegelvergabe sei das Ergebnis einer neutralen und sachgerechten Prüfung der Ärzt:innen durch das Magazin Focus. Hingegen beruhe das Siegel auf subjektiven Kriterien wie Kollegenempfehlungen und Patientenzufriedenheit. Außerdem müssen Ärzt:innen eine Lizenzgebühr in Höhe von 2.000 Euro zahlen, um das Siegel werblich nutzen zu können. Mit dem Urteil gibt das Landgericht München I einer Unterlassungsklage der Wettbewerbszentrale statt, wie LTO berichtet.

LG Braunschweig – Dieselskandal/Ex-VW-Chef Winterkorn: Im Strafprozess vor dem Landgericht Braunschweig gegen vier ehemalige VW-Führungskräfte, unter anderem den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs kommt es zu einer zweimonatigen Unterbrechung, weil ein Mitglied des Richterkollegiums in Elternzeit geht. Die Hauptverhandlung soll am 18. April weitergeführt werden; die angesetzten Verhandlungstermine reichen mittlerweile bis 2024, wie LTO schreibt.

VG Hannover zu Waffenschein/Bürgermeister: Das Verwaltungsgericht Hannover wies die Klage des parteilosen Harsumer Bürgermeisters Marcel Litfin ab, mit der er gegen die behördliche Versagung eines Waffenscheins vorging. Litfin trug vor, dass er sich durch tätliche Angriffe und persönliche Drohungen von drei sehr aggressiven Bürgern in seiner körperlichen Unversehrtheit bedroht fühle und zum Selbstschutz eine scharfe Waffe bei sich tragen wolle. Litfin bemängelte, dass der "Staat seine Organe nicht angemessen schützt" und kündigte an, Berufung einzulegen. Es berichten die taz-nord (Jan Zier/David Speier) und bild.de (Mirko Voltmer).

AG Potsdam – Vorbereitung eines rechtsextremen Anschlags: Das Amtsgericht Potsdam eröffnete ein Strafverfahren gegen einen 18-Jährigen, dem die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat und Verstöße gegen das Waffengesetz zur Last gelegt werden. Der Angeklagte soll Sprengsätze gebaut haben und in einer Telegram-Gruppe zu terroristischen Taten angestachelt haben. Wie die taz (Konrad Litschko) schreibt, ist der Fall des 18-Jährigen ein Beispiel für rechtsextremen Terror, der sich im Internet formiert. Der Strafprozess ist bis Mai terminiert.

StA Itzehoe – Messerangriff im Zug: Der Täter des Messerangriffs von Brokstedt wird derzeit als schuldfähig eingestuft. bild.de (Markus Arndt) meldet, dass der 33-jährige Täter nach einem haftrichterlichen Termin nicht in die geschlossene psychiatrische Unterbringung, sondern in das Untersuchungsgefängnis in Neumünster gefahren wurde.

Holocaustvergleiche vor Gericht: sueddeutsche.de (Ronen Steinke) stellt anlässlich des Jahrestags des Bombenangriffs auf Dresden dar, wie die Justiz und die Strafverfolgungsbehörden die Strafbarkeit von Holocaustvergleichen beurteilen. So stellte die Staatsanwaltschaft Dresden das Ermittlungsverfahren gegen einen Rechtsextremen erst kürzlich ein, weil sie in der Verwendung des Wortes "Bombenholocaust" kein "Bagatellisieren der Völkerrechtsverbrechen zum Nachteil der jüdischen Bevölkerung im 3. Reich" sah und somit die Strafbarkeit nach § 130 Strafgesetzbuch verneinte. Das Oberlandesgericht Saarbrücken verneinte im Falle von angesteckten Judensternen durch Querdenker:innen ebenfalls die Bagatellisierung der NS-Verbrechen. Eine andere Auffassung vertrat hingegen das Bayrische Oberste Landesgericht, demzufolge der Vergleich der Maskenpflicht mit dem Holocaust "den industriellen Völkermord bewusst ins Lächerliche ziehe, um Aufmerksamkeit zu erheischen."

Schöff:innen: Markus Sehl (LTO) kritisiert, dass die Justiz die "Auswahl, Betreuung und Grundsatzfragen rund um die Laienrichterinnen und -richter vernachlässige". Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 2008 klargestellt, dass Zweifel an der Verfassungstreue der potenziellen Schöff:innen dem Amt als Schöff:in entgegenstehen, allerdings werden diese Vorgaben im Auswahlprozess nicht hinreichend beachtet und umgesetzt – wie nicht zuletzt die Beispiele rechtsextremer Schöff:innen in Berlin oder Thüringen zeigen.

Maßregelvollzug/Personalmangel: Die Welt (Lennart Pfahler) und LTO berichten über einen wegen schweren Raubes verurteilten Straftäter, der wegen seiner Drogenprobleme in den Maßregelvollzug überführt werden sollte. Dort hatte man allerdings keine Kapazitäten, sodass der Verurteilte zwischenzeitlich freigelassen wurde und nun Deutschland verlassen hat. 

Recht in der Welt

Israel – Justizreform: Trotz der etwa 70.000 bis 120.000 Demonstrierenden am Wochenende billigte der Justizausschuss der Knesset am Montag einen Teil des umstrittenen Reformvorhabens, das unter anderem dem Parlament die Macht geben soll, sich über Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs hinwegzusetzen. Drei Lesungen in der Knesset sind für die Gesetzesänderung noch erforderlich. Es berichten FAZ (Christian Meier), SZ (Peter Münch), taz (Judith Poppe), Welt (Daniel-Dylan Böhmer), Hbl (Pierre Heumann), LTO und spiegel.de.

Ukraine – russische Kriegsverbrechen: tagesschau.de (Frank Bräutigam) gibt einen Überblick über mögliche (internationale) Strafverfahren wegen der russischen Kriegsverbrechen und des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. 

Sonstiges

Maaßen/Parteiausschluss: Der CDU-Parteivorstand hat nun ein Parteiausschlussverfahren gegen den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen eingeleitet. Maaßen sieht laut einem LTO vorliegenden Schreiben an den CDU-Generalsekretär vom 9. Februar keinen Grund für den Parteiausschluss. Er habe der CDU keinen "schweren Schaden" zugefügt. Auch das Vorliegen weiterer formeller und materieller Voraussetzungen für einen Parteiausschluss bestreitet Maaßen und bezeichnet die Austrittsaufforderung als rechtswidrig und nötigungsgleich. Es berichten ferner SZ (Robert Roßmann), taz (Sabine am Orde), zeit.de (Tobias Dorfer/Tilman Steffen) und spiegel.de.

Faesers Twitter-Account: Die AfD-Bundestagsfraktion und der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner haben eine Strafanzeige gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unter anderem wegen Untreue gestellt, weil Faeser ihren vom Bundesinnenministerium ausgebauten Twitter-Kanal nun für den hessischen Wahlkampf nutzen will. Brandner wirft Faeser eine unzulässige Vermengung von Partei- und Regierungsangelegenheiten vor, wie zeit.de meldet.

Fremdenfeindliche Hasskriminalität: Im Interview mit der Welt (Wiebke Bolle) spricht Politikprofessorin Rafaela Dancygier über fremdenfeindliche Hasskriminalität in Deutschland. Dancygiers Studie zufolge billigt etwa ein Fünftel der deutschen Bevölkerung Straftaten gegen Geflüchtete, wie etwa Brandstiftung, Körperverletzungsdelikte und Verfolgungsjagden auf offener Straße. "Für Verbrechen darf es kein Verständnis geben", so Dancygier. Eine Verurteilung der Taten müsse sowohl durch die Politik als auch durch die Gesellschaft als Ganzes erfolgen.

Das Letzte zum Schluss

Strafe fürs Nichtaufessen: Wenn die Augen mal wieder größer als der Magen waren, wird bei All-you-can-eat-Buffets zunehmend eine Strafgebühr für das Nichtaufessen fällig. focus.de gibt Tipps, wie solche Strafgelder vermieden werden können (nämlich: nicht zu viel auf den Teller laden!).

 

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LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51053 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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