Verteidiger der Wirecard-Angeklagten fordern Verwertungsverbot für Aussagen des Kronzeugen. Thüsing kritisiert Hinweisgeberschutzgesetz. Afghanin in Griechenland wegen versuchter Selbstverbrennung verurteilt.
Thema des Tages
LG München I - Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München I haben die Verteidiger von Markus Braun und Stephan von Erffa den Druck auf den Kronzeugen Oliver Bellenhaus erhöht. So beantragten sie ein Verwertungsverbot für dessen Aussagen im Prozess und bezeichneten Bellenhaus als "professionellen Lügner". Bellenhaus soll in großem Umfang Daten gelöscht oder anderweitig vernichtet haben. Er ist der einzige der drei Angeklagten, der die Vorwürfe der Münchner Staatsanwaltschaft bislang eingeräumt hat. Braun selbst wird voraussichtlich am kommenden Montag erstmals zu Wirecard und dem zugrundeliegenden Geschäftsmodell Stellung nehmen. FAZ (Marcus Jung), LTO und spiegel.de (Martin Hesse) berichten.
Rechtspolitik
Whistleblowing: Der Bundesrat behandelt am heutigen Freitag das im Bundestag bereits beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz. Rechtsprofessor Gregor Thüsing kritisiert auf FAZ-Einspruch das Gesetz in vier Punkten. So müsse derjenige, der etwas Falsches meldet und dadurch anderen schadet, bisher nicht dafür einstehen und entstandene Schäden ersetzen. Zweitens fehle ein Anreiz, interne Meldestellen des Unternehmens (statt des Bundesamts für Justiz als externe Meldestelle) zu nutzen. Drittens sollte ein Hinweisgeber nur dann arbeitsrechtlich geschützt werden, wenn er aus altruistischen Motiven heraus handelt, nicht aber wenn er finanzielle Interessen hat oder anderen einfach schaden will. Viertens hat Thüsing die Sorge, dass das Bundesamt für Justiz durch eine Vielzahl an Hinweisen überlastet sein wird und deshalb nicht binnen drei Monaten reagieren kann, was es den Hinweisgebenden erlaubt, Medien einzuschalten. Sollte der Vermittlungsausschuss angerufen werden, sei dies eine Chance, entsprechende Nachbesserungen vorzunehmen.
Justiz
EuGH zur Abberufung von Datenschutzbeauftragten: Die Abberufung von betrieblichen Datenschutzbeauftragten darf vom deutschen Gesetzgeber an strengere Voraussetzungen geknüpft werden als im EU-Recht vorgesehen. Dies hat der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts entschieden. Während nach der DSGVO ein Datenschutzbeauftragter nicht aus Gründen abberufen werden darf, die sich auf die Erfüllung seiner Aufgaben beziehen, geht das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) weiter, indem es eine Abberufung nur aus wichtigem Grund zulässt. Dies sei zulässig, so der EuGH, solange als wichtiger Grund nicht nur der Verlust der Qualifikation oder eine rechtswidrige Amtsführung akzeptiert wird. Daneben entschied der EuGH, dass Art. 38 Abs. 6 DSGVO so auszulegen ist, dass ein "Interessenkonflikt" im Sinne dieser Bestimmung bestehen kann, wenn einem Datenschutzbeauftragten andere Aufgaben oder Pflichten übertragen werden, die ihn dazu veranlassen würden, die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten bei dem Verantwortlichen oder seinem Auftragsverarbeiter festzulegen. FAZ (Katja Gelinsky) und LTO berichten.
BGH zu gestörter Geschäftsgrundlage bei Corona-Hochzeiten: Brautpaare, deren Hochzeitsfeier aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht oder nicht im geplanten Umfang stattfinden konnte, durften den Mietvertrag für die Hochzeitslocation nicht ohne Weiteres kündigen, so der Bundesgerichtshof. Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage komme als ultima ratio nur dann in Betracht, wenn eine Vertragsanpassung nicht möglich oder auch ein Festhalten an dem Vertrag mit angepasstem Inhalt nicht zumutbar sei. Anders als das Oberlandesgericht Celle, welches den Fall nun erneut verhandeln muss, erachtet der BGH beispielsweise eine Verlegung der Hochzeitsfeier für zumutbar. LTO berichtet.
LAG BaWü zur Freistellung ungeimpfter Pflegekräfte: Wie beck-aktuell schreibt, hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschieden, dass die Freistellung von nicht gegen Covid geimpften Pflegekräften vor Verhängung eines Tätigkeitsverbots durch das Gesundheitsamt unwirksam war. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers berechtige diesen nicht dazu, Arbeitnehmer vor einer Entscheidung durch das Gesundheitsamt freizustellen. Das LAG schloss sich damit der Rechtsauffassung der Vorinstanz an.
VG Berlin – Gendergerechte Sprache: Ein Vater aus Berlin hat beim Verwaltungsgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht, mit dem er erreichen möchte, dass das Gendern an Schulen verboten wird, so Welt (Constantin van Lijnden) und LTO.
VG Hannover – Mitarbeiterkontrolle bei Amazon: Wie taz nord (Gernot Knödler) und spiegel.de berichten, hat das Verwaltungsgericht Hannover einer Amazon-Tochterfirma in einem datenschutzrechtlichen Kontrollverfahren ein System zur permanenten Datenerfassung der Mitarbeitertätigkeiten erlaubt. Die Datenschutzbeauftragte des Landes hatte im Herbst 2020 die ununterbrochene Erhebung von Mitarbeiterdaten per Scanner untersagt, wogegen das Unternehmen geklagt hatte. Zu einer einvernehmlichen Lösung waren die Parteien nicht bereit.
BayObLG – Eventim: Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat beim Bayerischen Obersten Landesgericht eine Musterfeststellungsklage gegen den Ticketanbieter Eventim wegen einbehaltener Gebühren bei abgesagten Veranstaltungen erhoben. Betroffene können sich der Klage anschließen. spiegel.de berichtet.
LG München I zu Milliardenerbe: Laut Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) hat Henrik Thiele, Sohn des früheren Knorr-Bremsen-Chefs Heinz Hermann Thiele, über seine Anwälte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I eingelegt, das die von ihm beantragte Nichtigkeitserklärung seines Erbverzichts abgewiesen hatte.
RiDG Meiningen zu Weimarer Familienrichter: LTO (Tanja Podolski) fasst die nun vorliegenden Entscheidungsgründe des Richterdienstgerichts Meiningen bezüglich des vorläufig vom Dienst suspendierten Weimarer Familienrichters zusammen. Danach habe der Richter "bewusst und schwerwiegend" gegen die Rechtspflege verstoßen. Es sei zu erwarten, dass er seinen Richterstatus dauerhaft verlieren werde. Mildernde Umstände seien laut Dienstgericht nicht ersichtlich.
AG Berlin-Tiergarten – Bankrott eines Ex-Anwalts: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Anklage gegen einen ehemaligen Anwalt erhoben, dem infolge eines Urheberrechtsstreit ein Musikstreaminganbieter anstelle der ihm zustehenden 1.481 Euro einen Betrag in Höhe von 1.481.000 Euro überwiesen hatte. Der Anwalt kaufte davon eine Eigentumswohnung, ein Auto, Gold und Schmuck. Nachdem dem Streaminganbieter das Versehen aufgefallen war, hatte er den damaligen Anwalt auf Rückzahlung verklagt. Dieser schenkte jedoch die Wohnung seiner Lebensgefährtin und das Auto seinem Vater. Er versuchte so, sich in die Insolvenz zu flüchten und soll auch eine falsche eidesstattliche Versicherung über sein Vermögen abgegeben haben. Das Verfahren vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten soll am 4. Mai beginnen. Die Anwaltszulassung hat der Jurist mittlerweile zurückgegeben. LTO berichtet.
DFB-Sportgericht – Mario Vuskovic: Im Dopingverfahren gegen den Fußballprofi Mario Vuskovic (HSV) vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) legte die Verteidigung mehrere Gutachten vor, die beweisen sollen, dass die A- und B-Proben, bei denen Vuskovic positiv auf das Blutdopingmittel Erythropoetin (Epo) getestet wurde, fehlerhaft gewesen sein sollen. Das Gericht beauftragte nun den Dopingexperten Jean-François Naud aus Kanada als Sachverständigen. Die Verhandlung wird am 10. März fortgesetzt. Vuskovic weist die Vorwürfe zurück. Die FAZ (Michael Wittershagen) berichtet.
GBA – Umsturzpläne: Nach der Razzia im "Reichsbürger"-Milieu Anfang Dezember 2022 hat sich die Zahl der Beschuldigten von 52 auf 55 erhöht, wie die SZ schreibt. Einer der neu Beschuldigten habe sich als Waffenhändler betätigt. Untersuchungshaft wurde mangels Haftgründen nicht angeordnet.
StA Frankfurt – Peter Fischer: Laut FAZ (Marc Heinrich u.a.) hat Eintracht Frankfurts Präsident Peter Fischer die gegen ihn erhobenen Vorwürfe des unerlaubten Drogenbesitzes zurückgewiesen und über seine Anwälte nicht nur die Einstellung des laufenden Ermittlungsverfahrens beantragt, sondern auch die Prüfung von Amtshaftungsansprüchen angekündigt. Es handele sich um eine "Rufmordkampagne". Bereits Erlass und Vollzug des Durchsuchungsbeschluss für die privaten Räumlichkeiten Fischers seien rechtswidrig gewesen.
Recht in der Welt
Griechenland – Suizidversuch als Brandstiftung: Wie die taz (Ferry Batzoglou) schreibt, wurde eine Afghanin, die sich in Selbsttötungsabsicht in einem Geflüchtetencamp auf Lesbos selbst angezündet hatte, zu einer 15-monaten Bewährungsstrafe verurteilt. Für die Delikte "vorsätzlicher Brandstiftung, die zu einer Gefährdung anderer Personen und von Eigentum führte" und "Beschädigung von öffentlichem Eigentum durch Feuer" hätte auch eine Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren verhängt werden können. Ihre Anwälte haben bereits angekündigt, Berufung einzulegen. Sie fordern einen Freispruch für ihre Mandantin. Niemand dürfe für einen Suizidversuch bestraft werden, die Frau habe keinen Vorsatz gehabt, anderen zu schaden.
USA – National Football League: Wie spiegel.de berichtet, haben zehn pensionierte NFL-Spieler Klage gegen die US-Football-Profiliga eingereicht. Diese soll ehemalige Spieler, die um berechtigte finanzielle Hilfe aufgrund von Sportinvalidität kämpften, zur Untersuchung an "gekaufte" Ärzten geschickt haben, die schließlich bei den Ex-Profis keine Einschränkungen festgestellt hätten.
Italien – Ehrenmordprozess: Die FAZ (Matthias Rüb) berichtet über den am heutigen Freitag beginnenden Prozess gegen mehrere Familienmitglieder der mit 18 Jahren erdrosselten Saman Abbas. Die junge Frau soll getötet worden sein, weil sie sich einer Zwangsheirat mit einem zehn Jahre älteren Cousin in Pakistan widergesetzt hatte.
Polen – Justizreform: Wie die FAZ (Gerhard Gnauck) berichtet, hat das polnische Abgeordnetenhaus zwei Gesetze beschlossen, die die EU als Meilensteine für die Freigabe der Mittel aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds verlangte. Zum einen sollen Disziplinarfälle von Richtern künftig am Oberste Verwaltungsgericht (und nicht mehr am Obersten Gerichtshof) behandelt werden. Noch unsicher ist, ob Präsident Andrzej Duda das Gesetz unterzeichnet. Er will sicherstellen, dass die Legitimität der rund 3.000 von ihm ernannten Richter:innen nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Das zweite Gesetz betrifft die von der EU geforderte Lockerung der Abstands-Vorschriften für Windpark-Projekte.
Sonstiges
"Datenchaos" beim Staat: Reinhard Müller (FAZ) kritisiert, dass der Staat – beispielsweise im Fall von Gefährdern – Daten, die ihm bereits vorliegen, nicht nutze. Auch stünden sich Behörde bei der Weitergabe von Daten häufig im Weg. Im Falle der Grundsteuer verlange der Staat sogar von seinen Bürgern, Daten zusammenzusuchen, über die er selbst verfüge. Dies sei nicht hinnehmbar, es brauche dringend ein Umdenken.
Maaßen/Parteiausschluss: Rechtsanwalt Sebastian Roßner erläutert auf Libra die Grundzüge des Parteiausschlussverfahrens. Der CDU-Bundesvorstand will voraussichtlich in der kommenden Woche über ein Parteiausschlussverfahren gegen Hans-Georg Maaßen beraten.
Promotion neben Anwaltstätigkeit: LTO-Karriere (Sabine Olschner) stellt Doktorand:innen vor, die neben ihrer Anwaltstätigkeit promovieren, und spricht mit ihnen über die Vor- und Nachteile dieses Modells.
Das Letzte zum Schluss
Kriminelle Biber: In einer schottischen Wildtierauffangstation kam es zum Diebstahl einer Webcam. Dieser fiel den Betreibern erst auf, nachdem die Kamera über einen längeren Zeitraum nur noch Matsch und Stöcke zeigte. Die Ermittlungen ergaben schließlich, dass Biber die Webcam gestohlen und auf dem Dach ihres Baus befestigt hatten. SZ und Welt berichten.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 10. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 10.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51030 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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