Die juristische Presseschau vom 9. Februar 2023: Pla­nungs­be­sch­leu­ni­gung in VwGO kommt / VGs zur Medi­en­ar­beit vor Reichs­bür­ger­razzia / Twitter-Account als Par­tei­s­pende?

09.02.2023

Gesetz zur VwGO-Planungsbeschleunigung wird mit Änderungen beschlossen. GBA und BKA hätten Infos zu Medienarbeit im Vorfeld der Reichsbürgerrazzia nicht geheim halten dürfen. Bundestagsverwaltung prüft Faesers Umgang mit Twitter-Account.

Thema des Tages

Planungsbeschleunigung/VwGO: Der Rechtsausschuss des Bundestages stimmte dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren bei Infrastrukturprojekten mit wesentlichen Änderungen zu. Die umfassende Kritik in der Sachverständigenanhörung Ende Januar hat laut beck-aktuell unter anderem dazu geführt, dass der in § 87c Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorgesehene frühe Erörterungstermin nicht stets innerhalb von zwei Monaten nach Klageeingang anzuberaumen ist, sondern nur "in geeigneten Fällen" und zudem ohne starre Frist. Auch der Eilrechtsschutz in zu beschleunigenden Verfahren (§ 80c VwGO-E) ist angepasst worden. Demnach können Mängel des angegriffenen Verwaltungsakts - wie im Regierungsentwurf vorgesehen - außer Betracht gelassen werden, "wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird." Hierzu sollen die Gerichte nun aber verbindlich eine Frist setzen. Im Regierungsentwurf war dies noch als Kann-Regelung ausgestaltet. Zudem sollen die Beschleunigung-Regelungen - so eine weitere Änderung der Koalition - nicht gelten, wenn es um Verkehrsflughäfen und Braunkohletagebau geht.

Rechtspolitik

Whistleblowing: Nach Informationen der SZ (Nils Wischmeyer) gibt es in einigen Bundesländern mit Unions-Beteiligung Widerstand gegen den Gesetzentwurf zum Schutz von Whistleblower:innen. Dies könnte dazu führen, dass die erforderliche Zustimmung im Bundesrat bei der morgigen Abstimmung nicht erreicht wird und die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss anrufen wird. Eine neue Abstimmung über einen ggf. abgeschwächten Entwurf könnte dann mehrere Monate auf sich warten lassen.

Verbraucherschutz-Verbandsklagen: In der Diskussion um die Einführung einer neuen Verbandsklage für Abhilfeklagen ist zwischen Grünen und FDP eine Annäherung gelungen, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Sie haben sich darauf einigen können, den Kreis der Verbände, die eine solche Klage erheben dürfen, deutlich zu erweitern. So sei die Mindestbestandzeit von klageberechtigten Verbänden von vier auf ein Jahr verkürzt worden und die Mindestzahl an Mitgliedern von 350 auf 75. Dies soll die Nutzung von ad hoc-Verbänden erleichtern, die sich um ein konkretes neues Problem kümmern.

Mietrecht: Justizminister Marco Buschmann (FDP) sieht keinen Regulierungsbedarf bei Indexmieten, die derzeit aufgrund der Inflation besonders ansteigen. In Städten wie Hamburg oder München seien die Indexmieten lange Zeit deutlich langsamer gestiegen als reguläre Mieten, nur weil sich dies nun geändert habe, sehe man keinen Anlass, kurzfristig die Spielregeln zu ändern. Einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Mietpreisbremse halte er nicht zurück, so Buschmann, vielmehr sei dieser nicht prioritär gewesen, weil die Mietpreisbremse noch bis 2025 gelte und die Verlängerung erst den Zeitraum danach betreffe. Stattdessen habe sein Haus die Begleitregeln für die Dezember-Soforthilfe und die Strom- und Wärmepreisbremse erarbeitet. Die SZ (Constanze von Boullion) berichtet. 

Justiz

VG Karlsruhe/VG Wiesbaden zu Vorabinfos bei Reichsbürgerrazzia: Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet, haben das Verwaltungsgericht Karlsruhe und das Verwaltungsgericht Wiesbaden im Rahmen der Kostenzuteilung entschieden, dass der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt Details zu ihrer Medienarbeit im Vorfeld der Reichsbürgerrazzia im vergangenen Jahr nicht hätten geheim halten dürfen. Eine Sachentscheidung war nicht mehr erforderlich, nachdem die Bundesanwaltschaft im Laufe des Verfahrens einräumte, dass sie anfragende Medien im Vorfeld der Razzia um Stillschweigen gebeten und die Planung damit indirekt bestätigt hatte. 

BGH zu ärztlichen Informationspflichten: Zwischen ärztlicher Aufklärung vor einer medizinischen Behandlung und der Einwilligung der Patient:innen gibt es keine zwingend einzuhaltende Bedenkzeit. Dies entschied der Bundesgerichtshof im Fall eines Patienten, der vor einer Nasen- und Ohrenoperation aufgeklärt worden und dem direkt im Anschluss das Formular zur Einwilligung in den Eingriff zur Unterzeichnung vorgelegt worden ist. Anders als das Oberlandesgericht Bremen erachtete der BGH die Entscheidung, die Einwilligung direkt zu geben oder eine Bedenkzeit einzufordern, als Sache des Patienten. Das OLG muss den Fall nun erneut entscheiden. LTO berichtet.

BGH zu Anwaltszulassung: Der Widerruf einer Anwaltszulassung wegen zu vieler Schulden ist möglich, selbst wenn die Schulden später beglichen werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof, der damit die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs Hamburg bestätigte. Entscheidend für den Widerruf sei der Zeitpunkt des Erlass des Widerspruchsbescheids ohne Ansehung späterer Entwicklungen. LTO berichtet.

OLG Stuttgart zu IS-Mitgliedschaft: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat einen 31-jährigen Iraker und seine 31 Jahre alte deutsche Frau u.a. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie sammelten Geld für den IS und übermittelten etwa 13.000 Dollar an die Terrororganisation, um Kämpfer:innen aus Flüchtlingslagern und Gefängnissen zu befreien. zeit.de berichtet.

VG Dresden zu Klima-Protestcamp: Das Verwaltungsgericht Dresden hat einen Eilantrag gegen eine von Umweltaktivist:innen für die am 8. Februar befürchtete Räumung des Heidebogen-Protestcamps nördlich von Dresden abgelehnt. Vorbeugender Rechtsschutz sei in diesem Fall unzulässig, zitiert LTO die Entscheidung, da eine Räumungsverfügung weder existiere noch abzusehen sei und auch sonst keine Betretungsverbote oder ähnliches verfügt wurden. Die Proteste richten sich gegen die Rodung des Waldstücks Heidebogen für den Kiesabbau.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Die Verteidigung des angeklagten Ex-Wirecard-Chefs Markus Braun hat am Mittwoch laut SZ (Johannes Bauer/Stephan Radomsky) einen 50-seitigen Fragenkatalog an den mitangeklagten Ex-Manager und Kronzeugen der Anklage, Oliver Bellenhaus, vorgelegt. Der Vorwurf der Verteidigung Brauns ist darauf gerichtet, dass Bellenhaus bislang keinen schriftlichen Beleg für die Führungsrolle Brauns vorgelegt habe. Die eigentlich für den heutigen Donnerstag geplante Aussage Brauns wird laut LTO erneut verschoben, da sein Verteidiger und der Anwalt des dritten Angeklagten zunächst ihre voraussichtlich umfangreiche Bewertung der Aussagen des Kronzeugen vortragen werden.

LG München I zu Andrea Tandler: Auch das Landgericht München I verwarf die Haftbeschwerde der wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit sogenannten Maskendeals inhaftierten Andrea Tandler. spiegel.de (Jürgen Dahlkamp/Sven Röbel) erläutert die Hintergründe des Verfahrens, in dem nun noch eine weitere Haftbeschwerde beim Oberlandesgericht möglich ist.

LG Fulda – Kindermissbrauch durch Schulleiter: sz.de berichtet über den Prozessbeginn eines Verfahrens vor dem Landgericht Fulda, in dem einem ehemaligen Grundschulleiter mehrfacher schwerer sexueller Kindesmissbrauch vorgeworfen wird. Im Zeitraum von 1998 bis 2021 soll der 47-Jährige u.a. nachts sexuelle Übergriffe auf schlafende Kinder und Jugendliche bei mehreren Freizeiten sowie einer Klassenfahrt begangen haben.

AG Berlin-Tiergarten zu rechtsextremen Anschlägen Neukölln:  Die Generalstaatsanwaltschaft hat Berufung gegen den Teilfreispruch eines Neonazis aus Neukölln eingelegt. Dies berichten taz-berlin und LTO.

AG Berlin-Tiergarten zu Beleidigung durch AfD-Politiker: Nun berichtet auch spiegel.de (Tobias Becker) ausführlich über einen Strafprozess gegen den AfD-Lokal-Politiker Kai Borrmann, der zwei junge Frauen mit dem sogenannten N-Wort rassistisch beleidigt haben soll. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Bewährungsstrafe von sieben Monaten. Die Verteidigung forderte einen Freispruch, Borrmann habe sich zwar taktlos in ein Gespräch eingemischt, aber niemand beleidigt. Der Prozess findet große öffentliche Beachtung, weil dabei bekannt wurde, dass Borrmann mit der links-liberalen Soziologie-Professorin Cornelia Koppetsch liiert ist, die mit Büchern über die AfD bekannt wurde. 

BAG-Jahres-PK: Das Bundesarbeitsgericht hat auf seiner Jahres-Pressekonferenz seinen Jahresbericht präsentiert und dabei insbesondere die Meilensteine seiner Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch und zur Arbeitszeiterfassung hervorgehoben. Die FAZ (Katja Gelinsky) widmet sich der Kritik an der Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung. LTO (Tanja Podolsky) fasst die Präsentation zusammen, in der BAG-Präsidentin Inken Gallner auch ankündigte, dass das Gericht zeitnah seinen ersten Social-Media-Account erstellen werde - auf Mastodon, nicht auf Twitter.

Schöff:innen: In der Zeit beschreibt Amtsrichter Thomas Melzer die Zusammenarbeit mit einem der ihm zugewiesenen Schöffen, die "bestenfalls die Fusion von Recht und Moral" darstelle. Die Lebenserfahrung der Bürger:innen habe eine Berechtigung im Gerichtssaal. Auch Argumente und Hinweise des Schöffen habe er schon in der mündlichen Urteilsbegründung verwendet.

Drogenscanner in JVA: Nach dem Erfolg des bundesweit einmaligen Drogendetektors hat das Land Rheinland Pfalz entschlossen, weitere der Scanner in den Justizvollzugsanstalten des Landes einzusetzen, um insbesondere den Drogenschmuggel per Post unterbinden zu können. Weitere Bundesländer wollen nachziehen und auch europäische Nachbarländer zeigen laut LTO Interesse.

Recht in der Welt

Niederlande/Ukraine/Russland – Abschuss Flug MH 17: Das gemeinsame internationale Ermittlungsteam zum Abschuss von Flug MH 17 über der Ostukraine am 17. Juli 2014 hat seine Tätigkeit nach achteinhalb Jahren eingestellt. Trotz "starker Hinweise" darauf, dass die Entscheidung zum Abschuss des Flugzeugs vom russischen Präsidenten getroffen worden sei, reichten die Beweise für eine Strafverfolgung der russischen Führung nicht aus. Zudem wäre Putin durch seine absolute Immunität als Staatsoberhaupt vor einem Strafverfahren in den Niederlanden geschützt, zitieren FAZ (Thomas Gutschker) und SZ (Thomas Kirchner) den Abschlussbericht.

UN/Ukraine – russischer Angriffskrieg: Für den Staat und Recht-Teil der FAZ macht Rechtsprofessor Ulrich Fastenrath Vorschläge für eine völkerrechtliche Aufarbeitung des russischen Überfalls auf die Ukraine. So schlägt er die Schaffung einer von der UN-Generalversammlung eingesetzten juristischen Expertenkommission vor, die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht prüfe und somit Russland unter permanenten Rechtfertigungsdruck setze. Parallel dazu schlägt der Autor die Schaffung einer Verhandlungskommission vor, die unter Berücksichtigung der Interessen der internationalen Gemeinschaft Vorschläge zur Beilegung des Konflikts vorbereiten soll.

EGMR/Türkei – Unabhängigkeit der Justiz/Tod eines Jungen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei im Zusammenhang mit dem Tod eines 15-Jährigen verurteilt, der vor zehn Jahren in Istanbul bei Protesten von einer Tränengaskartusche am Kopf tödlich verletzt wurde. Die Behörden hätten ihre Verpflichtung zur Aufklärung nicht erfüllt und seien nicht unabhängig gewesen, schreibt LTO. Eine Entschädigungszahlung ist der Türkei nicht auferlegt worden, weil die Familie keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte. 

Spanien – Stierkampf: Der Oberste Gerichtshof in Madrid hat entschieden, dass der für junge Menschen ausgezahlte "Kulturbonus" auch für einen Besuch in der Stierkampfarena genutzt werden könne. Der entsprechende Ausschluss sei nicht ausreichend begründet, entschied das Gericht laut FAZ (Hans-Christian Rößler). "Die kulturellen, historischen und künstlerischen Dimensionen" des Stierkampfs seien gesetzlich anerkannt.

Reproduktive Rechte international: Die Doktorandin Eva Maria Bredler und die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Valentina Chiofalo geben auf dem Verfassungsblog einen Überblick über die Erkenntnisse aus dem Symposium "Comparative Legal Perspectives on Abortion".

Juristische Ausbildung

Klimaproteste/Strafrecht: Auf LTO geben die Doktorand:innen Katharina Reisch und Tim Nicklas Festerling Antworten auf prüfungsrelevante Fragen des Strafrechts im Zusammenhang mit Klimaprotesten. Unterschieden wird dabei die Strafbarkeit der einzelnen Protestformen, mögliche Rechtfertigungen sowie der Einsatz der Polizei zur Beendigung der Proteste.

Sonstiges

Faesers Twitter-Account: Laut Tsp (Jost Müller-Neuhof) untersucht die Bundestagsverwaltung derzeit, ob der Umgang Faesers mit ihrem Twitter-Account möglicherweise eine unzulässige Parteispende darstellen könnte. Die temporäre amtliche Zuarbeit des Bundesministeriums (Betreuung des Accounts) könnte eine geldwerte Leistung darstellen, die einer Parteispende gleichzusetzen sei.

Die Umstellung des Twitter-Accounts der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hin zu einem privaten Account mit Wahlwerbung ist unzulässig. Zu diesem Ergebnis kommt Rechtsreferendar Nicolas Harding in seiner Analyse für den Verfassungsblog. Accounts in sozialen Medien könnten aus Gründen der Rechtssicherheit nur in ihrer Gesamtheit der staatlichen oder der privaten Sphäre zugeordnet werden. Der Autor empfiehlt Faeser deshalb, einen weiteren Account für ihren Wahlkampf zu erstellen, um ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu vermeiden.

Abschiebungen: Die FAZ (Jens Giesel u.a.) erläutert im Frage und Antwort-Format, wann in Deutschland Ausländer:innen abgeschoben werden dürfen und welche rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten dies häufig verhindern. Neben der schlechten Kooperation von Herkunftsstaaten, u.a. Schwerstverbrecher:innen wieder aufzunehmen, verhindern häufig die gesundheitliche Situation des Abzuschiebenden, eine laufende (Schul-)Ausbildung oder die Situation im Herkunftsland die Abschiebung.

 

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LTO/jpw/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51019 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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