Die juristische Presseschau vom 26. Januar 2023: Wei­marer Fami­li­en­richter sus­pen­diert / Manuel Gräfe wurde dis­kri­mi­niert / Wire­card-Pro­zess geht weiter

26.01.2023

Ein Familienrichter des AG Weimar muss wegen seiner Masken-Entscheidung den Arbeitsplatz räumen. Fußball-Schiedsrichter Gräfe wurde wegen seiner Alters benachteiligt. Aussetzungs-Anträge der Wirecard-Angeklagten scheiterten am LG München I.

Thema des Tages

RiDG Meiningen zu Weimarer Familienrichter: Das Richterdienstgericht am Landgericht Meiningen hat einen Weimarer Familienrichter vorläufig vom Dienst suspendiert, der im April 2021 die Corona-Schutzmaßnahmen an zwei Schulen aufgehoben hat. Der Richter hatte damals auf Antrag einer Mutter zur Sicherung des Kindeswohls gem. § 1666 BGB gehandelt und per einstweiliger Anordnung die Maskenpflicht sowie andere Maßnahmen für alle Schüler:innen der beiden Schulen beanstandet. Daraufhin hatte die Staatsanwalt Ermittlungen aufgenommen und die Wohn- und Diensträume des Richters durchsuchen lassen. Im Juni 2022 klagte sie ihn wegen Rechtsbeugung an. Ihm wird vor allem vorgeworfen, dass die Annahme der Zuständigkeit als Familiengericht willkürlich gewesen sei, da für die Kontrolle hoheitlicher Maßnahmen eindeutig die Verwaltungsgerichte zuständig seien. Im September 2022 hatte das Landgericht Erfurt die Anklage wegen Rechtsbeugung zugelassen. Doch erst am 19. Januar suspendierte das Richterdienstgericht den Weimarer Familienrichter. Der Antrag des Thüringer Justizministeriums stammte bereits aus dem August 2022. Der Familienrichter musste nun seinen Arbeitsplatz räumen und muss ab sofort auf 25 Prozent seiner Dienstbezüge verzichten. Die Entscheidung fiel gem. § 83 Thüringer Richter- und Staatsanwältegesetz. Ein Termin für die strafrechtliche Hauptverhandlung steht noch nicht fest. LTO (Tanja Podolski) berichtet.

Rechtspolitik

VGT – E-Scooter und Alkohol: Am heutigen Donnerstag berät der Deutsche Verkehrsgerichtstag über das Fahren von E-Scootern unter Alkoholeinfluss. In einem Vorabbericht erläutert die SZ (Wolfgang Janisch), dass eine Fahrt mit mindestens 1,1 ‰ als Trunkenheitsfahrt strafbar ist, denn der E-Scooter gelte als Kraftfahrzeug. Dies habe fast automatisch den Entzug der Fahrerlaubnis zur Folge, obwohl diese für das Führen eines Rollers gar nicht erforderlich ist. Wegen des vergleichsweise geringen Risikos einer Fremdschädigung werde die Sanktion als unangemessene Härte kritisiert und eine Gleichstellung mit Fahrradfahrern diskutiert.

Künstliche Intelligenz/ChatGPT: Im Staat und Recht-Teil der FAZ macht sich Rechtsprofessor Rolf Schwartmann Gedanken zu den Auswirkungen des Textroboters "ChatGPT" auf die Rechtswissenschaft, insbesondere auf gerichtliche Entscheidungen. Die in einem Entwurf für eine KI-Verordnung vorgesehene menschliche Letztentscheidung ist für ihn dabei zentral, um den Einsatz etwa von "ChatGPT" ethisch verantworten zu können. Dafür sei es erforderlich, Transparenz über das Programm und seine Quellen rechtlich zu verankern.

AGG: Wie die taz (Oskar Paul) berichtet, haben über 100 Organisationen eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gefordert und dabei elf Forderungen aufgestellt. So soll der Diskriminierungsschutz des AGG künftig auf jede Form des staatlichen Handelns (auch jenseits des Arbeitsrechts und bestimmter zivilrechtlicher Handlungen) ausgeweitet werden. Gefordert wird auch ein Verbandsklagerecht, die Ausweitung der Frist für Klagen von zwei auf zwölf Monaten und die Anwendung des AGG auf Benachteiligungen wegen des Körpergewichtis. Die Ampel-Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag die Schließung von Schutzlücken vereinbart.

Justiz

LG Frankfurt/M. zur Altersdiskriminierung Manuel Gräfes: Die tatsächlich praktizierte Altersgrenze von 47 Jahren für Fußball-Bundesliga-Schiedsrichter:innen stellt eine Altersdiskriminierung dar. Dies entschied das Landgericht Frankfurt/M. und sprach dem ehemaligen Bundesliga-Schiedsrichter Manuel Gräfe eine Entschädigung in Höhe von 48.500 Euro durch den Deutschen Fußballbund zu. Die in den Regularien nicht verankerte, aber tatsächlich praktizierte Altersgrenze sei willkürlich gewählt und damit ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. zdf.de (Christoph Schneider) und LTO berichten.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Das Landgericht München I hat die Aussetzungsanträge der Verteidigung im Wirecard-Strafverfahren um Markus Braun zurückgewiesen. Selbst bei nachgelieferten Aktenbestandteilen stünden der Verteidigung bei den bislang geplanten 100 Verhandlungsterminen sämtliche aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erforderlichen Verteidigungsmöglichkeiten offen. Es berichten SZ (Johannes Bauer/Stephan Radomsky) und LTO.

EuGH – Schufa: Am heutigen Donnerstag verhandelt der Europäische Gerichtshof über zwei Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden zur Schufa-Auskunftei. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) vorab berichtet, hat der EuGH in einem Fall zu klären, ob Entscheidungen zur Kreditwürdigkeit der Klägerin ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhen. Dann könnte die Klägerin eine Löschung der Eintragungen durchsetzen. Dabei geht es um die Frage, ob der Scoring-Wert der Schufa selbst eine Entscheidung darstellt oder nur die Entscheidung der Banken vorbereitet. In dem anderen Verfahren geht es darum, ob die Schufa Informationen über eine Restschuldbefreiung länger speichern darf, auch wenn Insolvenzgerichte diese ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung wieder löschen.

BSG zu nicht zugelassenem Arzneimittel: Eine schwangere Frau hat nur dann einen Anspruch auf Bezahlung eines für die konkrete Behandlung nicht zugelassenen Arzneimittels, wenn es sich um eine "notstandsähnliche Situation" handelt, also eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen oder besonders schweren Verlauf spricht. In dem konkreten Fall entschied das Bundessozialgericht laut LTO, dass die Infektion einer Schwangeren mit dem Zytomegalievirus diesen Grad nicht erreiche.

LG Berlin – Antisemitismus auf Twitter: Gemeinsam mit der NGO HateAid hat die European Union of Jewish Students (EUJS) beim Landgericht Berlin eine Klage gegen Twitter eingereicht. Sie machen einen Unterlassungsanspruch geltend, der darauf gestützt wird, dass Twitter entgegen seiner eigenen AGB antisemitische und auch volksverhetzende Tweets nicht lösche. taz (Johannes Drosdowski) und LTO berichten.

LG Frankfurt/M. – bestechlicher Staatsanwalt: Die SZ (Gianna Niewel) schreibt über den dritten Tag im Prozess gegen den ehemaligen Oberstaatsanwalt Alexander Badle, dem gewerbsmäßige Bestechlichkeit und Untreue vorgeworfen werden. Vernommen wurde sein Schulfreund Bernhard A., an dessen Unternehmen Badle fast alle gerichtlichen Aufträge für externe Sachverständigengutachten vergeben haben soll. Zudem sei Badle seit etwa 2009 auch am Gewinn beteiligt gewesen.

LG Traunstein – Missbrauch in Kirchen: Im Schmerzensgeld-Prozess eines Missbrauchsopfers des Priesters H. wird sich das Erzbistum München und Freising nicht auf Verjährung berufen, sondern sich dem Prozess stellen. Das erklärte die Erzdiözese. Zunächst geht es um die Feststellung, dass die kirchlichen Verantwortlichen bereits bei der Einstellung H.s wussten, dass dieser einschlägig aufgefallen war. Auch über die Auswirkungen auf ähnliche Verfahren bundesweit berichten SZ (Annette Zoch) und spiegel.de.

LG Hamburg zu Masken-Deal/Steuerhinterziehung: Das Landgericht Hamburg hat drei Männer wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit einer Großlieferung von Corona-Schutzmasken für das Bundesgesundheitsministerium zu Haftstrafen zwischen drei und viereinhalb Jahren verurteilt. Das Ministerium hatte für die Masken insgesamt 17 Millionen Euro Umsatzsteuer bezahlt, wovon die Angeklagten 4,5 Millionen Euro nicht an den Fiskus abführten. zeit.de berichtet.

AG Bergisch Gladbach zu Fußball-Krawallen: Am Amtsgericht Bergisch Gladbach ist gut vier Monate nach den Fußball-Krawallen in Nizza ein Fan des 1. FC Köln wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Am 31. Januar stehen laut LTO in Köln zwei weitere mutmaßlich an den schweren Ausschreitungen vor dem Auswärtsspiel in Nizza Beteiligte vor Gericht.

AG Berlin-Tiergarten zu Nazi-Angriff auf Jamaikaner: Der Neonazi Maurice P. ist vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung und Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass P. einen Jamaikaner mit einem Cuttermesser am Hals verletzt, Gäste einer linken Szenekneipe attackiert und außerdem den Hitlergruß gezeigt hat, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm).

Recht in der Welt

Israel - Justizreform: Rechtsprofessorin Rivka Weill erläutert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) den Streit um die geplante Reform der Richterernennung.

Juristische Ausbildung

Hausarbeiten: Im Gespräch mit LTO-Karriere (Franziska Kring) erläutert Rechtsprofessor Matthias Jahn, wie die erste juristische Hausarbeit im Studium gelingt und was Korrektor:innen erwarten, damit die Arbeit als bestanden bzw. mit Prädikat bewertet wird.

Sonstiges

Friedrichstraße: Die Berliner Friedrichstraße ist von Verkehrssenatorin Bettina Jarrasch (Grüne) umgewidmet worden. Ab kommendem Montag ist die Friedrichstraße eine Fußgängerzone und damit für den Autoverkehr erneut gesperrt. Die Straße soll mit Sitzmöbeln bestückt und begrünt werden. Im Oktober 2022 war eine Straßensperrung nach Auslaufen eines Modellprojektes gerichtlich gekippt worden. Es berichten taz-berlin (Bert Schulz) und LTO.

Libra: Das Bundesjustizministerium hat den Berliner Rechtsprofessor Christoph Möllers mit der Prüfung beauftragt, ob das Libra-Rechtsbriefing gegen das Gebot der Staatsferne der Presse verstößt. Libra ist ein Angebot der Juris GmbH, die mehrheitlich der Bundesrepublik Deutschland gehört. Ein Ergebnis soll Ende Februar vorliegen. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDVZ), der jüngst mit einer Klage drohte, begrüßte die Gutachtenvergabe. LTO (Hasso Suliak) berichtet.

Das Letzte zum Schluss

Ganz schön spiessig: Die Dönerkette von Fußball-Profi Lukas Podolski heißt "Mangal Döner". Doch um die Rechte an der Marke "Mangal" ist Streit entbrannt, wie bild.de (Hans-Wilhelm Saure) berichtet. So hat die indische Traditionsfirma "M Motilal Masalawala" beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum Widerspruch gegen die Anmeldung von drei Wortmarken für Podolskis Döner-Kette "Mangal Döner" eingelegt, da sie selbst seit Jahrzehnten die Rechte an der Marke "Mangal" innehabe. Podolskis Rechtsanwalt hat jedoch schon angekündigt, dass eine einvernehmliche Lösung gesucht werden soll.

 

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LTO/jpw/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. Januar 2023: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50886 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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