EuGH billigt Minderung des Reisepreises bei Corona-Maßnahmen am Urlaubsort. Justizministerium will Gerichtsstandort Deutschland mit englischen Verhandlungen attraktiver machen. FDP für Generationenschnitt im Staatsangehörigkeitsrecht.
Thema des Tages
EuGH zu Corona-Maßnahmen bei Pauschalreisen: Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass Corona-Maßnahmen während einer Pauschalreise eine Minderung des Reisepreises rechtfertigen können. Bei Nichterbringung oder mangelhafter Erbringung der vertragsgemäßen Leistung hafte der Reiseveranstalter verschuldensunabhängig (wenn das Problem nicht vom Reisenden verursacht wurde). Dass der Reisende auch im Heimatland von Corona-Maßnahmen betroffen gewesen wäre, ändere nichts an der Haftung des Reiseveranstalters. Das vorlegende Landgericht München I muss nun klären, ob die Sperrung des Hotelpools, der fehlende Zugang zu den Stränden Gran Canarias sowie das Entfallen des Animationsprogramms von den vertraglichen Leistungszusagen abweicht. FAZ (Marcus Jung), tagesschau.de (Celine Zeck/Claudia Kornmeier) und LTO berichten.
Rechtspolitik
Commercial Courts: FAZ-Einspruch (Stephan Klenner) stellt im Frage-und-Antwort-Format ein exklusiv vorliegendes Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums vor. An Oberlandesgerichten und ausgewählten Landgerichten sollen sog. "Commercial Courts" eingerichtet werden, an denen große Wirtschaftsprozesse komplett auf Englisch geführt werden können. Dadurch soll die Attraktivität des Gerichtsstandort Deutschlands im Wettbewerb mit anderen Staaten, aber auch mit privaten Schiedsgerichten, gestärkt werden.
Einbürgerung: Die Welt (Ricarda Breyton) stellt die Diskussion in der Ampel-Koalition um mehrfache Staatsangehörigkeiten dar. Im Referentenentwurf des von Nancy Faeser (SPD) geführten Innenministeriums, der vorige Woche in die Ressortabstimmung ging, wird auf das grundsätzliche Ziel verzichtet, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Die FDP trage das Anliegen im Grundsatz mit, möchte aber die Weitergabe der Mehrstaatigkeit über mehrere Generationen z.B. durch einen "automatischen Generationenschnitt von Gesetzes wegen" begrenzen, etwa ab der Enkel-Generation. Grüne und SPD wehren sich dagegen, insbesondere weil sich Menschen mit Migrationsgeschichte dann doch wieder zwischen der deutschen und ihrer anderen Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Hakan Demir (SPD) bezeichnete dies als "Optionspflicht durch die Hintertür".
Coronaregeln: Die FDP und der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Manne Lucha (Grüne, BaWü), fordern weitere bundesweite Lockerungen bei den verbliebenen Regeln zur Coronaeindämmung bereits ab Februar. Wie die taz (Frederik Eikmanns) schreibt, betrifft das vor allem die Maskenpflicht im öffentlichen Fernverkehr. Bisher ist deren Auslaufen erst am 7. April vorgesehen.
In ihrem Kommentar warnt Christina Berndt (SZ) vor einer vorzeitigen Aufhebung und plädiert zum Schutz des Gesundheitssystems angesichts der nach wie vor endemischen Verbreitung des Corona-Virus und anderer Atemwegserkrankungen für eine Beibehaltung der Maskenpflicht bis Ende März.
Selbstbelastungsfreiheit: Auf LTO fordert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sarah Zink umfassendere Regelungen von Aussageverweigerungsrechten bzw. Beweisverboten. An vielen Stellen des (Verwaltungs-)Rechts fordere der Staat sanktionsbewehrt Auskünfte von Bürger:innen, ohne dabei dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit in (möglichen) Strafprozessen gerecht zu werden. Richterrechtliche Verwertungsverbote in einzelnen Fällen seien nicht ausreichend.
Europaparlament und Transparenz: Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) hat Vorschläge vorgelegt, um die Transparenz- und Lobbyregeln des Europaparlaments zu verschärfen. So sollen Parlamentarier:innen künftig alle dienstliche Treffen, Reisen und Geschenke offenlegen und innerhalb einer Abkühlungsfrist von zwei Jahren nach Ende des Mandats keine Lobbyarbeit machen dürfen. So genannte Freundschaftsgruppen mit Drittstaaten sollen verboten werden. Die taz (Eric Bonse) berichtet.
Justiz
EuGH zu Diskriminierung und Vertragsfreiheit: Die Ablehnung einer Vertragslängerung mit einem freien Mitarbeiter darf im Rahmen stabiler Rechtsbeziehungen nicht auf dessen sexuelle Orientierung gestützt werden. Die EU-Antidiskriminierungs-Richtlinie von 2000 sei auch auf selbständige Erwerbsarbeit anwendbar. Dies entschied der EuGH im Fall eines polnischen Fernsehsenders, der nach Bekanntwerden der Homosexualität eines freien Mitarbeiters keinen neuen Monatsvertrag mehr abschließen wollte. FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath) und LTO berichten.
EuGH zu DSGVO-Auskunft: Laut EuGH haben die für die Datenverarbeitung Verantwortlichen auf Anfrage des Betroffenen grundsätzlich Auskunft darüber zu erteilen, an wen seine personenbezogenen Daten weitergegeben werden. Anlass für die Entscheidung war der Fall eines Bürgers, der bei der Österreichischen Post Auskunft über die Weitergabe seiner Daten beantragte. LTO berichtet.
BVerfG zum Europäischen Patentamt: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Senatsbeschluss festgestellt, dass das ab 2016 verbesserte Rechtsschutzsystem des Europäischen Patentamtes rechtsstaatliche Mindeststandards erfülle. Maßnahmen zwischenstaatlicher Organisationen, denen Deutschland nach Artikel 24 GG beigetreten ist, seien nicht direkt am Maßstab des Grundgesetzes zu messen. FAZ (Katja Gelinsky) und LTO (Katharina Uharek) berichten.
BVerwG zum BND-Auswahlverfahren: Der Bundesnachrichtendienst muss Bewerber:innen, die wegen Sicherheitsbedenken für eine Ausbildung abgelehnt wurden, die Gründe mitteilen - obwohl dies im Sicherheitsüberprüfungsgesetz 2017 ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines in Russland geborenen, abgelehnten Anwärters. Wie LTO erläutert, kann jedoch das Bundeskanzleramt eine Sperrerklärung abgeben, was zur Folge hätte, dass die tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko einem anderen Senat vorgelegt würde. Dieser entscheide dann per In-Camera-Verfahren darüber, ob ein ausreichender Grund für die Geheimhaltung vorliege.
BVerwG zu Lebensarbeitszeitkonto für Richter:innen: Anders als Beamt:innen können Richter:innen keine Arbeitsstunden auf ein Lebensarbeitszeitkonto gutgeschrieben bekommen, um schließlich entsprechend früher in Pension gehen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht hält diese Ungleichbehandlung für gerechtfertigt. Aus der richterlichen Unabhängigkeit folge nicht die Pflicht zur Ableistung einer bestimmten Anzahl an Stunden, sondern lediglich zur Erledigung eines bestimmten Pensums an Fällen. LTO berichtet.
BGH – Datenschutzverstöße der Konkurrenz: Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Unternehmen - auch ohne eine eigene Rechtsverletzung geltend zu machen - gegen Konkurrenz-Unternehmen wegen Datenschutzverstößen vor die Zivilgerichte ziehen dürfen. Im konkreten Fall ging es um einen Streit zwischen Apotheken. Der EuGH hatte vergangenen April lediglich für Verbraucherschutzverbände klargestellt, dass diese auch ohne Auftrag gegen Datenschutzverstöße von Unternehmen klagen können. FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten.
BFH – Solidaritätszuschlag: Kurz vor der für kommenden Dienstag angesetzten Verhandlung am Bundesfinanzhof über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags hat das von Christian Lindner (FDP) geführte Bundesfinanzministerium seinen Verfahrensbeitritt zurückgenommen. Als bekannter Gegner des Solidaritätszuschlages sehe es Lindner laut SZ (Wolfgang Janisch/Henrike Roßbach) offenbar nicht ein, diesen nun vor Gericht – wie vom Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) geplant – verteidigen zu müssen.
VG Aachen zu Lützerath/Mahnwache: In zwei weiteren Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Aachen nun auch die polizeilich verfügte Verlegung von zwei Mahnwachen gegen das Abbaggern Lützeraths als zulässig eingestuft. Die ursprünglichen Standorte auf den RWE-Grundstücken seien jedenfalls seit dem 10. Januar wegen des Aufenthalts- und Betretungsverbotes des Kreises Heinsberg nicht mehr dem allgemeinen Publikum zugänglich. LTO berichtet.
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Im Strafverfahren um die aus dem Grünen Gewölbe in Dresden gestohlenen Juwelen will die Staatliche Kunstsammlung Dresden nun Schadensersatzansprüche im Wege eines Adhäsionsantrags geltend machen. Die Höhe müsse noch festgestellt werden. Es geht dabei laut spiegel.de sowohl um die Schäden am entwendeten Schmuck als auch am Gebäude und den Vitrinen.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Um der Verteidigung sowie der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zu geben, den Kronzeugen der Anklage, Oliver Bellenhaus, ausführlich zu befragen, ist die Vernehmung des Hauptangeklagten, Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, laut LTO verschoben worden. Die Vernehmung sollte eigentlich am 19. Januar beginnen. spiegel.de (Martin Hesse) schreibt indes über die weiteren Aussagen von Bellenhaus, der vor allem den Ex-Buchhalter Stephan von Erffa schwer belastet und ihm vorwirft, Zahlen für die gefälschten Bilanzen geliefert zu haben.
LG Frankfurt/M. - Deutschkenntnisse von Schöffen: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. wurde in einem Mordprozess kurz nach Prozessbeginn einer der beiden Schöffen vom Gericht seines Amtes entbunden. Die Verteidigung hatte den Schöffen abgelehnt, weil es ihm bei der Vereidigung nicht gelungen war, den Eid in verständlichem Deutsch nachzusprechen. bild.de (Daniela Pfad/Michaela Steuer) berichtet.
AG Berlin-Tiergarten – rassistischer Angriff auf Dilan S.: In der taz (Gareth Joswig) erscheint ein ausführlicher Vorbericht zu dem am Montag beginnenden Prozess am Amtsgericht Tiergarten rund um den Angriff von sechs Erwachsenen auf die damals 17-jährige Dilan S. Sie sollen S. am 16. Januar letzten Jahres erst in der Straßenbahn rassistisch beleidigt und nach dem Ausstieg gemeinschaftlich bedroht und verprügelt haben. Bekannt wurde der Fall, weil ein von S. aus dem Krankenhaus gesendetes Instagram-Video schnell viral ging. Für das Verfahren ist bislang ein Tag angesetzt.
GenStA Berlin – Finanzminister Lindner: Der Tsp (Jost Müller-Neuhoff) befasst sich ausführlich mit den Reaktionen auf die Auskunft der Berliner Generalstaatsanwaltschaft zu ihrer Vorprüfung bezüglich der Vorwürfe gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP). Laut GenStA'in Margarete Koppers war § 4 des Berliner Pressegesetzes die Grundlage für die Beantwortung einer Anfrage des Tsp. Eine Aussage über einen etwaigen Anfangsverdacht sei damit noch nicht getroffen. Auch sei die tatsächliche Grundlage der Vorwürfe rund um eine Kreditvergabe an Lindner lange öffentlich bekannt gewesen. Eine Sprecherin der Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) erklärte zudem, die Justizverwaltung sei an der Entscheidung über die Auskunft nicht beteiligt gewesen.
Auch Libra (Pia Lorenz) widmet sich den aktuellen Entwicklungen und legt dar, wer für eine Immunitätsaufhebung zuständig ist und ob in der Mitteilung eine Persönlichkeitsverletzung Lindners zu sehen sei. Dies wird unter Berufung auf den Presse- und Äußerungsrechtler Martin W. Huff verneint.
Recht in der Welt
Spanien – Katalonien-Konflikt: Nach einer kürzlich in Spanien in Kraft getretenen Reform des Strafrechts ist der Europäische Haftbefehl für den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdement vom Vorwurf des "Aufstands" in den des "Ungehorsams" und der "Veruntreuung öffentlicher Gelder" umgeschrieben worden. Anlass der Abmilderung der Strafandrohung war laut taz (Reiner Wendler), dass die Rechtsordnungen anderer EU-Länder den Tatbestand des "Aufstands" nicht kannten und deshalb eine Auslieferung ablehnten.
Österreich – Korruptionsstrafrecht: Die schwarz-grüne Koalition in Österreich plant eine Verschärfung des Korruptionsstrafrechts in zwei Punkten. Laut SZ (Cathrin Kahlweit) soll es künftig auch strafbar sein, als Kandidat für ein Amt oder Mandat gegen einen Vorteil für die Zeit nach der Wahl pflichtwidriges Handeln zu versprechen. Außerdem soll der so genannte Ämterkauf unter Strafe gestellt werden. Gemeint sind Zahlungen an Parteiverantwortliche, um ein politisches Amt zu erhalten.
USA – FTX-Abwicklung: Im Zuge der insolvenzrechtlichen Abwicklung von FTX, einer Handelsplattform für Kryptowährungen, hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mehr als fünf Milliarden Dollar an Bargeld und anderen liquiden Mitteln aufgespürt. In welchem Umfang damit Forderungen der Gläubiger:innen bedient werden können, ist laut LTO unklar geblieben.
Sonstiges
beA: Libra (Denise Dahmen) befasst sich ausführlich mit dem Austausch der beA-Karten für die Einführung der Fernsignatur im vergangenen Jahr und geht dabei auf die diversen Pannen und wechselseitigen Vorwürfe der Beteiligten ein.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/jpw/chr
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2023: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50741 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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