Die Minister Buschmann und Özdemir unterstützen Regelung zum Containern in der RiStBV. Im Verfahren um den Einbruch ins Grüne Gewölbe zeichnet sich eine Verständigung ab. In den USA wird ein Angeklagter bald von einem KI-Robot verteidigt.
Thema des Tages
Containern: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sprechen sich dafür aus, dass bei Entnahme von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern künftig das Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls unter bestimmten Voraussetzungen nach § 153 StPO eingestellt wird. Voraussetzung soll sein, dass keine Sachbeschädigung und kein erheblicher Hausfriedensbruch vorliegt und keine Gesundheitsgefahren entstanden sind. Die Minister unterstützen damit einen Vorschlag des Landes Hamburg zur Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV). Die RiStBV-Verwaltungsvorschrift kann von den Ländern allerdings nur im Konsens geändert werden. Der Hamburger Antrag aus dem Jahr 2021 wurde bisher von vielen Ländern abgelehnt. Buschmann und Özdemir setzen sich nicht für eine Entkriminalisierung des Containerns im Strafgesetzbuch ein, obwohl die Ampel-Koalition hierfür im Bundestag die erforderliche Mehrheit hätte. FAZ (Katja Gelinsky), SZ (Constanze von Bullion), taz (Christian Rath) und spiegel.de berichten.
Rechtspolitik
Blutspende: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) möchte die aktuell geltende Blutspende-Einschränkung für homosexuelle Männer, die nicht monogam leben, abschaffen. Er schlägt eine Änderung des Transfusionsgesetzes vor, mit der die Bundesärztekammer verpflichtet werden soll, ihre Blutspende-Richtlinien innerhalb von vier Monaten entsprechend zu ändern. Dies sei erforderlich, um die Diskriminierung homosexueller Männer zu beenden. RND und zeit.de (Tobias Dorfer) berichten.
§ 218 StGB: In einem Pro und Contra in der SZ diskutieren Meredith Haaf und Ronen Steinke die von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) geforderte Abschaffung von Paragraf 218 Strafgesetzbuch. Es sei dringend nötig, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren, betont Meredith Haaf in ihrem Pro. Ein gesetzlicher Rahmen dafür gehöre ins Sozial- und nicht ins Strafgesetzbuch. Ronen Steinke dagegen meint in seinem Contra, sobald aus einer befruchteten Eizelle ein Lebewesen werde, sei eine Abwägung zwischen den Rechten des ungeborenen Lebens und denen der Schwangeren erforderlich; genau dies sehe § 218 Strafgesetzbuch vor.
Waffen: Nun berichten auch SZ (Markus Balser) und taz (Konrad Litschko) ausführlich über die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beabsichtigte Verschärfung des Waffenrechts. Die FDP hat Widerstand angekündigt.
Justiz
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Im Verfahren wegen Einbruchs in das Dresdner "Grüne Gewölbe" im November 2019 wurden in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Dresden die Sondierungsgespräche zwischen Staatsanwaltschaft und einem Teil der Verteidigung öffentlich erläutert. Die Kammer stellte den fünf Angeklagten, denen eine Tatbeteiligung nachzuweisen war, Haftstrafen zwischen fünf Jahren neun Monaten und sechs Jahren neun Monaten in Aussicht. Dies gelte allerdings nur für den Fall, dass die Angeklagten glaubhafte Geständnisse ablegten und sich zu Planung, Vorbereitung und ihrer Beteiligung an den Taten erklärten. Für vier der sechs Beschuldigten sei dies seitens der Verteidigung bereits zugesagt worden. Weil einige der von Verteidigern kurz vor Weihnachten an die Polizei übergebenen Schmuckstücke erheblich beschädigt und manche der gestohlenen Stücke sogar fehlten, korrigierte das Gericht den zunächst zugesagten Strafrahmen nach oben. SZ (Iris Mayer/Verena Mayer), FAZ (Stefan Locke), spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO berichten.
Ex-Bundesrichter Thomas Fischer wundert sich auf LTO über die Empörung, die die Möglichkeit eines Straferlasses etwa bei der BILD-Zeitung ausgelöst hat und stellt klar, dass die Anwendung von § 46 Abs. 1 und 2 Strafgesetzbuch nicht nur einfachgesetzlich vorgesehen, sondern auch verfassungsrechtlich geboten sei.
BVerfG – Wahlen in Berlin: Rechtsprofessor Ulrich Battis hält es für nahezu ausgeschlossen, dass die gegen die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs gerichtete Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird. Es werde daher bei der kompletten Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar bleiben. Battis hat in dem Verfahren eine Stellungnahme für die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus abgegeben. taz berlin (Stefan Alberti) und LTO berichten.
BGH zu Betriebsratsvergütung: Die Frage, ob sich VW-Manager bei der Bewilligung von hohen Bezügen für VW-Betriebsräte strafbar gemacht haben, muss vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig erneut verhandelt werden, so der Bundesgerichtshof. Das Landgericht Braunschweig hatte 2021 die Einstufung der Betriebsräte in hohe Entgeltgruppen objektiv als Untreue gewertet, die Angeklagten allerdings mit der Begründung freigesprochen, die Entscheidungsträger seien davon ausgegangen, keine Pflichtverletzung zu begehen. Der BGH hielt es zwar für denkbar, dass in solchen Fällen eine Untreue vorliegt, hob das Braunschweiger Urteil aber auf, weil die Feststellungen nicht den gesetzlichen Darstellungsanforderungen genügen. FAZ (Katja Gelinsky/Christian Müßgens), Hbl (René Bender/Stefan Menzel/Volker Votsmeier) und LTO berichten.
OVG NRW zu Lützerath: Wie LTO berichtet, ist das von Klimaaktivist:innen angestrengte Eilverfahren gegen das vom Kreis Heinsberg ausgesprochene Aufenthaltsverbot in Lützerath auch in zweiter Instanz gescheitert. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster hat die Allgemeinverfügung zur Räumung des Ortes Bestand. Das Betreten von Lützerath sei auch nicht infolge eines Klimanotstands gerechtfertigt. Der Beschluss ist unanfechtbar.
LAG SH zur Erreichbarkeit von Beschäftigten in der Freizeit: Im September letzten Jahres hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden, dass Beschäftigte außerhalb der Arbeitszeiten nicht für ihre Vorgesetzten erreichbar sein müssen. Damit gab das Gericht der Klage eines Notfallsanitäters statt, der als Springer eingesetzt werden sollte und hierüber außerhalb der Arbeitszeiten informiert worden war. Nach Auffassung des Gerichts übe ein Arbeitgeber mit einer Änderung des Dienstplans zwar sein Direktionsrecht zulässig aus, die Änderung müsse dem Mitarbeiter aber auch zugehen. Daran fehle es, sofern der Mitarbeiter lediglich in seiner Freizeit über eine Änderung des Dienstplans informiert werde. LTO berichtet über das jetzt veröffentlichte Urteil.
LAG SH zu Kündigung wegen Beleidigung: Rechtsprofessor Arnd Diringer erinnert im Expertenforum Arbeitsrecht an ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2010. Das Gericht hatte damals entschieden, dass einem bei einer Spedition angestellten Kraftfahrer, der einen Mitarbeiter der Liegenschaftsverwaltung mehrfach als "Arschloch" bezeichnet hatte, nicht ohne vorherige Abmahnung gekündigt werden dürfe.
OLG Frankfurt/M. zu Hundehalterhaftung: Wenn ein Hund auf den Fahrradadweg rennt und dadurch den Sturz eines Fahrradfahrers verursacht, haftet der Tierhalter wegen der verwirklichten Tiergefahr. Im Falle eines Fahrradfahrers, der sich aufgrund des Sturzes an Hand und Arm verletzt hatte, sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro allerdings ausreichend, so das Oberlandesgericht Frankfurt/M. laut LTO.
LG Braunschweig – Klimaschutz/VW: Das Landgericht Braunschweig verhandelte über die Klage der Greenpeace-Geschäftsführer Roland Hipp und Martin Kaiser sowie der Fridays-for-Future-Aktivistin Clara Mayer gegen den Volkswagen-Konzern. Diesem müsse nach Auffassung der Kläger, die von der Organisation Greenpeace unterstützt werden, ab 2030 der Verkauf von Verbrennermotoren untersagt werden. Zudem müsse der Konzern verpflichtet werden, bis 2030 seinen CO₂-Ausstoß gegenüber 2018 um 65 Prozent zu senken. Das Gericht hat in der Verhandlung angedeutet, dass die zulässige Klage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Da sich hier Privatpersonen und ein Unternehmen gegenüberstehen, hätten die Grundrechte keine unmittelbare Wirkung. Die Anwältin der Kläger:innen, Roda Verheyen, kündigte bereits an, bei einem entsprechenden Urteil in Berufung gehen zu wollen. Das Gericht will seine Entscheidung am 31. Januar verkünden. FAZ (Katja Gelinsky), taz-nord (Nadine Conti) und LTO berichten.
manager-magazin.de (Claas Tatje) interviewte vor dem Prozess Rechtsanwältin Roda Verheyen, die nicht nur die drei Kläger vor dem Landgericht Braunschweig vertritt, sondern unter anderem auch 2021 den Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erstritten hat.
VG Berlin zu gefährlichem Hund: Das Verwaltungsgericht Berlin hat einen Hund der Rasse American Bully als "gefährlichen Hund" im Sinne des Hundegesetzes eingestuft, obwohl American Bullys nicht in der Liste der gefährlichen Hunde aufgeführt sind. Die konkrete Hündin weise allerdings wesentliche Merkmale eines American Staffordshire Terriers auf, der als gefährliche Hunderasse gelte – dies sei für die Einstufung als "gefährlicher Hund" ausreichend. LTO berichtet.
AG Flensburg zu Klimaprotest: Rechtsprofessor Till Zimmermann kritisiert in der FAZ ein Urteil des Amtsgerichts Flensburg, das im November 2022 einen Baumbesetzer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs mit der Begründung freigesprochen hatte, es liege ein rechtfertigender Notstand vor. Nach Auffassung des Autors handelt es sich bei dem Urteil um einen "geschickt begründeten Akt richterlichen Ungehorsams", der in der Revision vor dem Oberlandesgericht keinen Bestand haben dürfe.
GenStA Berlin – Finanzminister Lindner: Constantin van Lijnden (Welt) bezeichnet die Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft, die Aufhebung der Immunität von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu überprüfen, um "förmlich ermitteln zu können", als klar rechtswidrig und skandalös. Selbst über tatsächliche Ermittlungsverfahren und sogar Anklageerhebungen dürften Gerichte und Staatsanwaltschaften aufgrund der vorverurteilenden Wirkung nur unter sehr strengen Voraussetzungen informieren; erst recht müsse dies folglich für die bloße Prüfung von Ermittlungen gelten.
BVerfG – Geschäftsverteilung: LTO (Christian Rath) stellt die neue Geschäftsverteilung am Bundesverfassungsgericht vor. So wird künftig etwa für Verfahren, in denen es um Ermittlungsbefugnisse nach der Strafprozessordnung geht, nicht mehr der Zweite Senat, sondern der Erste Senat zuständig sein. Grund dafür sei eine Überlastung des Zweiten Senats u.a. aufgrund der vielen Organklagen der AfD. In Teilen der Netzöffentlichkeit werde dies als Chance für den Datenschutz angesehen, da der Erste Senat den Ruf habe, liberaler zu sein als der Zweite Senat. Am Ersten Senat übernimmt Richterin Yonne Ott die Zuständigkeit für die StPO-Ermittlungsmaßnahmen.
Recht in der Welt
USA – Robot Lawyer: Laut FAZ (Marcus Jung) will der Unternehmer Joshua Browder in den kommenden Wochen einen Angeklagten vor einem US-Gericht mittels eines von Browders Firma DoNotPay entwickelten "Robot Lawyers" aus der Ferne verteidigen. Über einen Kopfhörer soll der Roboter den Prozess verfolgen und der Partei zuflüstern, was diese sagen soll. Insbesondere von Juristen gibt es massive Kritik an einem solchen Einsatz von künstlicher Intelligenz bei Gericht, die in den USA allerdings – im Gegensatz zu Deutschland – grundsätzlich zulässig ist.
USA – Joe Biden/Dokumente: In zeitweise von US-Präsident Joe Biden als Büro genutzten Räumlichkeiten wurden einige vertrauliche Dokumente aus seiner Zeit als Vizepräsident unter Barack Obama gefunden. Mittlerweile ist die Staatsanwaltschaft mit der Überprüfung der Dokumente beauftragt worden, auch das FBI ermittelt. FAZ (Fabian Fellmann) und spiegel.de berichten. Andreas Ross (FAZ), Bernd Pickert (taz) und Clemens Wergin (Welt) gehen in ihren Kommentaren davon aus, dass der ehemalige US-Präsident Trump den Vorfall selbst dann politisch für sich nutzen werde, wenn die Ermittlungen gegen Biden kein strafrechtlich relevantes Handeln ergeben sollten.
Belgien/EU – Korruption durch Katar: Der Ex-Sekretär des LIBE-Ausschusses im Europäischen Parlament Emilio De Capitani setzt sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit der Frage auseinander, ob der als "Qatargate" bezeichnete Korruptionsskandal rund um das Europaparlament nur die Spitze des Eisbergs ist.
Griechenland – Prozess gegen Seenotretter: Laut spiegel.de hat in Griechenland der Prozess gegen die Seenotretterin Sarah Mardini und 23 weitere Aktivist:innen begonnen. Die Behörden werfen ihnen Spionage, Menschenhandel, Geldwäsche, gesetzwidrige Nutzung von Funkfrequenzen sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Ihnen drohen bis zu 25 Jahren Haft. Menschenrechtsorganisationen und EU-Abgeordnete bezeichnen das Verfahren als Versuch, Hilfsorganisationen einzuschüchtern.
Sonstiges
Gerichtsberichtserstattung im Radio: Vor 70 Jahren begann unter dem Titel "Aus der Residenz des Rechts" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die regelmäßige Radio-Berichterstattung über die Karlsruher Bundesjustiz. Im Nachfolgeformat SWR-RadioReportRecht blicken Gigi Deppe und Michael Reissenberger auf diese Ära zurück.
Libra: Die FAZ (Jochen Zenthöfer) wirft die Frage auf, ob das von der mehrheitlich in Staatshand befindlichen Juris GmbH gegründete journalistische Informationsportal "Libra – das Rechtsbriefing" möglicherweise ein "Verkündungsorgan von Marco Buschmann" ist und erläutert anhand einiger Beispiele, warum eine deutliche Nähe zur FDP zumindest naheliege.
Kommentarautor Maaßen: Andreas Rosenfelder (Welt) begrüßt die Entscheidung des C.H.Beck-Verlags, weiterhin an seinem Asylgrundrechts-Kommentator Hans-Georg Maaßen festzuhalten. Der Verlag solle sich durch erpresserische PR-Stunts nicht aus dem Konzept bringen lassen. Dagegen kritisiert Patrick Bahners (faz.net), dass sich der Stil Maaßens nicht mit der Sachlichkeit vertrage, die man von einem Autor juristischer Kommentarliteratur erwarte; dem Verlag wirft er vor, sich dazu nicht zu äußern.
Klimaproteste: Reinhard Müller (FAZ) kritisiert unter dem Titel "Traum von einem anderen Reich" den zivilen Ungehorsam der Letzten Generation und der Besetzer von Lützerath. "Es ist erstaunlich, wie schnell die Blockaden von Straßen und womöglich auch bald Steinwürfe auf Polizisten in einem geneigten öffentlichen Umfeld zu legitimen Widerstandsakten gegen eine uneinsichtige Politik umgewertet werden." Verstöße der Bundesregierung gegen Klimaverträge dürften aber niemals eine Rechtfertigung für kriminelles Handeln sein.
Identitätspolitik: Rechtsprofessor Peter Oestmann setzt sich in der FAZ mit der gesellschaftlichen Forderung nach mehr Diversität auseinander und betont, dass die hoheitliche Durchsetzung einer tatsächlich gleichen Teilhabe nur durch gezielte rechtliche Ungleichbehandlung und Freiheitsbeschränkungen möglich ist. Es handele sich um einen Übergang vom Territorialitätsprinzip zum Personalitätsprinzip. Insofern warnt der Autor vor einer "Wiederkehr längst überwundener ständischer Strukturen unter dem Deckmantel der Diversität und der Identitäts-Wokeness".
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo/chr
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Die juristische Presseschau vom 11. Januar 2023: . In: Legal Tribune Online, 11.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50711 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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