Die juristische Presseschau vom 30. Dezember 2022: Klage gegen Über­ge­winn­ab­gabe / Lie­fer­ket­ten­ge­setz tritt in Kraft / Meloni-Dekret zu See­not­ret­tung

30.12.2022

ExxonMobil klagt vor dem EuG gegen die Abschöpfung von Übergewinnen. Das deutsche Lieferkettengesetz tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft. Italien verschärft seine Regelungen für zivile Seenotrettung.

Thema des Tages

EuG – Übergewinnabgabe: Der US-amerikanische Mineralölkonzern ExxonMobil klagt vor dem Europäischen Gericht gegen die Abschöpfung von besonders hohen Gewinnen, die bei Öl- und Gasunternehmen wegen des russsischen Angriffskrieg gegen die Ukraine angefallen sind. Unternehmen müssen eine Sonderabgabe von 33 Prozent auf alle Gewinne bezahlen, die mehr als 20 Prozent über einem vierjährigen Durchschnittswert liegen. Diese Übergewinnabgabe ist ein Teil des EU-Maßnahmenpakets zur Senkung der Energiepreise, das im September beschlossen wurde. Dadurch sollen Einnahmen bis zu 25 Milliarden Euro generiert werden, um die Energiekosten der Endkunden zu subventionieren. ExxonMobil glaubt, dass die EU aus zweierlei Gründen ihre gesetzgeberischen Kompetenzen überschritten habe. Zum einen sei die EU nicht berechtigt, Steuern zu erheben. Zum anderen sei das von der EU-Kommission und dem Rat der EU gewählte vereinfachte Verfahren nach Art. 122 AEUV, wonach in Notlagen Rechtsnormen auch ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments beschlossen werden können, nicht einschlägig. Die EU-Kommission vertritt die Auffassung, dass die Übergewinnsteuer europarechtskonform ist. Ein Urteil wird voraussichtlich erst nach Auslaufen der Steuer Ende 2023 ergehen. Es berichten SZ (Hubert Wetzel), FAZ, Hbl (Katharina Kort), LTO und tagesschau.de (Constantin Röse).

Rechtspolitik

Lieferketten und Menschenrechte: Die taz (Ann Esswein/Leila van Rinsum), Hbl (Florian Kolf u.a.) und zeit.de befassen sich mit dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das ab dem 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Danach müssen Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden Risikoanalysen durchführen, ein Risikomanagement und Beschwerdemechanismen einrichten und öffentlich darüber berichten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) kontrolliert diese Berichte. Es geht Beschwerden nach, kann aber auch stichprobenartig Unternehmen in bestimmten Risikobereichen untersuchen. So kann das BAFA Personen vorladen und Geschäftsräume betreten, um zu prüfen, ob Unternehmen das Nötige getan haben, um Missstände zu beenden. Im Falle von Verstößen kann die Behörde Bußgelder erheben. Im Mai kommenden Jahres soll eine EU-Richtlinie zu Lieferketten und Menschenrechten verabschiedet werden, die voraussichtlich strengere Vorgaben beinhalten wird.

Anja Müller (Hbl) begrüßt zwar die Intention des Gesetzes, weist aber auf Probleme bei der Umsetzung hin. Dennoch sollte das Gesetz nicht beklagt werden, "sondern dafür gekämpft werden, dass die Standards, die bereits 2011 von den Vereinten Nationen als Grundlage des Gesetzes verkündet wurden, endlich eingehalten werden".

Planungsbeschleunigung/Autobahnen: Ein Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht vor, dass der Bau vieler neuer Autobahnen "im überragenden öffentlichen Interesse" liegt und auch der "öffentlichen Sicherheit" dient. Dies soll den Bau neuer Autobahnen beschleunigen. Wissing begründet dies damit, dass die deutschen Straßen "jederzeit in der Lage sein müssen, militärisch notwendige Transporte mit erhöhten Lasten aufzunehmen", wie die SZ (Michael Bauchmüller) berichtet. Kritik unter Hinweis auf die Klimaschutzziele kommt vom Bundesumweltministerium, vom Umweltbundesamt und vom BUND.

Michael Bauchmüller (SZ) spricht sich gegen Wissings Vorhaben aus und weist darauf hin, dass bereits jetzt "mehr als 14 Prozent" der Fläche Deutschlands "asphaltiert, gepflastert, mit Häusern und Hallen zugebaut" sind. Das Bundesverkehrsministerium sollte lieber die "Mobilität jenseits des Autos" fördern. Der "wahre Mangel" liege im fehlenden Behördenpersonal zur Planung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur.

Corona-Maßnahmen: Die Rechtsprofessoren Volker Boehme-Neßler und Josef Franz Lindner kritisieren gegenüber bild.de die Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass es bezüglich der möglichen Aufhebung der Corona-Maßnahmen "nach drei Jahren Pandemie auf ein paar Wochen nicht ankommt". Sie betonen die jederzeit durchzuführende verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung. Daniel Deckers (FAZ) spricht sich mit Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit gegen die Beibehaltung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr aus und meint, dass "die Demokratie sich der illiberalen Züge zu entkleiden" habe.

Neue Gesetze 2023: Die FAZ (Katja Gelinksy/Marcus Jung) gibt einen Überblick über die wichtigsten im kommenden Jahr in Kraft tretenden Gesetze aus den Bereichen Energiewende, Steuern und Freibeträge, Gesundheit, Arbeit und Soziales, Menschenrechte und Umweltschutz sowie Verkehr. Unter anderem mit dabei: Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zum schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, höhere Grundfreibeträge, die Einführung des Bürgergeldes, das neue Lieferkettengesetz und das Deutschlandticket als Nachfolger des 9-Euro-Tickets.

Das Hbl (Carsten Herz) fasst die gesetzlichen Neuregelungen für den Immobilienbereich zusammen. Hierunter fällt u.a. das Bargeldverbot bei Immobilienkäufen und eine Änderung der Immobilienbewertung bei der Erbschaftssteuer.

Justiz

BVerwG in 2022: LTO (Hasso Suliak) fasst sieben wichtige Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts der vergangenen zwölf Monate zusammen. Vor allem pandemiebedingte Rechtsfragen beschäftigten das BVerwG. So urteilte das Leipziger Gericht, dass eine bayerische Ausgangssperre unverhältnismäßig ist, eine Impfpflicht für Soldat:innen hingegen zumutbar und damit rechtens. Außerdem entschied das BVerwG, dass auch Protestcamps der Versammlungsfreiheit unterfallen, sofern diese einen Bezug zur Meinungskundgabe haben oder logistisch notwendig sind.

OVG RhPf zu Tattoo von Polizeibewerber: Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz wies den Eilantrag eines abgelehnten tätowierten Polizeibewerbers ab. Zwar lasse sich nicht generell aus einer Tätowierung auf die "Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu schließen". Eine gegenteilige Bewertung könne sich aber aus dem Inhalt und der Ausgestaltung des Tattoos ergeben. Im vorliegenden Fall begründe die Tätowierung der Worte "Loyalty, Honor, Respect, Family" in der "Old English"-Schriftart Zweifel an der verfassungstreuen Ausrichtung des antragstellenden Polizeibewerbers, weil dies inhaltlich an die rechte Terror-Organisation "Old School Society" und die Gestaltung an die verbotene rechtsextremistische Vereinigung "Blood and Honour" erinnere. LTO berichtet.

LG Berlin – Ehrenmord durch Schwager: Der Spiegel (Julia Jüttner) berichtet über einen Mordprozess vor dem Landgericht Berlin. Der libanesische Angeklagte hatte seinen ebenfalls libanesischen Schwager erschossen, wohl weil er ihm die Schuld an dem Tod seiner 39-jährigen Schwester gab, die plötzlich eines natürlichen Todes gestorben war. Außerdem habe er die Wirksamkeit einer nach islamischem Recht geschlossenen Ehe der Schwester und des erschossenen Schwagers bezweifelt. Laut einer Zeugenaussage soll der Täter gesagt haben, dass der Getötete seiner "Schwester Kinder gemacht hat ohne Heiratsurkunde. Alle spucken auf uns". Eine psychiatrische Sachverständige wies darauf hin, dass der arbeitslose und drogensüchtige Angeklagte sich durch den Mord vermutlich Anerkennung innerhalb seiner Familie erhoffte. Auch seine Mutter habe ihn angestachelt.

VG Gelsenkirchen - Abschiebung nach Tadschikistan: Die taz (Andreas Wyputta) schildert den Fall des 32-jährigen Tadschiken Abdullohi Shamsiddin, der im Abschiebegefängnis Büren sitzt und mit einem Eilantrag am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen seine geplante Abschiebung in das autokratisch regierte Tadschikistan verhindern will, wo ihm Haft und Folter drohe. Shamsiddin, der seit 2009 in Deutschland lebt, sei Ex-Assistent des Vorsitzenden einer verbotenen islamischen Oppositionspartei. In Deutschland wird ihm vorgeworfen, dass er unter falscher Identität Asylanträge stellte, dass er 2012 wegen Vergewaltigung verurteilt wurde und dass er als Sozialbetreuer in einem Asylheim bei Misshandlungen durch Security-Angestellte nicht einschritt. Ein Unterstützerkreis setzt sich für ihn ein und glaubt ihm, dass die Vergewaltigungsvorwürfe nicht stimmen.

AG Mettmann zu Beleidigung durch AfD-Politiker: Das Amtsgericht Mettmann hat einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 300 Euro wegen Beleidigung gegen den AfD-Mitgründer und Bundestagsabgeordneten Martin Renner erlassen. Dieser hatte einer Ladenangestellten im Februar 2021 den Mittelfinger gezeigt, nachdem sie Renner zum Tragen einer medizinischen Maske aufforderte. Es berichten Welt (Frederik Schindler)LTO und bild.de.

GBA – Spionage/BND: Nachdem der Generalbundesanwalt Ermittlungen wegen Landesverrates in besonders schweren Fällen gegen den Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes Carsten L. aufgenommen hat, berichten FAZ (Helene Bubrowski), der Spiegel (Maik Baumgärtner u.a.) und focus.dewie wenig bisher über den Fall bekannt ist. Detlef Esslinger (SZ) ruft im "aktuellen Lexikon" frühere Strafverfahren wegen Landesverrates in Erinnerung.

StA Gießen – KZ-Wachmann Sachsenhausen: Die Staatsanwaltschaft Gießen hat Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Beihilfe zum Mord gegen einen 98-Jährigen eingeleitet. Der Mann soll von 1943 bis 1945 als Wachmann im KZ Sachsenhausen tätig gewesen sein. spiegel.de (Julia Jüttner) erinnert anlässlich des Falles an vorangegangene Strafurteile gegen ehemalige KZ-Beschäftigte.

Recht in der Welt

Italien – Seenotrettung: Am Mittwoch verabschiedete die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli) ein Gesetzesdekret mit verschärften Regelungen für zivile Seenotrettung, das ab Neujahr gelten soll. Demnach müssen private Rettungsschiffe nach einer Rettungsaktion sofort den von den italienischen Behörden angegeben Hafen ansteuern und dürfen keine weiteren Rettungen durchführen. Zudem dürfen die Geretteten nicht auf andere Schiffe gebracht werden. Schließlich müssen die Geretteten bei dem jeweiligen Flaggenstaat der Rettungsschiffe einen Asylantrag stellen. Verstoße können sowohl mit Geldstrafen bis zu 50.000 Euro als auch mit Festsetzungen der Schiffe geahndet werden. Kritik kommt von privaten Hilfsorganisationen. Es berichten FAZ (Thomas Jansen), taz (Michael Braun) und Tsp

Nikolas Busse (FAZ) verteidigt die neuen Regelungen und betont, dass Meloni damit ein "Wahlversprechen erfüllt". Busse kritisiert "Deutschland, das Seenotretter sogar mit Steuergeld unterstützt" und fordert eine europäische Lösung.

Ukraine – Deserteure: Das ukrainische Parlament hat im Schnellverfahren eine Verschärfung der Strafen für Soldat:innen, die die Befehle ihrer Vorgesetzen missachten oder gar desertieren, beschlossen. Nunmehr werden solche Handlungen mit einer Freiheitsstrafe von drei bis zu zwölf Jahren bestraft, wie das Hbl (Ivo Mijnssen) berichtet. Knapp 35.000 ukrainische Unterzeichner:innen einer Petition fordern ihren Präsidenten Selenski dazu auf, das strafverschärfende Gesetz nicht zu unterzeichnen.

Sonstiges

Cum-Ex/Olaf Scholz: Nun berichtet auch die SZ (Nicolas Richter/Henrike Roßbach), dass die Unionsfraktion im Bundestag erneut im Finanzausschuss Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu seiner Rolle bei der steuerrechtlichen Aufarbeitung der Cum-Ex-Delikte der Hamburger Warburg-Bank befragen will. 

Rechtsabteilung der DFL: Rechtsanwalt Béla Mayer beschreibt auf LTO die Arbeit der Jurist:innen bei der Deutschen Fußball Liga (DFL). Die Rechtsabteilung der DFL beschäftige sich unter anderem mit dem Lizenz- und Merchandisegeschäft, verbandsinternen Statuten und dem IT-Recht.

Shearman & Sterling und Hogan Lovells: Die internationalen Wirtschaftskanzleien Shearman & Sterling und Hogan Lovells sondieren eine Fusion, berichtet die FAZ (Marcus Jung). Es könnte eine Sozietät mit 3450 Anwälten und 3,6 Milliarden Dollar Jahresumsatz entstehen.

Das Letzte zum Schluss

Schlafend im Tesla auf der Autobahn: Ein 45-Jähriger nutzte die technischen Finessen seines Teslas, um während der Autobahnfahrt bei einer Geschwindigkeit von 110 km/h zu schlafen. Der Mann wachte erst nach 15 Minuten lauten Hupens durch ein begleitendes Polizeifahrzeug auf. Bei einer Kontrolle stellte die Polizei fest, dass der Mann drogentypische Ausfallerscheinungen zeigte und zudem in seinem Auto ein Lenkradgewicht installiert hatte, das dem Tesla-Auto vortäuschte, der Mann habe seine Hand steuernd am Lenkrad gehabt. Gegen den schlafenden Fahrer wird nun wegen Gefährdung des Straßenverkehrs ermittelt, wie spiegel.de berichtet.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Dezember 2022: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50616 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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