Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2022: Barley für Anti-Kor­rup­ti­ons­kultur / EuGH stärkt Mar­ken­schutz / EuGH schwächt Luft­g­renz­werte

23.12.2022

SPD-Politiker:innen fordern schärfere Maßnahmen gegen Korruption. Amazon haftet laut EuGH auch für Markenrechtsverletzungen durch Drittanbieter. Die Verletzung von EU-Luft-Grenzwerten führt nicht zu Schadensersatzansprüchen.

Thema des Tages

Korruption: Vor dem Hintergrund des Korruptionsskandals im Europaparlament sprechen sich die Vizepräsidentin des Europaparlaments Katarina Barley (SPD) und der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD) in der FAZ für strengere Regelungen zur Korruptionsbekämpfung aus. So sollten beispielsweise Drittstaaten ins Transparenzregister des Europaparlaments aufgenommen werden. Eine unabhängige Aufsichtsbehörde müsse die Einhaltung der Regeln kontrollieren; die Europäische Staatsanwaltschaft könnte mit Zuständigkeiten in diesem Bereich ausgestattet werden. Dringend erforderlich sei außerdem eine Überarbeitung von § 108e StGB, der die Bestechlichkeit von Abgeordneten unter Strafe stellt, bisher aber zu eng gefasst ist, wie die "Maskendeals" und die "Aserbeidschan-Connection" gezeigt hätten. Erforderlich sei der "Wandel hin zu einer Antikorruptionskultur".

Belgien/EU - Korruption durch Katar: Im Korruptionsskandal um das Europaparlament steht der Ex-Europaabgeordnete Pier Antonio Panzeri (S&D) und die von ihm geleitete NGO "Fight Impunity" (Straflosigkeit bekämpfen) immer mehr im Mittelpunkt der Ermittlungen, so die taz (Eric Bonse). Das zuständige Gericht in Brüssel verlängerte die gegen die Ex-EP-Vizepräsidentin Eva Kaili (S&D) verhängte Untersuchungshaft um einen Monat. FAZ, Hbl (Carsten Volkery) und spiegel.de berichten. 

Rechtspolitik

Erbschaftssteuer: Bayern plant, wegen der Änderung der Berechnungsgrundlagen der Erbschaftssteuer durch den Bund vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, so die FAZ (Katja Gelinsky). Die schon lange nicht mehr erhöhten Freibeträge seien inzwischen verfassungswidrig niedrig. Außerdem ist Bayern der Ansicht, die Länder müssten über die Ausgestaltung der Erbschaftsteuer selbst entscheiden dürfen.  

Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Auf dem Verfassungsblog beschäftigt sich der Doktorand Timo Laven mit dem jüngst veröffentlichten Zwischenbericht der Expertenkommission, die eingerichtet wurde, nachdem sich ein Berliner Volksentscheid 2021 für die Sozialisierung der dort ansässigen Wohnungsunternehmen aussprach. Die Kommission soll die Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens überprüfen, konnte sich bisher aber auf wenig einigen. Nach Auffassung des Autors seien die bisherigen Ausführungen zwar als Zwischenerfolg für die Befürworter der Vergesellschaftung zu werten, von "grünem Licht" könne allerdings keine Rede sein.

Justiz

EuGH zu Markenrechtsverletzung durch Drittanbieter: Der Europäische Gerichtshof hat im Streit zwischen dem französischen Designer Christian Louboutin und Amazon entschieden, dass Amazon grundsätzlich auch für die von Drittanbietern auf seinem Online-Marktplatz begangenen Markenrechtsverletzungen haftet, solange Amazon den Nutzern seiner Seite den Eindruck vermittelt, dass im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Waren verkauft werden. Es sei dann davon auszugehen, dass Amazon das eingetragene Zeichen selbst benutzt – selbst dann, wenn der Verkauf durch Dritte erfolgt. Im konkreten Verfahren ging es um Pumps der Marke Louboutin. LTO berichtet.

EuGH zu Entschädigung wegen Luftverschmutzung: Die Verletzung von EU-Luftgrenzwerten durch EU-Staaten gibt Bürger:innen, die aufgrund der Luftverschmutzung an gesundheitlichen Problemen leiden, keinen europarechtlichen Anspruch auf staatliche Entschädigung, so der Europäische Gerichtshof. Die EU-Staaten seien zwar dazu verpflichtet, für saubere Luft zu sorgen. Die Grenzwerte dienten jedoch dem allgemeinen Ziel, die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen. Individuelle Rechte Einzelner, durch deren Verletzung ein solcher Anspruch entstehen könnte, folgten daraus nicht. Betroffene könnten allerdings vor nationalen Gerichten darauf klagen, dass die Behörden Maßnahmen gegen Luftverschmutzung ergreifen. LTO berichtet.

BVerfG – Mord an Frederike von Möhlmann/Haftbefehl: Das Bundesverfassungsgericht hat eine einstweilige Anordnung vom 14. Juli wiederholt und den Haftbefehl gegen Ismet H. für weitere sechs Monate unter Auflagen ausgesetzt. H. war 1983 rechtskräftig vom Vorwurf freigesprochen worden war, die 17-jährige Frederike von Möhlmann vergewaltigt und getötet zu haben. Das Verfahren gegen ihn soll aber unter Nutzung des seit Dezember 2021 geltenden § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung wiederaufgenommen werden. Hiergegen hatte H. Verfassungsbeschwerde eingelegt. LTO berichtet.

BGH – Prospekthaftung: LTO (Lorenz Menkhoff) schildert die voneinander abweichenden Rechtsauffassungen des II. und XI. Senats des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis von spezieller Prospekthaftung und Prospekthaftung im weiteren Sinne. Obwohl die Frage sowohl in akademischer als auch in praktischer Hinsicht von großer Relevanz sei, habe eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen mangels Entscheidungserheblichkeit bislang noch nicht stattgefunden. 

BFH zu Gemeinnützigkeit und Freizeit: Der Bundesfinanzhof hat seine Rechtsprechung bekräftigt, dass Mitgliedsbeiträge für gemeinnützige Vereine, die in erster Linie der Freizeitgestaltung dienen, nicht bei der Einkommensteuer abgezogen werden können - auch dann nicht, wenn die Vereine zudem kulturelle Betätigungen fördern. Im konkreten Fall ging es um einen Verein, der mehrere Blasorchester unterhält. LTO berichtet.

VG Wiesbaden zu Fluggastdaten-Verarbeitung: Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in zwei Verfahren entschieden, dass konkrete Anhaltspunkte für eine terroristische Bedrohung vorliegen müssen, damit das Bundeskriminalamt Fluggastdaten nach dem Fluggastdatengesetz (FlugDaG) verarbeiten darf. Damit schloss sich das VG dem Europäischen Gerichtshof an, der im Juni die zugrundeliegende EU-Richtlinie einschränkend auslegte. Danach muss die Speicherung und Auswertung aller Fluggastdaten auf terroristische Straftaten und schwere Kriminalität mit einem objektiven Zusammenhang mit der Beförderung von Fluggästen beschränkt werden. LTO berichtet.

LG Düsseldorf zu Al-Zein-Clan: Wie spiegel.de schreibt, verurteilte das Landgericht Düsseldorf das Familienoberhaupt des Al-Zein-Clans wegen Geiselnahme und Sozialbetrugs zu sechs Jahren Haft. Der Clanchef soll unter anderem im September 2018  – zusammen mit seinen Söhnen – einen Mann in einen schallisolierten Kellerraum einer Shishabar verschleppt haben. Dort sei der Mann geschlagen, erpresst und bedroht worden. Auch die Ehefrau und die Söhne des Clanchefs wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das Gericht ordnete außerdem die Einziehung des Anwesens der Großfamilie sowie eines Geldbetrags in Höhe von 406.000 Euro an.

Recht in der Welt

USA – Demokratie: Rechtsprofessor Mathias Hong setzt sich auf LTO mit der Situation in den USA nach den erfolgten Midterm-Wahlen auseinander und konstatiert, dass die dortige Demokratie – trotz des "glimpflichen Ausgangs" der Wahlen – so stark gefährdet sei wie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg nicht mehr. Die Republikanische Partei agiere weitgehend verfassungswidrig. Beim Supreme Court sei zweifelhaft, ob er noch unabhängig und nach rechtlichen Maßstäben urteilt. 

Israel – Rechtsstaat Im Interview mit der taz (Judith Poppe) spricht der Verfassungsrechtler Adam Shinar über die geplanten juristischen Reformen der neuen Regierungsmehrheit in Israel, unter anderem über eine drohende Aushebelung der Gewaltenteilung und die Einführung der sogenannten Außerkraftsetzungsklausel, die es dem israelischen Parlament ermöglichen würde, das Oberste Gericht zu überstimmen, sofern dieses ein Gesetz als verfassungswidrig zurückweist. Der Schutz der Menschenrechte sei damit nicht mehr gewährleistet. 

Peter Münch (SZ) nennt die geplanten Reformen "bedrohlich" und die neu gewählte Regierung Israels unter anderem einen Platz für "Rassisten und Homophobe, für Verfechter eines illiberalen Staats oder einer jüdischen Theokratie". Auch Christian Meier (FAZ) sorgt sich darum, dass der Rechtsstaat in Israel beschnitten werden wird und malt eine düstere Prognose. 

UN-Sicherheitsrat/Myanmar: Wie die FAZ (Till Fähnders) berichtet, hat der UN-Sicherheitsrat erstmals eine Resolution zur Situation in Myanmar nach dem Militärputsch verabschiedet. China und Russland enthielten sich bei der Abstimmung, machten aber nicht von ihrem Vetorecht Gebrauch. Der UN-Sicherheitsrat fordert das Militärregime auf, die Gewalt zu beenden und alle willkürlich Inhaftierten freizulassen. Menschenrechtsorganisationen begrüßen die Resolution, kritisieren aber, dass der Sicherheitsrat keine konkreten Maßnahmen beschlossen habe, um die Forderungen auch durchzusetzen.

Schottland – Transgendergesetz: Wie zeit.de berichtet, stimmte eine deutliche Mehrheit des schottischen Regionalparlaments für einen Gesetzentwurf, der es Transmenschen erleichtern soll, ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Durch die Neuregelung entfällt die Pflicht, vor Änderung des Geschlechtseintrags ein medizinisches Gutachten einzuholen. Das Mindestalter wird von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt. Zudem wird die Dauer, in der ein Transmensch in seiner neuen Geschlechterrolle gelebt haben muss, von zwei Jahren auf drei Monate verkürzt.

Griechenland – Flüchtlingshelfer: Wie die taz (Ferry Batzoglou) berichtet, hat die Staatsanwaltschaft von Kos gegen zwei Flüchtlingshelfer – den Griechen Panagiotis Dimitras, Direktor von Greek Helsinki Monitor (GHM), sowie den Norweger Tommy Olsen, Gründer und Leiter von Aegean Boat Report (ABR) – Strafverfahren wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zur Migration eingeleitet. Die Menschenrechtsorganisationen GHM und ABR setzen sich unter anderem gegen illegale Pushbacks ein. Beide Nichtregierungsorganisationen stehen seit Längerem im Visier der griechischen Küstenwache, der Strafjustiz sowie der griechischen Regierung.

Italien – sexuelle Nötigung: Wie die FAZ (Peter-Philipp Schmitt) schreibt, wurde ein italienischer Fußballfan wegen sexueller Nötigung zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er im November 2021 eine Fernsehreporterin während einer Liveübertragung eines Fußballspiels von hinten unsittlich berührte. Darüber hinaus muss der 47–Jährige der Journalistin 10 000 Euro als Wiedergutmachung zahlen sowie weitere 5000 Euro an die Gewerkschaft der italienischen Journalisten (FNSI). 

Nepal – Serienmörder Charles Sobhraj: Wie SZ (David Pfeifer) und FAZ (Till Fähnders) berichten, wird der auch als "Bikini-Killer" oder "die Schlange" bezeichnete Serienmörder Charles Sobhraj in Nepal nach 19 Jahren Haft aufgrund seines Alters, der guten Führung und erforderlicher medizinischer Behandlungen aus dem Gefängnis entlassen und binnen 15 Tagen nach Frankreich abgeschoben. Er hatte in den Siebzigerjahren mehr als zwanzig Touristen auf dem "Hippie trail" ausgeraubt und ermordet. 

USA - FTX-Insolvenz: Der Gründer der insolventen Kryptobörse FTX, Sam Bankman-Fried, darf die Zeit bis zum Prozessbeginn gegen eine Kaution von 250 Millionen Dollar im Haus seiner Eltern in Kalifornien verbringen, so spiegel.de. Die US-Börsenaufsicht beschuldigt ihn, Investoren mit falschen Versprechen in die Irre geführt und deren Gelder, insgesamt mehr als 1,8 Millionen Dollar, veruntreut zu haben. Roland Lindner (FAZ) vergleicht die Geschwindigkeit, mit der die Krypto-Plattform FTX und mit ihr auch die Erfolgsgeschichte von Sam Bankman-Fried zusammengebrochen ist, mit dem Tempo, in dem nun die juristische Aufarbeitung vorangeht. 

Sonstiges

Digitale Rechte: Die Doktorandin Elizabeth Quinn setzt sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit der Europäischen Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen von Januar 2022 auseinander, deren Ziel der Schutz der Grundrechte im digitalen Umfeld ist. 

BKartA zu Google-Dienst News Showcase: Nun berichten auch SZ (Philipp Bovermann) und LTO über die Entscheidung des Bundeskartellamts, das Prüfverfahren gegen Google wegen Diskriminierung deutscher Presseverlage durch das Nachrichtenangebot "Google News Showcase" einzustellen. 

Rechtsgeschichte - Jürgen Schneider: Die FAZ (Michael Psotta/Thiemo Heeg) erinnert an das Strafverfahren gegen den Bauunternehmer Jürgen Schneider, der 1997 vom Frankfurter Landgericht wegen Betrugs, Kreditbetrugs und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt worden war; dargestellt werden auch die Auswirkungen des Urteils und die Person Jürgen Schneider. 

Das Letzte zum Schluss

Übermotivierte Bauarbeiter: In Oberfranken rief ein Hauseigentümer die Polizei, weil drei Bauarbeiter einen Tag nach Vertragsende und nach Abschluss der Renovierungsmaßnahmen erneut zum Arbeiten anrückten. Trotz mehrfacher Aufforderung weigerten sie sich, das Haus zu verlassen, weshalb sie schließlich von der Polizei nach draußen begleitet wurden. Nun wird gegen die drei Männer wegen Hausfriedensbruchs ermittelt. bild.de berichtet. 

 

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Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2022: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50575 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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