Der Europäische Gerichtshof feiert sein 70-jähriges Bestehen. Am heutigen Dienstag entscheidet das BVerfG, ob die Kreditaufnahme durch die EU rechtmäßig ist. Österreich will Autos von Raser:innen versteigern.
Thema des Tages
70 Jahre EuGH: Seit 1952 entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Auslegung und Gültigkeit des Unionsrechts. tagesschau.de (Frank Bräutigam/Christoph Kehlbach) zeichnet die Entwicklung des EuGH vom Gericht der Montanunion bis heute nach und stellt beispielhaft Urteile zu Verträgen im Profifußball, zum Matrazenkauf und zur Vorratsdatenspeicherung vor. Auch heute sei die Europäische Union und ihr Gerichtshof "ein Friedensprojekt", so EuGH-Präsident Koen Lenaerts.
LTO fasst zwei Fernseh-Interviews mit Koen Lenaerts zusammen. Auch wenn das EZB-Urteil des BVerfG ein "grober Klotz" gewesen sei, so bleibe das BVerfG dennoch der "beste Verbündete des EuGH". Da der EuGH ein gemeinsames Gericht für die 27 Mitgliedstaaten ist, sei es sein Anspruch, nicht das letzte, sondern ein "gemeinsames Wort" zu sprechen.
Die BadZ (Christian Rath) interviewte den deutschen EuGH-Richter Thomas von Danwitz. Er betont, dass das "gemeinsame Agieren als Europäische Union die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit der europäischen Staaten" sichere. Der Vorrang des EU-Rechts spiele in der Praxis des EuGH keine große Rolle. Dieser versuche vielmehr bei der Auslegung des EU-Rechts Lösungen zu finden, die die jeweils betroffenen EU-Staaten nicht vor unüberwindliche Probleme stellen. Die EU brauche kein Kompetenzgericht, denn sie habe bereits den EuGH.
Rechtspolitik
Pakt für den Rechtsstaat: Auf der am Donnerstag stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz versuchen die Länder Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu überzeugen, den Koalitionsvertrag umzusetzen, in dem neben einem Digitalpakt für die Justiz auch eine Verstetigung des Paktes für den Rechtsstaat versprochen wird. Damit erreiche der Streit zwischen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und den Ländern eine neue Eskalationsstufe, so LTO (Hasso Suliak). Die Länder verweisen darauf, dass Buschmann erst kürzlich wieder Gesetzentwürfe vorgestellt habe (zur Videoverhandlung im Zivilprozess und zur Aufzeichnung von Strafprozessen), die zu erheblichen Kosten bei der Landesjustiz führen.
Cannabis: LTO (Hasso Suliak) fasst den bisherigen Stand der geplanten Cannabis-Legalisierung zusammen. Statt im Dezember werde Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erst im Frühjahr einen Gesetzentwurf vorlegen. Inzwischen habe auch er gelernt, dass die EU-Kommission nicht zu Eckpunkten, sondern erst zu ausformulierten Gesetzentwürfen Stellung nehme. Die ständig wechselnden Ankündigungen des Ministers erweckten Zweifel, ob die Koalition das Legalisierungs-Vorhaben ernst nehme.
EU-Gesetzgebung: Das Europäische Parlament kritisiert, dass der Rat bei Maßnahmen gegen die Energiekrise regelmäßig allein entscheide, obwohl die Rechtssetzung in der Praxis gar nicht so eilig ist. Das HBl (Christof Herwartz) berichtet.
Justiz
BVerfG – EU-Corona-Aufbaufonds: An diesem Dienstag wird der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sein Urteil zum kreditfinanzierten 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds der EU verkünden. Der AfD-Mitbegründer und Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke sowie der Unternehmer Heinrich Weiss hatten Verfassungsbeschwerde erhoben, da ihrer Ansicht nach der deutsche Bundeshaushalt durch die Kreditaufnahme der EU gefährdet werden könne und eine Schulden- und Haftungsunion entstehe. Die SZ (Wolfgang Janisch) prognostiziert, dass das BVerfG die Verfassungsbeschwerde abweisen wird. Zum einen sei die Berufung der Kläger auf ihr Recht auf Demokratie nicht nachvollziehbar, da die Parlamente aller 27 Mitgliedstaaten und das EU-Parlament den Wiederaufbaufonds billigten. Zum anderen sei die finanzielle EU-Hilfe für die Mitgliedsstaaten, die durch die Kreditaufnahme ermöglicht werden kann, gemäß Art. 122 AEUV zulässig.
EuGH zu Transparenz und Geldwäsche: Seitdem der Europäische Gerichtshof am 22. November die Geldwäscherichtlinie der Europäischen Union (EU) für teilweise rechtswidrig erklärte, sind die Transparenzregister, die Auskunft über die Inhaber:in von Unternehmen geben, nicht mehr zugänglich. Carsten Volkery/Volker Votsmeier (HBl) kritisieren die EuGH-Entscheidung als "aus der Zeit gefallen". Wo Staaten sich zu mehr Transparenz verpflichten, mache die EU Rückschritte.
VerfGH SH – Finanzausgleich für Gemeinden: Knapp hundert schleswig-holsteinische Gemeinden haben vor dem Landesverfassungsgericht Schleswig-Holsteins Klage gegen das Finanzausgleichsgesetz (FAG) des Landes erhoben. Das FAG sieht vor, dass die Gemeinden je nach unterschiedlicher Einstufung unterschiedlich hohe Finanzbeträge erhalten. Der Vertreter der Landesregierung verteidigte die Differenzierung als notwendige Raumplanung. Im Februar 2023 soll ein Urteil verkündet werden, schreibt die taz (Esther Geisslinger).
BAG zur Arbeitszeiterfassung: Nun berichtet auch die Welt (Jan Klauth/Jana Sepehr) über die am Samstag veröffentlichte Begründung des am 13. September ergangenen Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Zeiterfassung von Arbeitnehmenden. Die Arbeitszeiterfassung sei nicht mehr zeitgemäß, so Freshfields-Anwalt Klaus-Stefan Hohenstatt gegenüber der Welt. Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard geben die Anwält:innen Nicola Dienst und Thomas Niklas einen Überblick über die aktuelle Rechtslage hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung.
Im Interview mit LTO (Tanja Podolski) erklärt Rechtsanwalt Michael Fuhlrott die Entscheidungsgründe des BAG zur Zeiterfassung und weist darauf hin, dass nach derzeitiger Rechtslage den Arbeitgeber:innen "keine unmittelbaren Geldbußen" bei Verstößen gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht drohen.
BGH – VW/Betriebsratsvergütung: Der Bundesgerichtshof wird am 10. Januar 2023 über die Untreuevorwürfe gegen vier VW-Personalmanager wegen hoher Betriebsratsgehälter verhandeln wie FAZ und Hbl melden. Das Landgericht Braunschweig hatte die Personalmanager im September freigesprochen, wogegen die Staatsanwaltschaft Revision einlegte.
OLG Zweibrücken zu Amtsenthebung von Schöffen: Das Oberlandesgericht Zweibrücken entschied, dass Maskenpflichtverletzungen (die zu Bußgeldern führten) und die Teilnahme an den sogenannten Montagsspaziergängen (die zur Anklage wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetzes führte) keine gröblichen Amtspflichtverletzungen im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG darstellen, die zur Amtsenthebung eines Schöffen berechtigen. Eine solche Pflichtverletzung sei nur gegeben, wenn Zweifel an der verfassungstreuen Grundeinstellung des Schöffen bestehen, sodass er nicht mehr als Repräsentant des Rechtsstaats auftreten sollte. beck-aktuell (Alisha Ricard) fasst die Entscheidung zusammen.
OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Vor dem Oberlandesgericht Koblenz hat der angeklagte ehemalige Neonazi Peter S. erstmals ausgesagt. Als im Jahr 1991 eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis in Brand gesetzt wurde, wobei ein Asylbewerber starb, will S. sich mit Freunden betrunken haben. Am nächsten Morgen sei er nur aus Neugier zur Brandstelle geradelt. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
LSG BaWü zu Corona-Einmalzahlungen: Das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschied Anfang November, dass auch leistungsberechtigte Heimbewohner:innen einen Anspruch auf Auszahlung der Corona-Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro haben können. Gegen die Ablehnung eines Auszahlungsantrags ging der Betreuer des 83-jährigen Klägers gerichtlich vor und bekam nun vor dem LSG Baden-Württemberg Recht. Die Auszahlung von Bargeld und einer Bekleidungspauschale sind Leistungen im Sinne des § 144 Satz 1 SGB XII, sodass Empfänger:innen dieser Leistungen gemäß dieser Norm auch einen Anspruch auf die Einmalzahlung haben. LTO berichtet.
LG Köln – Missbrauch in der Kirche: An diesem Dienstag beginnt am Landgericht Köln ein erster Schmerzensgeldprozess eines Missbrauchsopfers gegen die katholische Kirche. Zwar erhob die Kirche die Einrede der Verjährung, jedoch könnte es sein, dass das LG die Verjährungseinrede als rechtsmissbräuchlich verwirft. Der Schadensersatzprozess könnte für viele weitere Missbrauchsbetroffene ein Präzedenzfall sein, so zdf.de (Charlotte Greipl).
LG Bonn – Cum-Ex/Hanno Berger: Im Strafprozess gegen den Steueranwalt und Cum-Ex-Gestalter Hanno Berger schließt das Landgericht Bonn am heutigen Dienstag die Beweisaufnahme ab und wird im Laufe der Woche ein Urteil sprechen. Berger wird besonders schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen, die zu einem Schaden in Höhe von 278 Millionen Euro geführt haben soll. Die FAZ (Marcus Jung) fasst den bisherigen Prozessverlauf zusammen und zeichnet ein Bild des Angeklagten und seines Verhaltens in der Gerichtsverhandlung.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Anlässlich des Prozessbeginns gegen Markus Braun, den ehemaligen CEO der Wirecard AG, am kommenden Donnerstag bringt die SZ (Özge Inan u.a.) eine Seite 3-Reportage. Die Aktiengesellschaft bestand aus einem "hochkomplexen Gebilde" aus Treuhändern und Tochtergesellschaften, das einem "potemkinschen Dorf aus der Finanzindustrie" gleiche. Wirecard-Mitarbeitenden zufolge galt Braun zwar als "unnahbar", aber geschäftlich vertrauten ihm viele und legten ihr Geld in Wirecard-Aktien an. Braun habe dies gewusst und "gut gefunden", so ein ehemaliger enger Mitarbeiter Brauns. Der Fall Wirecard sei "ein Drama der Sparer und Kleinanleger".
Recht in der Welt
Österreich – Raser:innen: Österreichs Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) plant eine Gesetzesnovelle, nach der künftig als ultima ratio das Auto von bekannten Raser:innen beschlagnahmt und versteigert werden soll. Man müsse den Raser:innen die "Tatwaffe aus der Hand nehmen", so Gewessler. Auch in der Schweiz, Dänemark und Italien gibt es bereits ähnliche Regelungen. Hbl und spiegel.de berichten.
USA – Antidiskriminierungsgesetz Cororado: Der US-Supreme Court verhandelte über die Klage einer religiösen Webdesignerin gegen das Antidiskriminierungsgesetz des US-Bundesstaates Colorado. Die Webdesignerin hatte in ihrer Werbung mitgeteilt, dass sie ihre Dienste Hochzeitspaaren anbiete, außer wenn diese gleichgeschlechtlich sind. Der Supreme Court berät nun die Frage, ob bestimmte (religiöse) Überzeugungen vorrangig gegenüber Gesetzen zum Schutz der Bürgerrechte sind, so LTO.
Frankreich – Nicolas Sarkozy: Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy steht im Rahmen eines Berufungsprozesses erneut vor Gericht. Im März 2021 war Sarkozy wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme zu drei Jahren Haft verurteilt worden, da er dem Staatsjuristen Gilbert Azibert im Gegenzug für Unterstützung bei einer Bewerbung Informationen zu Ermittlungsverfahren entlocken wollte. Sarkozy bezweifelt, dass Telefonate zwischen ihm und seinem Anwalt, auf denen das Strafurteil gegen ihn maßgeblich basiert, rechtmäßig abgehört wurden. LTO berichtet.
Belgien – Zaventem-Terrorprozess: Nun berichten auch die taz (Eric Bonse), zeit.de und bild.de über den Prozessbeginn gegen die mutmaßlichen Attentäter des 2016 in Brüssel verübten Terroranschlags. Im Sommer 2023 soll voraussichtlich ein Urteil ergehen.
Myanmar – Todesurteile gegen Studierende: Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die Militärjunta in Myanmar vorige Woche mindestens sieben Studierende zum Tode verurteilt. Sie wurden beschuldigt, an einer Schießerei in einer Bank beteiligt gewesen zu sein. Im Juli wurden erstmals seit drei Jahrzehnten vier Menschen hingerichtet, unter ihnen ein Demokratieaktivist und ein ehemaliger Abgeordneter, wie zeit.de schreibt.
Juristische Ausbildung
Durchfallquote bei Freiversuch: LTO-Karriere stellt nun auch Statistiken zur Durchfallquote von Studierenden im ersten Staatsexamen vor, die ihren Freiversuch nutzten. Demnach bestehen immer mehr Studierende im Freiversuch das Examen; 2020 waren es bundesweit 80 Prozent.
Sonstiges
Missbrauch im Erzbistum Köln: Der Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln, Verfassungsrechtler Stephan Rixen, ist zurückgetreten, weil er Zweifel an der Unabhängigkeit der Kommission hat. Nach einem Gespräch mit Kardinal Woelki, gegen den staatsanwaltschaftlich wegen des Vorwurfs der falschen eidesstattlichen Versicherung ermittelt wird, habe Rixen ein "massives Störgefühl" gehabt. Er glaube nicht mehr, dass "eine Aufarbeitung wirklich gewünscht ist.", so LTO.
Iranische Oppositionelle: Die Berliner Polizei hat iranische Oppositionelle angezeigt, weil sie bei Kundgebungen "Mörder Chameinei" oder "Tod Chamenei" skandiert hatten, es könne sich um Straftaten handeln. Betroffene wurden vorgeladen, berichtet u.a. der Tsp (Julius Betschka).
Das Letzte zum Schluss
Drohbrief wegen Weihnachtsbeleuchtung: Weihnachtsbeleuchtung an Privathäusern gefällt nicht jedem:r – das mussten auch Hausbewohner:innen feststellen, die in einem Drohbrief aufgefordert wurden, ihre Weihnachtsbeleuchtung zu entfernen. Die Delmenhorster Polizei sucht nun nach den Verfasser:innen des Drohbriefes. Eine Spur scheint in die Nachbarschaft zu führen, wie die taz (Alexander Diehl) berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 6. Dezember 2022: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50379 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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