Das BVerfG hält die gesetzlichen Regeln über die Übermittlung von Daten des Verfassungsschutzes für unverhältnismäßig. Der EGMR beanstandet Auslieferungen nach China. Das VG Ansbach billigt bildgestützte Strafanzeigen gegen Falschparker.
Thema des Tages
BVerfG zu Datenübermittlung durch Verfassungsschutz: Der Bundestag muss bis Ende 2023 die Regeln im Bundesverfassungsschutzgesetz zur Datenübermittlung an die Polizei nachbessern. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts. Die jetztige Vorschrift sei unverhältnismäßig weit und verletzte deshalb das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Wenn der Verfassungsschutz Daten an die Polizei weitergibt, die mit nachrichtendienstlichen Methoden gewonnen wurden, müssen nach dem informationellen Trennungsprinzip erhöhte Anforderungen gestellt werden, so das Gericht. Bei Daten zur Gefahrenabwehr muss eine "hinreichend konkretisierte" Gefahr bestehen, bei Daten zur Strafverfolgung muss es um den Verdacht von "besonders schweren" Straftaten gehen. Die bereits 2013 erhobene Verfassungsbeschwerde hatte der linksliberale Rechtsprofessor Fredrik Roggan geschrieben, als Kläger fungierte der Ex-NSU-Helfer Carsten Schulze, der sich auf eine mögliche Belastung durch die 2012 eingeführte Rechtsextremismusdatei berufen konnte. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Max Bauer) und LTO.
Reinhard Müller (FAZ) lobt die Entscheidung. Sie zeige "wie sehr die heutige Sicherheitsarchitektur ein Gegenentwurf zur staatlichen Willkür vergangener Zeiten ist". Die Rechtslage dürfe nur nicht zu komplex werden. Auch die Handlungsfähigkeit des Staates sei ein hohes Gut. Christian Rath (taz) glaubt, dass der Verfassungsschutz den Karlsruher Beschluss gut findet, weil er seine Informationen ohnehin nicht gerne mit anderen Behörden teilt, um seine Quellen nicht zu gefährden.
Rechtspolitik
Jumiko – Strafbefehl: Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hat der Justizministerkonferenz, die am 10. November tagt, eine Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens vorgeschlagen. Künftig soll eine Verurteilung per Strafbefehl bei Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren möglich sein. Bisher lag die Obergrenze bei einem Jahr. Auch am Landgericht und bei Verbrechen sollen Strafbefehle möglich sein. Dies soll die Justiz und die Angeklagten entlasten. LTO (Hasso Suliak) schildert den Vorschlag und die Kritik von Anwaltsverbänden, SPD und Grünen.
Jumiko – Kinderpornografie: Nun berichtet auch die Welt (Frederik Schindler) über den Antrag von Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU), die generelle Verbrechens-Einstufung des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie wieder rückgängig zu machen. In den meisten Bundesländern stoße die Beschlussvorlage auf Zustimmung.
Die SZ meldet, dass auch der Deutsche Richterbund Korrekturen fordert.
Kindesmissbrauch: netzpolitik.org (Sebastian Meineck) schildert die Diskussion der EU-Staaten über den Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, die bisher vor allem wegen der umstrittenen Chatkontrolle bekannt wurde. Geplant sind aber auch Regeln zu Netzsperren und zum Ausschluss bestimmter Seiten aus den Trefferlisten von Suchmaschinen, die vorgestellt werden.
§ 218 StGB: Ab November soll eine im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehene Kommission über "Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches" beraten. Die taz (Dinah Riese) stellt aus diesem Anlass die entsprechenden Regelungen in Kanada, Nepal und Irland vor.
Kleinparteien bei der Bundestagswahl: Der Privatdozent Robert Frau schlägt auf dem Verfassungsblog eine Abschaffung des Zulassungsverfahrens für Kleinparteien vor, die an der Bundestagswahl teilnehmen wollen. Das Verfahren sei den Aufwand nicht wert, weil Kleinparteien keine Gefahr für die Demokratie seien. Außerdem mache das Verfahren nach außen keinen guten Eindruck. Bei der letzten Bundestagswahl waren 33 Parteien nicht zugelassen worden.
BMJ Buschmann im Interview: Im Gespräch mit focus.de (Thomas Tuma/Lara Wernig) nimmt Justizminister Marco Buschmann (FDP) zu den Blockaden von Klimaaktivist:innen Stellung ("Sollten wir den Eindruck gewinnen, dass es strafrechtliche Lücken gibt, würden wir handeln."). Außerdem wirbt er für seinen Quick-Freeze-Vorschlag, der für Ermittler:innen "eine deutliche Verbesserung" bringe.
Justiz
EGMR zu Auslieferung nach China: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits Anfang Oktober die Auslieferung des Taiwanesen Liu Hongtao von Polen nach China beanstandet, berichtet spiegel.de. Auslieferungen nach China verstießen generell gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Folter und unmenschliche Behandlung verbietet. Die spanische Organisation Safeguard Defenders wird mit der Aussage zitiert, dass nun europaweit keine Auslieferungen nach China mehr möglich sind.
VG Ansbach zum Fotografieren von Falschparkern: Es verstößt nicht gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), wenn die Anzeige von Falschparkern mit Fotos untermauert wird. Es liege auch dann ein berechtigtes Interesse der Anzeigenerstatter vor, wenn diese durch die Falschparker nicht persönlich behindert werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht Ansbach und kassierte damit die Verwarnungen, die das bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht gegenüber zwei Anzeigenerstattern ausgesprochen hatte. Die Begründung des Gerichts liegt noch nicht vor. Es berichten spiegel.de (Lukas Kissel) und LTO.
BFH zu Taxifahrten: Wer regelmäßig mit dem Taxi zur Arbeit fährt, kann deshalb nicht Tausende von Euro als Werbungskosten steuermindernd geltend machen. Dies entschied der Bundesfinanzhof im Fall eines Managers. Taxis seien kein öffentliches Verkehrsmittel im Sinne von § 9 Abs. 2 Einkommensteuergesetz. Der Manager kann deshalb maximal die übliche Entfernungspauschale geltend machen. Es berichten spiegel.de und LTO.
BVerwG zur isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen: Inzwischen hat sich der 8. Senat des Bundesverwaltunsgerichts der neuen Rechtsprechung des 4. Senats angeschlossen, berichtet LTO (Paula Binder) unter Verweis auf einen jetzt bekannt gewordenen Beschluss des 8. Senats vom 12. Oktober. Eine Anrufung des Großen Senats ist damit nicht mehr erforderlich. Damit gilt nun: "Eine isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen kann auch dann begründet sein, wenn der verbleibende Verwaltungsakt rechtswidrig ist - der Wegfall der rechtswidrigen Nebenbestimmung hierfür aber nicht kausal war."
OVG Nds zu Carport: Ein Nachbar, der gegen die Baugenehmigung für einen Carport klagt, kann nicht geltend machen, dass Brandschutzvorschriften nicht eingehalten seien. Diese seien im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen im September entschieden, worauf Anwalt Niels Flaßhoff in der FAZ hinweist.
LG Regengsburg zu "ungeimpft"-Stern und Pflichtverteidigung: Wer Darstellungen eines "ungeimpft"-Sterns verbreitet und deshalb wegen Volksverhetzung angeklagt wird, hat Anspruch auf einen Pflichtverteidiger. Die Rechtslage sei schwierig, weil es divergierende Rechtsprechung von Obergerichten gebe. Einen entsprechenden Beschluss des Landgerichts Regensburg aus dem September referiert Anwalt David Püschel auf beck-aktuell.
LG Berlin – OPEC/Kartellschaden: Nun berichtet auch das Hbl (Moritz Koch) über die Klage des Rechtsprofessors Armin Steinbach gegen die Opec und einige ihrer Mitglieder auf 50 Euro Kartellschadensersatz. Das Landgericht Berlin soll feststellen, dass die Opec ein unzulässiges Kartell darstelle. Bei Erfolg der Klage könne künftig jeder Benzinkäufer die Opec verklagen. Das Verfahren befinde sich noch im Zustellungsverfahren.
LG München I zu Jérôme Boateng: Nun berichtet u.a. auch die FAZ (Timo Frasch) über das Berufungsurteil des Landgerichts München I gegen den Profifußballer Jérôme Boateng, der die Mutter seiner Kinder im Urlaub geschlagen und beleidigt hatte. Gegenüber der Vorinstanz wurde die Zahl der Tagessätze von 60 auf 120 verdoppelt, dadurch gilt Boateng jetzt als vorbestraft. Gleichzeitg wurde die Höhe der Tagessätze von 30.000 auf 10.000 Euro reduziert, weil Boateng bei seinem jetzigen Verein Olympique Lyon nur noch 240.000 Euro pro Monat verdient. Trotz Strafverschärfung fiel damit die Geldstrafe mit 1,2 Mio. Euro niedriger aus als in der Vorinstanz mit 1.8 Mio Euro.
Die SZ (Wolfgang Janisch) erklärt im "aktuellen Lexikon" das System der Tagessätze. "Die Idee ist, dass die Strafe jedem gleichermaßen wehtun soll. Was wahrscheinlich trotzdem nicht klappt, weil man mit 10.000 Euro am Tag einfach mehr Reserven hat als mit 1.500 Euro im Monat."
LG Wiesbaden zu Cum-Ex/Hypovereinsbank: Nun berichtet auch das Hbl (Volker Votsmeier u.a.) über die Verurteilung von zwei HVB-Kundenberatern zu Bewährungsstrafen. Zudem wird mitgeteilt, dass die Hypovereinsbank für die interne Aufklärung der Beteiligung an Cum-Ex-Manipulationen rund 100 Millionen Euro an sieben Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen bezahlt habe.
LG München I – Alfons Schuhbeck: Der Promikoch Alfons Schuhbeck hat gegen seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung vorsorglich Revision eingelegt, will diese jedoch wieder zurücknehmen, wenn ihn die schriftlichen Urteilsgründe des Landgerichts München I überzeugen. LTO berichtet.
Klimaaktivist:innen vor Gericht: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fordert, mögliche Straftaten im Zusammenhang mit Blockaden von Klimaaktivist:innen entschieden zu verfolgen. Das berichtet die FAZ (Markus Wehner) auf ihrer Titelseite.
Peter Huth (Welt) kommentiert: "Mit Geldstrafen sind verwöhnte Bürgerkinder nicht zu schrecken." Er fordert Haftstrafen, wie sie jüngst in den Niederlanden nach der Beschmutzung eines Vermeer-Bildes verhängt wurden. "Der potenzielle Straftäter muss vor den Konsequenzen seiner Tat zittern und sie dann gar nicht erst begehen."
Recht in der Welt
Niederlande – Mord an Peter de Vries: Nach dem Ausscheiden einer Richterin muss der Prozess gegen die Mörder des Fernseh-Journalisten Peter de Vries neu starten, meldet die SZ.
Juristische Ausbildung
Elektronisches Staatsexamen: Rheinland-Pfalz will als erstes Bundesland auch im ersten Staatsexamen die Nutzung von Laptops ermöglichen. Ab August 2023 sollen die Prüflinge wählen können, ob sie die Klausuren handschriftlich oder per Computer anfertigen wollen. Das Land reagiert damit auf gute Erfahrungen beim zweiten Staatsexamen. LTO-Karriere berichtet.
Sonstiges
NSU-Bericht des LfV Hessen: Rechtsprofessor Markus Ogorek kommt im FAZ-Einspruch zum Schluss, dass sich TV-Entertainer Jan Böhmermann mit der Veröffentlichung des geheimen NSU-Berichts nicht strafbar gemacht hat. Die Ausnahme-Regelung für Journalisten in § 353b StGB enthalte keine quantitative Begrenzung und erlaube damit auch die Veröffentlichtung ganzer Akten. "Wenn dieser Tage spekuliert wird, eine Strafbarkeit sei jedenfalls denkbar, falls die durchstechende Person überredet worden sei, geht dies an der Lebenswirklichkeit von Hinweisgeber-Presse-Beziehungen wie den Wertungen des 'Cicero'-Urteils vorbei."
Korruption und Corona: Ex-Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff stellt in der FAZ den sozialwissenschaftlichen Sammelband "Corona und Korruption" vor, der die dringend notwendige Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenke. "Zur Krisenbewältigung eingesetzte Milliarden aus öffentlichen Kassen locken Profiteure an und können in der nötigen Geschwindigkeit nur unter Lockerung üblicher Sicherungen gegen Missbräuche ausgegeben werden", schreibt Lübbe-Wolff.
Vorstandswahl bei der RAK München: Nachdem der Bundesgerichtshof jüngst die Wahl von elf Vorstandsmitgliedern der Rechtsanwaltskammer München für ungültig erklärte, gibt es um die nun durchzuführende Wiederholungswahl neue Konflikte, die LTO (Martin W. Huff) ausführlich beschreibt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 4. November 2022: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50070 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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