Laut BGH ist die Fristsetzung beim Rücktritt vom Kauf eines manipulierten VW-Diesel nicht entbehrlich. Supreme Court diskutiert Überprüfbarkeit von Texas-Abtreibungsgesetz. Eine Studie beleuchtet die NS-Vergangenheit der Bundesanwaltschaft.
Thema des Tages
BGH zu VW-Dieselskandal: Eigentümer eines vom Dieselskandal betroffenen Pkws mit manipuliertem Motor EA 189 können nicht einfach ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten. Dem Verkäufer müsse grundsätzlich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben werden. Das hat nun der Bundesgerichtshof entschieden und den Fall an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen. Das OLG hatte im konkreten Fall eine Nachbesserung für unzumutbar erklärt – wegen des durch die arglistige Manipulation des Herstellers gestörten Vertrauensverhältnisses zum Verkäufer. Der BGH erinnerte jedoch daran, dass eine arglistige Täuschung des Herstellers dem Verkäufer in der Regel nicht zuzurechnen sei. Außerdem sei die von VW zur Nachbesserung angebotene Software von den Behörden geprüft worden. FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten.
Rechtspolitik
Zivilprozess: Die FAZ (Marcus Jung) präsentiert die Ergebnisse einer Umfrage des ZPO-Blogs unter seinen Leser:innen. So fordere eine Mehrheit quer über alle Berufsgruppen hinweg ein "Recht auf Videoverhandlung" als wichtigstes Reformvorhaben (43 Prozent). Ebenfalls häufig wurde die Forderung nach einer Änderung der Protokollvorschriften hin zu einem Wortlautprotokoll genannt.
Asylbewerberleistungen: Die Grünen fordern laut der Welt (Marcel Leubecher) neben einer generellen Erhöhung der Sozialleistungsbezüge auch eine frühere Gleichstellung neu eingereister Migrantinnen und Migranten mit den bereits hier lebenden Sozialleistungsbezieher:innen. Um die aus ihrer Sicht verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Geflüchteten zu beenden, wollen sie das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen.
Erbschaftssteuer: Volkswirt Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende fordert im Interview mit der taz (Ulrich Schulte) eine grundlegende Reform der Erbschaftssteuer, die bereits zweimal vom Verfassungsgericht als gleichheitswidrig bemängelt worden sei. Trotz mehrerer Reformen würden sehr Reiche weiterhin unverhältnismäßig von den derzeitigen Regeln profitieren.
Mieterschutz Hamburg: Um bezahlbaren Wohnraum in Hamburg zu erhalten, hat die Hansestadt eine Rechtsverordnung erlassen, die die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen etwa durch Genehmigungsvorbehalte erschweren soll. Von dem Vorbehalt sollen Umwandlungen in Gebäuden mit mehr als fünf Wohnungen betroffen sein, meldet die SZ.
Justiz
BGH – Haftung für Pyrotechnik: Wer haftet, wenn Fans im Stadion Pyrotechnik zünden? In dieser Frage wird der Bundesgerichtshof diesen Donnerstag eine Entscheidung fällen. Anlass ist ein Rechtsstreit zwischen Deutschem Fußballbund (DFB) und dem Drittligisten FC Carl Zeiss Jena. Nachdem mittlerweile sowohl DFB-Bundesgericht, das ständige Schiedsgericht der Dritten Liga als auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die vom DFB dem Verein auferlegte Geldstrafe aufrechterhielten, muss nun der BGH entscheiden. Wie LTO im Vorabbericht erläutert, wird es insbesondere um die Frage nach dem Verhältnis des im Zivilrecht verankerten Schuldprinzips und der Verbandsautonomie gehen.
OVG NRW zu Masernimpfung: Ein lediglich auf den Angaben der Eltern beruhendes ärztliches Attest reicht nicht aus, um eine Unverträglichkeit der ansonsten für die Kita-Betreuung obligatorischen Masernschutzimpfung nachzuweisen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen laut LTO entschieden.
OLG Köln zu Recht am Bild von Polizist:innen: Über das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zum Recht am eigenen Bild von Polizist:innen berichtet nun auch deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig). Neben der Entscheidung, in der klargestellt wurde, dass Routine-Einsätze der Polizei kein "zeitgeschichtliches Ereignis" darstellen, das eine Einwilligung der Gefilmten entbehrlich mache, werden im Beitrag die rechtlichen Grenzen zulässiger Bild- und Tonaufnahmen ausgeleuchtet: So würden viele Polizist:innen Aufnahmen oft pauschal unterbinden, obwohl das Bundesverfassungsgericht 2015 festgestellt hat, dass dies nur bei Anhaltspunkten einer widerrechtlichen Veröffentlichung möglich sei. Auch der Anwendungsbereich des häufig ins Feld geführten § 201 Strafgesetzbuch (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) ist laut Kriminologieprofessor Tobias Singelnstein häufig nicht einschlägig.
OLG Köln zu Werbezitat: Obwohl der Arzt nicht zustimmte, durfte ein medizinisches Produkt gegen das Reizdarmsyndrom mit öffentlichen Aussagen dieses Arztes beworben werden. Das Oberlandesgericht Köln erkannte darin laut LTO weder eine Verletzung des Namensrechts noch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da der Unterlassungskläger nicht als Person unter Ausnutzung eines eigenen Werbewertes vermarktet worden sei. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wurde die Revision zugelassen.
LG Köln – Thomas Drach: Neben drei Geldtransporter-Überfällen in Köln und Frankfurt ist der ehemalige Reemtsma-Entführer Thomas Drach nun auch noch wegen eines weiteren Raubüberfalls in Hessen angeklagt worden. Im September 2018 soll er einen Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma mit einer AK-47 bedroht und ihm einen Geldkoffer mit 89.850 Euro abgenommen haben. Drach und seinem niederländischen Komplizen werden u.a. besonders schwerer Raub in Tateinheit mit Brandstiftung und Verstöße gegen Waffengesetze vorgeworfen. LTO hat die Einzelheiten zu den vorgeworfenen Taten. 1996 ist Drach dadurch bekannt geworden, dass er zusammen mit Komplizen Jan Philipp Reemtsma, den Erben der Hamburger Tabak-Dynastie, entführte.
LG Wuppertal – Tötung von fünf Kindern: Im Prozess gegen Christiane K. hat die Staatsanwaltschaft nun eine lebenslange Haftstrafe wegen Heimtückemordes sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. K. wird vorgeworfen, ihre drei Töchter und zwei Söhne im September 2020 in ihrer Wohnung erstickt beziehungsweise erwürgt zu haben. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, wegen der Enttäuschung über die kurz zuvor offenbarte neue Beziehung ihres Mannes wären die Kinder in der von der Angeklagten aufgebauten "Fassadenwelt" "funktionslos geworden". K. hingegen behauptete, ein Unbekannter sei in ihre Wohnung eingedrungen und habe die Kinder getötet. Die Verteidigung beantragte einen Freispruch. Ein Urteil in dem Fall könnte laut spiegel.de noch in dieser Woche fallen.
LG München I zu Girokonto-Vergleich: Der vom Vergleichsportal "Check24" angebotene kostenlose Girokonto-Vergleich, der im Auftrag des Bundesfinanzministeriums als Umsetzung einer EU-Richtlinie gedacht war, ist wegen mangelhafter Marktabdeckung unzulässig. Das entschied das Landgericht München I laut FAZ (Christian Siedenbiedel) auf eine Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV).
"Rechte Richter": Auch der SWR-Radio Report (Maximilian Bauer) hat nun mit dem Justiz-Journalisten Joachim Wagner über dessen Buch "Rechte Richter" zum Umgang der Justiz mit Rechtsradikalen in ihren eigenen Reihen gesprochen.
Recht in der Welt
USA – Abtreibungsgesetz Texas: Die Richterinnen und Richter des Supreme Court in Washington gehen laut FAZ (Majid Sattar) und zeit.de wohl von einer Überprüfbarkeit des neuen texanischen Abtreibungsgesetzes ("Herzschlag-Gesetz") durch ihr Gericht aus. Auch die vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump nominierten Richter:innen Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett hätten angedeutet, dass sie zu einem solchen Ergebnis kommen könnten. Wann der Supreme Court entscheidet, ist offen. Der texanische Gesetzgeber hatte versucht, eine derartige Überprüfung auf Bundesebene zu umgehen.
Polen – Verfassungsgericht zu EU-Recht: Als Reaktion auf das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts zur Bedeutung des Anwendungsvorrangs von EU-Recht in Polen erklärt Rechtsprofessor Martin Nettesheim auf dem Verfassungsblog Schritt für Schritt, wie ein Ausschluss Polens aus der EU trotz fehlender Regelung in den EU-Verträgen möglich wäre. Er setzt auf den Tatbestand der Vertragsauflösung bei erheblicher Vertragsverletzung gem. Art. 60 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention bzw. gleichlaufendem Völkergewohnheitsrecht.
Schweiz – Blatter und Platini: Der frühere FIFA-Präsident Sepp Blatter und der ehemalige UEFA-Chef Michel Platini sind wegen einer Millionenzahlung in der Schweiz wegen Betrugs angeklagt worden. Ihnen wird vorgeworfen, unrechtmäßig eine Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken vom Fußball-Weltverband an Platini erwirkt zu haben. LTO erläutert die Vorwürfe.
USA – Robert Durst: Der 79-jährige Multimillionär Robert Durst ist fast 40 Jahre nach dem Verschwinden seiner ersten Ehefrau wegen Mordes angeklagt worden. Durst war gerade Mitte Oktober zu lebenslanger Haft verurteilt worden für den Mord an Susan Berman, die zum Verschwinden von Dursts erster Ehefrau hätte befragt werden sollen. Eine TV-Dokuserie über Durst ("The Jinx") hatte dazu geführt, dass die Fälle wieder aufgerollt wurden. Die SZ (Veronika Wulf) berichtet.
Sonstiges
NS-Vergangenheit der BAW: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet über eine von der Bundesanwaltschaft beauftragten Studie zu ihrer NS-Vergangenheit, die Mitte November veröffentlicht werden soll ("Staatsschutz im Kalten Krieg"). In den 1950er Jahren seien rund 90 Prozent der Karlsruher Bundesanwälte frühere NSDAP-Mitglieder gewesen. Selbst im Jahr des Kniefalls Willy Brandts, 1970, hätten die ehemaligen NSDAP-Mitglieder noch eine absolute Mehrheit in der BAW gebildet.
Schuldenbremse: Im FAZ-Einspruch führt Rechtsprofessor Joachim Wieland aus, wie es der Bundestag bewerkstelligen könne, durch die Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation für das Haushaltsjahr 2022 verbunden mit einer Kreditaufnahme und der Bildung einer Rücklage, aus der öffentliche und private Investitionen für die grüne und digitale Transformation finanziert würden, die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Schuldenbremse einzuhalten.
Kanzleieröffnung in Kasachstan: Für LTO-Karriere berichtet Rechtsanwältin Claudia von Selle, wie es gelang, in Kasachstan das Büro einer Wirtschaftskanzlei zu eröffnen, welche Gesellschaftsformen in dem Land zur Verfügung stehen und wie der Umgang mit den Behörden zu meistern sei.
Das Letzte zum Schluss
Tiger King 2: Wer gedacht hat, dass die Geschichte um den skurrilen Großkatzenbesitzer Joe Exotic (selbsternannter "Tiger King") mit seiner Verurteilung zu 22 Jahren Haft auserzählt ist, hat sich getäuscht. Bald startet die zweite Staffel, in der auch seine Konkurrentin Carole Baskin wieder zu sehen ist. Diese wehrt sich jedoch nun mit einer Klage gegen Netflix und will erreichen, nicht mehr in der Serie gezeigt zu werden. Nicht ganz unverständlich, wenn man bedenkt, dass in der 1. Staffel zumindest suggeriert wurde, sie sei am Verschwinden ihres Mannes beteiligt gewesen. Es berichten SZ (David Pfeifer) und Welt (Marie-Luise Goldmann).
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lto/jpw
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Die juristische Presseschau vom 3. November 2021: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46537 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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