Die juristische Presseschau vom 8. Juni 2018: Sperr­klausel bei Euro­pa­wahlen / Beschlüsse der Jus­tiz­mi­nis­ter­kon­fe­renz / Höchst­strafe für schwe­di­schen Atten­täter

08.06.2018

Die EU-Staaten haben sich auf eine neue Sperrklausel für die Europawahlen geeinigt. Außerdem in der Presseschau: Ergebnisse der Justizministerkonferenz, Stand der Strafsache Franco A. und lebenslänglich für schwedischen Attentäter.

Thema des Tages

Sperrklausel bei Europawahlen: Spätestens ab 2024 sollen deutsche Kleinstparteien wie Freie Wähler, Piraten und NPD keine Chance mehr auf einen Einzug ins Europaparlament haben. Hierfür soll künftig eine neue Sperrklausel zwischen zwei und fünf Prozent bei Europawahlen sorgen, auf deren Einführung sich die EU-Staaten am Donnerstag im Zuge einer Initiative von CDU, CSU und SPD geeinigt haben. Sieben der 96 deutschen Sitze sind derzeit von Kleinstparteien besetzt, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2014 die Sperrklausel im Europawahlgesetz wegen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz für nichtig erklärt hatte. Nun soll die umstrittene Sperrklausel europarechtlich wieder eingeführt werden und einer Zersplitterung des Parlaments vorbeugen. Die Umsetzung bis zur Europawahl 2019 ist unwahrscheinlich, insbesondere weil die Leitlinien der sogenannten Venedig-Kommission des Europarates grundlegenden Wahlrechtsänderungen in den zwölf Monaten vor einer Wahl entgegenstehen. Die FAZ (Michael Stabenow) und lto.de berichten.

Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) befürwortet die Einführung einer Sperrklausel. Der Aufstieg der AfD sowie die Reanimation der FDP im Bundestag hätten gezeigt, dass es auch mit Sperrklauseln Leben im Parteiensystem geben könne. Nikolas Busse (FAZ) findet die Diskussion um Kleinstparteien unwesentlich. Er mahnt, dass bei künftigen Europawahlen viel entscheidender sei, wie stark die Populisten werden.

Rechtsprofessor Thomas Giegerich setzt sich auf verfassungsblog.de mit den Hintergründen der Diskussion um die Sperrklausel auseinander und geht auf die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ein.

Rechtspolitik

JuMiKo – Kinderpornographie: Bei ihrer Frühjahrstagung in Eisenach haben sich die Justizminister der Länder auf eine Vielzahl von Neuerungen geeinigt, wobei es unter anderem um die Ausweitung polizeilicher Befugnisse ging. Laut SZ (Ulrike Heidenreich) wurde mehrheitlich dafür gestimmt, Kinderpornografie-Ermittlern einen größeren Handlungsspielraum bei der Fahndung zuzugestehen. Künftig sollen Polizisten selbst einschlägiges computergeneriertes Material hochladen dürfen, um sich Zugang zur Szene im Darknet zu verschaffen.

JuMiKo – Quellen-TKÜ: Mit zehn zu fünf Stimmen wurde laut FAZ (Marlene Grunert) auf Antrag des bayerischen Justizministers Winfried Bausback (CSU) sowie des rheinland-pfälzischen Justizministers Herbert Mertin (FDP) beschlossen, sich gegenüber Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) für eine Ergänzung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung einzusetzen. Die Polizei solle fortan heimlich in Wohnungen eindringen dürfen, um die Überwachungssoftware zu installieren.

JuMiKo – Vollverschleierung und weitere Beschlüsse: Nach Bericht von lto.de verständigte man sich auch auf ein Verbot der Vollverschleierung in Gerichtsverhandlungen. Ferner wurden u.a. eine Cannabis-Obergrenze für den straffreien Eigenbedarf von sechs Gramm sowie die Sanktionierung des Punktehandels im Straßenverkehr beschlossen. Die Mehrheit der Justizminister sprach sich überdies laut FAZ (Reinhard Bingener) dafür aus, das Alter von Beschuldigten in Strafprozessen bei Bedarf auch mittels DNA-Analyse feststellen zu lassen.

Familiennachzug: Die geplante Neuregelung zum Familiennachzug hat bei der ersten Lesung im Bundestag für scharfe Diskussionen gesorgt, wie u.a. die FAZ (Majid Sattar) berichtet. Ab dem 1. August sollen monatlich 1.000 Familienangehörige von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus einreisen dürfen, was insbesondere Linke und Grüne als zu restriktiv kritisieren.

Intersexualität: Die FAZ (Oliver Tolmein) beleuchtet kritisch den Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zur Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zum Schutz der Identität intersexueller Menschen, der zum 1. November 2018 in Kraft treten soll. § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz soll künftig auch den Eintrag "weiteres" ermöglichen. Außerdem sollen Erwachsene  nach Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung Änderungen beantragen können. Damit werde allerdings die vom Aktionsbündnis "Dritte Option" geforderte Entkoppelung von medizinischer Beurteilung und Personenstandseintrag nicht ermöglicht.

Diskriminierungsverbot: Die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Thüringen wollen Artikel 3 Grundgesetz um den Schutz der geschlechtlichen und sexuellen Identität erweitern. Die taz (Miriam Schröder) stellt den vom Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eingebrachten Entwurf vor, über den am heutigen Freitag im Bundesrat diskutiert wird.

Pflichtverteidiger: Die Badische Zeitung (Christian Rath) berichtet über einen Gesetzentwurf der deutschen Strafverteidiger-Vereinigungen zur Verbesserung des Rechts auf einen Pflichtverteidiger, der am Wochenende in Freiburg beim "Dreiländerforum Strafverteidigung" diskutiert werden soll. Darin ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers direkt bei der ersten Vernehmung durch die Polizei sowie stets beim Erlass von Strafbefehlen vorgesehen. Sofern der Beschuldigte nicht von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, soll der Verteidiger künftig außerdem nicht mehr durch das Gericht, sondern durch die Anwaltskammer bestimmt werden.

Mehrehen: Wie FAZ-Einspruch (Marlene Grunert) weiß, will Bayern an diesem Freitag einen Gesetzentwurf zur Aufhebung von im Ausland geschlossenen Mehrehen bei dauerhaft in Deutschland lebenden Ehepartnern in den Bundesrat einbringen. Hintergrund ist ein Ende Mai veröffentlichtes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem die zunächst verschwiegene Zweitehe eines Syrers seiner Einbürgerung nach geltendem Recht nicht grundlegend entgegensteht.

Justiz

EuGH zu Scotch Whisky: Die Scotch Whisky Association (SWA) sieht in der Verwendung des Namens "Glen Buchenbach" durch eine schwäbische Brennerei eine unzulässige Anspielung auf ihre eingetragene geografische Angabe "Scotch Whisky". Auf die Vorlage des Landgerichts Hamburg antwortete der Europäische Gerichtshof nun, dass es entscheidend darauf ankomme, ob ein europäischer Durchschnittsverbraucher vorliegend konkret an "Scotch Whiskey" denke. Eine irgendwie geartete Assoziation mit der geschützten Angabe reiche hingegen nicht aus, so lto.de (Marcel Schneider).

BVerfG zu Pressefreiheit: Laut einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" keinen vorformulierten Nachtrag zu einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung abdrucken. Wie lto.de berichtet, hatte das Oberlandesgericht Hamburg zuvor der Klage eines Bankmitarbeiters stattgegeben, der die Richtigstellung eines gegen ihn gehegten Abhörverdachtes in Form des Abdrucks einer vorformulierten Erklärung verlangt hatte. Mit Blick auf die Pressefreiheit genügt nach Auffassung des BVerfG in solchen Fällen ein knapper Hinweis auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens.

BSG zu vergünstigter Krankenversicherung: Nach Auffassung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei einem Promotionsstudium nicht um ein ausbildungsbezogenes Studium mit geregelten Inhalten im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, da es vorrangig dem Nachweis wissenschaftlicher Qualifikation diene, so lto.de.

OLG Frankfurt/M. zu Franco A.: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat laut FAZ (Helmut Schwan) und lto.de entschieden, das Hauptverfahren gegen den terrorverdächtigen Soldaten Franco A. mangels hinreichenden Tatverdachts nicht vor dem Staatsschutzsenat zu eröffnen. Es sei zweifelhaft, ob A. im Rahmen seiner Vorbereitungshandlungen bereits fest zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Strafgesetzbuch entschlossen war. Hinsichtlich der weiteren Anklagepunkte wurde nun das Verfahren vor dem Landgericht Darmstadt eröffnet.

OLG München – NSU: Die taz (Marlene Gürgen) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten über die weitere Fortsetzung des Plädoyers von Beate Zschäpes sogenanntem Altverteidiger Wolfgang Heer. Dieser versuchte am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht München nachzuweisen, dass Zschäpe sich durch das Anzünden des NSU-Verstecks in Zwickau nicht wegen versuchten Mordes, sondern mangels Tötungsvorsatzes nur wegen einfacher Brandstiftung strafbar gemacht habe.

EuGH – Passkontrollen durch Beförderungsunternehmen: Der Europäische Gerichtshof verhandelte am Donnerstag über einen Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts zu § 63 Aufenthaltsgesetz. Die Norm sieht vor, dass ausländische Staatsangehörige nur mit gültigem Pass oder Aufenthaltstitel von einem anderen Schengen-Staat nach Deutschland befördert werden dürfen. Um die Verhängung von Zwangsgeldern zu vermeiden, sind Beförderungsunternehmen somit faktisch zu Ausweiskontrollen bei Grenzübertritten im Schengenraum verpflichtet. Der Senior Research Fellow Constantin Hruschka erläutert auf lto.de die rechtliche Problematik derartiger Kontrollen, insbesondere im Hinblick auf die Freizügigkeit sowie die Dienstleistungsfreiheit.

EuGH – Chefarztfall: Auf verfassungsblog.de analysiert die Akademische Oberrätin Andrea Edenharter kritisch die Schlussanträge des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof, Melchior Wathelet, im sogenannten "Chefarzt"-Fall und geht detailliert auf die Diskrepanz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob ein kirchliches Krankenhaus einem geschiedenen Chefarzt aufgrund seiner Wiederheirat kündigen darf oder ob das Diskriminierungsverbot hier auch zwischen Privaten Wirkung entfalten kann.

Gerichtsstandort Frankfurt: Die FAZ (Marcus Jung/Marcus Theurer) schildert, wie Frankfurt am Main als Gerichtsstandort für Finanz- und Handelssachen vom Brexit profitieren könnte. Möglicherweise kläre künftig ein Finanzgericht nach englischer Rechtsprechung internationale Streitfälle in Hessen statt in London.

Recht in der Welt

Schweden – Höchststrafe für Attentäter: Der 40-jährige Rakhmat Akilov, der im April vergangenen Jahres mit einem gestohlenen Kleinlaster fünf Menschen getötet hatte, ist in Stockholm wegen terroristischen Verbrechens zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Vor seinem Anschlag auf der Haupteinkaufsstraße Stockholms hatte der Usbeke in einer Videoaufnahme seine Treue zum sogenannten "Islamischen Staat" bekundet. Sein Prozess war laut FAZ (Matthias Wyssuwa) und SZ (Silke Bigalke) einer der größten in der schwedischen Geschichte.

Nordirland – Abtreibungsverbot: Eine Klage der nordirischen Menschenrechtskommission gegen das strenge Abtreibungsverbot in Nordirland ist vor dem Obersten Gericht Großbritanniens mangels Klagebefugnis gescheitert. Gleichzeitig machten die Richter aber laut taz (Ralf Sotschek) deutlich, dass sie die Klage inhaltlich für begründet und das umstrittene Abtreibungsverbot somit für mit der Menschenrechtskonvention unvereinbar halten.

Sonstiges

Deutscher Anwaltstag: Auf dem 69. Deutschen Anwaltstag in Mannheim wird bereits seit Mittwoch über "Fehlerkultur in der Rechtspflege" diskutiert. Wie die FAZ (Marcus Jung/Hendrik Wieduwilt) berichtet, hat der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, in seiner Eröffnungsrede den AfD-Rechtspolitiker Stephan Brandner scharf kritisiert und ihm vorgeworfen, den Rechtsstaat delegitimieren zu wollen. Brandner, der auch dem Rechtsausschuss des Bundestages vorsitzt, hatte den Zustand des Rechtsstaats zuvor als "erbärmlich" bezeichnet.

Auf dem Deutschen Anwaltstag sprachen auch Jörg Kachelmann und sein Rechtsanwalt Johann Schwenn. Kachelmann bekundete laut FAZ (Helene Bubrowski) sein wiedergewonnenes Vertrauen in den Rechtsstaat, bezeichnete die Medienberichterstatter in seinem Verfahren aber als "Bande von Idioten".

Die FAZ (Reinhard Müller) berichtet kritisch von der allgemeinen Diskussion über das Vertrauen in den Rechtsstaat auf dem Deutschen Anwaltstag.

Diplomatie: In einem Gastbeitrag für die SZ setzt sich der Dozent für Völkerrecht Paul Behrens mit der heiklen Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und verbotener Einmischung bei Botschaftern auseinander. Vor dem Hintergrund der umstrittenen Äußerungen des neuen US-Botschafters Richard Grenell, der u.a. angekündigt hatte, Konservative in Europa stärken zu wollen, erörtert er Beispielsfälle und geht auf Verhältnismäßigkeitskriterien ein.

Das Letzte zum Schluss

Adeliger Zwist: Zwei – wie man sagt – adelige Brüder stritten laut lto.de im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn darüber, ob der Jüngere auf den Innenhöfen des gemeinsamen Schlosses Ering parken dürfe. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts München umfasst das kaufvertraglich vereinbarte Mitnutzungsrecht auch ein Recht zum Abstellen der Fahrzeuge. Den "offenbar tiefgreifenden Spalt" zwischen den Brüdern könne man gerichtlich allerdings nicht klären

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/lmr

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Juni 2018: Sperrklausel bei Europawahlen / Beschlüsse der Justizministerkonferenz / Höchststrafe für schwedischen Attentäter . In: Legal Tribune Online, 08.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29029/ (abgerufen am: 04.07.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen