Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. August 2016: Reform­vor­schläge zum AGG / Füh­r­er­schein­entzug als Gene­ral­strafe / Vor­mund­schaft für les­bi­sches Paar

08.08.2016

Justiz

BGH – Edeka/Tengelmann Nachdem bereits Edeka Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur Fusion von Edeka und Kaiser‘s Tengelmann eingelegt hat, hat nun auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel angekündigt, vor den BGH zu ziehen. Das melden das Montags-Hbl (Florian Kolf) und spiegel.de. Das Oberlandesgericht hatte die Fusion vorerst gestoppt, da Gabriel durch "Geheimgespräche" den Eindruck der Befangenheit entstehen lassen habe. In einem Kommentar verteidigt Heribert Prantl (Samstags-SZ) den Wirtschaftsminister. Gabriel habe versucht, Jobs zu erhalten. Zu tadeln seien hingegen die Richter des Oberlandesgerichts. Sie hätten für die gesetzlich vorgesehene Ministererlaubnis so hohe Hürden gesetzt, dass sie praktisch unerfüllbar seien. Das sei keine Rechtsinterpretation, sondern "politische Selbstermächtigung".

BGH – Erledigungszahlen von Richtern: Im Oktober verhandelt der Bundesgerichtshof über die Klage des Richters Thomas Schulte-Kellinghaus. Der Richter, der sich für die von ihm bearbeiteten Fälle deutlich mehr Zeit nimmt als seine Kollegen, war von der Präsidentin des Oberlandesgericht Karlsruhe ermahnt worden, sein Erledigungspensum zu steigern. Die WamS (Thorsten Jungholt) schildert den Fall, der grundlegende Fragen zur richterlichen Unabhängigkeit aufwirft. Zu Wort kommt auch Peter Pfennig von der Neuen Richtervereinigung, der Thomas Schulte-Kellinghaus unterstützt und neben der Politik auch die Richter in der Verantwortung sieht. Ein Richter sei nur dann "wirklich unabhängig, wenn er sein Handeln nicht mehr danach ausrichtet, was andere von seiner Arbeit denken."

BGH zur "Dritten Option": Die Juristinnen Franziska Brachthäuser und Juana Remus befassen sich auf verfassungsblog.de mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass Intersexuelle kein Recht auf eine dritte Kategorie im Personenstandsregister haben. Der BGH verkenne, welche Relevanz eine "deklaratorische" Regelung haben könne. Zu hoffen sei, dass das Bundesverfassungsgericht bereit ist, "mit geschlechtlichen Erwartungen aus dem Familien- und Personenstandsrecht zu brechen".

Oberlandesgericht Köln – Tagesschau-App: Wie zeit.de meldet, zeichnet sich im Streit um die Tagesschau-App vor dem Oberlandesgericht Köln eine Entscheidung ab. Danach neigen die Richter dazu, das Angebot als presseähnlich einzustufen.

Klagen gegen VW: Die FAS (Thomas Klemm) fragt, ob es für Anleger sinnvoll ist, gegen VW zu klagen. Sie könnten sich entweder zum Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig anmelden oder eine eigene Klage einreichen, wie es der Freistaat Bayern plant. Geschildert wird außerdem, wie verschiedene Anwälte den Kursdifferenzschaden berechnen. Bisher seien Klageforderungen in Höhe von 4,3 Milliarden Euro bei Gericht eingegangen. Mit den Erfolgsaussichten der Anlegerklagen beschäftigt sich Rechtsanwältin Silvanne Helle (Handelsblatt-Rechtsboard). Die WamS (Ulrich Exner) erläutert, welche Klagen wo bereits anhängig sind, und weist darauf hin, dass sich möglicherweise bald auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der auch im Aufsichtsrat von VW sitzt, gezwungen sehen könnte, den Konzern im Namen des Landes zu verklagen.

LG München I zu Gewinnbeteiligung im Filmbusiness: Der Kameramann des Films "Das Boot", Jost Vacano, verklagt den Produzenten des Films auf Gewinnbeteiligung. Vor dem Landgericht München I hat er einen ersten Erfolg erzielt. Das Gericht sprach dem Kameramann eine Nachzahlung von 475.000 Euro zu. Hintergrund ist eine Regelung im Urhebergesetz, nach der eine zusätzliche Vergütung zu zahlen ist, wenn die vereinbarte Gage in einem "auffälligen Missverhältnis" zu den Einnahmen steht. Der Spiegel (Lars-Olav Beier) berichtet.

AG München zur Vormundschaft eines lesbischen Paars: Das Amtsgericht München hat erstmals ein lesbisches Paar als Vormund eingesetzt. Wie die Samstags-FAZ (Alexander Haneke) erläutert, lässt der Wortlaut des § 1775 BGB nur die Einsetzung von Ehepaaren ausdrücklich zu. Das Amtsgericht verwies hingegen auf das die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption bei eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Statt das Gesetz dem Verfassungsgericht vorzulegen, nahm das Amtsgericht jedoch eine planwidrige Regelungslücke an und setzte das lesbische Paar als Vormund ein.

BVerfG zu Meinungsfreiheit: Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tsp) erläutert drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit. Die Entscheidungen würden zeigen, dass Jan Böhmermann in einem etwaigen Strafverfahren mit dem Bundesverfassungsgericht einen starken Verbündeten hat.

BVerfG-Richterin Langenfeld: Die taz (Christian Rath) stellt die neue Richterin am Bundesverfassungsgericht Christine Langenfeld vor und erklärt, was die Neubesetzung für die Rechtsprechung zum Asylrecht bedeuten kann. Die Migrationsrechtlerin mit CDU-Parteibuch sei zwar nicht federführend für Asylfragen zuständig, habe jedoch sicher eine gewichtige Stimme.

OLG Naumburg zu Holocaustleugnung: Mit dem jünst bekannt gewordenen Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom Oktober letzten Jahres befasst sich jetzt auch Klaus Hillenbrand (Montags-taz). Das Gericht hatte den NPD-Politiker Hans Püschel vom Vorwurf der Holocaustleugnung freigesprochen. Damit habe es "einem notorischen Verharmloser des Massenmords selbst Harmlosigkeit" attestiert.

OLG Düsseldorf – Gutachter zur Love-Parade: Wie die Montags-SZ (Bernd Dörries) schreibt, hat die Staatsanwaltschaft Duisburg einen neuen Gutachter für das Love-Parade-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf präsentiert. Jürgen Gerlach, der bisher überwiegend zu Straßenverkehr forscht, wird jedoch – wie auch den bisherigen Gutachtern – Befangenheit vorgeworfen, da er sich in Vorträgen bereits wertend zu dem Unfall geäußert habe.

StA Essen – Petra Hinz: Die SPD-Abgeordnete Petra Hinz, die sich fälschlicherweise als Juristin ausgegeben hat, droht jetzt vielleicht auch ein Strafverfahren. Wie express.de (Gerhard Voogt) berichtet, prüft die Staatsanwaltschaft Essen einen Anfangsverdacht wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen, den der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins Ulrich Schellenberg als gegeben ansieht. Grund dafür ist die Internetseite der NRW-SPD, auf der behauptet wurde, dass Hinz "berufliche Tätigkeiten als Anwältin in einer Kanzlei" ausgeübt habe. In einem Kommentar meint Oliver Rasche (Montags-Welt), dass Strafen folgen müssen, wo sie angebracht sind. Nachtreten müsse hingegen nicht sein.

Tötung im Suff: Die FAS (Raquel Erdtmann) berichtet von einer Gerichtsverhandlung, die mit der Verurteilung eines 43-Jährigen zu sechs Jahren Haft endete. Der hochintelligente ehemalige Bankanalyst war Alkoholiker geworden und hatte schließlich im Suff seinen Vater mit einem Beil umgebracht.

43 Jahre Haft: Über einen Mann, der seit 43 Jahre inhaftiert ist, schreibt der Spiegel (Gisela Friedrichsen). Der Mann wurde zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt, nachdem er bei einem Einbruch eine Frau umgebracht hatte. Es folgten mehrere Ausbruchsversuche und auf ungünstige Prognosen gestützte Gerichtsentscheidungen. Erst als sich der Tübinger Psychiater Klaus Förster sich des Falles annahm, änderte sich etwas. Der Psychiater stellte fest, dass die verschiedenen bisherigen Gutachter lediglich das Erstgutachten "fortgeschrieben" hätten, und attestierte 2014 beachtliche Fortschritte bei der Therapie. Bernd Behnke, der Anwalt des Häftlings, sieht ein Problem in den mangelnden Kenntnissen vieler Anwälte im Vollzugsrecht. Diese seien eine "strukturelle Schranke, die den Strafvollzug gegen Überprüfungen von außen schützt".

Gurken vor Gericht: Martin Rath befasst sich auf lto.de mit verschiedensten Urteilen zum Soldaten-, Arbeits-, Beamten- und Strafrecht, in denen es um Gurken ging.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. August 2016: Reformvorschläge zum AGG / Führerscheinentzug als Generalstrafe / Vormundschaft für lesbisches Paar . In: Legal Tribune Online, 08.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20229/ (abgerufen am: 04.07.2024 )

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