Die juristische Presseschau vom 17. Juli 2024: Verbot einer rechts­ex­t­remen Zeit­schrift / Anti­se­mi­tismus-Reso­lu­tion? / BVerfG ver­han­delte über Zwangs­be­hand­lung

17.07.2024

Das BMI verbot den Verlag der Zeitschrift Compact und stützte sich auf das Vereinsrecht. Die Mehrheit des Bundestags hat sich auf eine Antisemitismus-Resolution verständigt. Sind Zwangsbehandlungen zwingend im Krankenhaus durchzuführen?

Thema des Tages

Compact-Verbot: Das von Nancy Faeser (SPD) geleitete Bundesinnenministerium hat das Verbot der Zeitschrift "Compact" verfügt, das vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird. Das Verbot stützt sich auf das Vereinsgesetz und Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz. Konkret richtet sich das Verbot gegen die Compact Magazin GmbH, die das Magazin und einen Online-Kanal betreibt. Compact richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. SZ (Ronen Steinke) und spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt) berichten und beleuchten auch die schillernde politische Vita des Compact-Herausgebers Jürgen Elsässer. Dessen geschäftliche Aktivitäten um das Magazin beleuchtet zeit.de (Christian Fuchs u.a.).

zdf.de (Jan Henrich) unternimmt eine rechtliche Einordnung des Verbots, die taz (Christian Rath) bringt hierzu eine Frage-und-Antwort-Übersicht, netzpolitik.org (Markus Reuter) hat ein Interview mit dem für die Gesellschaft für Freiheitsrechte tätigen Anwalt Benjamin Lück. Der Bericht von LTO (Joschka Buchholz/Max Kolter) benennt rechtliche Probleme der Verbotsverfügung. So sei schon fraglich, ob die Bezugnahme auf das Vereinsrecht gegenüber einem Presseprodukt überhaupt zulässig ist. Im Falle von "linksunten.indymedia" hatte das Bundesverwaltungsgericht dies bejaht, eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht unterblieb, nachdem eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Das Organisationsverbot dagegen erfordere nicht nur eine verfassungsfeindliche Haltung, darüber hinaus auch eine aggressiv-kämpferische Form. Angesichts des "schlechthin konstituierenden" Charakters der Pressefreiheit für die freiheitliche Demokratie müsse die Maßnahme auch verhältnismäßig sein. Dies könne bei einem Totalverbot fraglich sein.

Anton Rainer (spiegel.de) begrüßt die Anmeldung rechtlicher Bedenken gegen die Maßnahme, meint aber, dass "sich nicht hinter der Pressefreiheit verstecken" könne, wer "in einem demokratischen Land einen Umsturz anstrebt." Ronen Steinke (SZ) prognostiziert gerichtliche Auseinandersetzungen. In deren Rahmen müsse das "Spannungsfeld zwischen wehrhafter Demokratie und Meinungsfreiheit" beleuchtet werden. Nach Ansicht von Reinhard Müller (FAZ) bleibt es "eine Herausforderung", Meinungen von Straftaten, die verfolgt werden müssen, abzugrenzen. Deniz Yücel (Welt) erkennt dagegen "moralischen Rigorismus und hemdsärmelige Auslegung von Grundrechten." Derartiges eigne sich für "Twitterdebatten", nicht aber für die Leitung eines Ministeriums.

Rechtspolitik

Antisemitismus: zeit.de (Raoul Löbbert) hat erfahren, dass die fraktionsübergreifende Initiative für eine Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland offenbar zu einem Ergebnis geführt hat. Unmittelbar nach der parlamentarischen Sommerpause könnte der Bundestag über den Entwurf abstimmen. Die jetzige Fassung sehe offenbar auf Betreiben der Union z.B. vor, Fördergeldvergaben von einem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, dem Existenzrecht Israels sowie der Ablehnung von Antisemitismus abhängig zu machen. Ob Förderprojekte die Voraussetzungen erfüllen, solle künftig vom Verfassungsschutz geprüft werden.

KommunalwahlG NRW: Rechtsanwalt Sebastian Roßner meldet auf LTO verfassungsrechtliche Bedenken gegen die jüngst vom nordrhein-westfälischen Landtag verabschiedete Novellierung des Kommunalwahlgesetzes an. Die Neuregelung betrifft das Berechnungsverfahren der Sitzverteilung für Kommunalvertretungen. Die nun geltende Methode bevorzuge dabei regelmäßig größere Parteien, wie der Autor mit Rechenbeispielen belegt. Zwar sei der Gesetzgeber befugt, solche Änderungen vorzunehmen. Hierfür müsse jedoch ein sachlicher Grund vorliegen.

Finanzkriminalität: Bei ihrem ersten Auftritt als Mitgeschäftsführerin der "Bürgerbewegung Finanzwende" forderte die frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker die konsequentere Verfolgung von Steuermanipulationen mithilfe der sogenannten Cum-Cum-Methode. Obgleich der Bundesfinanzhof dieses Steuersparmodell bereits 2015 beanstandet hatte, habe es bislang weder Rückforderungen noch Anklagen gegeben. Um dem abzuhelfen, werde die NGO Auskunftsklagen erheben. Hbl (Jana-Sophie Brüntjen), Welt (Cornelus Welp) und taz (Anja Krüger) berichten.

Arbeitsschutz: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ begrüßen Rechtsprofessorin Eva Kocher und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Vanessa von Wulfen die nun erfolgte nationale Umsetzung des Übereinkommens 190 der Internationalen Arbeitsorganisation. Erstmals unterlägen Unternehmen der Verpflichtung, Gewalt und Mobbing in Arbeitszusammenhängen präventiv zu verhindern, statt lediglich reaktiv tätig zu sein.

KapMuG: Die Rechtsanwälte Burkhard Schneider und Sunny Kapoor begrüßen im Recht und Steuern-Teil der FAZ den Versuch, das Kapitalanleger-Musterverfahren zu straffen. Ob dies dem Gesetzgeber mit der jüngsten Novellierung gelungen sei, bleibe indes zweifelhaft. So sei das dem US-amerikanischen Prozessrecht nachempfundene Beweisermittlungsverfahren – "Discovery" – dem hiesigen Recht grundsätzlich fremd und eröffne ein neues prozessuales Schlachtfeld.

Schuldenbremse: Assistenzprofessor Nikolas Guggenberger vergleicht auf dem Verfassungsblog die deutsche Schuldenbremse mit dem Filibuster des US-amerikanischen Parlamentarismus. Indem beide Instrumente die politische Blockade belohnten, führten sie bei Wahlberechtigten zu "Frustration" und begünstigten den Aufstieg "autoritärer Pseudo-Macher wie Donald Trump". Der zur Verteidigung der Schuldenbremse oft bemühte Schutz künftiger Generationen verliere spätestens dann seine Überzeugungskraft, wenn zwar Zinszahlungen gespart würden, aber gleichzeitig Klimaschäden in noch höherem Ausmaß folgen. Letzterem könnte dabei durch staatliche Investitionen begegnet werden.

Justiz

BVerfG – Zwangsbehandlung einer Betreuten: Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs verhandelte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, ob eine Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach der Zwangsbehandlungen von betreuten Personen zwingend in Krankenhäusern durchgeführt werden müssen, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der BGH hält diese Pflicht für verfassungswidrig, weil die (oft mit einer längeren Fixierung verbundene) Verbringung ins Krankenhaus die betreute Person retraumatisieren könne. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), LTO und tagesschau.de (Philip Raillon).

EuG – ByteDance: Am heutigen Mittwoch will das Gericht der Europäischen Union seine Entscheidung über die Nichtigkeitsklage des hinter TikTok stehenden Unternehmens ByteDance verkünden, das sich gegen die Einstufung als sogenannter Gatekeeper im Sinne des Digital-Markets-Acts durch die EU-Kommission zur Wehr setzt. Rechtsanwalt Daniel Hilger erklärt auf beck-aktuell die Voraussetzungen einer solchen Einstufung, die hieraus folgenden Konsequenzen sowie die Argumentation des Unternehmens.

BVerfG – Klimaschutz: Nach Ausfertigung des Klimaschutzgesetzes durch den Bundespräsidenten hat die Deutsche Umwelthilfe wie angekündigt eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die DUH macht geltend, dass mit der Novellierung ein Erreichen der deutschen Klimaziele unwahrscheinlicher werde. Damit würden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Klima-Beschluss missachtet. Die taz (Susanne Schwarz) berichtet.

BGH zu Hannover 96: Im Gegensatz zur Entscheidung der Vorinstanzen urteilte der Bundesgerichtshof nun, dass die vor zwei Jahren vom Verein beschlossene Abberufung des Unternehmers Martin Kind als Geschäftsführer der Hannover 96 Management-GmbH Bestand hat. Auch wenn die Maßnahme gegen einen zwischen dem Investor und dem Verein geschlossenen Vertrag verstoßen haben sollte, sei sie nicht nichtig, weil die tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts nicht verletzt wurden. Die Abberurufungsentscheidung wäre nur anfechtbar gewesen, wobei Kind aber kein Anfechtungsrecht hatte. Es berichten FAZ (Christian Otto), zdf.de (Christoph Schneider) und tagesschau.de (Klaus Hempel).

OLG Düsseldorf zu PKH und anwaltlicher Haftung: Wird in der anwaltlichen Beratung die Mandantschaft nicht auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe verwiesen, kann dies einen Schadensersatz in Höhe der anwaltlichen Vergütung begründen. Dies berichtet der Versicherungsjurist Florian Kleine für beck-aktuell.

OLG Stuttgart – Dieselskandal/Mercedes-Anleger: Das Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt derzeit über eine Musterklage wegen Kursverlusten von Mercedes-Anleger:innen. Stellvertretend für andere Investor:innen fordert der Kläger Schadensersatz wegen behaupteter Täuschungen des Kapitalmarkts bei Information über den Dieselskandal. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet.

ArbG Mainz – Klagefrist bei Kündigung von Schwangeren: Rechtsprofessorin Katharina Dahm stellt auf beck-aktuell einen mittlerweile wieder am Arbeitsgericht Mainz anhängigen Rechtsstreit dar, der den Umfang von Mitteilungspflichten einer Schwangeren gegenüber ihrem Arbeitgeber bestimmen soll. Ob die nationalen Regeln gegen die sog. Mutterschutzrichtline verstoßen, habe der Europäische Gerichtshof in einer "kryptischen Entscheidung" Ende Juni von mehreren Voraussetzungen abhängig gemacht. Am 15. August verhandelt das Arbeitsgericht.

ArbG Gera – Klimaprotest und Arbeitsrecht: Am morgigen Donnerstag verhandelt das Arbeitsgericht Gera die Kündigungsschutzklage eines vormaligen wissenschaftlichen Mitarbeiters, dem vorgeworfen wurde, bei seiner Einstellung Verurteilungen im Zusammenhang von Klimaprotesten verschwiegen zu haben. Der Bericht der taz (Alexandra Kehm) nennt weitere Beispiele, bei denen Uni-Mitarbeitende vergleichbare dienstrechtliche Sanktionen zu spüren bekamen.

VG Dresden zu AfD-Einstufung: Per Eilbeschluss lehnte das Verwaltungsgericht Dresden einen Antrag des Landesverbandes der AfD ab, der sich gegen die Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das Landesamt für Verfassungsschutz zur Wehr setzte. Tatsächlich lägen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Einstufung vor, so beck-aktuell über die gerichtlichen Feststellungen.

Sammelklage gegen Amazon: Die Verbraucherzentrale Sachsen geht gegen unzulässige Preiserhöhungen beim Streaming-Anbieter Amazon Prime vor. Die geplante Verbandsklage könne sich auf mehr als 50.000 Eintragungen in dem beim Bundesamt für Justiz geführten Klageregister stützen, schreibt die FAZ (Katja Gelinsky).

Recht in der Welt

IStGH – Gaza: Im Verfahren zu den Anträgen auf Haftbefehle u.a. gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Konflikt bereitet das Auswärtige Amt nach Informationen der FAZ (Matthias Wyssuwa) einen Amicus-Curiae-Brief an den Internationalen Strafgerichtshof vor. In diesem solle die universelle Geltung des Völkerrechts hervorgehoben und zugleich auf den Komplementaritätsgrundsatz verwiesen werden, nach dem die juristische Ahndung israelischer Kriegsverbrechen zuvörderst Aufgabe der israelischen Justiz sei.

USA – Supreme Court: US-Präsident Joe Biden erwägt, dem Kongress eine Reform des US-Supreme Courts vorzuschlagen. Dabei soll die bisher unbefristete Amtszeit der Richter:innen begrenzt werden und der Ethik-Code durchsetzbar werden. spiegel.de berichtet. 

USA – Trump/Immunität: Rechtsreferendar Tjorben Studt bezeichnet auf dem JuWissBlog die jüngste Immunitätsentscheidung des US-Supreme Courts als Anschlag auf demokratische Grundsätze. Die mitgeteilte Argumentation des Gerichts ergehe sich in Zirkelschlüssen und weise logische Defizite auf.

Juristische Ausbildung

Referendariat NRW: Über den vom nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) verfassten Antwortbrief zur Verteidigung der das Referendariat betreffenden Sparpläne berichtet nun auch beck-aktuell. LTO-Karriere (Maryam Kamil Abdulsalam) kommt in einer Analyse der inhaltlichen Aussagen des Ministers zu dem Schluss, dass der angedachte Spareffekt tatsächlich eher geringfügig und angesichts der zu erwartenden Haushaltszahlen womöglich überhaupt nicht notwendig wäre. Nach Einschätzung der politischen Konkurrenz dürfte es Limbach nicht zuletzt darum gehen, nicht schon wieder eine öffentlichkeitswirksame Entscheidung rückgängig machen zu müssen.

Sonstiges

Rechtsstaat: Rechtsprofessor Kai Ambos bespricht im Verfassungsblog das Buch "Law statt Order – Der Kampf um den Rechtsstaat" von Rechtsprofessor Maximilian Pichl. Zwar verdiene das Anliegen des Autors, Umdeutungen und Vereinnahmungen eines teilweise liberalen Begriffs anzuprangern, Anerkennung. Zu häufig würde dies jedoch "zu Lasten der Wissenschaftlichkeit" mit einem "unwissenschaftlichen Aktivismus" geschehen.

Müll: Der SWR-RadioReportRecht (Fabian Töpel/Anna Hübner) befasst sich in dieser Woche mit rechtlichen Fragen von Müll. Über die Zusammensetzung des Inhalts von Gelben Tonnen geht es dabei bis zu den immer häufiger zu sehenden "Zu verschenken"-Boxen auf Bürgersteigen.

 

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LTO/mpi/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Juli 2024: Verbot einer rechtsextremen Zeitschrift / Antisemitismus-Resolution? / BVerfG verhandelte über Zwangsbehandlung . In: Legal Tribune Online, 17.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55012/ (abgerufen am: 17.07.2024 )

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