Die juristische Presseschau vom 11. Juli 2023: Data Pri­vacy Frame­work gebil­ligt / Keine Haf­tung von Moto­ren­her­s­tel­lern / Jus­tiz­re­form in Israel kommt voran

11.07.2023

Die EU-Kommission beschloss Angemessenheitserklärung für US-Umgang mit Daten von EU-Bürger:innen. Für Thermofenster haftet der PKW-Hersteller, nicht der Motorenproduzent, so der BGH. Knesset will die Angemessenheits-Klausel abschaffen. 

Thema des Tages

Datenschutz/Datentransfers: Die EU-Kommission hat den Data Privacy Framework der USA für Daten von EU-Bürger:innen als "angemessen" eingestuft. Auf dieser Grundlage können Unternehmen wie Facebook Daten von EU-Bürger:innen in den USA verarbeiten. Auf den Data Privacy Framework haben sich EU-Kommission und US-Regierung im März 2022 geeinigt. Im Oktober 2022 unterzeichnete US-Präsident Biden eine entsprechende Executive Order. Danach ist der Zugang von US-Sicherheitsbehörden zu Daten von EU-Bürger:innen auf das zum Schutz der nationalen Sicherheit "notwendige und verhältnismäßige Maß" beschränkt. Im Streitfall können die EU-Bürger:innen ein neu zu schaffendes Gericht zur Datenschutzüberprüfung anrufen. Die beiden Vorgänger-Vereinbarungen - Safe Harbour und Privacy Shield - waren jeweils vom Europäischen Gerichtshof beanstandet worden, weil kein adäquates Datenschutzniveau garantiert wurde. Der damalige Kläger Max Schrems will mit seiner Organisation Noyb auch diesmal klagen. Es berichten spiegel.de (Markus Böhm) und beck-community (Axel Spies).

Rechtspolitik

Ehegattensplitting: SPD-Chef Lars Klingbeil hat vorgeschlagen, das Ehegattensplitting für neue Ehen abzuschaffen, um Einsparungen beim Elterngeld vermeiden zu können. RND (Christian Rath) stellt fest, dass die Abschaffung des Ehegattensplittings verfassungsrechtlich möglich wäre. Dies ergebe sich aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2013. 

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert: "Die Ablehnung des Ehegattensplittings entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Ehe und Familie zu schützen, sei "keine beliebige Modefrage, sondern bleibender Verfassungsauftrag".

Verbraucherschutz-Verbandsklagen: Die vorige Woche vom Bundestag beschlossene Abhilfeklage gibt geschädigten Verbraucher:innen "eine bequeme und dazu noch kostenlose Möglichkeit, Forderungen wegen massenhafter Rechtsverletzungen durch Unternehmen durchzusetzen", lobt Katja Gelinsky (FAZ) im Leitartikel. Dadurch drohten aber keine "amerikanischen Verhältnisse", weil nur Verbraucherschutzverbände (und nicht Anwaltskanzleien) solche Abhilfeklagen initiieren können. 

Wettbewerb: Die Anwält:innen Elena Wiese, Julian Urban und Dennis Cukurov warnen im FAZ-Einspruch vor einer Überfrachtung des Kartellrechts mit politischen Zielen, die in den USA unter dem Kürzel ESG (Environment, Social, Governance) zusammengefasst werden. Dadurch werde das Kartellrecht in seiner Kernaufgabe - Schutz des Wettbewerbs - gefährdet. ESG-Ziele sollten besser durch Regulierung umsetzt werden. In Einzelfällen sei es aber auch heute schon möglich, vom Kartellamt Einzelfreistellungen zu erhalten, etwa wenn Waschmaschinenhersteller sich auf nachhaltige Energieeffizienz-Kriterien einigen, die über gesetzliche Mindeststandards hinausgehen.

Justiz

BGH zu Thermofenstern: Für unzulässige Einrichtungen zur Abschaltung der Abgasreinigung (u.a. so genannte Thermofenster) haftet nur der Hersteller des PKW, nicht der Hersteller des Motors. Dies entschied der Bundesgerichtshof im Fall eines Porsche-Käufers, der gegen Audi klagte, weil in seinem Porsche ein Audi-Motor mit Abschalteinrichung verbaut war. Es sei der PKW-Hersteller, der die Übereinstimmung mit dem EU-Zulassungsrecht zusichere, so der BGH, nicht der Motorenproduzent. Es berichten FAZ und spiegel.de.

Nachdem der Bundesgerichtshof Ende Juni Dieselkäufer:innen, die von Thermofenstern bei der Abgasreinigung betroffen sind, Schadensersatz in Höhe von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises in Aussicht stellte, hält das Landgericht Stuttgart eine neue Klagewelle für "durchaus möglich", berichtet LTO. Es müsse aber jeweils festgestellt werden, dass die Abschalteinrichtung tatsächlich unzulässig ist. 

EuGH zu BKartA/Facebook: Die Rechtsprofessoren Jürgen Kühling und Benedikt Buchner analysieren auf dem Verfassungsblog das Facebook-Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Anfang Juli. Der EuGH habe insbesondere Facebooks Rechtfertigungen zur Zusammenführung von Daten zurückgewiesen. Diese Erstellung von Datenprofilen sei nicht erforderlich zur Durchführung des Vertrags, weil sich die Erforderlichkeit nicht einseitig an einem von Facebook vorgegebenen Geschäftsmodell bemesse. Zwar wurde ein berechtigtes Interesse Facebooks an personalisierter Werbung anerkannt, das Interesse des Verbrauchers, nicht umfassend ausgeforscht zu werden, habe aber Vorrang. So bleibe Facebook nur die Einholung von Einwilligungen, wobei das Unternehmen aber nicht seine dominante Stellung ausnutzen dürfe. Facebook müsse vielmehr angemessen kostenpflichtige Alternativen ohne Datenzusammenführung anbieten. 

BVerfG zu Heizungsgesetz/Parlamentsrechte: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Johannes Gallon kritisiert auf dem Verfassungsblog die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts von voriger Woche. Die Frage der Dringlichkeit und Entscheidungsreife seien politische Fragen, die nicht mit verfassungsrechtlichen Maßstäben entschieden werden können. Die Überlegung des BVerfG, dass es einen Anspruch der Abgeordneten auf ausreichende Lesezeit geben müsse, stelle jedes Gesetz unter den Vorbehalt der Verfassungswidrigkeit und erhöffne rechtsextremen Abgeordneten Möglichkeiten zur Skandalisierung der Gesetzgebung. Der Autor schlägt vor, im Grundgesetz eine "hinreichend kurze" Beratungszeit festzuschreiben, um das BVerfG wieder aus dem Spiel zu nehmen. 

BAG – Massenentlassungsanzeigen: Nun schreibt auch das HBl (Alexander Pradka) über eine mögliche Änderung der Rechtsprechung zu den Auswirkungen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige. Danach könnten Kündigungen, bei denen fehlerhaft die Massenentlassungsanzeige unterblieben ist oder sie fehlerhaft erstattet wurde, künftig wirksam bleiben, weil die Nichtigkeit als Sanktion unverhältnismäßig wäre. Das BAG hat ein entsprechendes Verfahren dem EuGH vorgelegt, der nun entscheiden muss, ob die EU-Massenentlassungs-Richtlinie auch dem Schutz der Arbeitnehmer:innen dient oder nur die Arbeit der Arbeitsagenturen erleichtern soll.

LAG München - Arbeitszeiterfassung und Betriebsrat: Der Betriebsrat hat ein Initiativrecht für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung. Das entschied das Landesarbeitsgericht München im Mai. Der Arbeitgeber kann dem nicht entgegenhalten, er habe noch nicht entschieden, ob er sich rechtmäßig verhalten und die Arbeitszeit erfassen will. beck-community (Markus Stoffels) berichtet. 

LG München I zum "Badenwannenmord": Die SZ (Susi Wimmer) portraitiert die Strafrichterin Elisabeth Ehrl, die vorigen Freitag den Freispruch für Hausmeister Manfred Genditzki verkündete. Sie sei eine harte Arbeiterin, die jedes Blatt der Akte kenne. Aber ihre Verhandlungsführung sei auch von Geduld, Menschlichkeit, Respekt und Empathie geprägt. Sie finde immer den richtigen Ton. 

Anwalt Gerhard Strate kritisiert in einem Gastkommentar für die Welt die bayerische Justiz. Diese halte besonders hartnäckig an Fehlurteilen fest. Es gelte das magische Denken: "Wir haben ihn nicht etwa verurteilt, weil er schuldig ist, sondern er ist schuldig, weil wir ihn verurteilt haben." Strate glaubt, dass fast alle Richter:innen diesen Selbstbetrug teilen. Deshalb sei wohl nahezu jeder von ihnen bereit, das Fehlurteil eines anderen Gerichts mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. 

LG Bonn zu Fake-Werbung: Der Facebook-Konzern Meta muss aktiv verhindern, dass unbekannte Nutzer:innen weiterhin Fake-Werbung mit dem Photo des Virologen Hendrik Streeck auf Facebook verbreiten. Durch die Werbung, der er nie zugestimt hatte, werde sein Persönlichkeitsrecht verletzt, zumal für ihn als Mediziner sogar ein Werbeverbot gilt. Facebook sei es auch zuzumuten, schon die Veröffentlichung solcher Anzeigen auf der Plattform zu verhindern, weil die unseriöse Werbung den immergleichen Satz enthält "Was die Apotheken verschweigen". LTO (Max Kolter) berichtet. 

LG Frankfurt/M zu Angriff auf Oliver Pocher: Der Rapper Fat Comedy muss 50.000 Euro Schadensersatz an den Comedian Oliver Pocher bezahlen, weil er diesen im März 2022 unversehens geschlagen und von der Szene anschließend Photos verbreitet hat. Das entschied das Landgericht Frankfurt/M. in einem Versäumnisurteil, über das LTO berichtet. 

Beate Zschäpe: Die SZ (Anette Ramelsberger) schildert in einer Seite 3-Reportage die Aussage der als NSU-Mörderin verurteilten Beate Zschäpe vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags. Ihre Kooperationsbereitschaft, die nicht von echter Reue geprägt sei, ziele auf eine relativ geringe Mindestverbüßungszeit ihrer lebenslänglichen Freiheitsstrafe, so die SZ. Diese Mindestverbüßungszeit wird nächstes Jahr festgesetzt. Zschäpe strebt auch die Aufnahme in das staatliche Aussteigerprogramm an. 

Pandora Papers: In Hessen hat die Auswertung der so genannten Pandora Papers begonnen, die das Land im Juni für einen unbekannten Betrag angekauft hat. Die Papiere belegen, wie über sogenannte Offshore-Geschäfte Geld in Steueroasen transferiert wurde, um es dem Fiskus in Deutschland und anderen Staaten zu entziehen. Die Auswertung erfolgt zunächst mit einer Software, die aus den Papieren das herausfiltert, "was für die Steuerfahnder relevant" ist. Die FAZ (Katharina Iskandar) berichtet. 

Personalmangel in der Justiz: Noch ist die Bewerberlage für Stellen in der Justiz gut, stellte der Deutsche Richterbund fest. In allen Bundesländern gebe es mindestens die doppelte Anzahl von Bewerbungen auf die ausgeschriebenen Stellen. In Niedersachsen sei das Verhältnis sogar vier zu eins. ""Für viele Bewerberinnen und Bewerber sind die Unabhängigkeit und die relativ freie Arbeitsgestaltung im Richterberuf nach wie vor wichtige Pluspunkte, die für den Weg zur Justiz sprechen", so der Richterbund laut LTO

Recht in der Welt

Israel - Justizreform: Das israelische Parlament hat in der Nacht zum Dienstag einem wichtigen Baustein der umstrittenen Justizreform zugestimmt. Dem Obersten Gericht soll es nicht mehr möglich sein, Maßnahmen der Regierung als "unangemessen" zu beanstanden, berichtet spiegel.de.  Zwei weitere Lesungen in der Knesset sind noch erforderlich. 

Sonstiges

AfD-Landrat: Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat festgestellt, dass der neugewählte Landrat von Sonneberg, Robert Sesselmann (AfD), sein Amt ausüben kann. Man habe "derzeit keine konkreten Umstände gesehen, die von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, eine ernsthafte Besorgnis an dessen künftiger Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auszulösen". LTO (Markus Sehl/Antonetta Stephany) thematisiert zudem, warum die Verfassungstreue nicht vor der Wahl geprüft wurde. Zuständig wäre dann ein ehrenamtlicher Wahlausschuss, dem zudem nur zwei Wochen Zeit für die Prüfung blieben. Vorgeschlagen wird daher eine gesetzliche Änderung des Prüfungsverfahrens. 

AfD-Verbot: Die SZ (Wolfgang Janisch) diskutiert die Aussichten eines AfD-Parteiverbots durch das Bundesverfassungsgericht. Wie die NPD spreche sich die AfD für eine ethnisch definierte Volksgemeinschaft aus und beeinträchtige damit die Menschenwürde von Deutschen, die nicht dazugehören können. Die AfD sei auch gefährlich genug, so dass anders als bei der NPD 2017 ein Verbot möglich wäre. Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz spricht sich für ein Verbot aus, weil auch die von der AfD-Rhetorik Betroffenen geschützt werden müssen. 

Eritrea-Festival: Nach der gewalttätigen Eskalation beim Eritrea-Festival in Gießen, das von exilierten Gegner:innen der eritreischen Diktatur angegriffen wurde, hätte Wolfgang Janisch (SZ) ein Verbot der Veranstaltung besser gefunden. 

KI im Arbeitsleben: Die Anwältinnen Patricia Jares und Inka Knappertsbusch geben im Expertenforum Arbeitsrecht einen Überblick über die einschlägigen Regelungen der DSGVO für die KI-bezogene Nutzung von Beschäftigtendaten. Bei der geplanten KI-Verordnung der EU werde KI im Betrieb meist als Hochrisiko-Einsatz eingestuft, für den besonders strenge Anforderungen gelten. 

Arbeit bei der DIS: Im Gespräch mit LTO-Karriere (Franziska Kring) spricht Ramona Schardt über ihre Arbeit als Generalsekretärin der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), wo sie eine Geschäftsstelle mit rund 20 Mitarbeiter:innen leitet. Vorher war Schardt bei Siemens tätig und hat dort weltweit Schiedsverfahren betreut. 

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Juli 2023: . In: Legal Tribune Online, 11.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52208 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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