Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Januar 2012: Recht auf Vergessen im Web - "All Cops are Bastards" legal - Anlegerschützer zocken richtig ab

23.01.2012

Bald kommt ein neues EU-Datenschutzrecht: Was aber bedeutet das für den Einzelnen und Unternehmen im Umgang mit Daten? Außerdem geht es in der Presseschau um den Schutz und die Grenzen der Meinungsfreiheit, strafrechtliche Erfassung von Hasskriminalität, Klagen gegen Pressevielfalt und schlechte Brustimplantate sowie die Frage, ob man Schadenersatz für Katzenjammer bekommt.

Recht auf Vergessen: Diese Woche stellt EU-Justizkommissarin Viviane Reding die geplante EU-Datenschutznovelle vor. Der Focus (Hans-Jürgen Moritz) spricht mit ihr über die Vorlagen: Eine Verordnung für den privaten Sektor sowie eine Richtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Ein Kernpunkt der Verordnung sei das "Recht auf Vergessen" für Internetnutzer, das eine jederzeitige Rücknahme der Zustimmung zu Datenverwendung durch Unternehmen vorsehe. Journalistische Recherche- und Archivarbeit sei nicht gefährdet, der Meinungs- und Pressefreiheit würde durch Ausnahmen Rechnung getragen. Auch in Bezug auf vorab geäußerten Bedenken von Verlegern, Direktmarketing ohne eine Einwilligung der Adressaten sei mit den neuen Datenschutzvorgaben kaum mehr möglich, sei eine Lösung gefunden worden, so Reding laut Focus.

Mit der "globalen Wirkung" der geplanten EU-Regelungen befasst sich die FTD (Teresa Goebbels): Daten von Nutzern dürften nach dem Entwurf nur mit expliziter Einwilligung weitergegeben werden, dies gelte dann unabhängig vom "geographischen Sitz" eines Unternehmens weltweit.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Debatte Hasskriminalität: Eine Erweiterung des Strafgesetzbuches um wenige Worte spielt eine entscheidende Rolle in der Debatte um "Hasskriminalität": Bei der Strafzumessung sollen Täterziele Berücksichtigung finden, die "rassistisch, fremdenfeindlich oder sonstig menschenverachtend" seien. Die Samstagsausgabe der FAZ (Oliver Tolmein) widmet dem Thema einen Beitrag im Feuilleton. Fremdenfeindliche Motivationen bei der Begehung von Straftaten spielten im Gerichtsalltag bislang "nahezu keine Rolle". Es gehe also um mehr als "symbolische Rechtspolitik".

Trauergeld für Angehörige: Angehörigen von Unfall- oder Verbrechensopfern, die zu Tode kommen, stehe kein gesetzlicher Schmerzensgeldanspruch zu, sofern kein so genannter Schockschaden nachgewiesen werden kann, so der Spiegel (Dietmar Hipp). Bayerns Justizministerin Beate Merk wolle nun diese Woche auf dem Verkehrsgerichtstag ein Gesetzesvorhaben bewerben, das ein "gerichtlich zu bestimmendes Schmerzensgeld" sowie die Übernahme von Unterhaltsverpflichtungen vorsieht.

Funkzellenabfrage legal: Verwundert ob der Berliner Empörung über die Funkzellenabfrage (FZA) zeigt sich Christian Rath (Samstags-taz): Diese sei gesetzlich erlaubt, "auch zur Aufklärung von Brandstiftungen". Die Erfassung von Daten Unbeteiligter mache einen Einsatz nicht per se unverhältnismäßig, eine Nutzung von FZA mit Ausmaßen wie vergangenes Jahr in Dresden dagegen schon.

Bundesjustizministerin antwortet: Im Gespräch mit der Samstags-Ausgabe der FAZ (Jasper v. Altenbockum/ Reinhard Müller) erörtert Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger unter anderem Fragen zur Rechtsextremistendatei. Die Datei erfasse Gewalttäter, aber auch "Hintermänner und Drahtzieher". Informiert würden Aufgenommene zwar nicht, indes habe jeder einen Auskunftsanspruch: So könne etwa der Nachbar eines Rechtsextremisten erfahren, ob er als "Sympathisant geführt wird".

Versagen der Sicherheitsbehörden: Vor dem Hintergrund der für diese Woche geplanten Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung möglichen Behördenversagens gegenüber dem "braunen Terror" stellt Christian Rath (Montags-taz) die Frage, "ob die Fahndung (...)  überhaupt an strukturellen Problemen scheiterte". Nur in einem "echten Überwachungsstaat", so scheint es für Rath, hätte das NSU-Trio "sicher gefasst werden können".

Weitere Themen – Justiz

Reichweite der Meinungsfreiheit: Eine Verurteilung wegen Verunglimpfung des Staates verletze die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit, wenn der Anlass ein rechtsextremes Pamphlet ist, das einen "Widerstandskämpfer zum Mörder" macht. Diese Art der Auseinandersetzung mit Georg Elsner, so das Bundesverfassungsgericht in der Begründung zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Hechingen, sei von der Meinungsfreiheit geschützt. Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) schildert: Sehr großzügig seien "Grenzen der Staatskritik" gezogen worden, etwa wenn der "Bestand des Staates" gefährdet würde.

Max Steinbeis (verfassungsblog.de) findet, die Begründung lese sich wie ein "Grundkurs Öffentliches Recht I". Auch eine "Nazimeinung" sei eben eine Meinung.

SPD klagt an: Gemäß Art. 24 der niedersächsischen Verfassung müsse die Landesregierung parlamentarische Anfragen "nach besten Wissen unverzüglich und vollständig" beantworten, weiß die Montags-SZ (Nico Fried). Dagegen habe die damalige Wulff-Regierung im April 2010 verstoßen, als sie behauptet hatte, für die Ausrichtung des "Nord-Süd-Dialog" 2009 seien keine Steuergelder geflossen. Für mehrere tausend Euro Steuergelder seien Kochbücher beschafft worden. Die SPD-Landtagsfraktion schaltet nun den Staatsgerichtshof Niedersachsen ein, um die Sache zu klären.

Heribert Prantl (Montags-SZ) kommt der Bundespräsident mittlerweile wie ein "angeschlagener Boxer" vor und die Niedersachsen-SPD versuche nun, "einen technischen K.o. zu bewirken". Wegen Art. 40 der Verfassung Niedersachsens sei aber keine direkte Anklage Wulffs möglich, dafür fehle der Fraktion die "nötige Mehrheit".

Der Spiegel (Dietmar Hawrenk) berichtet, dass Banken in den USA und Deutschland Christian Wulff, Porsche, VW, Martin Winterkorn, Ferdinand Piech sowie Wolfgang Porsche auf fast zwei Milliarden Euro Schadenersatz verklagt haben. Vorgeworfen würden Wulff Pflichtverletzungen zur Zeit der "Übernahmeschlacht" zwischen Porsche und VW; Anleger seien in die "Irre geführt" oder jedenfalls nicht gewarnt worden.

Glaeseker unter Beschuss: Über neue Vorwürfe gegen den ehemaligen Wulff-Sprecher Glaeseker informiert unter anderem die Montags-SZ (Nico Fried). So habe der Unternehmer Manfred Schmid nicht nur Urlaube, sondern auch Gratisflüge "ermöglicht".

Der Spiegel (J. Dahlkamp/M. Fröhlingsdorf/H. Gude/D. Hipp/P. Müller/J. Schmitt) zitiert unter anderem aus dem E-Mail-Verkehr von Glaeseker rund um den Nord-Süd-Dialog und setzt sich mit der Frage auseinander, ob es wirklich sein kann, dass Wulff "glücklich, aber ahnungslos" geblieben ist. Laut Spiegel meint der Gießener Strafrechtsprofessor Thomas Rotsch, möglicherweise seien die Ermittlungen gegen Glaeseker "nur ein Einstieg", auch Wulff könne noch "ins Visier geraten".

Dem ehemaligen "Hausmeier" des Bundespräsidenten werde hinsichtlich möglicher Sponsoringdeals strafrechtlich "gar nichts" passieren, meint Heribert Prantl (Samstags-SZ). Warum? Solange man sich nicht "außergwöhnlich blöd" anstelle und etwa "Unrechtsvereinbarungen schließe" sei Sponsoring, das bisweilen "unanständig" sei oder "einen Geruch" habe, strafrechtlich irrelevant, so Prantl.

Kollektivbeleidigung und Meinungsfreiheit: Dass die Kollektivbeleidigung "all cops are bastards" ("ACAB") nicht strafbar ist, habe das Landgericht Karlsruhe in einem Urteil vom Dezember 2011 entschieden. Udo Vetter (lawblog.de) erläutert, im konkreten Fall sei es um einen Fußballfan mit Transparent im Stadion gegangen. Ein diensthabender Polizeibeamter habe Anzeige erstattet.

Kim Schmitz Superstar: Im "Unternehmen"-Teil der Samstags-FAZ (Martin Gropp) wird der vergangene Woche festgenommene deutsche Unternehmer Kim Schmitz portraitiert. Der "selbsternannte Star" sei vor acht Jahren vom Amtsgericht München wegen Insiderhandels verurteilt worden.

Thomas Stadler (Internet-law.de) erläutert die rechtlichen Hintergründe der Festnahme in Neuseeland sowie die Tatvorwürfe. Megaupload habe sich nicht wie "ein gewöhnlicher Hoster" verhalten, sondern sei gezielt auf urheberrechtlich geschütztes Material ausgerichtet gewesen. Die Anklageschrift eines US-Gerichts sowie eine Pressemittelung des US-Department of Justice sind verlinkt.

Wie spiegel.de meldet, wird Robert Bennett die Verteidigung des Unternehmens übernehmen. Zu den ehemaligen Mandanten des US-Staranwalts zählten etwa Bill Clinton sowie der US-Konzern Enron.

Leck in München: Die Aufdeckung "internationaler Korruptionsfälle" durch die "gefürchtete Münchener Staatsanwaltschaft" könnte durch Verrat in den eigenen Reihen erschwert werden. Wie die Samstags-SZ (Klaus Ott) berichtet, gibt es ein "Leck": Ein "Anonymus" habe zwei "Börsen-Größen", die sich ab dieser Woche vor Gericht verantworten müssten, Ermittlungsgeheimnisse gegen die Zahlung von jeweils 250.000 Euro angeboten, kurz bevor Razzia und Festnahmen erfolgen sollten.

Börsenjournalisten vor Gericht: Über die Hintergründe des heute vor dem Münchener Landgerichts beginnenden Prozesses gegen die Hauptverdächtigen im Zusammenhang mit dubiosen Börsen-Deals Markus Staub, Ex-Vorstandmitglied der Schutzgemeinschaft Kapitalanleger (Sdk), und Tobias Bosler, Finanzinvestor, informiert detailliert der Spiegel (Dinah Deckstein/Markus Grill). Zunächst über kleinere Börsen-Blättchen sollen Aktienwerte von Kleinunternehmen "befeuert" worden sein, um "Millionen abzuzocken". Später sei dies zum Beispiel auch über Focus Money geschehen, wo Bosler mit Oliver Janich "einen guten Bekannten" habe.

Laut Montags-SZ (ok.) wird auch gegen Straubs Anwalt Harald Petersen, ehemaliger SdK-Vorstand, ermittelt. Über den Antrag der Staatsanwaltschaft, Petersen als Verteidiger Straubs auszuschließen, sei noch nicht entschieden.

Presse-Vielfalt: Vor dem Landgericht Köln wird ab morgen wieder über eine Klage der Bauer Media Group gegen das "Verhandlungsmandat des Bundesverbandes Presse-Grosso" verhandelt, so die Montags-FAZ (Jan Hauser). Das Grosso-System sichere jedoch Pressevielfalt und Vertriebsnetz, erläutert die FAZ.

Facebook-Fahndungen: Ob die Einstellung von Fahndungsfotos auf Facebook datenschutzrechtlich zulässig ist, untersucht Udo Vetter (lawblog.de). Anlass: Die Polizei Hannover habe ihr Fahndungs-Projekt vorerst eingestellt, das Innenministerium Niedersachsen prüfe zurzeit die Rechtslage.

Gerhard Gribkowsky: Es könnte zu einem "Deal" im Strafverfahren gegen den Ex-BayernLB-Vorstand kommen: Staatsanwaltschaft und Verteidigung hätten sich getroffen, weiß der Spiegel. Dabei gehe es jedoch lediglich um den Vorwurf der Bestechlichkeit, nicht um die Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe. Werde der Vorwurf fallen gelassen, müsse die Staatsanwaltschaft sich wenigstens nicht fragen lassen, warum bislang kein Haftbefehl gegen Bernie Ecclestone beantragt worden ist.

Gefährliche Brustimplantate: Heute wird wohl die erste Zivilklage im Zusammenhang mit fehlerhaften Brustimplantaten vor dem Landgericht in Karlsruhe eingereicht, berichtet die Montagsausgabe der FAZ (Lucia Schmidt). Der Anwalt Michael Graf ziehe für seine erste Mandantin gegen "Arzt, Klinik, Chemikalienhändler Brenntag (...) und den TÜV Rheinland als Gesamtschuldner" vor Gericht, um Schmerzensgeld zu erstreiten. Gegen die Hersteller werde aus taktischen Gründen nicht gerichtlich vorgegangen, Insolvenzen würden den Rechtsstreit nur verzögern.

Mit der Frage, wer eigentlich zahlt, wenn der Hersteller insolvent ist setzt für lto.de der Rechtsanwalt Michael Wimmler ausführlich auseinander und prüft, inwiefern Behörden und TÜV Rheinland als Anspruchsgegner von Betroffenen in Betracht kommen.

Öffentliches Interesse und Berichterstattungsfreiheit: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eine Verletzung des Art. 10 (Meinungsfreiheit) der Menschenrechtskonvention durch Österreich festgestellt, so Thomas Stadler (internet.law.de). Die österreichische Tageszeitung Der Standard war im Zusammenhang mit einem Bericht über Ermittlungen gegen die Bank Hypo Alpe Adria zu einer Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen verurteilt worden. Für die Zulässigkeit persönlicher Angaben über Dritte in Presseberichten komme es wesentlich auf das hier vorliegende "öffentliche Interesse an der Berichterstattung" an.

Sonstiges

Staatsexamen: Mit der unter Abschlüssen einzigartigen Bedeutung des (Zweiten) Juristischen Staatsexamens setzt sich die Samstags-SZ (Mascha Dinter) auseinander und befasst sich neben Statistiken und Ablauf mit den Berufseinstiegschancen von Juristinnen und Juristen, die "nur" ein "befriedigend" erreicht haben.

Das Letzte zum Schluss

Für die Katz: Warum das Amtsgericht Regensburg einem Katzenhalter keinen Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 oder 2 Bürgerliches Gesetzbuch gegen die Absenderin eines nächtlichen Faxes zuspricht, weiß Thorsten Blaufelder (kanzlei-blaufelder.de): Die Katze sei in der Aufregung des klingelnden Geräts und herbeieilendem Adressaten vom Katzenbaum gesprungen und habe sich verletzt.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Januar 2012: Recht auf Vergessen im Web - "All Cops are Bastards" legal - Anlegerschützer zocken richtig ab . In: Legal Tribune Online, 23.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5367/ (abgerufen am: 18.07.2024 )

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