Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2022: Beru­fungs­sache Boa­teng / Kein erhöhtes Buß­geld wegen SUV / Streit um Kri­ti­sche Infra­struktur

21.10.2022

Welche Rolle spielen Schweigevereinbarungen in Promibeziehungen? Das OLG Frankfurt/M. lehnt ein erhöhtes Bußgeld wegen Nutzung eines SUVs ab. Die Bundesregierung streitet über chinesisches Investment in deutsche Hafen-Infrastruktur.

Thema des Tages

LG München I – Jerome Boateng: Im Berufungsverfahren des erstinstanzlich wegen Körperverletzung verurteilten Fußballers Jerome Boateng hat das Landgericht München I in einem Rechtsgespräch angeregt, die beidseitig eingelegte Berufung auf die Rechtsfolgen zu begrenzen. Nachdem der Angeklagte mitteilen ließ, ein solches Ergebnis nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können, wurde das Verfahren mit der Vernehmung Boatengs früherer Lebensgefährtin, der mutmaßlich Geschädigten, fortgesetzt. Diese schilderte erneut gewaltsame Übergriffe während eines gemeinsam verbrachten Urlaubs in der Karibik und beschrieb die Beziehung als "toxisch". Das Verfahren wird am heutigen Freitag fortgesetzt. FAZ (Karin Truscheit) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten.

Die SZ (Ronen Steinke) schreibt über Verschwiegenheitsvereinbarungen, wie sie wohl auch von Boateng und der verstorbenen Kasia Lenhardt, einer anderen Ex-Freundin Boatengs, geschlossen wurden. Die "in der Welt des Spitzenfußballs häufigen" Verträge nach dem Ende von Beziehungen dürften sittenwidrig und damit regelmäßig unwirksam sein. Auch in den USA rege sich seit dem Aufkommen der "MeToo"-Bewegung politischer Widerstand gegen eine als grenzenlos verstandene Vertragsfreiheit. Nach dem Kommentar von Lena Kampf (SZ) seien derartige Vereinbarungen ohne Machtgefälle der Beteiligten kaum denkbar und verlängerten "die Ungleichheit in der Beziehung noch über deren Ende hinaus." Ihren Zweck erfüllten sie indes "nur so lange, wie sie eingehalten werden."

Rechtspolitik

Cannabis: LTO (Hasso Suliak) berichtet vertieft über den ihr vorliegenden, zwölfseitigen Entwurf eines Eckpunktepapiers des Bundesgesundheitsministeriums zur Cannabis-Legalisierung. Diesem sei zu entnehmen, dass sich das Ministerium der völker- und europarechtlichen Probleme des Vorhabens durchaus bewusst ist. Zu völkerrechtlichen Abkommen der Drogenbekämpfung soll die Bundesregierung eine "Interpretationserklärung" abgeben. Um ein unionsrechtliches Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden, soll gegenüber der EU-Kommission und anderen EU-Staaten für den neuen deutschen Ansatz geworben werden. Konkreter werde das Papier bei der Menge Cannabis, die künftig straffrei besessen werden dürfe (20 Gramm). Zudem werde an die Ermittlungsbehörden der Länder appelliert, auch vor der gesetzlichen Legalisierung von Cannabis von der Möglichkeit von Verfahrenseinstellungen Gebrauch zu machen. Autofahrten unter der Wirkung von Cannabis sollen verboten bleiben.

Planungsbeschleunigung/VwGO: Die taz (Christian Rath) berichtet über die Verbändeanhörung zum geplanten "Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich". Umstritten ist vor allem ein neuer Paragraf 80c der Verwaltungsgerichtsordnung, der die Möglichkeiten, ein Vorhaben im Eilverfahren zu stoppen, stark einschränken soll. "Das Gericht kann einen Mangel des angefochtenen Verwaltungsaktes außer Acht lassen, wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird", heißt es im Referentenentwurf, den Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im August vorgelegt hat. Dies würde zum "faktischen Ende des Eilrechtsschutzes" führen, kritisiert der BUND. Die geplante Regelung sei grundgesetz-, völkerrechts- und unionsrechtswidrig. Die lange Dauer von Genehmigungsverfahren liege eher am Personalmangel in den Verwaltungen.

Aufenthaltsrecht: Die Welt (Ricarda Breyton) berichtet über einen innerkoalitionären Dissens beim geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht. Während die FDP darauf bestehe, die angedachte Chance auf eine dauerhafte Bleibeperspektive für Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus mit einer Stichtagsregelung zu verbinden, wollten die Grünen hierauf verzichten, um Kettenduldungen zu vermeiden.

Geldwäsche/Finanzkriminalität: Ronen Steinke (SZ) kommentiert "die Misere der deutschen Geldwäschebekämpfung". Diese befasse sich immer noch weit überwiegend mit "armen Tröpfen", sogenannten Maultieren, "die in Wahrheit selbst Opfer sind", statt "Business-Tycoons" ins Visier zu nehmen. Er begrüßt, dass im Entwurf für ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz II der Kauf von Immobilien mit Bargeld verboten und die Transparenz von Unternehmensstrukturen verbessert wird. Entscheidend sei aber, dass die Ermittler, "ganz neu aufgestellt werden." Eine Beweislastumkehr wäre dagegen rechtsstaatswidrig. 

Wahlprüfung: In der Wahlrechts-Kommission des Bundestags wird diskutiert, die Wahlprüfung durch den Bundestag abzuschaffen, so dass direkt das Bundesverfassungsgericht über Einsprüche zur Bundestagswahl entscheiden würde. Dafür wäre eine Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit erforderlich. Dies erwähnt die FAZ (Markus Wehner) in ihrer Berichterstattung über Wahlprüfung zur Bundestagswahl in Berlin. 

Richteranklage Berlin: Die im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien sind sich mit Ausnahme der AfD darüber einig, möglichst rasch die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Richteranklage zu schaffen. Im Rechtsausschuss sollen nun Experten und Vertreter der Richterschaft gehört werden, schreibt LTO. Die CDU-Fraktion habe derweil bereits eine Änderung der Landesverfassung vorgeschlagen.

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu erhöhter Regelgeldbuße bei SUV: Es ist unzulässig, das Bußgeld für einen Verkehrsverstoß allein deshalb zu erhöhen, weil dabei ein SUV benutzt wurde. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. in einem nun veröffentlichten Beschwerdebeschluss vom September. Anlass war eine vielbeachtete anderslautende Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt/M. vom Juni. Das OLG führt nun aus, dass Abweichungen von den im Bußgeldkatalog angeführten Regelfällen nur in Ausnahmefällen statthaft seien. Pauschale Erwägungen, wie sie das AG ohne nähere Definition etwa der "wesentlichen gefährdungsrelevanten Charakteristika" des betroffenen Fahrzeugtyps vorgenommen habe, seien nicht zulässig. Im nun entschiedenen Fall hatte die erhöhte Geldbuße wegen der "gravierenden Vorbelastung" des Fahrers gleichwohl Bestand, berichtet LTO.

EuGH zu Airlinehaftung für psychische Schäden: Auch psychische Beeinträchtigungen infolge eines Unfalls können Schadensersatzansprüche gegen eine Fluglinie begründen, wenn die Schäden behandlungsbedürftig sind und damit einer Körperverletzung im eigentlichen Sinne entsprechen. Dies entschied nach Bericht von LTO der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Obersten Gerichtshofs Österreichs. Im zugrundeliegenden Fall hatte die Klägerin wegen Pannen bei einem Notausstieg eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Das streitentscheidende Übereinkommen von Montreal bezieht sich seinem Wortlaut nach lediglich auf Körperverletzungen, müsse aber – so der EuGH – entsprechend ausgelegt werden.

VG Berlin – Berlin Metropolitian School: zeit.de (Astrid Geisler) berichtet ausführlich über die mehrjährige, inzwischen beim Verwaltungsgericht Berlin verhandelte Auseinandersetzung zwischen dem Land Berlin und der bekannten Privatschule Berlin Metropolitan School. Deren Betreiber hätten verhindern wollen, dass die zuständige Senatsverwaltung auf eine Anfrage der Zeitung die Höhe von staatlichen Zuschüssen offenlegte. Die Schule begründe ihr Geheimhaltungsinteresse mit Konkurrenzschutz. Zwischenzeitlich sei die fragliche Information der Redaktion jedoch "möglicherweise versehentlich mit anderen Akten aus dem Rechtsstreit übermittelt" worden, weshalb das Gericht nun eine Erledigungserklärung angeregt habe.

VG Wiesbaden zu AfD-Beobachtung: Bis zum Abschluss eines anhängigen Eilverfahrens darf das hessische Landesamt für Verfassungsschutz die AfD des Bundeslandes nicht als sogenannten Verdachtsfall beobachten. Diesen "Hängebeschluss" traf das Verwaltungsgericht Wiesbaden aufgrund einer Folgenabwägung, berichtet LTO.

Einheitliches Patentgericht: Die FAZ (Marcus Jung) porträtiert Klaus Grabinski, der in dieser Woche als Richter am Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court) ernannt wurde und für die nächsten drei Jahre als Präsident des neuen, in Luxemburg beheimateten Gerichts gewählt wurde. Grabinski war bislang stellvertretender Vorsitzender des zehnten Zivilsenats des Bundesgerichtsgerichtshofs.

Digitaler Zugang zum BVerfG: Das Bundesverfassungsgericht ist aktuell das einzige deutsche Gericht, das Schriftsätze lediglich in Papierform entgegennimmt. In einem LTO (Hasso Suliak) vorliegenden Brief fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Till Steffen, Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf, dies zu ändern. Das Ministerium befinde sich nach eigener Aussage hierzu im Austausch mit dem Gericht. Dieses hat bereits selbst seine Erreichbarkeit verbessert: Die Anzahl der FAX-Anschlüsse wurde kürzlich von einem auf drei erhöht.

Recht in der Welt

Österreich – Sebastian Kurz: Der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hat auf die neuesten Enthüllungen in der Inseraten-Affäre, die zu seinem Rücktritt führte, mit der Veröffentlichung eines selbst mitgeschnittenen Gespräches mit dem vermeintlichen Kronzeugen Thomas Schmid reagiert. Das im Herbst 2021 geführte Telefonat lasse dabei vermuten, dass Kurz seinem Gesprächspartner Entlastendes zu entlocken versuchte, legen sowohl FAZ (Stephan Löwenstein) als auch SZ (Cathrin Kahlweit) nahe.

Brasilien – Oberstes Wahlgericht: Die SZ (Christoph Gurk) porträtiert Alexandre de Moraes, dem als Präsident des Obersten Wahlgerichts Brasiliens vor der anstehenden Stichwahl um die Präsidentschaft des Landes "die größte Herausforderung seiner Karriere" bevorstehen dürfte. Der Ex-Justizminister habe früher als erzkonservativ gegolten, sich jedoch seit der Wahl Jair Bolsonaros im Jahr 2018 als "Verteidiger der Demokratie" erwiesen.

USA – Donald Trump: Der frühere US-Präsident Donald Trump ist im Rahmen einer zivilrechtlichen Verleumdungsklage unter Eid vernommen worden. Die Klägerin - die Autorin Jean Carroll - beschuldigt Trump, sie in den 1990er Jahren vergewaltigt zu haben, er bestreitet dies. Einzelheiten zur Aussage wurden bisher nicht bekannt. LTO berichtet.

USA – Danny Masterson: Die FAZ (Christiane Heil) berichtet über den nun eröffneten Prozess gegen den US-amerikanischen Schauspieler Danny Masterson, dem vorgeworfen wird, er habe vor rund zwanzig Jahren drei Frauen vergewaltigt. Die Vorwürfe wurden im Zuge des MeToo-Diskurses bekannt. Das Strafverfahren ist stark davon geprägt, dass sowohl der Angeklagte als auch die Frauen der Scientology-Sekte angehören. In ihrem Eröffnungsstatement hatte die Staatsanwaltschaft zahlreiche Einflussnahmeversuche der Organisation zulasten der Frauen beschrieben.

USA – Kevin Spacey: Ein Gericht in New York City hat die Schadensersatzforderung des Schauspieler Anthony Rapp gegen seinen Kollegen Kevin Spacey abgewiesen. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass der von ihm behauptete sexuelle Übergriff vor mehr als 35 Jahren tatsächlich stattgefunden habe, so spiegel.de.

Sonstiges

China und der Hamburger Hafen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) streitet mit den sechs zuständigen Ministerien seiner Bundesregierung über die Beteiligung des chinesischen Reedereikonzerns Cosco an einem Container-Terminal im Hamburger Hafen. Während das Kanzleramt und der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Beteiligung wegen des erhofften steigenden Warenverkehrs mit China befürworten, lehnen die mit der fachlichen Prüfung des Vorhabens befassten Ministerien, inklusive Justizminister Marco Buschmann (FDP), die Beteiligung wegen des befürchteten Zugriffs der Volksrepublik auf kritische Infrastruktur ab. Ein Verbot des Vorhabens setzt einen Kabinettsbeschluss voraus. Ohne Beschluss oder Fristverlängerung gilt die Transaktion Ende Oktober als genehmigt. Es berichten SZ (Saskia Aleythe u.a.), zeit.despiegel.de (David Böcking u.a.) und LTO (Stefan Schmidbauer).

BSI-Chef Schönbohm: Nachdem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dem Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, die Ausübung seines Amtes untersagte, stellt Rechtsprofessor Ulrich Battis auf dem Verfassungsblog die beamtenrechtlichen Grundlagen des Vorgangs dar  Aus zwingenden dienstlichen Gründen könne Beamten und Beamtinnen die Führung der Dienstgeschäfte vorübergehend verboten werden, ohne disziplinarrechtliche Sanktion müssten die Betroffenen allerdings nach spätestens drei Monaten wiedereingesetzt oder anderweitig gleichwertig beschäftigt werden.

Klimaaktivismus: Reinhard Müller (FAZ) erkennt in einem Kommentar in den Straßenblockaden von "selbstklebenden Klimaaktivisten" eine zu bekämpfende "Verfassungsfeindschaft". Es sei zwar "mehr als legitim", auf Missstände "spürbar" hinzuweisen. Die "schulterzuckende Ignoranz gegenüber unserer Grundordnung" zum Zwecke der Durchsetzung "von etwas selbstdefiniertem Höherem" offenbare aber Verfassungsfeindschaft.

Regenbogenbeflaggung: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat in diesem Jahr angewiesen, zu besonderen Anlässen auch die Regenbogenflagge aufzuziehen, und wich damit vom Flaggenerlass der Bundesregierung ab. Dies verstößt nach Einschätzung der studentischen Hilfskraft Fiene Kohn auf juwiss.de nicht gegen das Neutralitätsgebot, weil die Flagge Toleranz, Offenheit und Antidiskriminierung symbolisiere, also verfassungsimmanente Werte.

Patricia Schlesinger: Die vom RBB mit einer Compliance-Prüfung beauftragte Kanzlei Lutz Abel hat in der Causa der früheren Intendantin Patricia Schlesinger einen Zwischenbericht vorgelegt. Schlesinger habe danach bei der Abrechnung von privaten Reisen und Abendessen wiederholt gegen interne Vorgaben verstoßen. Dazu sei sie nach der geltenden Intendantenverfassung aber befugt gewesen. Die Arbeitsverträge der Journalistin seien einmal ohne Beschluss des zuständigen Verwaltungsrates geschlossen worden, in einem anderen Fall ohne die erforderliche Prüfung durch den Verwaltungsrat, so die SZ (Aurelie von Blazekovic) in ihrem Medien-Teil. Der Abschlussbericht solle bis zum Ende des Jahres vorliegen.

Das Letzte zum Schluss

Eidlos: Mehrere Abgeordnete des Parlaments der französischsprachigen kanadischen Provinz Quebec haben sich geweigert, einen Eid auf das neue Staatsoberhaupt Kanadas – König Charles III. - zu leisten. Laut spiegel.de sei nun fraglich, ob die Abgeordneten überhaupt ihr Mandat wahrnehmen können.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2022: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49950 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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