Wer Ermittlungen gegen sich selbst verschweigt, kann rückwirkend aus dem Referendariat entlassen werden. Greenpeace-Klage gegen Volkswagen hatte keinen Erfolg. Der Lux-Leaks-Whistleblower enthält eine Entschädigung.
Thema des Tages
VG Berlin zu Entlassung eines Referendars: Die rückwirkende Entlassung eines Referendars, der die zuständige Behörde vor Dienstantritt nicht von Ermittlungen gegen ihn informierte, ist nach einem nun veröffentlichten Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin aus der vergangenen Woche rechtmäßig. LTO-Karriere schreibt, dass gegen den Antragsteller nach dessen Bewerbung Ermittlungen wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Vergewaltigung aufgenommen wurden. Nach der zeitlich späteren Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst habe ihn die ermittelnde Staatsanwältin in seiner dortigen Station erkannt. Die daraufhin verfügte rückwirkende Entlassung sei rechtmäßig, weil die Ernennung auf arglistiger Täuschung beruhte, so das VG. Dem Juristen hätte sich aufdrängen müssen, dass er angesichts der Schwere des Vorwurfs zur Meldung verpflichtet gewesen sei, zumal er bei seiner Bewerbung eine entsprechende Erklärung unterschrieben hatte. Nach Abschluss der Ermittlungen wird die Anklage bald zugestellt.
Rechtspolitik
Dokumentation der Hauptverhandlung: Der FAZ (Helene Bubrowski) liegt eine 42-seitige Stellungnahme des Deutschen Richterbunds zur geplanten audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung vor. Man sehe den Gesetzentwurf von Justizminister Marco Buschmann (FDP) mit "großer Sorge" wegen möglicher Verletzungen von Persönlichkeitsrechten Beteiligter. Die Aufnahmen könnten in die sozialen Netzwerke kommen und dort eine "Prangerwirkung ungeahnten Ausmaßes" erzeugen. Außerdem warnt der Richterbund vor einer weiteren Verlängerung von Strafprozessen. Zwar seien technische und personelle Mehrausstattungen geboten, nicht jedoch "fragwürdige Digitalisierungsvorhaben".
Containern: Eine Sitzung des für die Festlegung der "Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren" (RiStBV) zuständigen Gremiums konnte kein Einvernehmen über die künftige Behandlung des sogenannten Containerns herstellen. Damit ist der von Justizminister Marco Buschmann (FDP) unterstützte Vorstoß Hamburgs, Verfahren wegen Containerns in bestimmten Fällen automatisch einzustellen, vorerst gescheitert. Nunmehr werden Stellungnahmen der Länder eingeholt, meldet die FAZ (Katja Gelinsky).
Geldwäsche: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ fordern die Rechtsprofessoren Kilian Wegner und Till Zimmermann einen Strategiewechsel in der strafrechtlichen Ahndung von Geldwäsche. Sie behaupten, dass der Nachweis professioneller Geldwäschestrukturen "fast nie" gelinge. Daher solle verstärkt auf Vermögensabschöpfung, mithin "die Konfiskation von Straftatgewinnen", gesetzt werden. Durch ein neues Vermögenseinziehungsgesetz und "präventive Finanzermittlungen" lasse sich dies bewerkstelligen.
Justiz
LG Braunschweig zu Klimaschutz/VW: Das Landgericht Braunschweig wies eine von Greenpeace unterstützte Klage ab, mit der VW dazu verpflichtet werden sollte, den Verkauf von Autos mit Verbrennermotoren bis 2030 einzustellen. Der Autobauer halte die geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften ein. Es gebe keine darüber hinaus gehenden zivilrechtlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz. Ein Privatunternehmen habe keine über die Schutzpflicht des Staates hinausgehenden Verpflichtungen. Die Kläger müssten die von VW verursachten CO2-Emissionen daher dulden. Es berichten taz (Christian Rath) und LTO (Katharina Uharek/Pauline Dietrich), wo auch zahlreiche weitere Verfahren beschrieben werden.
BVerfG – parteinahe Stiftungen: Am 22. Februar wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung verkünden. Es geht um die Frage, ob die Stiftung an staatlichen Globalzuschüssen für parteinahe Stiftungen beteiligt werden muss. Dass das Urteil zugunsten der klagenden AfD-Bundestagsfraktion ausfallen könnte, sei gesetzgeberischen Versäumnissen geschuldet, so die Einschätzung von Rechtsprofessor Markus Ogorek im FAZ-Einspruch. Das Kölner Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre, dessen Direktor der Autor ist, hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, der im Beitrag vorgestellt wird.
BVerfG zu Polizeigesetz MV: Der Anfang des Monats veröffentlichte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommerns wird von Rechtsprofessor Thorsten Koch auf dem Verfassungsblog analysiert. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit mehrerer Bestimmungen zu verdeckten Datenerhebungen knüpfe an die Entscheidung des BVerfG zum BKA-Gesetz aus dem Jahr 2016 an und fordere mit seinen Präzisierungen der dort formulierten Anforderungen die Bundes- und Landesgesetzgeber zur Überprüfung auch anderer Polizeigesetze auf.
BGH – Schufa: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Rechtmäßigkeit der bislang dreijährigen Speicherung einer Restschuldbefreiung nach einer Privatinsolvenz durch die Auskunftei Schufa. In öffentlichen Registern werde diese Information bereits nach sechs Monaten gelöscht. Deshalb hatte das Oberlandesgericht Schleswig die Schufa-Praxis beanstandet. Der BGH will sein Urteil am 28. März verkünden. Die SZ (Wolfgang Janisch/Nils Wischmeyer) berichtet und verweist auf parallel am Europäischen Gerichtshof anhängige Verfahren "vor dem Hintergrund der Datenschutzgrundverordnung". Der EuGH werde aber erst nach dem BGH entscheiden.
BGH zu anwaltlichen Vertretungsvoraussetzungen: In einem nun veröffentlichten Urteil aus dem Dezember stellte der Bundesgerichtshof klar, dass das vertretungsweise Handeln eines Rechtsanwalts für den Hauptbevollmächtigten im Zivilprozess durch Verwendung des Briefbogens hinreichend erkennbar sei. Demnach seien – anders als vom Landgericht Berlin befunden – keine erklärenden Zusätze wie "i.V." erforderlich. LTO berichtet.
BAG zu nachgeholter Betriebsratsbeteiligung: Die laut Betriebsverfassungsgesetz erforderliche Beteiligung des Betriebsrats muss vor einer geplanten Versetzung stattfinden. Die Beteiligung kann nicht nachgeholt werden, notfalls muss die Versetzung aufgehoben werden. Dies entschied im Oktober das Bundesarbeitsgericht in einem vom Expertenforum Arbeitsrecht (Reimo Richarz) berichteten Urteil.
LG Köln zu Go Student: Das Landgericht Köln hat der Nachhilfeplattform Go Student mehrere irreführende und intransparente Werbeaussagen untersagt. So dürfe die Plattform nicht mehr behaupten, von bestimmten Publikationen – in denen sie lediglich erwähnt wurde - empfohlen worden zu sein. Auch sei eine AGB-Klausel zu automatischen Vertragsverlängerungen unwirksam. Das Hbl (Luisa Bomke) berichtet.
SG Berlin – Gesundheitsdaten: Die Rechtmäßigkeit der zentralen Speicherung der Gesundheitsdaten von gesetzlich Krankenversicherten und insbesondere die datenschutzwahrende Bearbeitung dieser Daten ist Thema eines am heutigen Mittwoch fortgesetzten Verfahrens am Sozialgericht Berlin. Der Klägerpartei sei besonders an einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gelegen, schreibt netzpolitik.org (Tim Wurster/Anna Seikel).
AG Berlin-Tiergarten zu Beleidigung durch AfD-Politiker: Das Berliner Amtsgericht Tiergarten hat den AfD-Lokalpolitiker Kai Borrmann wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass Borrmann im Sommer 2021 nach einem Barbesuch zwei Frauen rassistisch beleidigt und eine der beiden in den Arm gebissen hatte. Das Verfahren fand vor allem deshalb öffentliches Interesse, weil bekannt wurde, dass Borrmann Lebensgefährte der Soziologin und AfD-Forscherin Cornelia Koppetsch ist, die ihn am Tatabend begleitet hatte. Es berichten taz (Gareth Joswig), spiegel.de (Tobias Becker), zeit.de (Tobias Timm) und bild.de (Til Biermann).
AG Berlin-Tiergarten zu Volksverhetzung: Wegen Volksverhetzung in neun Fällen und weiterer Delikte hat das Berliner Amtsgericht Tiergarten einen 51-Jährigen zu einer Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Der aus dem Iran stammende Angeklagte weise nach Einschätzung eines Sachverständigen psychische Auffälligkeiten auf, sei jedoch nicht psychisch krank, so spiegel.de (Wiebke Ramm). Im Verfahren wurde er von Wolfram Nahrath vertreten, früher Vorsitzender der Wking-Jugend.
GBA – NSU-Unterstützung: Der Generalbundesanwalt hat ein weiteres Ermittlungserfahren gegen einen möglichen Unterstützer der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU eingestellt. Dies berichtet spiegel.de (Julia Jüttner/Sven Röbel). Es gehe um Andre K., der in der rechtsextemen Szene Thüringens als rechte Hand des im NSU-Zusammenhang verurteilten Ralf Wohlleben bekannt sei. Gegen drei Beschuldigte werde weiter ermittelt.
StA Dortmund – tödlicher Polizeieinsatz: Nach Bericht von bild.de (Frank Schneider) hat die Staatsanwaltschaft Dortmund wegen der Tötung eines 16-jährigen Flüchtlings im vergangenen August nun Anklage gegen fünf Polizisten erhoben. Dem Todesschützen werde Totschlag, den übrigen Beteiligten gefährliche Körperverletzung bzw. Anstiftung hierzu vorgeworfen.
Geldauflagen: Die SZ (Ronen Steinke) schildert anhand dubioser Beispiele, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften bei der Auswahl der Empfänger von Geldauflagen keine klaren Kriterien haben. Neben dem Missionsverein "Weisse Väter" werden Amaterfußballklubs und "vereinzelt sogar Golfklubs" als solcherart Bedachte erwähnt. Vorbildlich transparent sei die Verteilung in Niedersachsen, das jährlich alle Empfänger auflistet, "besonders intransparent" sei dagegen die Praxis in Baden-Württemberg.
Recht in der Welt
EGMR/Luxemburg – Lux-Leaks-Whistleblower: Die Verurteilung eines der Whistleblower der sogenannten Lux-Leaks zu Steuervergünstigungen in Luxemburg erfolgte nach Einschätzung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Unrecht. Das Großherzogtum müsse Raphael Halet daher entschädigen. Die von ihm beförderte Aufdeckung der Vorgänge überwiege die Interessen seines früheren Arbeitgeber deutlich. Auch sei seine Verurteilung geeignet, andere potentielle Tippgeber einzuschüchtern. Dem widerspreche nicht, dass Halet lediglich zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden war. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marcus Jung) und tagesschau.de (Gigi Deppe) berichten.
Niederlande – Racial Profiling: Der Haager Berufungsgerichtshof hat es dem niederländischen Staat grundsätzlich verboten, bei Grenzkontrollen eine Auswahl anhand ethnischer Zugehörigkeiten vorzunehmen. Zwar könne das sogenannte Racial Profiling aufgrund "besonders zwingender Gründe" ausnahmsweise zulässig sein. Solche Gründe seien im Verfahren aber nicht dargelegt worden. Über die Entscheidung berichtet zeit.de.
Georgien – Michail Saakaschwili: Die FAZ (Reinhard Veser) bringt auf ihrer Seite Drei eine Reportage über den früheren georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Trotz augenscheinlich lebensbedrohlichen Zustandes lehne es die aktuelle Regierung ab, dem wegen Machtmissbrauch verurteilten Politiker eine Haftverschonung zu gewähren oder ihn durch ausländische Spezialisten behandeln zu lassen. Dessen Unterstützer machen hierfür den wachsenden Einfluss Russlands verantwortlich und vermuten eine gezielte Vergiftung Saakaschwilis.
IGH – Westjordanland: Gemäß einer entsprechenden Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem vergangenen Dezember befasst sich der Internationale Gerichtshof derzeit mit der Erstellung eines Gutachtens zum rechtlichen Status und den hieraus folgenden Konsequenzen des seit 1967 unter israelischer Militärverwaltung stehenden Westjordanlandes. Die Doktorandin Lisa Wiese erklärt auf LTO das Verfahren und seine völkerrechtliche Bedeutung. Die israelische Regierung, die – wie u.a. auch Deutschland – gegen die Resolution gestimmt hatte, habe bereits angekündigt, durch ein etwaiges Ergebnis nicht verpflichtet zu sein. Tatsächlich sei das Gutachten nicht bindend.
Sonstiges
Cum-Ex-U-Ausschuss: Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) steht wohl vor einer Zeugenaussage im Hamburger Untersuchuchungsausschuss zur steuerlichen Behandlung der in Cum-Ex-Geschäfte verwickelten Privatbank Warburg. Thema einer Aussage des Ministers – die zunächst noch von der Landesregierung genehmigt werden müsse – seien Aussagen des damaligen Bundesfinanzministers und jetzigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) im Finanzausschuss des Bundestages. Erst kürzlich hatte die Koalition beschlossen, den Geheimschutz dieser Aussage aufzuheben, erinnert die FAZ (Marcus Jung/Rüdiger Soldt).
Workation als Anwalt: Anwält:innen, denen der heimische Kanzleialltag zu dröge erscheint, könnten darüber nachdenken, in "Workation" zu arbeiten: Die Kombination aus Arbeit und Urlaub stellt Clemens Engelhardt in einem Gespräch mit LTO-Karriere (Franziska Kring) vor. Der Partner einer Wirtschaftskanzlei verbrachte vier arbeitsreiche Wochen auf Mauritius und spricht über seinen beruflichen Werdegang, das praktische Funktionieren und die besonderen Herausforderungen des "bewussten Arbeitens im Urlaub bei verlängerter Reisezeit" und Strandspaziergänge im Mondschein.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 15. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51063 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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