Die juristische Presseschau vom 8. Februar 2023: Kli­maklage abge­wiesen / Pro­zess um Mil­li­ar­de­nerbe / Schuld­un­fähiger Amok­fahrer?

08.02.2023

Die DUH scheiterte mit dem Versuch, BMW den Bau von Verbrennermotoren ab 2030 untersagen zu lassen. Das Landgericht München I verhandelt über ein Milliardenerbe. Am Landgericht Berlin begann der Prozess wegen der Kudamm-Amokfahrt. 

Thema des Tages

LG München I zu Klimaschutz/BMW: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist am Landgericht München I mit ihrer Klage abgewiesen worden, BMW die Produktion von Autos mit Verbrennermotoren ab 2030 zu untersagen. Geklagt hatten die Mitglieder der DUH-Geschäftsführung. Sie beriefen sich auf ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht und drohende Freiheitseinschränkungen, sollte klimapolitisch nicht frühzeitig umgesteuert werden. Hierzu seien auch große Auto-Hersteller verpflichtet. Das LG hat die Klage nun als zulässig eingestuft; ein rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei "nicht von vornherein unschlüssig". Die Klage sei aber unbegründet. Gegenwärtig könnten die zu besorgenden gravierenden Freiheitseinbußen noch nicht festgestellt werden, da sich BMW an die gesetzgeberischen Vorgaben halte. Die DUH-Geschäftsführer:innen werden Rechtsmittel einlegen und zeigten sich optimistisch, ihr Anliegen in den höheren Instanzen durchsetzen zu können. LTO (Pauline Dietrich) berichtet.

Rechtspolitik

EU-Vermittlungsausschuss: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch spricht sich Rechtsprofessor Rupert Scholz (CDU) für die Schaffung eines europäischen Vermittlungsausschusses aus. Trotz des unionsrechtlichen, "eigentlich sehr eindeutigen" Prinzips der abgeleiteten und begrenzten Einzelermächtigung ergäben sich "mehr und öfter" kompetenzrechtliche Abgrenzungsprobleme zwischen EU-Organen und Mitgliedstaaten. Auch neige der Europäische Gerichtshof zu "faktischen Kompetenzerweiterungen und zur Anerkennung rechtswidriger Kompetenznahmen durch die Europäische Kommission". Der Staatsrechtler schlägt daher vor, bei konkreten Streitfragen eine Lösung durch einen "paritätisch aus Vertretern des jeweils betroffenen nationalen Parlaments und Vertretern des Europäischen Parlaments" gebildeten Vermittlungsausschuss zu finden.

Arbeitszeiterfassung: Nach Darstellung der FAZ (Dietrich Creutzburg) herrsche unter Arbeitgebenden nach wie vor große Unsicherheit über die praktischen Konsequenzen der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung aus dem Jahr 2019 bzw. vom vergangenen September. Ein nun vorgelegtes, im Auftrag des Verbandes Gesamtmetall erstelltes Gutachten von Rechtsprofessor Gregor Thüsing führe aus, dass die Entscheidungen zwar das Recht von Arbeitnehmenden begründe, ihre Arbeitszeit aufzeichnen zu lassen, es seien aber "einvernehmliche und freiwillige" Lösungen anderen Inhalts weiterhin möglich. Eine vom Bundesarbeitsministerium angekündigte gesetzliche Umsetzung der Urteile werde wohl erst in der zweiten Jahreshälfte erfolgen.

In einem separaten Kommentar begrüßt Dietrich Creutzburg (FAZ) die Möglichkeit für Arbeitnehmende, auch weiterhin nach sogenannter Vertrauensarbeitszeit zu arbeiten. Wer diese in Frage stelle, schicke "Millionen Arbeitnehmer … in den arbeitsrechtlichen Lockdown."

Cannabis: Die offenbar ins Stocken geratenen Pläne der Regierungskoalition, den Cannabisgebrauch für Erwachsene zu legalisieren, sind Thema des SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel), der hierzu auch den Journalisten und Rechtsanwalt Hasso Suliak befragt.

Schächten: Die AfD-Fraktion im Bundestag beantragt eine Änderung des Tierschutzgesetzes, um ein bedingungsloses Verbot des sogenannten Schächtens zu erreichen. Aktuell gelten religionsbedingte Ausnahmen für das betäubungslose Schlachten, erläutert die Welt (Frederik Schindler). Zuletzt im Jahr 2002 hatte das Bundesverfassungsgericht diese als verfassungsgemäß eingestuft.

Justiz

LG München I zu Milliardenerbe: In einem dem Hbl (Sönke Iwersen u.a.) vorliegenden Urteil hat das Landgericht München I die vom Sohn des früheren Knorr-Bremsen-Chefs Heinz Hermann Thiele beantragte Nichtigkeitserklärung seines Erbverzichts abgewiesen. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Vater habe Henrik Thiele 2017 eine Abfindung von 25 Millionen Euro erhalten, sei hierzu jedoch nach eigenen Angaben durch psychischen Druck des Erblassers bestimmt worden. Der Streitwert der jetzigen Klage habe sich auf 4,5 Milliarden Euro belaufen. Die jetzige Entscheidung sei nur eine von mehreren "juristischen Scharmützeln" um das milliardenschwere Erbe des im vergangenen Frühjahr verstorbenen Unternehmers. So begehre dessen Witwe auch weiterhin die Entlassung des Testamentsvollstreckers, der auf der üblichen Vergütung von 1,5 Prozent bestehe. Ihre Anwälte Peter Gauweiler und Thomas Fischer hätten das Anliegen der Witwe mit einer Strafanzeige untermauert. Dies habe das Nachlassgericht in seiner noch nicht rechtskräftigen Entscheidung als "feindseliges Verhalten" kritisiert.

LG Berlin – Amokfahrt am Kudamm: Wegen Mordes und mehrfachen Mordversuches ist der 29-Jährige Gor H. am Landgericht Berlin angeklagt. Am 8. Juni soll er bei einer Amokfahrt auf Bürgersteigen des Kurfürstendamms eine Lehrerin getötet, zahlreiche auf Klassenfahrt befindliche Schulkinder sowie weitere Menschen verletzt haben. Im Mittelpunkt des Verfahrens dürfte die Frage stehen, ob der seit der Tat in der Psychiatrie untergebrachte, seit mehreren Jahren an paranoider Schizophrenie erkrankte Angeklagte schuldfähig ist. Nach Darstellung seines Verteidigers finde er "keinen Zugang zum Geschehen" und schwieg zum Prozessauftakt. Es berichten SZ (Verena Mayer)LTO und spiegel.de (Wiebke Ramm).

EuGH zu In-vitro-Zufallsmutagenese: Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs kann sich die sogenannte In-vitro-Zufallsmutagenese, bei der die Häufigkeit spontaner genetischer Mutationen lebender Organismen erhöht wird, auf eine Ausnahme der EU-GVO-Freisetzungs-Richtlinie von 2001 berufen. Das Verfahren sei etabliert und hinreichend sicher. Damit entfallen Kennzeichnungspflichten, erläutern spiegel.de und LTO.

BVerfG zu Parteienfinanzierung: Die im Januar ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung untersucht Doktorand Timo Sewtz (JuWissBlog) im Hinblick auf das Prozeduralisierungsgebot, aus dem das Karlsruher Gericht eine Begründungspflicht des Gesetzgebers abgeleitet habe. Auch in anderen Entscheidungen "in sozioökonomischen Themenfeldern" habe das BVerfG gesetzgeberische Lösungen wegen intransparenter Ermittlungen gerügt und sich so einem weltweiten Trend von "evidenzbasiertem judicial review" angeschlossen. Problematisch sei dies jedoch "vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes" und wegen der Verkennung der "politischen Natur des parlamentarischen Prozesses". Die Übertragung auf Falltypen etwa des Grundrechtsbereiches mache die Karlsruher Rechtsprechung "übergriffig."

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Nach zweiwöchiger Pause wird am Landgericht München I der Strafprozess gegen Markus Braun und weitere frühere Wirecard-Führungskräfte fortgesetzt. Die FAZ (Henning Peitsmeier/Marcus Jung) beschreibt es als "sehr wahrscheinlich", dass die Verteidigung Brauns einen erneuten Versuch auf Aussetzung des Verfahrens starten wird. Trotzdem sei für den morgigen Donnerstag die angekündigte Einlassung Brauns geplant, der nach den Aussagen des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus unter Zugzwang stehe.

LG München I zu Werbung mit Abgaswerten: Wegen "Irreführung von Verbrauchern" hat das Landgericht München I auf Klage der DUH dem Autohersteller BMW untersagt, mit WLTP-Abgaswerten zu werben, wenn bei der Abgasmessung das NEFZ-Verfahren angewandt wurde. LTO berichtet. 

LG Mannheim – Zucker-Kartell: In einem am Landgericht Mannheim anhängigen Pilotverfahren zu Schadensersatzansprüchen gegen Betreiber eines Zuckerkartells habe ein Gutachten ergeben, dass der kartellbedingte Preisaufschlag geringer gewesen sei als bislang angenommen. Dies schreibt die FAZ (Marcus Jung). Dagegen hätten Preisentwicklungen während der Pandemie verstärkte Aktivitäten von Kartellbehörden nach sich gezogen. Deren Erkenntnisse wiederum hätten die Bereitschaft, Kartellschadensersatzklagen zu erheben, erhöht.

RiDG Meiningen zu Weimarer Familienrichter: Der vom Richterdienstgericht am Landgericht Meiningen vorläufig suspendierte Weimarer Familienrichter hat Beschwerde gegen die Entscheidung erhoben. Laut LTO werde sich nun der Dienstgerichtshof für Richter am Thüringer Oberlandesgericht mit der Sache befassen.

AG Berlin-Tiergarten zu rechtsextremen Anschlägen Neukölln: Auch der zweite Angeklagte im Fall der Neuköllner rechtsextemen Anschlagserie ist nun vom Berliner Amtsgericht Tiergarten vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen worden. Verurteilt wurde Sebastian T. dagegen wegen Sachbeschädigung und Betrug. Das Gericht habe dem Angeklagten das Anbringen rechtsextremer Aufkleber und Falschangaben beim ALG2-Bezug nachweisen können, so spiegel.de.

AG Berlin-Tiergarten – Beleidigung durch AfD-Politiker : Wegen Körperverletzung und Beleidigung ist am Berliner Amtsgericht Tiergarten der AfD-Lokalpolitiker Kai Borrmann angeklagt. Bei einer Auseinandersetzung mit zwei jungen Frauen hatte der Angeklagte wohl mehrfach das sogenannte N-Wort benutzt. Die FAZ (Patrick Bahners) berichtet über die jetzt gehaltenen Plädoyers sowie einen Zeugenauftritt der Soziologin Cornelia Koppetsch, die die Lebensgefährtin des Angeklagten ist.

BSG-Jahres-PK: Bei der Jahrespressekonferenz des Bundessozialgerichts, über die tagesschau.de (Klaus Hempel) berichtet, mahnte BSG-Präsident Rainer Schlegel eine grundlegende Reform der Rentenversicherung an. Mit zunehmendem durchschnittlichen Lebensalter sollte automatisch auch die Rentenleistung später beginnen. Die Befreiungen von der Versicherungspflicht für Beamte und Rechtsanwälte solle aufgehoben werden, die Leistungen der Rentenversorgung auf eine Basissicherung reduziert werden. Daneben sollten die Bürger private Vorsorge betreiben. Die von Schlegel präsentierten Eingangszahlen des Gerichts hätten sich vor allem aufgrund einer neuen statistischen Zählweise verringert, so zusätzlich der Bericht von LTO (Tanja Podolski). 

Recht in der Welt

Georgien – Michail Saakaschwili: Ein georgisches Gericht hat es abgelehnt, den wegen Machtmissbrauchs verurteilten früheren georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili wegen Krankheit aus der Haft zu entlassen. Dies dürfte die Beziehungen des Landes zur Ukraine, deren Staatsbürgerschaft Saakaschwili besitze, weiter verschlechtern, mutmaßt die taz (Barbara Oertel).

Südkorea – Vietnam-Krieg: Wegen der Beteiligung koreanischer Soldaten an einem Massaker in einem vietnamesischen Dorf 1968 muss Südkorea einer Überlebenden Schadensersatz zahlen. Bei noch ausstehender Rechtskraft der Entscheidung könnte sie den Weg für weitere vergleichbare Klage ebnen, schreibt spiegel.de.

Sonstiges

Pressefreiheit: Laut Tsp (Jost Müller-Neuhof) hat ein von der Bundesregierung beauftragter Rechtsanwalt der Kanzlei Redeker Sellner Dahs die Recherchen eines ungenannt gebliebenen Journalisten in einem Fachaufsatz über presserechtliche Verfahren unbefugt öffentlich gemacht. Kritisiert wird zum einen, dass der Staat den Inhalt von Presseanfragen nicht veröffentlichen dürfe, zum anderen habe der Autor nicht kenntlich gemacht, dass er im beschriebenen Verfahren selbst im Auftrag des Bundespresseamts tätig war, um den Auskunftsanspruch des Journalisten abzuwehren. 

ChatGPT und Urheberrecht: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ warnen die Anwält:innen Julia Dönch und Robin Schmitt vor einer "bedenkenlosen Verwendung" des KI-basierten Chatbot ChatGPT. Angesichts der Unsicherheit bezüglich der Quellen der von der Software generierten Texte seien urheberrechtliche Probleme vorprogrammiert.

Arbeitsbedingungen von Anwält:innen: Angesichts sinkender Absolventenzahlen der juristischen Fakultäten müssen sich Arbeitgebende zunehmend Gedanken darüber machen, wie sie erfolgreich Nachwuchs rekrutieren können. LTO-Karriere (Franziska Kring) beschreibt Methoden, die sich unter dem Schlagwort "New Work" zusammenfassen lassen und resümiert, dass die Wertschätzung von Mitarbeit einen hohen Stellenwert besitzt.

Das Letzte zum Schluss

Große Töne: Es kommt selten gut an, mit seinem hohen Einkommen anzugeben. Für den YouTube-Star Ron Bielecki, laut spiegel.de "bekannt für Partyexzesse, Provokationen und Pöbeleien", könnte das Protzen nun auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Weil er auf den von ihm betriebenen Kanälen Werbung für Glücksspielanbieter ohne Lizenz gemacht hat, beantragte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 120 Tagessätze. Bei deren Bemessung habe sie sich auf vollmundige Social Media-Aussagen Bieleckis zur Höhe seiner Einkünfte verlassen und so einen Tagesssatz von 4.000 Euro ermittelt.

 

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LTO/mpi/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51007 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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