Die juristische Presseschau vom 4. August 2023: Reform der Rich­ter­wahlen in Israel? / Angriff der Braun-Ver­tei­di­gung / Trump plä­d­iert auf nicht schuldig

04.08.2023

In Israel soll die Regierung eine Mehrheit im Richterwahlausschuss erhalten. Im Wirecardprozess beantragte die Verteidigung erneut die Aussetzung des Verfahrens. Donald Trump erschien zur ersten Anhörung nach der Anklage wegen Verschwörung.

Thema des Tages

Israel - Justizreform: Rechtsanwalt Elmar Esser stellt auf LTO den nächsten hochumstrittenen Regierungs-Gesetzentwurf zur Justizreform in Israel vor. So plane die Regierung eine grundlegende Änderung des Richterwahlverfahrens, das im Basic Law "Judikative" geregelt ist. Bisher hat die Regierung im Richterwahlausschuss keine Mehrheit und muss sich mit Richter- und Anwaltschaft auf  Kompromisse enigen. Dies solle nun durch eine numerische Überlegenheit der von der Regierung benannten Mitglieder beendet werden. 

In einem Gastbeitrag für zeit.de beschreibt Suzie Navot, Rechtsprofessorin, die verfassungsrechtlich "fragile Grundstruktur" des Landes. In Ermangelung einer geschriebenen Verfassung sei das Oberste Gericht die einzige Institution, die Regierungshandeln beschränken könne. "Der Plan, das Gesicht der israelischen Demokratie zu verändern," setze daher folgerichtig bei der Justiz an. Die bisher schon beschlossenen Änderungen belegten, dass die Regierung ihr Vorhaben ohne jede Rücksicht auf Widerstände durchsetze.

Rechtspolitik

Abschiebungen: Um die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu erleichtern, soll der Ausreisegewahrsam von 10 auf 28 Tage verlängert werden. Auch soll es der Polizei erleichtert werden, Ausreisepflichtige aus Sammelunterkünften zu holen. Vorschläge für entsprechende Änderungen stellte nun Bundesinnenministeri Nancy Faeser (SPD) vor. Ein Gesetzesentwurf werde nach Konsultationen mit Ländern und Kommunen folgen, so die SZ (Tobias Bug/Carim Soliman).

Für Reinhard Müller (FAZ) stellen die Vorschläge "eine Rückkehr zum rechtsstaatlichen Normalzustand" dar, der aber nur dann erreicht werden könne, wenn Einreisen kontrolliert und eine "Rückbesinnung auf den wahren Charakter des Asyl- und Flüchtlingsrechts" stattfinde. Soweit dies "Härten im Einzelfall" mit sich bringe, seien diese "Folgen jahrelanger falscher Politik". Ronen Steinke (SZ) erinnert in seinem Kommentar daran, dass die meisten Abschiebungen in Deutschland an sogenannten Abschiebehindernissen, "sprich: Grundrechten", scheiterten. Der Einsatz von Zwangsmitteln gegen jene, die, obgleich ausreisepflichtig, das Land nicht freiwillig verließen, sei "natürlich" erforderlich. Sich hierzu aber "der Methode der Überrumpelung" zu bedienen, "sollte ein Rechtsstaat nicht nötig haben."

Vergabe und Tariftreue: Über das im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erstellte Gutachten zum Entwurf eines Bundestariftreuegesetzes berichtet nun auch die Welt (Jan Klauth).

Justiz

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Am 58. Verhandlungstag gegen Markus Braun und andere Wirecard-Manager hat die Verteidigung des Hauptangeklagten am Landgericht München I erneut die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Die Justizbehörden bemühten sich, zuungunsten der Wahrheitsfindung ein "falsches Narrativ" aufrechtzuerhalten, demzufolge Braun Kopf der betrügerischen Bande gewesen sei, so Verteidiger Alfred Dierlamm. Braun sei zudem aus der U-Haft zu entlassen. Im Gegensatz zum mitangeklagten Oliver Bellenhaus habe sich Braun immer kooperativ gezeigt und auch nie versucht zu fliehen. Über beide Anträge wurde gestern noch nicht entschieden. Zuvor hatte das Gericht mitgeteilt, dass nach vorläufiger Einschätzung mit einer Urteilsverkündung "nicht vor Ende 2024" zu rechnen sei. SZ (Florian Müller/Stephan Radomsky) und LTO berichten.

BGH zu Corona-Auftrittsverbot: Auch in der Revision beim Bundesgerichtshof sind einem Musiker Entschädigungsansprüche wegen lockdownbedingter Einnahmeausfälle verweigert worden. Für die klägerisch geltend gemachte Haftung nach den Grundsätzen des enteignungsgleichen Eingriffs fehle es bereits an der Rechtswidrigkeit des Eingriffs, heißt es im Urteil. Die erlittenen Grundrechtsbeeinträchtigungen des Künstlers hätten dem Schutz besonders bedeutsamer Gemeinwohlbelange gedient und seien darüber hinaus auch angemessen gewesen. Angesichts der relativ kurzen Dauer der Beschränkungen des öffentlichen Lebens sei der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet gewesen, entsprechende Ausgleichsansprüche im Infektionsschutzgesetz einzuführen. LTO und beck-aktuell (Joachim Jahn) berichten.

BGH zu rechtsextremer Goyim-Partei: Eine kriminelle Vereinigung i.S.d. § 129 Strafgesetzbuch kann auch dann vorliegen, wenn die Mitglieder lediglich Online-Kontakt miteinander pflegten. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem nun bekanntgegebenem Beschluss von Ende Juni. Er verwarf dabei die Revisionen von Mitgliedern der rechtsextremen "Goyim"-Partei, die sich auf einer Internet-Plattform in antisemitischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Beiträgen ergingen. LTO berichtet.

OVG NRW zu Geschwindigkeitsbegrenzungen: Unter Aufhebung anderslautender Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Düsseldorf entschied das Oberverwaltungsgericht Münster nun, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen in Meerbusch vorläufig weiter gelten. Die beanstandeten Verkehrsschilder dürfen also stehen bleiben, schreibt LTO. Nach Auffassung des OVG sei es "nicht überwiegend wahrscheinlich", dass der mit Zweitwohnsitz in Meerbusch gemeldete Antragsteller die Schilder erst Jahre nach deren Aufstellung bemerkt haben will. Auf eine Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Gefahrenlage im Sinne der Straßenverkehrsordnung sei es so nicht mehr angekommen.

LG Berlin zu Untervermietung: Ein berechtigtes Interesse an der Untervermietung der eigenen Mietwohnung kann sich auch aus einer sogenannten "Workation", einem längerem Auslandsaufenthalt mit sowohl Arbeits- als auch Urlaubselementen, ergeben. Dies stellte das Landgericht Berlin in einem von beck-aktuell (Nikolay Pramataroff/Franziska Bordt) vorgestellten Beschluss aus dem Juni fest. Die begehrte Genehmigung sei dennoch zu Recht verweigert worden, weil der klagende Mieter auch im Rechtsstreit außerstande gewesen sei, die Daten seines Auslandsaufenthalts zu konkretisieren.

AG Regensburg zu Vergewaltigung: Am Jugendschöffengericht Regensburg wurde ein 23-Jähriger u.a. wegen Vergewaltigung einer 16-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, was zu Empörung in sozialen Medien geführt hatte. spiegel.de (Swantje Unterberg) erklärt, wie die milde erscheinende Strafe zustande kam. Der Angeklagte wurde noch nach Jugendstrafrecht beurteilt, war geständig und konnte sich auf eine günstige Sozialprognose berufen. Zudem hatte er bereits sechs Monate in U-Haft verbracht und muss während seiner Bewährungszeit verschiedene Auflagen erfüllen.

StA Essen – rechtsextremer Gruppenchat: Wegen der Inhalte eines mutmaßlich rechtsextremen Gruppenchats junger Polizisten hat die Staatsanwaltschaft Essen Räumlichkeiten mehrerer Polizeibehörden durchsucht. Den betreffenden Polizisten sei die Führung der Dienstgeschäfte untersagt worden, schreibt die FAZ (Reiner Burger) und erinnert an die schwierige strafrechtliche Aufarbeitung eines vergleichbaren Falls vor einigen Jahren. Die Staatsanwaltschaft habe damals Volksverhetzung verneint, weil die fraglichen Chats nichtöffentlich gewesen seien. Dienstrechtliche Konsequenzen hätten die nun betroffenen Polizisten in jedem Fall zu erwarten: Als Beamte auf Probe unterlägen sie besonderen Verhaltenspflichten, die hier wohl auch bei unterbleibender Anklage verletzt seien.

StA Karlsruhe – Linksunten.Indymedia: Nun berichten auch taz (Christian Rath) und netzpolitik.org (Anna Biselli) über das neue Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen fünf Freiburger Beschuldigte wegen des Verdachts der Fortführung der verbotenen Vereinigung linksunten.indymedia.org. Die Beschuldigten sollen das Online-Archiv des 2017 als Verein verbotenen Portals veröffentlicht haben.

Recht in der Welt

USA – Donald Trump/Verschwörung: Bei der formalen Anklageverlesung wegen des Vorwurfs der Verschwörung zur Manipulation der Präsidentschaftswahlen hat der frühere US-Präsident Donald Trump erwartungsgemäß auf "nicht schuldig" plädiert. Die nächste Anhörung wurde auf den 28. August terminiert, berichtet spiegel.de.

spiegel.de (Marc Pitzke) stellt die mutmaßlichen "Ko-Konspiratoren" vor. insbesondere Rudy Giuliani, den früheren Bürgermeister von New York. Dass die Betreffenden in der Anklage zunächst unbenannt blieben und selbst auch nochh nicht angeklagt wurden, sei keineswegs ungewöhnlich. Hierdurch solle die Bereitschaft zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden gefördert werden.Die FAZ (Sofia Dreisbach) macht in ihrem ausführlichen Bericht auf logistische Probleme aufmerksam, die die anhaltenden gerichtlichen Verpflichtungen des Präsidentschaftskandidaten Trump mit sich brächten. In einem weiteren ausführlichen Beitrag stellt die FAZ (Andreas Ross) den Inhalt der jetzigen Anklageschrift vor. Tanya Chutkan, die nun zuständige Richterin, wird in FAZ (Oliver Kühn) und SZ (Fabian Fellmann) portraitiert. In ihren bislang 31 Strafverfahren wegen des Sturms auf das Kapitol habe die 61-Jährige bislang noch in jedem Fall eine Freiheitsstrafe verhängt und sei bei deren Bemessungen zum Teil über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinausgegangen.

Russland – Alexej Nawalny: Am heutigen Freitag wird der russische Oppositionelle Alexej Nawalny voraussichtlich zu einer weiteren langjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht wird in seinem Straflager tagen. Angeklagt ist er u.a. wegen Unterstützung extremistischer Bewegungen. Nawalny drohe nun auch die Verlegung in eine Sonderkolonie, so die SZ (Silke Bigalke). Das Wegsperren unliebsamer Stimmen über Jahrzehnte habe sich in den vergangenen Wochen fortgesetzt. So sei die Berufung des Journalisten Iwan Safronow gegen seine Verurteilung zu 22 Jahren Haft verworfen worden. Der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa wurde unlängst zu 25 Jahren verurteilt. Einen Überblick zum Verfahren Nawalnys bringt zeit.de (Claudia Thaler) in Frage-und-Antwort-Form.

Sonstiges

LNG-Terminal auf Rügen: Im Streit über einen LNG-Terminal im Hafen von Mukran auf Rügen zeichne sich ein Gerichtsverfahren ab, schreibt die FAZ (Anna-Lena Ripperger). So prüfe die Deutsche Umwelthilfe derzeit Schritte gegen die einzelnen Bauabschnitte. Auch die betroffene Gemeinde Binz bereite sich auf ein Gerichtsverfahren vor und habe hierfür den auf Umweltrecht spezialisierten Anwalt Reiner Geulen mandatiert. Dieser habe bereits die Finanzierungskanäle der Betreiberfirma als intransparent kritisiert. Nach den Bestimmungen des LNG-Beschleunigungsgesetzes wäre für Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

Plagiat: Nach Vorwürfen von Plagiaten in der rechtswissenschaftlichen Dissertation der Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) bedauert Rechtsprofessor Roland Schimmel (beck-aktuell) in einem Gastkommentar, dass der Fall "ziemlich sicher" in den vorhersehbaren Ritualen austrudeln wird. Dabei "wäre die Gelegenheit günstig, den fachlichen Diskurs dazu ein wenig zu beleben" und grundsätzliche Überlegungen zur wissenschaftlichen Arbeit im und nach dem Jurastudium anzustellen.

Resiliente Demokratie: Das vom Verfassungsblog gestartete "Thüringen-Projekt", bei dem eine Forschungsgruppe Szenarien einer antidemokratischen Machtübernahme eines Bundeslandes durchspielen will, wird nun auch von zdf.de (Jan Heinrich) vorgestellt.

AfD-Verbot: In der beginnenden Diskussion über ein Verbot der AfD liefert die taz (Christian Rath) Fragen und Antworten zu den Regeln eines Parteiverbotsverfahrens. 

Hans-Georg Maaßen: Nach einer vertraulichen Arbeitsanweisung des Chefs des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz wird in der Behörde ab sofort Material über Hans-Georg Maaßen gesammelt. Dies berichtet die SZ (Ronen Steinke) im Feuilleton. Obgleich von einer offen Parteinahme des früheren Verfassungsschutz-Präsidenten für die AfD bislang nichts bekannt sei, stehe die von ihm angeführte Werte-Union für den Brückenschlag zwischen Konservativen und Rechtsextremisten. Im Thüringer Landesverband der Union sei die Abgrenzung zur AfD jedenfalls umstritten.

Metaphern und Recht: Doktorand David Boss macht sich im Verfassungsblog Gedanken über die Rechtswirkung von Metaphern. Mehr als bloße rhetorische Stilmittel bedürften sie der Einordnung in Kontext und Empfangshorizont. Anlass ist der Fall einer Abgeordneten des US-Bundesstaats Montana, der das parlamentarische Rederecht entzogen wurde, nachdem sie der Parlamentsmehrheit vorgeworfen hatte, diese habe "Blut" an ihren Händen.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52417 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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