Der BGH verlängert die U-Haft der im Dezember festgesetzten Umstürzler:innen um den Prinzen Reuß. Beauftragte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow einen Mord in Bayern? In Singapur beginnt ein neuer Wirecard-Strafprozess.
Thema des Tages
BGH – Umsturzpläne/Reuß: Der Bundesgerichtshof hat in nun veröffentlichten Beschlüssen bereits Mitte Juli die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen 22 Mitglieder der Gruppe um Prinz Reuß angeordnet. Obgleich auf einem "teilweise fernliegenden gedanklichen Fundament" aufbauend, hätten sich die Beschuldigten aus der Reichsbürger-Szene in einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel zusammengeschlossen, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland mittels Gewalt durch eine eigene Staatsform zu ersetzen, schreibt LTO (Markus Sehl/Leonie Ott). Bezüglich der vom Dienst suspendierten Berliner Richterin und früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann ergebe sich die nach wie vor bestehende Fluchtgefahr aus der ausgiebigen Erörterung von Rückzugsorten. Diese sei durch ein abgehörtes Telefonat belegt. Noch während ihrer Zeit als Abgeordnete solle Malsack-Winkemann zwei weitere Mitglieder der Gruppe – beides ehemalige Soldaten – im Parlament empfangen und ihnen hierbei auch unterirdische Verbindungsgänge zu anderen Gebäuden gezeigt haben. Dies beschreibt zeit.de (Astrid Geisler/Martin Steinhagen).
Rechtspolitik
Sanktionen gegen Russland: Entgegen anderslautender Ankündigungen der Präsidentin Ursula von der Leyen wird die EU-Kommission vor der nun beginnenden Brüsseler Sommerpause keinen Vorschlag mehr zum Umgang mit eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank unterbreiten. Gegen die Idee, die Gelder oder wenigstens deren Erträge für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden, rege sich innerhalb der EU-Staaten mannigfaltiger Widerstand, weil dies eigentlich völkerrechtswidrig ist, schreibt die SZ (Jan Diesteldorf).
Jan Diesteldorf (SZ) begrüßt in einem separaten Kommentar, dass die "verlockende" Idee weiterer Prüfung unterworfen wird. Weil die Staatenimmunität "auch das Vermögen verbrecherischer Regime" schütze, müsse die EU der Versuchung widerstehen, "die regelbasierte internationale Ordnung, die sie zu bewahren sucht", selbst zu untergraben.
Klimaschutz: Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Änderung des Klimaschutzgesetzes gefährdet nach der von Paula Cire und Philipp Schönberger im Verfassungsblog vertretenen Ansicht die Erreichung verfassungsrechtlich vorgegebener Klimaschutzziele. Die Volljuristin und der Anwalt, beide für Klimaschutzorganisationen tätig, legen dar, dass etwa die Ersetzung von Sektorzielen zugunsten von Jahresemissionsgesamtmengen die Verantwortlichkeiten aufweiche und damit auch weniger Anreiz biete, vereinbarte Ziele tatsächlich zu erreichen. So werde wertvolle Zeit verspielt.
Desinformation: Die studentische Hilfskraft Roman Kollenberg kritisiert auf dem Verfassungsblog den geplanten UN-Verhaltenskodex für Informationsintegrität auf digitalen Plattformen. Danach seien Fehlinformationen, Desinformationen und Hassrede ähnlich bzw. gleich zu behandeln. Stattdessen sollten Fehlinformationen – also unabsichtlich unrichtige Aussagen – anders behandelt werden als bewusste falsche oder verletzende Äußerungen.
Neue Gesetze: Am heutigen 1. August treten zahlreiche neue Gesetze in Kraft. Die in der Welt (Stephan Maaß) enthaltene Übersicht betrifft u.a. eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung oder die Begrenzung bestimmter Inhaltsstoffe in Sonnencremes.
Justiz
OLG München – tschetschenischer Auftragsmord: Eine Seite Drei-Reportage der SZ (Annette Ramelsberger/Christoph Koopmann) widmet sich dem seit rund einem Jahr laufenden "Hochsicherheitsprozess" gegen Walid D., der nun vor seinem Abschluss steht. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einen Auftragsmord an einem tschetschenischen Oppositionellen, der in Bayern lebt, geplant zu haben. Der Versuch der Verteidigung, die Tat als Inszenierung des vermeintlichen Opfers darzustellen, das seine Chancen auf Asyl erhöhen wollte, dürfte das Gericht nicht überzeugt haben. Der Angeklagte erhielt die Adresse des potenziellen Opfers vom Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern, für den er als V-Mann arbeitete.
BGH zu PKV-Prämienanpassungen: Prämienanpassungsklauseln einer privaten Krankenversicherung, nach der eine Tarifanpassung durch den Versicherer auch dann möglich ist, wenn die Kosten der erbrachten Leistungen um weniger als zehn Prozent von den kalkulierten Kosten abweichen, sind wirksam. Dies entschied nach Bericht von LTO der Bundesgerichtshof Mitte Juli. Die einschlägigen Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes bzw. des Versicherungsaufsichtsgesetzes legten zwar eine Zehn-Prozent-Grenze fest. Die beanstandete Abweichungsregel benachteilige die Versicherungsnehmer aber nicht unangemessen, weil die Anpassungen nach oben und nach unten möglich seien.
LSG BaWü zu Haustier und Hartz IV: In Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage sind die Kosten der Anschaffung eines Haustieres und dessen Haltung nicht Bestandteil des zu gewährleistenden Existenzminimums. Dies entschied mit nun veröffentlichtem Urteil das Landessozialgericht Baden-Württemberg bereits Mitte Juni. Zwar sei unstreitig, dass die Haltung eines Hundes Sozialkontakthilfe biete und auch bei der Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur behilflich sein könne, wie vom Kläger dargelegt. Dieser Wunsch rechtfertige jedoch nicht die Einstufung als besonderen Bedarf nach den Bestimmungen des SGB II. LTO berichtet.
LG Karlsruhe zu Greenwashing/dm: Nach dem letztwöchigen Urteil des Landgerichts Karlsruhe, das der Drogeriemarktkette dm untersagte, bestimmte hauseigene Produkte als "klimaneutral" und "umweltneutral" zu bewerben, prüft das unterlegene Unternehmen derzeit intensiv die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels. Anlass gebe ein Anfang Juli verkündetes Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf, so LTO (Max Kolter) in einer Analyse. Das OLG habe die Verwendung des Labels "klimaneutral" durch einen Fruchtgummiproduzenten unbeanstandet gelassen. Beide Unternehmen hätten sich in ihren Hinweisen auf Einschätzungen der Firma "ClimatePartner" bezogen. Das Karlsruher Gericht habe nun aber Kompensationsmaßnahmen wie die Teilnahme an einem Baumschutzprojekt als nicht ausreichend erachtet.
LG Gera – Rechtsbeugung zugunsten des Vaters: Nach nun veröffentlichtem Beschluss hat das Landgericht Gera bereits Mitte Mai die Anklage wegen Rechtsbeugung gegen eine Proberichterin zugelassen. Im April 2020 hatte die Juristin am Amtsgericht Jena einen Beschluss erlassen, nach dem ihrem Vater, einem evangelischen Pfarrer, im Widerspruch zur damals geltenden Corona-Schutzverordnung jederzeit Zugang zu einem Pflegeheim gewährt werden müsse. Ein Verhandlungstermin sei noch nicht festgelegt, Das Thüringer Justizministerium habe sich unter Hinweis auf die aktuelle Ferienzeit außerstande gesehen, mitzuteilen, ob das Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit der Dienstentlassung der Richterin mittlerweile abgeschlossen ist. LTO (Tanja Podolski) berichtet.
StA Augsburg – Illegaler Export: Die SZ (Thomas Fromm u.a.) berichtet in ihrem Thema des Tages über Ermittlungen der Augsburger Staatsanwaltschaft gegen den Schiffsmotorenbauer MAN Energy Solutions. Das Unternehmen hatte noch vor dem Putsch in Myanmar Motoren an das dortige Militär verkauft. Diese sollen dann in einem Schiffsneubau verwendet worden sein, der auch militärisch genutzt wird. Das Unternehmen bestreitet den Verdacht eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz und besteht darauf, dass der Export behördlich genehmigt worden sei.
Recht in der Welt
Singapur – Wirecard-Prozess: Wegen der Anstiftung zur Fälschung von Finanzdokumenten muss sich der Brite James Henry O'Sullivan in Singapur verantworten. Der Angeklagte gelte als zentrale Figur des vermeintlichen Asien-Geschäfts von Wirecard und als enger Vertrauter des weiterhin flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstandsmitglieds Jan Marsalek. Für diesen solle er die sogenannten Drittpartner-Geschäfte Wirecards in Asien gemanaged haben, nicht zuletzt deshalb verfolge man am Landgericht München I, wo gegen Markus Braun u.a. verhandelt wird, den nun begonnenen Prozess in Singapur genau. Die SZ (Stephan Radomsky u.a.) berichtet und beschreibt die von O´Sullivan für Wirecard betriebenen Geschäfte.
Schweden/Dänemark – Koranverbrennungen: Nach Protesten muslimischer Staaten gegen öffentliche Koranverbrennungen in Schweden und Dänemark wollen die Regierungschef:innen beider Länder prüfen, inwiefern derartige Aktionen künftig eingeschränkt werden sollen. Nach Bericht der FAZ (Anna-Lena Ripperger) spielten hierfür sowohl wirtschaftliche Interessen eine Rolle als auch diplomatische Nachteile. In beiden Ländern werde der hohe Stellenwert der Meinungsfreiheit betont, gleichzeitig aber auch erkannt, dass die Aktionen oftmals lediglich der Provokation dienten.
Großbritannien – Klimaprotest: Ein britisches Berufungsgericht hat die gegen zwei Klimaaktivisten der Gruppe Just Stop Oil wegen der Verursachung eines Staus auf einer Brücke über die Themse verhängten Haftstrafen von mehreren Jahren bestätigt. Nach Angabe des Anwalts der Verurteilten, von denen einer Deutscher ist, seien die Haftstrafen die härtesten der britischen Geschichte für gewaltlosen Protest. spiegel.de berichtet.
USA – Donald Trump/CNN: Ein US-amerikanisches Bundesgericht hat eine Schadensersatzklage des früheren US-Präsidenten Donald Trump abgewiesen. Trump hatte vom Fernsehsender CNN 475 Millionen Dollar Schadensersatz gefordert, weil dessen Berichterstattung über Trumps Legende, er sei um einen Wahlsieg betrogen worden, den Begriff der "großen Lüge" verwendete. Hierdurch sei er – Trump – fälschlicherweise in die Nähe des nationalsozialistischen Regimes gerückt worden, so die FAZ über die Klage. Nach Einschätzung des mit der Sache befassten, noch von Trump ernannten Bundesrichters seien die Äußerungen "zwar widerlich, aber rechtlich gesehen nicht verleumderisch."
Iran – Kopftuchpflicht: Im Rechtsausschuss des iranischen Parlaments ist eine geplante Strafrechtsreform noch weiter verschärft worden, berichtet LTO. Kernstück der als Antwort auf die Massenproteste des vergangenen Jahres zu verstehenden Reform seien Bestimmungen über die islamische Kleidungsordnung. Der verschärfte Entwurf beinhalte etwa die Möglichkeit, Einkaufspassagen zu schließen, wenn dort gegen die Kopftuchpflicht von Frauen verstoßen wird. Mehrfache Verstöße von Prominenten könnten mit mehrjährigen Berufsverboten geahndet werden.
Myanmar – Aung San Suu Kyi: Die frühere Regierungschefin Myanmars, Aung San Suu Kyi, ist offenbar in einen Hausarrest verlegt worden, schreibt die SZ (David Pfeifer). Die Friedensnobelpreisträgerin war nach dem Militärputsch im Februar 2021 verhaftet und in zahlreichen Strafverfahren verurteilt worden. Dass sie nun nicht mehr in Einzelhaft sitze, könne als Dialogangebot des international weitgehend isolierten Regimes verstanden werden.
Sonstiges
Politikerhaftung/Andreas Scheuer: Die vom Bundesverkehrsministerium angekündigte gutachterliche Prüfung der Durchsetzbarkeit von Regressansprüchen gegen Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dürfte ergeben, dass eine grobe Fahrlässigkeit des bayerischen Politikers wohl nicht vorliege, vermutet die SZ (Wolfgang Janisch). Eben dieser Fahrlässigkeitsgrad sei aber nach Bestimmungen des Grundgesetzes Voraussetzung für Rückforderungen. Ein einfachgesetzlicher Regressparagraf existiere zwar für Beamtinnen und Beamte, fehle aber zudem im Bundesministergesetz.
Whistleblowing: Am Beispiel der bei der Fondsgesellschaft DWS ausgeschiedenen Nachhaltigkeitschefin Desiree Fixler beschreibt der FAZ-Einspruch (Rainer Hank) nachteilige berufliche Folgen für Whistleblower:innen. Der "schwer aufzulösende Zielkonflikt" zwischen Unternehmensinteressen und dem Aufgabenbereich von Compliancebeauftragten werde auch durch das seit Anfang Juli geltende Hinweisgeberschutzgesetz nicht befriedigend gelöst. Sobald das betroffene Unternehmen Anzeige wegen des vermeintlichen Geheimnisverrats erstatte, entfalle die "Anonymität des Whistleblowers."
KI und anwaltliche Tätigkeit: In einem Gastbeitrag für das Hbl beschreibt Rechtsanwalt Tobias Neufeld Einsatzmöglichkeiten von KI-Systemen in der anwaltlichen Tätigkeit. Wenngleich sogenannte Large Language Models wie ChatGPT bislang von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen ausgeübte Hilfstätigkeiten ersetzen könnten, besäßen sie bislang noch nicht die Fähigkeit, juristisch relevanten Sachverhalt zu erfassen. Auch die Erkenntnis, ob Informationen, mit denen die Systeme zum Ergebnis gelangt sind, "korrekt, vollständig und kohärent sind", unterliege immer noch einem anwaltlichen Monopol.
Dissertation: Um einen Doktortitel tragen zu dürfen, müssen Promovierte ihre Dissertation veröffentlichen. Damit diese Veröffentlichung von einem juristischen Fachverlag übernommen wird, sind gute Noten, einige Tausend Euro Kostenselbstbeteiligung und rechtzeitiges Bemühen erforderlich, schreibt LTO-Karriere (Sabine Olschner).
Das Letzte zum Schluss
X: Auch der neueste Geniestreich des Multiunternehmers Elon Musk beschäftigt die Gemüter. Die Umbennennung des vormaligen Kurznachrichtendienstes Twitter in "X", nach der Vorstellung Musks schon bald eine "Everything App", beging der Milliardär, indem er ein leuchtendes Schild mit eben jenem Buchstaben auf dem Dach der Firmenzentrale in San Francisco/USA anbringen ließ. Die Bauaufsichtsbehörde der Stadt reklamierte hiergegen Verstöße gegen lokale Bestimmungen, schreibt die FAZ (Roland Lindner), die SZ (Max Muth) erinnert in ihrem Beitrag jedoch an die recht erfolgreiche Prozessgeschichte Musks. So wurde er vor einigen Jahren in den USA nicht verurteilt, als er einen britischen Taucher, der bei der Rettung der in einer Höhle festsitzenden Kinder in Thailand behilflich war, willkürlich als "Pädo-Typen" bezeichnete, weil auch Beleidigungen von der Meinungsfreiheit geschützt seien.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 1. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52387 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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