BMI und BMJ haben den Ampel-Fraktionen eine "Formulierungshilfe" zur Umsetzung des Sicherheitspakets vorgelegt. BMWK hat Plan gegen asiatische Portale. Der EuGH will über Geldbußen gegen Google und Steuerreduzierung für Apple entscheiden.
Thema des Tages
Sicherheitspaket: Bundesinnen- und Bundesjustizministerium haben in der Nacht zu Samstag eine sogenannte Formulierungshilfe für die Umsetzung des vor einer Woche vorgestellten "Sicherheitspakets" an die Ampelfraktionen verschickt. Diese sollen den Text dann als Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, um Zeit zu sparen. Die Ampel-Regierung will unter anderem die Leistungen für Asylbewerber:innen streichen, für deren Verfahren ein anderer europäischer Staat zuständig ist und der einer Rücknahme der Betroffenen zustimmt. Seinen Schutzstatus soll verlieren, wer ohne einen triftigen Grund in sein Heimatland zurückkehrt, etwa für einen Urlaub. Der Umgang mit Messern im öffentlichen Raum soll weiter eingeschränkt werden. Außerdem sollen Ermittlungsbehörden künftig öffentlich zugängliche Bilder biometrisch mit den Fotos von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen abgleichen dürfen. Zurückweisungen von Flüchtlingen an den Grenzen sind nicht vorgesehen. Ausdrücklich wird der Anschlag in Solingen als Anlass für das Maßnahmenpaket genannt. spiegel.de (Marina Kormbaki) und handelsblatt.com berichten,
Asyl/Zurückweisungen an der Grenze: Rechtsprofessor Daniel Thym u.a. vertreten die Auffassung, dass nach der Dublin-III-Verordnung Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze nicht zulässig sind. Zwar könnte sich Deutschland auf eine Ausnahmeregel der EU-Verträge (Art. 72 AEUV) berufen, die der EuGH in diesem Fall aber wohl kaum akzeptieren dürfte. Es berichten Christian Rath (Mo-taz). Hbl (Jan Hildebrand/Dietmar Neuerer u.a.), Sa-FAZ, tagesschau.de (Kolja Schwartz/Frank Bräutigam), LTO und beck-aktuell.
Biometrische Gesichtserkennung: Warum die von der Bundesregierung geplanten neuen Befugnisse für Polizeibehörden und das BAMF zur biometrischen Gesichtserkennung rechtlich nicht so einfach möglich sein könnten, erläutert netzpolitik.org (Chris Köver). So verbiete die KI-Verordnung u.a. "die Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsmaterial erstellen oder erweitern". Im Koalitionsvertrag steht noch: "Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab."
Rechtspolitik
Asiatische Shopping-Portale: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will asiatische Shopping-Portale wie Temu und Shein schärfer kontrollieren. Das geht, wie Sa-FAZ (Felix Schwarz), Sa-SZ (Michael Bauchmüller) und LTO schreiben, aus einem "Aktionsplan E-Commerce" hervor, den das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) erarbeitet hat. Unter anderem sind eine engere Zusammenarbeit und mehr Befugnisse der nationalen und europäischen Marktüberwachungsbehörden vorgesehen.
Regierungsbildung in Thüringen: tagesschau.de (Max Bauer/Philip Raillon) erläutert den rechtlichen Rahmen für die bevorstehende Konstituierung des Landtages und die Regierungsbildung in Thüringen: Offene Fragen gibt es dabei u.a. nach wie vor im Zusammenhang mit der Wahl des Ministerpräsidenten. Außerdem wird dargestellt, wie sich die Sperrminorität der AfD auswirken könnte und wie es zu Neuwahlen kommen könnte.
Resilienz der Justiz und der Demokratie: DAV und Deutscher Richterbund fordern nach den beiden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und vor der Brandenburgwahl mehr Resilienzbemühungen für die Justiz. Der Richterbund schlägt vor, das Verfahren zur Besetzung von Richterstellen an Richterwahlausschüsse zu übergeben, "in denen Justizvertreter und Experten sitzen und Parteienvertreter keine dominierende Rolle spielen", um so zu verhindern, dass sie parteipolitisch missbraucht werden. Der DAV weist auf die Blockademöglichkeiten beispielsweise bei der Wahl des Landtagspräsidenten oder der Landtagspräsidentin sowie der Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission hin. beck-aktuell berichtet
Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog) kündigt das "Projekt Bundesrepublik" an. Damit soll einem Institutionenmissbrauch entgegengewirkt werden, wie ihn die Trump-Republikaner in den USA seit Jahren vorbereiten und wie ihn die AfD Thüringen mit ihrer Sperrminorität jetzt beginnen kann. "Die Institutionen können uns nicht retten. Aber wir können die Institutionen retten", schreibt Steinbeis.
Organtransplantationen: Mit den geplanten Änderungen im Transplantationsrecht, wonach künftig auch Überkreuzspenden und andere Formen der Nierenlebendspende erlaubt werden sollen, befassen sich die Mathematikerin Ágnes Cseh, die Transplantationsmedizinerin Christine Kurschat und die beiden Wirtschaftswissenschaftler Axel Ockenfels und Alvin E. Roth in der Mo-FAZ. Sie hoffen, dass künftig dem Wunsch vieler potentieller Spender:innen, zu helfen, entsprochen werden könne und damit die Versorgungssituation von Nierenpatient:innen in Deutschland verbessert werde.
75 Jahre Bundestag und Bundesrat: Am 7. September vor 75 Jahren trat erstmals der Bundestag zusammen. beck-aktuell würdigt das Ereignis. Anlässlich des Jubiläums schaut die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in der Sa-taz zurück auf die Entwicklung der Gleichberechtigung seitdem und verweist auf die noch offene Frage der Parität in den Parlamenten. Auch der Bundesrat feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Jubiläum. beck-aktuell (Denise Dahmen) erläutert aus diesem Anlass die Funktionsweise der Länderkammer.
Justiz
EuGH – Google-Shopping und Apple-Steuern: Zwei bereits langjährig anhängige wettbewerbsrechtliche Verfahren sollen an diesem Dienstag vom EuGH entschieden werden. Es geht einmal um den mittlerweile 14 Jahre alten, 2010 eröffneten Google-Shopping-Fall, den Kartelljuristen als die "Mutter aller digitalen Wettbewerbsfälle" bezeichnen, heißt es in der Mo-FAZ (Werner Mussler). Die Kommission hatte seinerzeit dem Alphabet-Konzern eine Rekord-Kartellbuße von 2,42 Milliarden Euro auferlegt und Google aufgegeben, alle Preisvergleichsdienste gleich zu behandeln und den eigenen Dienst "Google Shopping" nicht zu bevorzugen. Der andere, im Juni 2014 eröffnete Fall betrifft die Steuervorbescheide für Apple in Irland. Die Kommission hatte sie im August 2016 als einseitig bevorzugende Beihilfen eingestuft und das Unternehmen verpflichtet, die Rekordsumme von 13 Milliarden Euro an den irischen Staat – der das Geld nicht wollte – zurückzuzahlen. Die beiden Entscheidungen werden große Bedeutung für die scheidende Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager haben.
LVerfG Hamburg zu "Hamburg werbefrei": Die Initiative "Hamburg werbefrei", die sich für eine Reduzierung der Anzahl von Werbeanlagen im öffentlichen Raum einsetzt, hat vor dem Hamburger Verfassungsgericht einen Sieg errungen und darf nun ihr Volksbegehren durchführen. Dem Urteil von Freitag zufolge ist das Volksbegehren grundsätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar und inhaltlich nachvollziehbar – und darf daher grundsätzlich durchgeführt werden, heißt es in der Mo-taz-nord (Nina Spannuth).
BVerwG – Compact-Verbot: Die Sa-SZ (Ronen Steinke) hat sich mit dem Rostocker Rechtsprofessor Björn Schiffbauer über die Eilentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Compact-Verbot unterhalten. Er würde Nancy Faeser nicht prinzipiell vorwerfen, dass sie sich hier verhoben habe, sagt Schiffbauer. Aber in einem so sensiblen Bereich müsse man dann eben doch besonders gründlich abwägen. Das sei die Botschaft des Bundesverwaltungsgerichts.
OLG Frankfurt/M zu Verkehrssicherungspflicht für einen Feldweg: Bei einem Feldweg muss die Gemeinde nicht auch den Luftraum bis zu vier Metern freihalten, hat das OLG Frankfurt/M. laut beck-aktuell in einem Hinweisbeschluss festgestellt. Vielmehr müsse ein Traktorfahrer mit einem Aufbau von über drei Metern Höhe den Weg ordentlich ausleuchten, um herunterhängenden Ästen ausweichen zu können.
LG Memmingen – Missbrauch in katholischer Kirche: Am Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Memmingen der Berufungsprozess um den Missbrauch in einem katholischen Internat. Der Spiegel (Jonah Lemm/Elisa Schwarze) fasst ausführlich die Hintergründe zusammen. Eine Rolle spielt dabei auch ein ehemaliger Schüler des Internats, der seitdem unter manischer Depression leidet und immer wieder in psychiatrischer Behandlung war. Er soll laut Anklage bis zu 15 Mal vergewaltigt worden sein. In der ersten Instanz wurde der Angeklagte noch freigesprochen, was vor allem am aussagepsychologischen Gutachten einer Rechtspsychologin lag, in dem es hieß, es könnte sich bei den Erinnerungen des mutmaßlichen Opfers um "Scheinerinnerungen" handeln.
VG Minden zu Ex-Staatssekretärin Döring: Ex-Bildungsstaatssekretärin Sabine Döring scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Minden mit einem Eilantrag. Das Bildungsministerium muss seine Pressemitteilung vom 16. Juni, in der die Versetzung Dörings in den einstweiligen Ruhestand mitgeteilt wurde, nicht ändern. Dort sei nicht behauptet worden, dass Döring die Prüfung von Fördermitteln von kritischen Wissenschaftlern in Auftrag gegeben habe, sondern nur dass sie sich bei einem Telefonat mit dem zuständigen Abteilungsleiter missverständlich ausgedrückt habe. Da ihre Persönlichkeitsrechte nicht verletzt wurden, gelte auch weiter ihre Verschwiegenheitspflicht. Sie darf daher an diesem Montag nicht der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der CDU/CSU-Fraktion zur Fördergeldaffäre Rede und Antwort stehen. Die Mo-FAZ (Heike Schmoll) berichtet.
Kindheit und Verbrechen: Sie habe in vielen Jahren vor Gericht eines gelernt: Die wenigsten Menschen, die eine schwere Kindheit hatten, würden später zu Verbrechern, aber so gut wie alle Verbrecher hätten es als Kinder schwer gehabt, schreibt Verena Mayer (Sa-SZ) in ihrer Kolumne "Vor Gericht" zur Frage, inwieweit Kindheitstraumata beim Strafmaß in Strafverfahren eine Rolle spielen.
Recht in der Welt–
USA - Supreme-Court/Ethikregeln: Die deutsche Unternehmerin Gloria von Thurn und Taxis soll dem US-Supreme-Court-Richter Samuel Alito Konzerttickets im Wert von 900 Dollar geschenkt haben, berichtet spiegel.de und erläutert in diesem Zusammenhang die Ethikregeln des obersten US-amerikanischen Gerichts. Nach dem Kodex dürfen sich Richter:innen unter anderem nicht von "familiären, sozialen, politischen, finanziellen oder anderen Beziehungen" beeinflussen lassen. Außerdem erhält er Regeln zur Annahme von Geschenken und verbietet Richter:innen, Reden bei Veranstaltungen zu halten, "die von einer politischen Partei oder einer Wahlkampagne bezahlt werden oder mit dieser in Verbindung stehen".
USA – Trump/Stormy Daniels: Der New Yorker Strafrichter Juan Merchan hat im Prozess um die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels den Termin für die Verkündung des Strafmaßes verschoben. Statt wie geplant am 18. September soll das Strafmaß erst nach der Präsidentschaftswahl im November verkündet werden. Zuvor will das Gericht am 12. November verkünden, ob Ex-Präsident Trump in diesem Verfahren Immunität zusteht. Dass Trump verurteilt wird, ist bereits seit Mai bekannt. spiegel.de berichtet.
USA – Google-Urteil: Nun erläutert auch Rechtsprofessor Jürgen Kühling in der Mo-FAZ die Entscheidung eines Bundesgerichts in Washington von Anfang August, dass Google sich im im Markt für allgemeine Internetsuchen und allgemeine textbasierte Werbung wie ein Monopolist verhalten hat, um sein Monopol zu schützen. Der Rechtsstreit sei Teil von Klagen gegen eine Reihe von US-Digitalkonzernen, deren Entflechtung angestrebt wird. Dahinter stehe eine Kontroverse um die Neu-Ausrichtung des US-Kartellrechts.
Juristische Ausbildung
Ausbildungsreform: Der Jurastudent und frühere Vorsitzender des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften Frederik Janhsen mahnt im Verfassungsblog ein "Umdenken der Politik" an, das notwendig sei, um eine juristische Ausbildung zu gestalten, die attraktiv und zukunftsfähig ist. Dazu bedürfe es "eines intensiven und ständigen Austausches mit den Entscheidungsträger:innen, neue Beratungsstrukturen und den politischen Willen, tatsächlich Veränderungen anzustoßen". Denn nur so lasse sich die vorherrschende Reformträgheit in der juristischen Ausbildung überwinden.
Sonstiges
Juli Zeh im Interview: Im Gespräch mit FAZ-Einspruch (Finn Hohenschwert) berichtet die Schriftstellerin und Juristin, wie sehr ihre juristische Bildung ihr Leben und auch ihre Romane beeinflusst hat. Das Gespräch bildet den Auftakt zu einer Interviewreihe, in der es um Jurist:innen geht, die jenseits der klassischen juristischen Berufe erfolgreich geworden sind.
RA Ponseck: Die Reihe "Most wanted" setzt LTO (Stefan Schmidbauer) mit 15 Fragen an den Sanierungs- und Insolvenzrechtler Joachim Ponseck fort.
Rechtsgeschichte – britischer Hexenprozess: An den letzten Hexenprozess in Großbritannien erinnert Martin Rath auf LTO. Helen Duncan wurde 1944 nach dem so genannten Witchcraft Act von 1735 zu einer Haftstrafe verurteilt.
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LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 7. bis 9. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 09.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55360 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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