Der BGH lässt eine KI nicht als Erfinder im Sinne des Patentrechts zu. Der BGH verhandelte über die Revision der KZ-Sekretärin Irmgard Furchner. Das Finden des BVerfG-Wahlrechts-Urteils war wohl kein strafbares "Ausspähen von Daten".
Thema des Tages
BGH zu KI im Patentrecht: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Künstliche Intelligenz (KI) jedenfalls zurzeit noch kein "Erfinder" im Sinne von § 37 Abs. 1 Patentgesetz (PatG) sein kann. Ob dies grundsätzlich möglich ist, hat der BGH offengelassen, weil es nach aktuellem Erkenntnisstand noch keine Systeme ohne jedwede menschliche Einflussnahme gebe. Sobald ein Mensch einen Beitrag leiste, der den Gesamterfolg wesentlich beeinflusse, wobei es aber letztlich nicht auf Art und Intensität des Beitrags ankomme, könne immer der Mensch als Erfinder benannt werden. Im konkreten Fall ging es um die KI "DABUS" (Device for the Autonomous Bootstrapping of Unified Sentience), die vom US-amerikanischen Forscher Stephen Thaler entwickelt wurde. Sie sollte bei einer Patentanmeldung für einen Getränkebehälter als Erfinder benannt werden, was durch alle Instanzen abgelehnt wurde, nun auch vom BGH. Das Bundespatentgericht (BPatG) hatte allerdings folgenden Hilfsantrag akzeptiert: "Stephen Thaler, der die künstliche Intelligenz DABUS dazu veranlasst hat, die Erfindung zu generieren." Nachdem das Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) gegen die BPatG-Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt hatte, bestätigte der BGH nun die Erfinderbenennung entsprechend dem Hilfsantrag. Der Zusatz sei unschädlich. Es berichten beck-aktuell und LTO.
Rechtspolitik
Resilienz des BVerfG: Rechtsanwalt Matthias Klatt kritisiert auf LTO an dem von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU vorgestellten Schutzkonzept für eine stärkere Resilienz des BVerfG vor allem zwei Aspekte: Zum einen sei bei dem geplanten Ersatzwahlmechanismus, wonach das Wahlrecht für Richter:innen auch vom Bundesrat ausgeübt werden kann, wenn sich der Bundestag nicht einigt (oder andersherum), nicht geklärt, wer den Wechsel des Wahlorgans beschließe und welche Mehrheiten dafür erforderlich wären. Zum anderen sei es politisch fraglich, ob bei der Blockade einer Kandidat:in in einem Organ dann im anderen Organ auf eine andere Kandidat:in zurückgegriffen werden könne. Dabei sei zu bedenken, dass die Erstkandidat:in durch die Diskussionen und die Blockade beschädigt sein dürfte.
Antisemitismus: Im Interview mit der SZ (Ronen Steinke) kritisiert der ehemalige Grünen-Politiker Jerzy Montag an der vom Bundestag geplanten "Resolution zum Kampf gegen Antisemitismus", dass das jüdische Leben darin auf schwammige Begriffe wie "Antisemitismus" und "Hass" verengt werde. Insbesondere die vorgesehene Aufforderung an die Haushälter:innen in den Kommunen, bei Anträgen auf staatliche Mittel "antisemitische Narrative" aufzuspüren, führe zu Hasenfüßigkeit, Zensur und Selbstzensur. Ob etwas antisemitisch ist, etwa ein Theaterstück, solle im gesellschaftlichen Diskurs entschieden werden.
Zeugnisverweigerungsrecht: Die Rechtsanwältin Franziska Drohsel spricht sich in ihrer taz-Kolumne für ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter:innen von Beratungsstellen bei sexualisierter Gewalt aus. Ähnlich wie bei Mitarbeiter:innen von Drogenberatungsstellen, die bereits ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, bedürfe es auch hier eines Schutzes des Vertrauens Betroffener in die Mitarbeiter:innen. Zudem sei es inkohärent, dass sie eine nach § 203 StGB strafbedrohte Schweigepflicht haben, aber ihre Aussage nicht vor Gericht verweigern dürfen.
Deepfakes: beck-aktuell (Maximilian Amos) gibt einen Überblick über mögliche rechtliche Regelungen gegen die Bedrohung durch Deepfakes (mithilfe künstlicher Intelligenz manipulierter Bilder, Tonaufnahmen und Videos). So fordert etwa der Bundesrat auf bayerische Initiative hin eine spezifisch auf Deepfakes zugeschnittene Vorschrift zum Persönlichkeitsschutz in einem neuen § 201b StGB. Die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) hat eine Kennzeichnungspflicht von Deepfakes mittels Wasserzeichen ins Spiel gebracht. Die Rechtsprofessorin Lea Katharina Kumkar weist darauf hin, dass es vor allem wichtig sei, die Anbieter von entsprechender Software sowie Netzwerkbetreiber in die Pflicht zu nehmen.
Justiz
BGH – KZ-Sekretärin Stutthof: Der Bundesgerichtshof hat über die Revision der 99-jährigen Irmgard Furchner verhandelt, die von 1943 bis 1945 im KZ Stutthof als Stenotypistin arbeitete und im Dezember 2022 vom Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Während ihr Anwalt Wolf Molkentin argumentierte, dass die Tätigkeit in der Schreibstube aus ihrer damaligen Sicht "eine ganz normale Sekretariatstätigkeit" gewesen sei, sah die Bundesanwaltschaft in Furchners Dienstbereitschaft für den Lagerkommandanten zumindest eine psychische Beihilfe zu dessen Mordtätigkeit. Sie sei die einzige Stenotypistin im Lager gewesen, sodass die meisten Schreibarbeiten über ihren Tisch gegangen seien. Nebenkläger-Anwalt Christoph Rückel bezeichnete Furchner sogar als "Chefsekretärin". Der BGH wird sein Urteil am 20. August verkünden. Es berichten SZ (Johannes Bauer), taz (Christian Rath), spiegel.de (Fabian Hillebrand), zdf.de (Christoph Schneider), tagesschau.de (Max Bauer) und beck-aktuell. Einen Vorbericht brachte tagesschau.de (Michael Nordhardt/Frank Bräutigam).
Ronen Steinke (SZ) kommentiert, dass es nach den jahrzehntelangen Versäumnissen der Justiz bei der Verfolgung von NS-Täter:innen gesellschaftspolitisch wichtig sei, bei Irmgard Furchner mit der Bewährungsstrafe zumindest symbolisch ein Zeichen zu setzen. Sie solle froh sein, nicht schon als junge Frau lebenslang eingesperrt worden zu sein.
BVerfG-Leak: beck-aktuell (Joachim Jahn) geht der vorzeitigen Veröffentlichung des Wahlrechtsurteils nach. Laut Computer-Expert:innen war das PDF des Urteils auf dem BVerfG-Server unzureichend gegen unauthorisierten Abruf geschützt. Eine Strafbarkeit wegen des "Ausspähens von Daten" nach § 202a StGB hielten befragte Anwälte in diesem Fall aber für fernliegend, weil keine spezifische Zugangssicherung überwunden werden musste.
BVerfG zum Bundestags-Wahlrecht: Rechtsprofessor Fabian Michl und die Doktorandin Johanna Mittrop analysieren auf dem Verfassungsblog das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundestags-Wahlrecht und kritisieren u.a. die “Fortgeltungsanordnung”, dass die ursprünglich geplante Drei-Wahlkreise-Klausel nun bis zu einer Neuregelung doch gelten soll. Dies stelle einen gedanklichen Bruch zu den Urteilsgründen dar, weil sich so auch die Linke retten könne, obwohl die Verfassungswidrigkeit des neuen Wahlrechts nur mit der unnötigen Härte gegenüber der CSU begründet wurde. Kohärenter wäre die Anordnung gewesen, die 5-Prozent-Sperrklausel – vorbehaltlich einer Neuregelung – bei der nächsten Bundestagswahl nach Maßgabe der Entscheidungsgründe anzuwenden.
LSG Sachsen-Anhalt zu Arbeitsunfall: Laut einem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt kann der Schlag mit einer Vase gegen den Kopf des ehrenamtlichen Betreuers ein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII sein – und zwar auch dann, wenn Betreuer und Betreuter Familienangehörige sind. Das LSG ordnete den Vorfall, bei dem ein geistig behinderter Sohn seinen zugleich als Betreuer bestellten Vater im Streit schlug, dem Bereich der versicherten Tätigkeit zu und nicht dem Familienalltag, weil der Vater vor dem Schlag mit der Vase bereits den Notruf gewählt hatte, um ärztliche Hilfe für seinen in diesem Moment tobsüchtigen Sohn herbeizurufen. Die Vorinstanz hatte das noch anders gesehen. Es berichten beck-aktuell und LTO.
LG Köln zu Pauschalreisen: Laut einem Urteil des Landgerichts Köln ist ein Reisebüro nach § 651v Abs. 1 BGB dazu verpflichtet, im Rahmen einer Pauschalreise die Reisenden über etwaige Visumserfordernisse zu informieren. Geklagt hatte ein Mann, der für sich und seine Familie zwei Tage vor Abflug eine Pauschalreise nach Kenia gebucht hatte und dann am Flughafen ohne Visum abgewiesen wurde. Nun erhält er die Reisekosten nebst entstandener Versicherungskosten in Höhe von rund 5.000 Euro zurück. Es berichten FAZ und LTO.
LG Berlin I – Häuser des Remmo-Clans: Das Landgericht Berlin I hat bereits am 26. Juli im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 76a StGB die Einziehung von fünf Immobilien des Berliner Remmo-Clans angeordnet, weil die Häuser mit Geld aus Straftaten finanziert worden seien. beck-aktuell berichtet.
LG München I zu Online-Werbung: Nach einem Urteil des Landgerichts München I müssen Texte, die dem Absatz von Drittprodukten dienen, schon im Teaser als Werbung gekennzeichnet sein und nicht erst durch einen Hinweis im eigentlichen Text, was eine Irreführung durch Unterlassen gem. § 5a Abs. 4 UWG sei. Eine Online-Zeitung hatte auf ihrer Website neben den redaktionellen Beiträgen auch Texte aus bezahlten Werbepartnerschaften angeteasert, wobei erst mit einem Klick auf den Artikel sichtbar wurde, dass es sich um bezahlte Werbung handelte. beck-aktuell berichtet.
LG Frankfurt/M. – "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Im Steuerprozess zu dubiosen Millionenzahlungen rund um die Fußball-WM 2006 hat das Landgericht Frankfurt/M. das Verfahren gegen den früheren DFB-Generalsekretär Horst Schmidt (82) wegen dessen gesundheitlicher Verfassung vom Kernverfahren abgetrennt. Damit müssen bei der für diesen Freitag geplanten Fortsetzung des Prozesses als Angeklagte nur noch die beiden früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach (73) und Theo Zwanziger (79) erscheinen. Andernfalls hätte die gesamte Hauptverhandlung neu aufgerollt werden müssen. Die SZ (Johannes Aumüller) berichtet.
ArbG Mainz zu Pro Palästina/El Ghazi: Nachdem der 1. FSV Mainz 05 seinem Fußballprofi Anwar El Ghazi wegen propalästinensischer Äußerungen nach dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gekündigt hatte und El Ghazi sich mit einer Kündigungsschutzklage erfolgreich vor dem Arbeitsgericht Mainz gewehrt hatte, hat der Profi seinen Vertrag nun selbst gekündigt. Eigentlich hatte der Verein angekündigt, sich nach der Veröffentlichung der Urteilsgründe vor dem LAG Rheinland-Pfalz wehren zu wollen. Es berichten beck-aktuell und LTO.
Recht in der Welt
Israel – Tötung von Hamas- und Hisbollah-Funktionären: Der Tsp (Charlotte Greipl) hat die Rechtsprofessoren Wolff Heintschel von Heinegg und Matthias Goldmann zur völkerrechtlichen Einordnung der Tötung von Fuad Shukr (Kommandeur der Hisbollah) und Ismail Hanija (Auslandschef der Hamas) durch Israel befragt. Heintschel von Heinegg hält die Tötungen für gerechtfertigt, Goldmann sieht das Völkerrecht verletzt.
Guinea – Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Ex-Militärdiktator Dadis Camara und mehrere Mitangeklagten wurden von einem Sondertribunal in Guinea wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Camara hatte 2009 eine Großkundgebung der Demokratiebewegung im Stadion der Hauptstadt Conakry gewaltsam auflösen lassen, wobei mindestens 156 Menschen getötet wurden. Die taz (Dominic Johnson) berichtet ausführlich.
Sonstiges
Mentale Gesundheit in Kanzleien: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) berichtet der Rechtsanwalt Ulf Marhenke über seine 15-jährige Tätigkeit in einer internationalen Wirtschaftskanzlei im M&A-Bereich, von seinem Burnout und über die in vielen Kanzleien noch zu findende Stigmatisierung von psychischen Belastungen und Erkrankungen. Er hat sich nach dem Burnout als Anwalt selbstständig gemacht und berät nun Kanzleien im Mental Health-Bereich.
Harry Potter-Dissertation: LTO (Katharina Reisch) stellt die jüngst veröffentlichte und in den sozialen Medien teils stark kritisierte Dissertation der Volljuristin Jannina Schäffer mit dem Thema "Harry Potter und die Gesetze der Macht" vor, in der es um den Missbrauch des Strafprozessrechts als "Machtinstrument" im Kampf zwischen "Gut und Böse" geht und die von der Professorin Anja Schiemann mit "summa cum laude" bewertet wurde. Die Untersuchung arbeite Bezüge zwischen dem aktuellen sowie historischen deutschen Recht und dem Rechtssystem in den Harry-Potter-Büchern heraus und sei entgegen der Kritik kein "Quatschjura" und verharmlose auch nicht das NS-Unrecht.
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LTO/tr/chr
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Die juristische Presseschau vom 1. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55124 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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