Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. Juli 2024: Süd­deut­sche Uni-OLG-Koope­ra­tion / ArbG Mainz zu El Ghazi-Kün­di­gung / Baldwin-Pro­zess geplatzt

15.07.2024

Die Uni-Tübingen und das OLG Stuttgart haben eine Kooperation vereinbart. Das ArbG Mainz beanstandete die fristlose Kündigung des Fußballers Anwar El Ghazi. Der US-Prozess gegen Schauspieler Alec Baldwin ist geplatzt.

Thema des Tages

Uni-Justiz-Kooperation in BaWü: Die Mo-FAZ (Rüdiger Soldt) berichtet über eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Oberlandesgericht Stuttgart und der juristischen Fakultät der Universität Tübingen. Vorgesehen ist danach, dass Richter:innen des OLG künftig an der Universität Tübingen lehren und Professor:innen wiederum verstärkt als nebenamtliche Richter:innen am OLG Stuttgart mitwirken. Für Studenten und Studentinnen der mittleren Semester sollen Richter und Richterinnen des OLG Lehrveranstaltungen anbieten, in denen sie aktuelle Fälle didaktisch aufarbeiten und unmittelbar aus der gerichtlichen Praxis darstellen. Das Projekt soll den Richterberuf attraktiver machen, denn auch in Baden-Württemberg sind viele Stellen in der Justiz unbesetzt. Ziel sei es, "das Oberlandesgericht gerade mit Blick auf die einflussreiche obergerichtliche Rechtsprechung stärker mit der Wissenschaft zu verknüpfen und den Studenten und Studentinnen ein realistisches und ihr Interesse weckendes Bild von der Justiz zu vermitteln".

Rechtspolitik

Haftentschädigung: Bundesjustizminister Marco Buschmann will die Entschädigung, die zu Unrecht inhaftierte Menschen erhalten, erhöhen. Wie LTO (Hasso Suliak) erfahren hat, soll danach die Tagespauschale von 75 auf 100 Euro, ab einer Haftdauer von sechs Monaten auf 200 Euro steigen. Mit der geplanten Reform soll außerdem klargestellt werden, dass der Schadensersatzanspruch von Betroffenen, die einen Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden haben, nicht schrumpft, weil ersparte Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung angerechnet werden.

Gewalt und Gemeinwohl: Zu den vom Bundesjustizministerium geplanten neuen Regelungen zum Schutz von "Menschen, die sich für das Allgemeinwohl einsetzen" meint der emeritierte Kriminologieprofessor Thomas Feltes im Verfassungsblog, dass auch der Politik klar sei, dass die geplanten Strafschärfungen ungeeignet seien, um Angriffe auf Polizist:innen, Rettungskräfte und andere zu unterbinden. Nach wie vor fehle es in Deutschland an einer rationalen und faktengestützten Politikgestaltung in den Bereichen der Kriminalität und der Justiz. Wieder einmal werde auf Symbolpolitik gesetzt, die zwar nichts koste, an der Gewalt jedoch nichts ändere und daher in einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen unisono als nicht sinnvoll erachtet werde.

Hamas-Symbol: Zur Debatte um ein Verbot des roten, auf seiner Spitze stehenden Dreiecks, mit dem die Hamas ihre Feinde markiert, merkt Ronen Steinke (Sa-SZ) an, dass dieses Dreieck in Deutschland zugleich auch das Symbol der politisch Verfolgten des NS-Regimes ist. KZ-Überlebende und Zeitzeugen seien daher jetzt etwas verblüfft und auch irritiert über die Verbotspläne. Der Autor verweist darauf, dass es aber bei der Verwendung von Symbolen etc. juristisch immer auf den Kontext ankomme. Allerdings bleibe das Risiko von Verwirrungen und Missverständnissen bestehen.

Schuldenbremse: Die Schuldenbremse sei kein Investitionshindernis, denn die aktuelle Ausgestaltung biete genügend Spielräume und Ausnahmen für eine Kreditaufnahme, sagt Rechtsprofessor Thorsten Ingo Schmidt im Interview mit LTO (Hasso Suliak). Er verweist dabei u.a. auf die enthaltene Konjunkturkomponente und die Möglichkeit der Kreditaufnahme in Notlagen.

Buschmann im Interview: Im Interview mit der Sa-Welt (Ricarda Breyton/Jacques Schuster) spricht Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über mögliche Leistungseinschränkungen für Asylbewerber:innen, Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte und ein erstes Jahresbürokratieabbaugesetz, für das er einen Entwurf noch vor der Bundestagswahl vorlegen will.

Justiz

ArbG Mainz zu Pro-Palästina/El Ghazi: Wie LTO berichtet, hat das Arbeitsgericht Mainz die fristlose Kündigung des Fußballprofis Anwar El Ghazi durch den Fußball-Bundesligisten FSV Mainz 05 wegen dessen propalästinensischer Instagram-Posts für unwirksam erklärt. U.a. ging es um die Aussage: "Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein." Es liege keine Pflichtverletzung vor, die eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, so die Richterin. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

Der Verein, zu dessen Gründern ein jüdischer, später in Auschwitz ermordeter Textilhändler gehörte, müsse nicht dulden, wenn einer seiner Repräsentanten eine antisemitisch lesbare Parole in die Welt setzt, kommentiert Detlef Esslinger (Mo-SZ). Er hätte aber auch akzeptieren können, dass El Ghazi den Post immerhin schnell gelöscht habe.

BVerfG zu Auslieferung nach Ungarn/Maja T.: Rechtsanwältin Nicola Bier kritisiert im Verfassungsblog, dass sich die  Generalstaatsanwaltschaft Berlin "durch schnell geschaffene Fakten in eine bequeme Position der Machtlosigkeit dank Staatsgrenzen gebracht" habe. Fakten zu schaffen, um die Gewaltenteilung zu umgehen, sei jedoch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. "In einem Rechtsstaat müssen Einzelne in der Lage sein, staatliches Handeln an den Grundsätzen der Verfassung überprüfen zu lassen. Diesbezüglich lassen sich Ansprüche aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten (etwa in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1)." 

BVerfG – Schöffin mit Kopftuch: Der Staat müsse sich Religionen gegenüber neutral verhalten, das schließe aber weder Berufsrichterinnen noch Schöffinnen mit Kopftuch aus, meint Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) anlässlich der Verfassungsbeschwerde einer nordrhein-westfälischen Schöffin, die wegen ihres Kopftuches von der Schöffenliste gestrichen wurde. Schöff:innen sollen den Profi-Juristen Volkes Stimme nahebringen, in all seiner Breite und Vielfalt, das Justizneutralitätsgesetz NRW konterkariere diese Absicht, so Müller-Neuhof.

BGH zum Verbreiten kinderpornographischer Inhalte: Der Bundesgerichtshof hat laut LTO (Franziska Kring) festgestellt, dass beim nach § 176c Abs. 2 StGB strafbaren schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in pornografischer Absicht der Begriff "verbreitet werden soll" weitgefasst zu verstehen sei. 176c Abs. 2 StGB verweise auf § 184b Abs. 1 und 2 insgesamt und erfasse damit sämtliche dort genannten Varianten der Hergabe und des Zugänglichmachens.

BGH zu Eigenbedarfskündigung: Auch LTO berichtet jetzt über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach Cousins nicht zu den "Familienangehörigen" zählen, zu deren Gunsten nach § 573 BGB bzw. § 577a Abs. 1a S. 2 BGB eine Eigenbedarfskündigung zulässig ist.

BVerwG zu Corona-Kritiker im BMI: Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht ist jetzt ein ehemaliger Beamter des Bundesinnenministeriums, der gegen seine Entlassung klagte, gescheitert. Er hatte als Referent für kritische Infrastrukturen im Frühjahr 2020 ohne Zuständigkeit und gegen die ausdrückliche Anweisung seines Vorgesetzten Kritik an der offiziellen Corona-Politik versandt, u.a. mit der Aussage "Coronakrise erweist sich wohl als Fehlalarm". Das BVerwG hielt nun fest: "Die mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbundene Rechtsmacht wird dem Beamten nicht zur Verwirklichung eigener Vorstellungen oder Grundrechte verliehen". beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet.

OLG Schleswig – Transmann als Vater: Wie LTO berichtet, hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht entschieden, dass ein Transsexueller, der sein Geschlecht von weiblich auf männlich geändert hat, als Vater eines während der Ehe geborenen Kindes eingetragen werden kann. Dies gelte selbst dann, wenn keine biologische Abstammung vorliegt

OLG Frankfurt zu "Transe": Dem Wort "Transe" komme ausschließlich eine abwertende Bedeutung zu, hat das Oberlandesgericht Frankfurt/M. entschieden und einem Eilantrag einer Transfrau gegen die entsprechende Bezeichnung durch einen Blogger in zweiter Instanz stattgegeben, meldet beck-aktuell

OVG NRW zu Verdachtsfall AfD: Syndikus Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte hat sich für den Verfassungsblog die Entscheidungsgründe des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" angeschaut. In dem Urteil stecke einiges drin und vor allem habe es ein Verbotsverfahren gegen die AfD nach Artikel 21 Absatz 2 GG und auch das Verbot der Partei selbst wahrscheinlicher gemacht, so der Autor. "Diesen potenziellen Beitrag zu ihrem eigenen Verbot hätte die AfD sich übrigens ersparen können, wenn sie ihre Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zurückgenommen hätte, als deutlich wurde, dass sie vor dem OVG Münster unterliegen würde", schreibt Moini.

LG München – Jérôme Boateng: Im Verfahren gegen Jérôme Boateng, der sich wegen einer mutmaßlichen Attacke gegen seine Ex-Freundin verantworten muss, wurden die Plädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft hat eine Geldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen zu 7000 Euro, also insgesamt 1,12 Millionen Euro, wegen gefährlicher Körperverletzung gefordert. Boatengs Anwalt Walischewski hielt dagegen eine "moderate Geldstrafe" wegen fahrlässiger Körperverletzung zugunsten sozialer Einrichtungen oder der Staatskasse für angemessen. Das Urteil soll am kommenden Freitag verkündet werden. Sa-FAZ und Sa-SZ (Patrick Bauer) berichten.

AG Berlin-Tiergarten zu § 219a StGB: An ein zurückliegendes Verfahren gegen eine Berliner Frauenärztin, die öffentlich mitteilte, dass sie Abtreibungen vornimmt und dafür zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, erinnert Verena Meyer in ihrer Sa-SZ-Kolumne "Vor Gericht". 2022 wurde der Paragraf 219a vom Bundestag ersatzlos gestrichen.

Recht in der Welt

USA – Baldwin-Schüsse: Der Prozess gegen den US-amerikanischen Schauspieler Alec Baldwin wegen tödlicher Schüsse an einem Filmset wurde eingestellt, berichten Mo-FAZ (Christiane Heil) und Mo-SZ (Jürgen Schmieder). Die Staatsanwaltschaft hatte der Verteidigung Beweismittel vorenthalten und es gebe "keine Möglichkeit für das Gericht, das wieder gutzumachen", so die Richterin.

Israel – Siedlungspolitik: Die Sa-FAZ (Alexander Haneke) greift eine Frage auf, die der Völkerrechtler David Kretzmer kürzlich in einer Veranstaltung an der Uni Köln stellte: Warum sich Israels Oberstes Gericht nie gegen die Siedlungen stellte. Als einen Grund nannte der Jurist die tiefe Verankerung der Siedlungsbewegung in der israelischen Politik mit der möglichen Folge, dass ein Urteil gegen die Siedlungen schlicht nicht befolgt worden wäre und deshalb die Richter ihre eigene Autorität in großen Teilen der Bevölkerung beschädigt hätten.

Klimaklagen: In einem Schwerpunkt widmet sich die Sa-taz den weltweiten Klimaklagen. Der Umweltjurist Hermann Ott erklärt im Interview (Nick Reimer), warum diese Klagen zunehmen, was ein Ökozid ist und wie man juristisch Kohlekraftwerke verhindert. In einem weiteren Artikel (Nick Reimer) werden vier relevante Klagen, darunter das Verfahren eines peruanischen Bauers gegen den Stromkonzern RWE und die Klage des US-Bundesstaates Kalifornien gegen mehrere Ölfirmen zusammengefasst. Die in erster Instanz erfolgreiche Klage gegen den Shell-Konzern in den Niederlanden hat für den Klimaschutz erstmal keine Folgen, wird in einem weiteren Beitrag (Nick Reimer) damit erläutert, dass Shell in Berufung ging und außerdem seinen Sitz nach London verlegte.

Juristenausbildung

Referendariat NRW: NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) reagierte mit einem eigenen offenen Brief auf den offenen Brief von 119 Justiz-Ausbilder:innen aus NRW, die die schwache Kommunikation des Landesjustizministeriums und die fehlende Einbindung der Ausbildungspraxis in die Sparentscheidungen zum Referendariat in NRW kritisiert hatten. Limbach schrieb, dass die Unruhen und Missstimmungen der vergangenen Wochen der aktuellen Haushaltslage des Landes geschuldet seien. Alle Ressorts müssten sparen, auch die Justiz. LTO berichtet.

Sonstiges

Rechtsgeschichte – Hausarbeitstag: Martin Rath erinnert auf LTO an den "Hausarbeitstag", der für einige Jahrzehnte Frauen als zusätzlicher freier Tag zugute kam. Das Bundesarbeitsgericht sah 1954 darin keinen Verstoß gegen Art. 3 GG. Erst das Bundesverfassungsgericht sprach den Hausarbeitstag 1979 auch Männern zu. 1994 wurde die entsprechende Regelung für alle abgeschafft.

 

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LTO/pf/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. Juli 2024: Süddeutsche Uni-OLG-Kooperation / ArbG Mainz zu El Ghazi-Kündigung / Baldwin-Prozess geplatzt . In: Legal Tribune Online, 15.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54997/ (abgerufen am: 16.07.2024 )

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