Die juristische Presseschau vom 11. August 2023: Eil­an­trag der AfD am OVG Münster / StA ermit­telt wegen AfD-Adres­sen­liste / Top-Anwalt unter Folter-Vor­wurf

11.08.2023

Die AfD stellte einen neuen Eilantrag gegen ihre Benennung als "Verdachtsfall". Wegen der Adresslisten hessischer AfD-Mitglieder ermittelt nun die StA. Der Top-Anwalt Neil Gerrard soll in einem Emirat Oppositionelle gefoltert haben.

Thema des Tages

OVG Münster – Verdachtsfall AfD: Bereits Anfang Juli hat die AfD beim Oberverwaltungsgericht Münster einen Eilantrag gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz gestellt. Sie will damit erreichen, dass der Verfassungsschutz sie bis zur Entscheidung im Berufungsverfahren nicht weiter als "Verdachtsfall" einstuft und öffentlich so benennt. Das OVG Münster beschäftigt sich seit Mitte letzten Jahres in einem Berufungsverfahren der Partei gegen den Verfassungsschutz mit der Frage, ob die Verdachtsfall-Einstufung rechtmäßig ist. Das Verwaltungsgericht Köln hatte im März 2022 dem Verfassungsschutz Recht gegeben. Da mit der Berufungsentscheidung wohl erst 2024 zu rechnen ist, befasst sich das OVG nun vorrangig mit dem Eilantrag. Die AfD argumentiert im Eilantrag, dass Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang im Juni geäußert habe, er sehe es auch als Aufgabe des Verfassungsschutzes, Umfragewerte der AfD zu senken. taz.de (Christian Rath) und spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt) berichten.

Verfassungsschutz und AfD:  Die SZ (Christoph Koopmann) geht der Frage nach, ob die regelmäßigen öffentlichen Äußerungen des Verfassungsschutzchefs Thomas Haldenwang über die AfD rechtens sind. Zwar klage die Partei inzwischen gegen fast jede Äußerung Haldenwangs. Allerdings sei es gerade der Auftrag des Verfassungsschutzes aufzuklären und vor Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu warnen, so stehe es auch im Verfassungsschutzgesetz, äußert sich Rechtsprofessor Matthias Bäcker.


Rechtspolitik

Finanzkriminalität: Das Bundesfinanzministerium hat im Juli den Referentenentwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Finanzkriminalität (Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz – FKBG) präsentiert. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass Kompetenzen für Geldwäscheaufsicht, Verfolgung von Finanzkriminalität und Untersuchung verdächtiger Finanztransaktionen in dem neuen, von Finanzminister Lindner (FDP) bereits angekündigten, Bundesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (BBF) gebündelt werden. Deutschland gilt bisher als Geldwäscheparadies. Ein Grund dafür ist, dass die Koordination zwischen den beteiligten Behörden häufig nicht reibungslos funktionierte. Auf LTO erörtert Daniel Travers, Rechtsanwalt, auch den geplanten Aufbau und die Sonderkompetenzen des neuen BBF.

Verantwortungsgemeinschaft: Das Bundesjustizministerium hat angekündigt, kurz nach der Sommerpause (im Rahmen der umfassenden Modernisierung des Familienrechts) Eckpunkte für die Reform des Abstammungsrechts und Eckpunkte für die rechtliche Umsetzung einer sog. Verantwortungsgemeinschaft vorzulegen. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von zwei oder mehr Volljährigen, die dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen möchten, ohne unbedingt eine romantische Beziehung zu führen. Wie die taz (Dinah Riese) schreibt, soll diese Form der Gemeinschaft zB älteren alleinstehenden Menschen, die sich gerne zusammenschließen möchten oder Paaren, die nicht heiraten wollen, zugutekommen, sie ist aber der Ehe nicht gleichgestellt.

Justiz

StA Frankfurt/M. – Antifa/Veröffentlichung von AfD-Adressen: Nun hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. angekündigt, im Fall der auf einer Website veröffentlichten Adressen von AfD-Politiker:innen in Hessen, Ermittlungen gegen die noch unbekannten Verantwortlichen, die vermutlich aus der Antifa-Szene stammen, einzuleiten. Es stehen der Verdacht einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung und eines gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten im Raum. Letzterer Straftatbestand wurde erst 2021 als § 126a Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt, um Strafbarkeitslücken bei solchen "Feindeslisten" zu schließen. Es berichten die SZ und spiegel.de. Gegenüber LTO (Leonie Ott/Felix W. Zimmermann) äußerten zudem einige Rechtsanwälte die Einschätzung, dass das Veröffentlichen auch datenschutzrechtliche Relevanz habe und ggf. Bußgelder von bis zu 20 Mio. Euro drohen. 

BAG zu Leiharbeit/Überlassungsdauer: In einem Tarifvertrag kann wirksam vereinbart werden, dass Leiharbeitnehmer:innen bis zu 36 Monate an den Entleiher überlassen werden dürfen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in einer nun veröffentlichten Entscheidung aus dem April diesen Jahres. So sieht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zwar grundsätzlich eine Beschränkung auf 18 Monate vor, gestattet aber auch die Festlegung einer abweichenden Überlassungshöchstdauer in Tarifverträgen, wovon die Tarifvertragsparteien im Streitfall Gebrauch gemacht hatten. Es berichtet community-beck (Christian Rolfs).

OLG Schleswig – Missbrauch beim Schlafwandeln: Nun berichtet auch LTO (Leonie Ott) über ein erfolgreiches Klageerzwingungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft Kiel muss, entgegen ihrer vorherigen Einstellung, Anklage gegen einen früheren Staatsanwalt wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs erheben. Das Oberlandesgericht Schleswig hat die Anklage-Erhebung gegen den 52-Jährigen angeordnet, da es Hinweise gibt, dass dieser eine Krankheit namens "Sexsomnia" nur vorgetäuscht habe. Der Beschuldigte hatte seinen acht Jahre alten Sohn missbraucht, später aber vorgegeben, an "Sexsomnia" zu leiden und deshalb strafrechtlich gem. § 20 Strafgesetzbuch (StGB) nicht schuldfähig zu sein.

Reiserecht/fremde Sprachen: Im Rahmen einer Sommer-Urlaubsserie stellte das Expertenforum Arbeitsrecht (Arnd Diringer) ältere zivilrechtliche Urteile zusammen, die sich mit der unrealistischen Erwartung von deutschen Reisenden befassen, dass sie bei Reisen ins Ausland nicht mit fremden Sprachen behelligt werden. 

StA Hessen – mehr Verfahren: Wie LTO berichtet, ist im vergangenen Jahr die Zahl der neu eröffneten Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften in Hessen um ca. 3,9 Prozent auf 407.000 gestiegen. Grund dafür sind zum einen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Sanktionen der Europäischen Union, die zu einem Anstieg an Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) führten. Zum anderen gelang es der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt im April 2022, den weltweit größten illegalen Darknet-Marktplatz "Hydra Market" zu zerschlagen und die Serverinfrastruktur sicherzustellen.

Recht in der Welt

Großbritannien – Anwalt Neil Gerrard: Am englischen High Court laufen die Gerichtsverfahren gegen den britischen Anwalt und ehemaligen Partner der US-Großkanzlei Dechert, Neil Gerrard, wegen unrechtmäßiger Inhaftierung, Folter und Menschenrechtsverletzungen an. Der Scheich des kleinen Emirats Ras Al Khaimah (RAK) soll Dechert und Gerrard 2014 beauftragt haben, vermeintlichen "Staatsfeinden" nachzugehen. In diesem Zusammenhang soll Gerrard die beiden Kläger Karam Al Saleq und Johad Quzmar entführt und gefoltert haben. Wie LTO (Markus Sehl/Luisa Berger) ausführlich schildert, sind dies nicht die einzigen Vorwürfe gegen den ehemaligen Wirtschaftsanwalt. Weitere Schadensersatzklagen laufen unter anderem wegen abgesprochener Aussagen, Mandatsverrat und falschen Ratschlägen zur Profitsteigerung, vier in Großbritannien und zwei in den USA.

EU/Neuseeland – nachhaltiger Freihandel: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Nils Kohlmeier befasst sich auf dem Verfassungsblog mit dem im Juli geschlossenen Freihandelsabkommen der EU mit Neuseeland. Nach Ansicht der EU-Kommission ist es mit Blick auf Nachhaltigkeitsfragen das "ambitionierteste Abkommen aller Zeiten". Der Autor sieht dennoch Widersprüchlichkeiten bei der Ausgestaltung des Streitbeilegungsverfahrens. Mit Hilfe der "Contradiction Studies" könne jedoch ein für seine Widersprüche sensibilisierter, kritischer Nachhaltigkeitsbegriff etabliert werden.

Sonstiges

Wehrhafte Demokratie: Im Rahmen des Festakts anlässlich des 75. Jahrestags des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee erinnerte Bundespräsident Walter Steinmeier an die Verantwortung, die mit der Geschichte der deutschen Verfassung einhergehe und appellierte an die Menschen und Politiker:innen in Deutschland, sich stärker gegen Feinde der Demokratie und Rechtsextremismus zu positionieren. Keiner könne sich mehr herausreden, "wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen". Ähnliche Worte fanden auch die bayrische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) und der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). 1948 erarbeiteten auf Herrenchiemsee Expert:innen die Basis für die heutige Verfassung der Bundesrepublik. Es berichten SZ (Hans Kratzer), FAZ (Timo Frasch) und LTO.

Rechtsstaat: In einem Beitrag auf dem JuWissBlog befasst sich Joel Sadek Bella, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit der immer häufigeren Verwendung des Rechtsstaatsbegriffs zur Rechtfertigung nicht unbedingt rechtsstaatlichen Handelns und der eigentlichen Bedeutung des Begriffs und plädiert dafür, dass eine korrekte Verwendung dieses Begriffs unerlässlich ist.

Clankriminalität: Die SZ (Jan Bielicki) befasst sich mit den in den Massenmedien und bei Politiker:innen häufig verwendeten, aber umstrittenen Begriffen "Clans" und "Clankriminalität". Die Rede von "Clans" stigmatisiere Menschen, nur weil sie eine bestimmte Herkunft und einen Namen haben, der mit kriminellen Tätigkeiten in Verbindung gebracht wird. Dabei brauche es den Begriff "Clankriminalität" überhaupt nicht, sagt Polizeiforscherin Daniela Hunold gegenüber der SZ. Im Gegenteil ergebe es für Prävention und Repression mehr Sinn, die einzelnen Formen von Kriminalität, wie sie konkret auftreten, zu bekämpfen und nicht einen vermeintlichen "Clan", so Hunold.

Compliance: Der Anwalt André-M. Szesny verteidigt auf beck-aktuell interne Compliance-Ermittlungen gegen ihren schlechten Ruf, dass sie teuer, unnütz und schlecht fürs Betriebsklima seien. Vielmehr sei eine eigene interne Sachverhaltsklärung für die Leitungsebene unverzichtbar, so der Autor, um Entscheidungen zu treffen, die der Business Judg­­ment Rule standhalten. 

Top-Jurist: Tobias Freudenberg (beck-aktuell) räsoniert über den von Medien oft kriterienlos benutzten Begriff "Top-Jurist".


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ali/chr

(Hinweis für Journalisten

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 11.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52466 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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