Der Bundestag hat die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe beschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht billigte die Planfeststellung der LNG-Leitung in Niedersachsen. Der EuGH rügte Ungarn erneut wegen seiner Asylgesetze.
Thema des Tages
Ersatzfreiheitsstrafe: Der Bundestag hat die Verkürzung der Ersatzfreiheitsstrafe beschlossen. Künftig soll bei der Umrechnung von nicht bezahlten Geldstrafen in Ersatzfreiheitsstrafe ein Faktor von 2:1 gelten. Danach drohen beispielsweise bei einer Verurteilung zu 50 Tagessätzen nur noch 25 Tage Ersatzhaft, statt wie bisher 50 Tage. Betroffene müssen darüber hinaus in Zukunft ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass sie alternativ zur Haft auch gemeinnützige Arbeit verrichten können. SZ und spiegel.de berichten.
Im Interview mit tagesspiegel.de (Lea Schulze) berichtet Franziska Gitz vom Verein Freie Hilfe Berlin, wie sie versucht, Menschen zu helfen, denen eine Ersatzfreiheitsstrafe droht.
Schwarzfahren: In ihrer Rubrik "Aktuelles Lexikon" widmet sich die SZ (Wolfgang Janisch) dem "Schwarzfahren" als dem häufigsten Delikt, das zu einer Ersatzfreiheitsstrafe führt. Der 1935 eingeführte Paragraf 265a StGB habe wiederkehrende Versuche seiner Abschaffung überstanden, obwohl er eigentlich nur zivilrechtliche Ansprüche der Verkehrsbetriebe sichert.
Rechtspolitik
Sanktionen gegen Russland: Hubert Wetzel (SZ) kritisiert die Pläne von EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, sanktionsbedingt eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank und russischer Oligarch:innen für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Dies verstoße gegen das völkerrechtliche Prinzip der Staatenimmunität. "Die regelbasierte Ordnung verteidigt man nicht, indem man Regeln bricht."
Lobbyregister: Die taz (Sabine am Orde) stellt den Gesetzentwurf für eine Änderung des Lobbyregisters vor, der am heutigen Freitag in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll. Künftig sollen Lobbyist:innen konkret angeben müssen, auf welches Gesetzes- oder Verordnungsvorhaben sich ihre Kontaktaufnahme bezieht und wesentliche Stellungnahmen direkt im Register hochladen.
Cannabis: Laut spiegel.de soll der Gesetzentwurf zur Cannabis-Entkriminalisierung bis Mitte August ins Bundeskabinett eingebracht werden. Zuletzt war noch strittig, ob der Verkauf von sogenannten Edibles (THC-haltiger Lebensmittel) verboten bleiben soll, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorsieht. Ein zweiter Gesetzentwurf ist für den Herbst geplant. Dort soll es in Modellregionen erlaubt werden, Cannabis legal kommerziell anzubauen und zu verkaufen.
Cannabis und Straßenverkehr: Wie LTO (Hasso Suliak) erfahren hat, soll im Zuge der geplanten Cannabis-Legalisierung nun doch eine Anpassung der zulässigen THC-Werte im Straßenverkehr geprüft werden. Geplant sei die Einsetzung einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium mit Experten aus Medizin, Recht und Verkehr. Kritiker hatten seit längerem bemängelt, dass der bisherige Wert so niedrig liege, dass er zwar den Nachweis des Cannabiskonsums ermögliche, aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulasse.
Schwangerschaftsabbruch: Die taz (Dinah Riese) beleuchtet ein Jahr nach Abschaffung des § 219a StGB die Geschichte des Abtreibungsrechtes in Deutschland und kritisiert, dass Abtreibungen nach wie vor kriminalisiert werden. Strafrechtliche Verbote von Abtreibungen wie der deutsche § 218 StGB seien in einem modernen Rechtsstaat fehl am Platz.
LGBTQ-Rechte: Angesichts des am Wochenende in München und in den darauffolgenden Wochen auch in anderen Städten stattfindenden Christopher Street Days, fasst Ronen Steinke (SZ) Beispiele für bestehende Diskriminierungen zusammen. So müssten Schwule und Lesben zB in der Bundeswehr immer noch um ihre Karriere fürchten, wenn sie sich outen, die lesbische Mutter Nr. 2 müsse erst langwierig ihr Kind adoptieren und nach aktuellen Plänen des Justizministeriums soll künftig eine dreimonatige "Bedenkzeit" gelten, ab der erst die geschlechtliche Selbstbestimmung eines transsexuellen Menschen respektiert werden soll. Das sei einzigartig im deutschen Recht, einzigartig herablassend, denn darin stecke ein paternalistisches Denken, so der Autor.
Justiz
BVerwG zu LNG-Leitung: Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die Planfeststellung der Flüssiggasleitung zwischen Wilhelmshaven und Etzel abgewiesen. Die DUH wollte erreichen, dass das Land Niedersachsen den Betrieb der Leitung spätestens ab dem Jahr 2033 nur noch für den Transport von grünem Wasserstoff erlaubt. Eine derartige zeitliche Vorgabe widerspreche laut BVerwG jedoch dem LNG-Beschleunigungsgesetz, das den Transport von verflüssigtem Erdgas bis 2043 erlaubt. ndr.de berichtet.
EuGH zu Personalgestellung: Die Rechtsanwält:innen Isabel Hexel und Jörn Kuhn erläutern auf LTO eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu der Frage, ob bei einer so genannten Personalgestellung die Leiharbeitsrichtlinie anwendbar ist. Nach § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst kann ein öffentlicher Arbeitgeber im Falle einer Aufgabenverlagerung, z.B. aufgrund einer Privatisierung, einen Beschäftigten ohne dessen Zustimmung bei einem Dritten dauerhaft einsetzen. Das sei keine Leiharbeit, so jetzt der EuGH auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichtes. Die Leiharbeitsrichtlinie beziehe sich ausschließlich auf zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse und nicht auf Dauerarbeitsverhältnisse wie im vorliegenden Fall.
BVerfG zu U-Haft Andrea Tandler: Die Verfassungsbeschwerde der bayerischen Unternehmerin Andrea Tandler und ihres Lebensgefährten gegen ihre Haftbefehle wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerden entsprächen nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen und seien auch sonst nicht substantiiert. Die Tochter des früheren CSU-Generalsekretärs Georg Tandler sitzt seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Vermittlung von Corona-Schutzmasken vor. LTO und spiegel.de berichten.
BVerfG – Nachtragshaushalt und Schuldenbremse: Auch LTO (Christian Rath) berichtet nun über die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über den 2. Nachtragshaushalt 2021. Dabei wurde insbesondere über die Auslegung der Notfallklausel der Schuldenbremse gem. Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG diskutiert. Die Bundesregierung subsumiert unter die Ausgaben wegen der Corona-krise auch Ausgaben für die Konjunkturbelebung durch Klimaschutz-Investitionen (Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Mrd. Euro, die in den Klimafonds verlagert wurden). Dagegen vermisst die CDU/CSU-Fraktion hier den "Veranlassungszusammenhang", der für sie ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Notfallklausel ist.
BVerfG zu Strafgefangen-Entlohnung: Das Bundesverfassungsgericht relativiere die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine angemessene Bezahlung von Gefangenenarbeit, stellen die wissenschaftlichen Mitarbeiter Jaqueline Stein und Lara Mann im Verfassungsblog in ihrer Analyse des am Mittwoch verkündeten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur Regelung der Gefangenenentlohnung kritisch fest. Das Kriterium der "angemessenen" Vergütung werde dahingehend aufweicht, dass es nicht mehr abstrakt, sondern nur noch im Zusammenhang mit dem zugrundeliegenden Resozialisierungskonzept überprüft werden kann. Entgegen der Ankündigung von BVerfG-Vizepräsidentin Doris König habe keine substanzielle "Schärfung" der verfassungsrechtlichen Maßstäbe stattgefunden.
BSG zu PTBS von Rettungssanitäter: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass bei Rettungssanitätern eine Posttraumatische Belastungsstörung als "Wie-Berufskrankheit" anerkannt werden kann, auch wenn diese nicht explizit in der sogenannten Berufskrankheiten-Verordnung aufgezählt ist. Rettungssanitäter seien nämlich während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt, so das BSG laut LTO. Der konkrete Fall gehe nun zurück ans LSG, denn ob bei dem Sanitäter tatsächlich eine PTBS vorliege, die auf seine Tätigkeit als Rettungssanitäter zurückzuführen sei, müsse die Vorinstanz klären.
BSG zu Hepatitis bei Feuerwehrmann: Das Bundessozialgericht hat die Hepatitis B-Erkrankung eines Feuerwehrmannes als Berufskrankheit anerkannt. Bei der Versorgung von Unfallopfern oder der Rettung von Wanderern komme er in engen Kontakt zu anderen Menschen und ihren Körperflüssigkeiten, was die Ansteckungsgefahr stark erhöhe. Eine konkrete Gefährdungssituation muss nicht nachgewiesen werden. beck-aktuell berichtet.
OLG Hamburg zu Luke Mockridge vs. Spiegel: Der Comedian Luke Mockridge hat vor Gericht einen Sieg gegen den Spiegel errungen, berichtet die FAZ (Michael Hanfeld) im Medienteil. Der Spiegel hatte 2021 einen Artikel veröffentlicht, in dem Mockridge die Vergewaltigung seiner Freundin vorgeworfen wurde. Das Gericht gehe davon aus, dass es sich hier um einen Fall unzulässiger Verdachtsberichterstattung handele und unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet werden, wird Mockridges Anwalt Simon Bergmann zitiert.
LG München – Ex-Wirecard-Chef Braun: Die SZ (Johannes Bauer) berichtet weiter über den Prozess gegen den früheren Wirecard-Chef Marcus Braun. Unter anderem wurde die Kommunikationschefin von Wirecard Iris Stöckl und ein früherer Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung vernommen.
"Ungeimpft"-Sterne und Volksverhetzung: Im MDR-Podcast "Extrem rechts" berichten Jana Merkel, Thomas Vorreyer und Tim Schulz über die Aktivitäten des Rechtsextremisten Sven Liebich. In der 5. und vorletzten Folge geht es auch um die Reaktion des Rechtsstaates auf Rechtsextremismus. Unter anderem wird die Strafbarkeit des durch die Aufschrift "ungeimpft" abgewandelte Form des Davidsterns erklärt.
Recht in der Welt
EuGH/Ungarn – Asylrecht: Der Europäische Gerichtshof hat Ungarn erneut gerügt, weil Regelungen des nationalen Asylrechts gegen EU-Recht verstoßen. Das Land habe den Zugang zu Asylverfahren mit einer neuen Regelung übermäßig erschwert. Nach einem 2020 beschlossenen Gesetz müssen Menschen aus bestimmten Drittstaaten oder Staatenlose erst in Serbien oder der Ukraine eine Absichtserklärung für den Antrag auf Asyl abgeben. FAZ (Stephan Klenner), SZ, taz und tagesschau.de (Max Bauer) berichten.
Das Urteil entbinde die europäischen Staaten nicht davon, weiter an einer rechtsstaatlichen, humanitären Lösung des Flüchtlingsproblems zu arbeiten, meint Reinhard Müller (FAZ). Eine erste Antwort sei der von den Regierungen demokratischer EU-Staaten ausgehandelte Kompromiss, der anders als Pro Asyl meine, kein "Angriff auf den Rechtsstaat" sei.
USA – Supreme Court-Richter Alito: Der konservative Richter des US-Supreme Court Samuel Alito soll sehr teure Reisegeschenke des Milliardärs Paul Singer entgegengenommen haben und später dann ein Verfahren mitverhandelt haben, das zugunsten Singers endete. Die taz (Bernd Pickert) fasst die Vorwürfe zusammen. Ob die Angelegenheit für Alito persönliche Konsequenzen hat, sei derzeit offen.
Juristenausbildung
Uni-Rankings: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Diana Liebenau hat sich für LTO-Karriere das Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) angeschaut und erläutert, warum man an der Aussagekraft von Rankings zweifeln darf. So sei das CHE-Ranking zwar weitgehend transparent und ausgefeilt, liefere allerdings trotzdem für Jura keine aussagekräftigen Ergebnisse.
Koordination des Referendariats in RhPf: Rheinland-Pfalz will die Referendarsausbildung bei den verschiedenen OLGs besser koordinieren. Ziel des landesweiten Projekts "RefKo" (kurz für das Projekt "Referendariat.Koordination") sei es, einheitliche Standards für eine "moderne, qualitativ ansprechende praktische Ausbildung" zu entwickeln, heißt es aus dem Landesjustizministerium. Es gehe um die Erstellung von einheitlichen Lehrunterlagen, Unterrichtskonzepten und Informationsmaterial, außerdem soll der Austausch mit den Referendarinnen und Referendaren verstärkt werden. LTO-Karriere berichtet.
Sonstiges
Klimaprotest: Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann kritisiert im FAZ-Einspruch die Vorstellung, der zivile Ungehorsam der Letzten Generation könne rechtlich gerechtfertigt werden. Er wendet sich auch gegen eine funktional-demokratische Grundrechtstheorie, die politisch orientierten Freiheitsgebrauch gegenüber nicht politischem favorisieren will. Es gebe kein Recht zur Schikane von Mitbürgern. Der Autor warnt zudem vor Eskalationen. Denn, wenn es gegen die Vernichtung der Menschheit durch die Klimaapokalypse gehe, könnten nicht nur begrenzte Regelverletzungen als verhältnismäßig erscheinen, sondern auch Gewaltakte als kleineres Übel.
Präventive Demonstrationsverbote: "Leidet das Versammlungsrecht an Long Covid" fragt sich die SZ (Wolfgang Janisch) angesichts einer "neuen Lust am vorbeugenden Verbot" von Versammlungen durch Behörden, die "die Bevölkerung lieber gleich von vornherein vor den Zumutungen des Protests bewahren wollen". Immerhin habe das Bundesverwaltungsgericht soeben einen ersten Schritt zur Heilung unternommen und ein sehr pauschales sächsisches Versammlungsverbot vom April 2020 als "schweren Eingriff in die Versammlungsfreiheit" beanstandet.
Entgeltfortzahlung: Im Expertenforum Arbeitsrecht fasst Rechtsanwalt Artur Kühnel die wichtigsten Regeln bei der Entgeltfortzahlung im Zusammenhang mit Fortsetzungserkrankungen zusammen. Streit könne hier beispielsweise entstehen, wenn keine Folgebescheinigung, sondern mehrere Erstbescheinigungen vorgelegt werden, welche Arbeitsunfähigkeit jeweils aufgrund einer neuen Krankheit bescheinigen. Es stelle sich dann die Frage, ob Arbeitgeber die Erstbescheinigungen aufgrund ihres hohen Beweiswerts akzeptieren müssen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pf/chr
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 23. Juni 2023: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52065 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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