Bundesjustizminister und Bundesfamilienministerin haben sich auf ein Selbstbestimmungsgesetz geeinigt. BSG-Vizepräsidentin Meßler soll BVerfG-Richterin werden. Buschmann trifft Länderminister:innen zur Justizdigitalisierung.
Thema des Tages
Geschlechtliche Selbstbestimmung: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) haben sich über ein Selbstbestimmungsgesetz geeinigt, das das frühere Transsexuellengesetz ersetzen soll. Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht binäre Menschen sollen danach ihre Vornamen und den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister per Selbstauskunft ändern lassen können. Das bisher vorgeschriebene Gerichtsverfahren und die Einholung von zwei psychologischen Gutachten soll entfallen. Der Referentenentwurf soll noch vor Ostern vorgestellt werden. Er wird zwei neue Punkte enthalten: Zwischen Antrag und Vollzug muss eine Wartefrist von drei Monaten liegen. Außerdem wird das Hausrecht privater und öffentlicher Einrichtungen wie Frauensaunen und Schwimmbäder betont. Sa-SZ (Constanze von Bullion) und Mo-taz (Nicole Opitz) berichten,
Constanze Bullion (Sa-SZ) zeigt sich in ihrem separaten Kommentar enttäuscht von dem, wie sie sagt, "mutlosen Entwurf. Buschmann und Paus hätten sich "weggeduckt", als "die Betonfraktion unter den Feministinnen warnte, transgeschlechtliche Frauen blieben biologische Männer und hätten in der Frauensauna nichts verloren". Nicole Opitz (Mo-taz) fordert, das wichtigste queerpolitische Vorhaben der Bundesregierung nun so schnell wie möglich umzusetzen. Wenn das Hausrecht bisher schon Ungleichbehandlungen erlaube, wie die Bundesregierung betone, "dann sollte über eine Reformierung des Hausrechts debattiert werden."
Rechtsprofessor Arnd Diringer fordert in seiner WamS-Kolumne mehr Ehrlichkeit und verweist auf eine aktuelle Entscheidung des Bundesschiedsgerichtes der Grünen. Das hatte einen Bewerber abgewiesen, der auf einem Frauenplatz kandidieren wollte, sich aber nur im Parteileben als Frau definierte und sonst als Mann lebte. Die Entscheidung zeige vor allem eines: Ohne Kontrolle gehe es nicht. Das gelte ebenso beim Selbstbestimmungsgesetz, so Diringer.
Rechtspolitik
BVerfG-Richterwahl: Die bisherige Vizepräsidentin am Bundessozialgericht Miriam Meßling soll am kommenden Freitag im Bundesrat als Nachfolgerin von Gabriele Britz zur Bundesverfassungsrichterin gewählt werden. Im Ersten Senat soll sie dann zuständig für Steuerrecht und Berufsrecht, also auch für das Anwaltsrecht, sein. Meßling ist seit 2016 Richterin am BSG und seit Januar 2022 BSG-Vizepräsidentin. Im Februar 2024 sollte sie eigentlich Präsidentin des BSG werden. Mit der Wahl Meßlings bleibt die Parität am BVerfG erhalten. LTO (Christian Rath) berichtet.
Pakt für den Rechtsstaat/Digitalisierung: Am 30. März will sich Justizminister Marco Buschmann mit den Landesjustizminister:innen zu einem Digitalgipfel in Berlin treffen. Die Fronten zwischen dem Minister und seinen 16 Länderkolleg:innen seien bei der Frage der Justizdigitalisierung seit Monaten verhärtet, so LTO (Hasso Suliak). Verärgert seien die Landesjustizminister: innen, aber auch die Richterschaft, über den Bundesjustizminister, weil dieser ihnen nicht die finanziellen Mittel für eine Ausstattung der Justizbehörden zur Verfügung stellen wolle, die man gerne hätte und die im Koalitionsvertrag versprochen seien. Ob nunmehr kommenden Donnerstag eine Annäherung gelingt, sei offen, heißt es im Text.
Bundestags-Wahlrecht: Warum die verabschiedete Reform des Wahlrechts ein Verfassungsrechtsproblem sei, erklärt Rechtsprofessor Frank Schorkopf im Verfassungsblog. Der Gesetzgeber habe hier eine grundsätzliche Systemänderung vorgenommen, suggeriere aber eine Kontinuität und verstoße damit möglicherweise gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit und -verständlichkeit. Im Übrigen verliere das neue Wahlrecht durch die überraschende Streichung der Grundmandatsklausel auch seine politische Ergebnisneutralität. Der Doktorand Edoardo D'Alfonso Masarié fordert im Verfassungsblog eine schnelle Reform der Reform. Auch wenn eine Grundmandatsklausel in der bisherigen Form nicht geboten sei, sei doch eine adäquate Würdigung territorialer Parteien notwendig.
Im Interview mit der Sa-SZ (Robert Roßmann u.a.) erläutert Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die geplanten Verfassungsklagen gegen das neue Wahlrecht, die sich auf das Demokratieprinzip und das Bundesstaatsprinzip stützen. Prozessbevollmächtigter der CSU werde Rechtsprofessor Kyrill Schwarz sein. Die bayerische Landesregierung werde von Rechtsprofessor Markus Möstl vertreten. Der Koalitionspartner der CSU, die Freien Wähler, haben einer Verfassungsklage des Landes zugestimmt.
Parität im Wahlrecht: Für ein Paritätsgesetz spricht sich Heribert Prantl (Sa-SZ) aus. Die Emanzipationsgeschichte lehre, dass es ohne offensive gesetzliche Hilfe keine Emanzipationsfortschritte gebe.
Aufenthaltsbestimmung: Die Sa-SZ (Maike Bachhaus/Gabriela Keller) beschreibt in ihrem Dossier ein Gerichtsverfahren, bei dem das Familiengericht einem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für einen Jungen zusprach, obwohl die Mutter auf Anzeichen von Gewalt hinwies und der Junge zur Mutter wollte. Eine Gutachterin des Familiengerichts war zum Schluss gekommen, dass der Vater die Beziehung zur Mutter besser fördern könne als umgekehrt. Der Recherche lagen zehn vergleichbare Einzelfälle zugrunde. Grevio, die unabhängige Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt hatte 2022 festgestellt, dass es in Deutschland strukturell „erhebliche Defizite“ und "Mängel der Justiz" gebe. Der Familienrechtsexperte Thomas Meysen fordert deshalb Gesetzesänderungen. Im Gesetz fehle bisher völlig ein Fokus auf häusliche Gewalt beim Umgangs- und Sorgerecht.
Massenverfahren: Zahlreiche der bisher diskutierten Vorschläge zur Entlastung der Gerichte in Massenverfahren werden laut beck-aktuell von der Bundesrechtsanwaltskammer kritisiert. Lediglich für die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahren spricht sich die Kammer aus. Es werde bisher an der falschen Stelle angesetzt, so die Berufsorganisation. "Anstatt das Problem an der Wurzel zu packen, wo – teilweise wissentlich und willentlich – Verbraucherrechte verletzt werden, sollen die Handlungsmöglichkeiten derjenigen, die in ihren Rechten verletzt wurden sowie derjenigen, die sie bei der Geltendmachung ihrer Rechte beraten und vertreten, weiter verkürzt werden".
Justiz
EuGH zu Diesel-Thermofenster: Nachdem der Europäische Gerichtshof die Möglichkeit für Klagen gegen Thermofenster bei der Abgasreinigung von Diesel-PKW in der vergangenen Woche deutlich erweitert hat, prognostizieren Rechtsanwält:innen, dass eine Schadensersatz-Klagewelle auf die Autoindustrie zurolle. Mercedes-Fahrer, die jetzt erst klagen wollen, sollten die Verjährungsfristen beachten, rät die FAS (Marcus Jung). Eigentümer: innen von Automodellen, für die bisher keine Rückrufe angeordnet wurden und über die nicht breit in den Medien berichtet wurde, könnten eventuell noch klagen, weil sie noch keine Kenntnis erlangt haben.
BGH zu Verfahrensdauer: Der ZPO-Blog (Peter Bert) analysiert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom Dezember 2022, in der sich die Karlsruher Richter mit dem Schadensersatzanspruch bei überlanger Verfahrensdauer zu befassen hatten. Das erstinstanzliche Ausgangsverfahren dauerte nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs 7 Jahre und 8 Monate und endete mit einer Klagerücknahme. Der BGH stelle in seiner Entscheidung hohe Hürden für Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer auf, so der Autor. Eine Entschädigung gebe es nur noch, wenn das Gericht "unvertretbar" handelte. Man hätte sich gewünscht, dass der BGH geprüft hätte, ob seine Auslegung von § 198 GVG dem Normziel, nämlich der Schaffung des von Art. 6 EMRK gebotenen wirksamen Rechtsbehelfs gegen überlange Verfahren, gerecht werde.
BGH zu Verbraucherbauvertrag: Dass bei einzelnen Gewerken kein Verbraucherbauvertrag vorliegt, hat jetzt, laut LTO, der Bundesgerichtshof festgestellt und damit eine seit längerem offene Frage beantwortet. Schon nach dem Wortlaut von § 650i BGB sei nicht ausreichend, dass der Unternehmer im Rahmen eines Neubaus nur ein einzelnes Gewerk übernimmt, so das Gericht.
OLG Stuttgart – Mordversuch durch Reichsbürger: Die Zweite Strafkammer des Oberlandesgerichtes Stuttgart hat einen mutmaßlichen Reichsbürger, der alkoholisiert einen Polizisten angefahren und schwer verletzt hatte, unter anderem wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und der Entfernung vom Unfallort zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Prozess wurde laut Sa-FAZ (Rüdiger Soldt) auch die Radikalisierung des jetzt 62-Jährigen thematisiert, die sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstreckt habe. Für die Bundesanwaltschaft sei das jetzige Urteil wegweisend im Umgang mit der "Reichsbürger"-Szene, heißt es auf spiegel.de.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Über die sechstägigen Aussagen des früheren Wirecard-Chef Markus Braun berichtet sehr ausführlich der Spiegel (Martin Hesse/Jonathan Stock). Braun sagte u.a. über jenen Tag im Juni 2020 aus, als eigentlich die Veröffentlichung des Konzernabschlusses und die Bilanzpressekonferenz stattfinden sollte, stattdessen Wirecard aber eingestehen musste, dass Milliarden Euro fehlten.
AG Lörrach – Handel mit Cannabisblüten: In der kommenden Woche muss sich der Rechtsanwalt Lito Schulte vor dem Amtsgericht Lörrach verantworten, weil er beim Zollamt Lörrach rund 300 Gramm Nutzhanfblüten einführen wollte, um damit Brownies zu backen. Der Jurist hat sich auf die Rechtsberatung in Sachen Cannabis spezialisiert und kämpft für eine Freigabe. Das Verfahren, in dem er jetzt selbst Angeklagter ist, sei Teil dieses Business-Models, es gehe ihm aber auch darum, zu zeigen, wie unsinnig die derzeitige BGH-Rechtsprechung zu CBD-Blüten ist, schreibt die Sa-SZ (Lea Hampel).
VG Berlin – Prüfungsbetrug: Das Verwaltungsgericht Berlin hat, wie LTO meldet, die Exmatrikulation einer Studierenden bestätigt, die sich während einer Online-Prüfung intensiv in einer Chat-Gruppe mit anderen Prüflingen ausgetauscht hatte. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Austausch tatsächlich hilfreich war und richtige Antworten lieferte, so das Gericht. Die Hochschule habe hier eine Sanktion mit abschreckender Wirkung wählen dürfen.
AG Zwickau zu "Hängt die Grünen": Wegen Wahlplakaten mit dem Slogan "Hängt die Grünen!" hat das Amtsgericht Zwickau einen Funktionär der rechtsextremen Splitterpartei "III. Weg" zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro wegen Volksverhetzung verurteilt. Das berichten die Sa-SZ und LTO. Der "III. Weg" hatte im Sommer 2021 mit diesen Plakaten in Sachsen und Bayern auf sich aufmerksam gemacht. Zwar werde im Wahlkampf auch mit harten Bandagen gestritten, sagte Richter Frank Hoffmann am Freitag in der Urteilsbegründung, in diesem Fall sei aber klar eine Schmerzgrenze überschritten worden.
StA Stuttgart – Michael Ballweg: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat Anklage gegen den Querdenken-Initiator Michael Ballweg wegen Geldwäsche und versuchten Betruges erhoben. Außerdem gehe es um Steuerstraftaten, berichtet LTO. Ballweg soll über eine Million Euro bei seinen Anhängern eingesammelt und diese Summe zum Teil für eigene Zwecke genutzt haben. Außerdem soll er die mutmaßlich rechtswidrige Herkunft der eingeworbenen finanziellen Zuwendungen in mittlerer sechsstelliger Höhe durch vier Bargeldauszahlungen verschleiert haben.
Schöffe: In der Mo-Welt (Vanessa Nischik) erzählt der Münchner Alfons Kuhn von seiner Schöffentätigkeit, die er seit mehreren Jahren ausübt.
Robe: In seiner Kolumne "Vor Gericht" widmet sich Ronen Steinke (Sa-SZ) dieses Mal der Robe, der "Arbeitsbekleidung" für Richterinnen und Richter, und schaut dabei auch ins Ausland. In Kanada beispielsweise trage man am Supreme Court einen leuchtend roten Mantel mit kuscheligem, weißem Fellbesatz an den Ärmeln, den Schultern sowie um den Bauch. Die amerikanische Richterin Ruth Bader Ginsburg sei berühmt dafür gewesen, dass sie ihre schwarze Robe immer noch um ausgefallene weiße Kragen ergänzte.
Recht in der Welt
Verfassungsgerichte: Die Mo-SZ(Wolfgang Janisch) schaut sorgenvoll auf den stärker werdenden Druck auf die Verfassungsgerichte und Obersten Gerichte verschiedener Länder. Darin spiegele sich die gefährliche Drift eines Populismus. Demokratie werde mit einem – oft nur angeblichen – Willen des Volkes gleichgesetzt und Verfassungsgerichte marginalisiert oder – häufiger – gleichgeschaltet. Zu beobachten sei diese Entwicklung beispielsweise in Israel bei der aktuellen Debatte um eine Justizreform, nach der das Parlament den Obersten Gerichtshof überstimmen können soll, aber auch in Europa, so in Ungarn oder Polen, wo durch Richterneubesetzungen die Verfassungsgerichte zur "Bank" der Regierungen geworden seien. Allerdings seien nicht nur in Autokratien die Obersten Gerichte gefährdet, meint Janisch und verweist beispielsweise auf die USA. Dagegen habe in Brasilien das dortige Oberste Gericht dem Druck des damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro in einer geradezu epischen Schlacht standgehalten.
Israel – Justizreform: Im Interview mit der Mo-FAZ (Alexander Haneke) spricht der Tel Aviver Rechtsprofessor Menachem Mautner über die geplante Justizreform, die er für kaum noch abwendbar hält und über Misstände, die er tatsächlich im derzeitigen System sieht. So habe der Gerichtshof in den vergangenen Jahren Verfahren zu politischen Themen zugelassen und gleichzeitig seine eigenen Rechtsprechungskompetenzen immer weiter ausgedehnt. Politische Probleme könnten aber nur durch die Politik gelöst werden und nicht durch Gerichte. Mautner meint auch, dass sich die derzeitige Diskussion zu sehr auf die Justizreform fokussiere, die anderen Koalitionsvereinbarungen zwischen Likud und den fünf anderen Parteien seien aber mindestens ebenso problematisch. Wenn alle diese Pläne umgesetzt werden, würde sich das Wesen des Staates ändern und Israel zu einem deutlich religiöseren und weniger mit dem Westen verbundenen Land werden.
Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara schrieb in einem Brief an Regierungschef Benjamin Netanjahu, dass seine Beteiligung an der Justizreform wegen des Interessenskonfliktes illegal sei, meldete die Sa-SZ.
Belgien – Prozess zu islamistischen Anschlägen: Die Mo-SZ (Josef Kelnberger) berichtet über den Brüsseler Strafprozess gegen sieben Islamisten, in dem u.a. der Anschlag auf den Flughafen Zaventem 2016 juristisch aufgearbeitet wird. Ausführlich werden die seit vier Wochen stattfindenden Aussagen von Opfern und Angehörigen geschildert, die aus der ganzen Welt angereist sind.
Frankreich – Rentenreform: Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog) beleuchtet in seinem Editorial die verfassungsrechtlichen Aspekte des von Präsident Emmanuel Macron gewählten Verfahrens zur Verabschiedung seiner Rentenreform. Macrons Regierung habe sämtliche Tricks, die die Verfassung zur Verfügung stelle, gezogen, um die Möglichkeiten der Gegner der Reform zu minimieren, kritisiert Steinbeis. De Bevölkerung sei auch deshalb so wütend, weil man so nicht mit sich umspringen lassen will.
IStGH – Wladimir Putin: Die Sa-taz (Dominic Johnson) widmet sich noch einmal dem gegen des russischen Staatschef Wladimier Putin ergangenen Haftbefehl des IStGH und erinnert daran, dass es noch nie gelungen sei, einen amtierenden oder ehemaligen Staatschef wegen der unter seiner Ägide verübten Verbrechen nach den Prinzipien des Völkerstrafrechts zu verurteilen – auch nicht in Ruanda, Kambodscha oder Jugoslawien. Und auch im Falle Putin rechne der Gerichtshof wohl nicht damit, seiner habhaft zu werden, sonst hätte Den Haag den Haftbefehl nicht öffentlich gemacht.
Was der Haftbefehl gegen Putin in Russland bedeutet, erklärt der in Berlin lebende russische Journalist Mikhail Zygar auf spiegel.de. Nicht nur Putin selbst, auch viele hohe Beamte werden ihre Reisen ins Ausland künftig einschränken müssen. In Moskau seien Beamte und Angestellte staatlicher Unternehmen bereits seit Anfang dieses Jahres darauf hingewiesen worden, dass sie nur mit Genehmigung ihrer Vorgesetzten reisen dürften.
Sollte es letztendlich doch zu einem Gerichtsverfahren gegen Putin kommen, so hätte der russische Präsident wohl kaum eine Chance, meint der englische Strafverteidiger Wayne Jordash, der selbst Kriegsverbrecher vor Gericht vertreten hatte und der jetzt der ukrainischen Regierung hilft, Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln, im Interview mit zeit.de (Johannes Böhme). Die Deportation von ukrainischen Kindern, die Putin hier vorgeworfen wird, sei ein Verbrechen, das sich jetzt bereits sehr gut belegen lasse. Der Jurist spricht ausführlich auch über seinen bisherigen Werdegang und warum er keine russischen Kriegsverbrecher vor Gericht verteidigen würde.
Rumänien – Mord durch deutschen Systemsprenger: Über einen Mordprozess im zentralrumänischen Sibiu gegen einen deutschen Jugendlichen, der als so genannter "Systemsprenger" von den Behörden nach Rumänien geschickt wurde, und dort aus Mordlust eine Frau erstochen hat, berichtet ausführlich der Spiegel (Lina Verschwele). Zwischen 2008 und 2020 haben deutsche Behörden mindestens 3.600 Minderjährige und junge Erwachsene für pädagogische Hilfen ins Ausland geschickt, heißt es im Text. Kritiker werfen deutschen Behörden jedoch vor, gefährliche Kinder und Jugendliche wie den jetzt Angeklagten systematisch wegzuschicken, während Träger auf fragwürdige Weise daran verdienten und die Pflegeeltern und Einrichtungen im Ausland nicht ausreichend über das Risiko informiert würden.
Juristenausbildung
Einheitsjurist: In einer Stellungnahme hat sich die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) für das Festhalten am Bild des Einheitsjuristen in der Juristenausbildung ausgesprochen. Das berichtet beck-aktuell. Die Kampagne iur.reform hatte kürzlich 44 Reformvorschläge veröffentlicht, darunter auch die Umstellung der juristischen Ausbildung auf ein Bachelor/Master-System (Bologna), einen integrierten Bachelor und eben die Aufgabe des Einheitsjuristen. Nach Ansicht der BRAK sei aber die Erfahrung, dass jeder Richter, Staatsanwalt, Verwaltungsrechtler oder Rechtsanwalt die Arbeits- und Denkweise des anderen erlebt hat, unerlässlich. Dieses System erhöhe das Vertrauen in die Justiz und verbessere die Qualität der Rechtsprechung.
Sonstiges
Forum Recht/Bundesrechnungshof: Der Bundesrechnungshof übt deutliche Kritik an der Stiftung Forum Recht mit Sitz in Karlsruhe. Wie der Spiegel (Dietmar Hipp) berichtet, werden insbesondere die mangelnde inhaltliche Ausrichtung, die nicht ausreichende Ausstattung mit juristischen Fachleuten und der Umgang mit öffentlichen Geldern bemängelt.
Bundesrechnungshof/DB: Die Kritik des Bundesrechnungshofes an der Deutschen Bahn bewege sich "auf dem schmalen Grat zwischen ökonomischer Evaluation und politischer Intervention", warnen die wissenschaftlichen Mitarbeiter Timo Laven und Georg Freiß im Verfassungsblog. Der Bericht des Rechnungshofes, der mit seiner Empfehlung, Teile der DB zu privatisieren, weit über eine Evaluation hinausgehe, werfe Fragen der Legitimation auf. Ob der Bundesrechnungshof mit seiner Einschätzung, dass nur weitere Veräußerungen Besserung brächten, richtig liege, könne bezweifelt werden – zweifellos sei es eine politische Einschätzung, die die Grenzen neutraler Prüfung überschreite.
Arbeitsrecht und Streiks: Welche Rechte und Pflichten Arbeitnehmer:innen in Bezug auf einen angekündigten Streik bei den Verkehrsbetrieben haben, erläutern der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott im Interview mit LTO (Franziska Kring) und Rechtsanwalt Axel Pöppel im Interview mit zeit.de (Jana Gioia Baurmann und Anne-Katrin Schade). So sind Arbeinehmer:innen dafür verantwortlich pünktlich zur Arbeit zu kommen, solange dies zumutbar ist.
Meldung von Straftaten/OWis: Bei der Meldung einer potentiellen Straftat, einer potentiellen Ordnungswidrigkeit oder einer Meinung gehe es um die Erhebung und Weitergabe personenbezogener Daten durch nicht-öffentliche Stellen an öffentliche Stellen jenseits familiärer und persönlicher Zwecke und deshalb müsse hier das Datenschutzrecht beachtet werden. An mehreren konkreten Beispielen erläutern die Richterin Kristin Benedikt und der Rechtsprofessor Rolf Schwartmann im FAZ-Einspruch, was das in der Praxis bedeutet. So bestehen beispielsweise in der Regel umfangreiche Informationspflichten des Meldenden gegenüber dem Betroffenen.
Schuld und Wille: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer befasst sich in seiner spiegel.de-Kolumne mit der Abgrenzung zwischen unbewussten organischen Abläufen im Gehirn und einer bewussten Entscheidung zum (rechtswidrigen) Handeln sowie mit der Frage, was das für die Bewertung von Schuld im Strafrecht bedeutet.
Rechtsgeschichte – "Boykotttag" 1933: Tillmann Krach, Georg D. Falk und Sebastian Felz erinnern auf LTO an das Frühjahr 1933, als dazu aufgerufen wurde, jüdische Rechtsanwälte zu boykottieren und Gerichte von jüdischen Richtern und Staatsanwälten "zu säubern".
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LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 25. bis 27. März 2023: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51405 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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