Vor den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen mussten die Gerichte entscheiden. Das BMJV hat den Gesetzentwurf zum Kindesmissbrauch versandt und die Wiedereinführung der bayerischen Grenzpolizei ist teilweise verfassungswidrig.
Thema des Tages
Querdenker-Veranstaltungen in Berlin: Das Bundesverfassungsgericht hat, wie spiegel.de meldet, am Sonntagabend das Verbot eines Protestcamps von Gegnern der Corona-Politik der Bundesregierung bestätigt. Auf der Straße des 17. Juni in Berlin war eine Dauermahnwache vom 30. August bis zum 14. September geplant. Diese war ursprünglich von der Versammlungsbehörde verboten worden. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte das Verbot zunächst aufgehoben, dann war es aber vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und anschließend vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Damit war das Land Berlin hier erfolgreicher als bei der Untersagung der für das Wochenende geplanten Kundgebung. Diese konnte stattfinden, weil sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht das Verbot für unverhältnismäßig hielten. Über die Eilentscheidungen berichtet u.a. LTO.
Detlef Esslinger (Mo-SZ) fand es richtig, dass die Kundgebung von den Gerichten erlaubt wurde. Es reiche nicht, lediglich den Verdacht zu haben, dass die Organisatoren alle Regeln ignorieren würden (selbst wenn dieser Verdacht sich später noch als untertrieben erweisen sollte). Ex-BGH-Richter Thomas Fischer fand dagegen auf spiegel.de die ursprüngliche Verbotsentscheidung der Polizeipräsidentin angemessen und richtig, meint aber auch, dass man Demonstrationen wie diese, auf denen Meinungen vertreten werden, die teils belanglos, teils rührend, teils empörend, teils gefährlich sind, aushalten könne. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Nicolas Harding setzt sich im JuWissBlog kritisch mit einer Äußerung des Berliner Innensenators Andreas Geisel (SPD) auseinander. Dieser hatte noch vor den Gerichtsentscheidungen gesagt, er sei nicht bereit hinzunehmen, "dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht" werde. Den Äußerungen scheine ein verzerrtes Grundrechts- und Demokratieverständnis zugrunde zu liegen.
Rechtspolitik
Kindesmissbrauch: Das Bundesjustizministerium hat laut LTO (Annelie Kaufmann) den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vorgelegt. Kern des Gesetzespaketes ist die Neufassung der §§ 176 bis 176b Strafgesetzbuch (StGB) mit neuen Mindeststrafen und einer neuen Abgrenzung der Straftatbestände. Die Mo-taz (Christian Rath) zeigt, dass die neue Terminologie "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" irreführend ist.
Der Psychiatrieprofessor Jörg M. Fegert gibt in der Mo-FAZ eine umfassende Stellungnahme zum Referentenentwurf ab. Der Entwurf enthalte viel Sinnvolles, eine Erhöhung des Strafrahmens und eine Klassifizierung von Missbrauch als Verbrechen seien allein aber noch keine Lösungen, zumal dabei auch mit unerwünschten Effekten zu rechnen sei.
Lieferketten und Menschenrechte: Die Debatte um das geplante Lieferkettengesetz stellt der Spiegel (Simon Book/Kristina Gnirke u.a.) dar. Seit Jahren sorge die Frage, wie sich deutsche Händler und Hersteller in die Verantwortung für ihre Lieferkette zwingen lassen, für Streit in der großen Koalition. Im Dezember 2019 hatte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller einen ambitionierten Plan vorgelegt, gegen den Firmen und Verbände, flankiert von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), seither aber Sturm liefen. In ihrer Sommerpressekonferenz sprach sich laut Sa-FAZ (Dietrich Creutzburg) auch Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Gesetz aus, pochte jedoch darauf, dass Bedenken aus dem Bundeswirtschaftsministerium gegen zu strenge Vorgaben berücksichtigt werden.
Geldwäsche: Das Bundesjustiz- und das Bundesfinanzministerium wollen den Strafrechtsparagrafen zur Geldwäsche reformieren. Woran es bei der Geldwäschebekämpfung hapert und wie die vorgeschlagenen Änderungen aussehen, erläutert die Sa-FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung). So soll künftig jede Vermögensstraftat als Vortat einer Geldwäsche möglich sein.
Ex-BGH-Richter Thomas Fischer prophezeit auf spiegel.de, dass eine solche Ausweitung des Tatbestandes nicht nur die Anzahl der Verdachtsfälle und der Verfahren extrem anwachsen lasse, sondern auch zu einem deutlichen Mehr an Überwachungsinstrumentarien führen werde. Für ihn scheint die Absicht, die gesamte Gesellschaft zum Kampffeld der 'Bekämpfung' zu machen und mit einem Kontrollnetz zwecks Abschaffung der Kriminalität zu überziehen, wie ein böser Traum.
Justiz
VerfGH Bayern zur bayerischen Grenzpolizei: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Wiedereinführung der bayerischen Grenzpolizei für teilweise verfassungswidrig erklärt. Bayern durfte zwar eine eigene Grenzpolizei einrichten, dieser durfte der Landtag aber keine grenzpolizeilichen Befugnisse geben, weil der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Grenzschutz hat, so das Gericht. Das Urteil sei nun zwar peinlich für Söder und die CSU, schreibt die Sa-taz (Christian Rath), praktisch ändere sich aber nichts. Wie schon bisher kümmere sich die bayerische Grenzpolizei vor allem um die grenznahe Fahndung, die sogenannte Schleierfahndung, im Korridor von 30 Kilometern zur Grenze. Die Sa-FAZ (Timo Frasch) erläutert außerdem die rechtlichen Konsequenzen, wenn die bayerischen Polizisten einerseits als (Schleier-)Fahnder oder andererseits bei der Grenzkontrolle tätig werden.
Rechtsprofessor Josef Franz Lindner blickt im Verfassungsblog zurück auf die Geschichte der bayerischen Grenzpolizei und analysiert das aktuelle Urteil.
BGH zum nichtanwaltlichen Of-Counsel: Der Geschäftsführer der Kölner Rechtsanwaltskammer Martin W. Huff erläutert auf LTO eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, derzufolge eine Aufnahme externer Berater auf den Kanzleibriefbogen etc. gegen die Bundesrechtsanwaltsordnung verstößt. Viele Kanzleien werben mit "Of Counsel", die keine zugelassenen Rechtsanwälte sind und mit denen sie auch keine gemeinsame Sozietät betreiben dürfen. Im konkret zu entscheidenden Fall ging es um einen Fachhochschulprofessor. Der Anwaltssenat folgte der Auffassung der zuständigen Rechtsanwaltskammer und des Anwaltsgerichtshofes, dass es sich hier um eine nach § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) unzulässige Berufsausübung handele.
BAG zum Berliner Kopftuchverbot für Lehrerin: Nachdem das Bundesarbeitsgericht in der vergangenen Woche bestätigt hatte, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an der Schule nach dem Berliner Neutralitätsgesetz verfassungswidrig ist, hat in Berlin die Diskussion um die Konsequenzen aus der Entscheidung begonnen. Während Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) das Gesetz für sachgerecht hält und eine Verfassungsbeschwerde prüft, vertritt Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die Meinung, "das Gesetz sei in der gegenwärtigen Form nicht zu halten". Sa-SZ und LTO fassen die Debatte zusammen.
Daniel Deckers (Sa-FAZ) findet, dass unsere Gesellschaft mit der hierzulande geltenden Logik der Verhältnismäßigkeit in Religionsdingen besser fahre als etwa die französische mit ihrer starren, inzwischen immer absurdere Züge tragenden laïcité.
BVerfG – Beschlagnahme von Forschungsergebnissen: Die Generalstaatsanwaltschaft München ließ kriminologische Forschungsergebnisse aus der Deradikalisierungsforschung beschlagnahmen, weil sie wissen wollte, was ein bestimmter Häftling den WissenschaftlerInnen gesagt hat. Der Kriminologe plant nun eine Verfassungsgeschwerde, berichtet der Spiegel (Edgar Lopez/Christopher Piltz).
GBA – Brandsatz bei Clemens Tönnies: Nach dem Fund eines möglichen Brandsatzes nahe der Privatvilla des Unternehmers Clemens Tönnies, der unter anderem wegen eines Corona-Massenausbruchs unter Beschäftigten seiner Firma in die Schlagzeilen gekommen war, ist ein Bekennerschreiben eingegangen. Wie Mo-SZ und HBl melden, hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen.
OLG Düsseldorf zu Vertrauensschadensversicherung: Das Oberlandesgericht Düsseldorf entschied, dass eine Vertrauensschadensversicherung nicht greift, wenn ein langjähriger Mitarbeiter des versicherten Unternehmens im Rahmen nicht autorisierter Devisen- und Devisentermingeschäfte mit Schweizer Franken gehandelt und durch erhebliche Kursverluste einen Schaden verursacht hat. Schadensursächlich seien nicht die Spekulationsgeschäfte des Mitarbeiters gewesen, sondern die völlig unerwartete Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank, so das Gericht laut einer Meldung in der Sa-FAZ (Kerstin Papon).
OVG Lüneburg zum Prostitutionsverbot: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat das Verbot von Bordellen und ähnlichen Einrichtungen einer Meldung der Sa-FAZ zufolge für unwirksam erklärt. Das Verbot sei unverhältnismäßig, da es auch mildere Mittel gebe, meinten die Richter.
LG Frankfurt/M. zur Gleisattacke: Das Landgericht Frankfurt/M. hat in der vergangenen Woche festgelegt, dass der Mann, der vor einem Jahr eine junge Frau und ihren Sohn vor einen einfahrenden Zug gestoßen hatte, wobei der achtjährige Junge starb, im geschlossenen Maßregelvollzug untergebracht wird. Das Gericht sah den heute 41-Jährigen Habte A. als nicht schuldfähig an und folgte damit der Bewertung des psychiatrischen Gutachters, der bei A. eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert hatte. Sa-SZ (Matthias Drobinski) und Sa-FAZ (Anna-Sophia Lang) berichten von der Entscheidungsverkündung.
LG Frankenthal zur vertrockneten Thuja-Hecke: LTO berichtet über die Entscheidung des LG Frankenthal in einem Nachbarschaftsstreit. Es ging um das Absterben einer Thuja-Hecke, für das ein Mann seiner Nachbarin die Schuld gab und von ihr deshalb die Kosten für eine neue Hecke forderte. Der befragte Baumsachverständige stellte allerdings fest, dass das Gewächs aufgrund der klimatischen Veränderungen in der Pfalz mit heißen Sommern und starken Winden vertrocknet sei.
Zwei Mütter: Die Mo-taz (Nicole Opitz) stellt die Initiative "nodoption" vor, mit der sich queere Frauen dagegen wenden, ihr während der Ehe mit einer Frau geborenes Kind adoptieren zu müssen. Bundesweit haben bereits mehrere lesbische Ehepaare bei den jeweiligen Familiengerichten Klagen eingereicht, um die Ehefrau der Mutter als zweiten rechtlichen Elternteil der in die Ehe hineingeborenen Kinder feststellen zu lassen.
Recht in der Welt
Türkei – Anwältin nach Hungerstreik verstorben: Die türkische Rechtsanwältin Ebru Timtik, die wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu einer 13-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde, ist nach einem 238-tägigen Hungerstreik in der vergangenen Woche verstorben. Das meldet LTO. Timtik gehörte nach Angaben von Unterstützern zu insgesamt 18 Anwälten in der Türkei, die in Vereinigungen engagiert sind, die häufig Oppositionelle verträten.
Türkei/Griechenland – Erdgas und Seerecht: Die Mo-SZ (Tomas Avenarius) hat die Völkerrechtsprofessorin Nele Matz-Lück zu der Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Griechenland um mögliche Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer interviewt. Der Streit könnte mit dem Gang zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag oder zu einem Schiedsgericht gelöst werden, so die Seerechtsexpertin.
USA – Glyphosat-Vergleich: Der zuständige Richter im Glyphosat-Verfahren in Kalifornien kritisierte das Stocken der Vergleichsverhandlungen zwischen dem Unternehmen Bayer und den Klägern und hat den Streitparteien eine einmonatige Frist gegeben, bevor geprüft wird, ob das streitige Verfahren wieder aufgenommen wird. Das melden Hbl (Katharina Kort), Sa-SZ und Sa-FAZ (Jonas Jansen).
Sonstiges
beA-Update: Wie LTO meldet, hat die Bundesrechtsanwaltskammer kürzlich vor falschen Emails gewarnt, die zum Herunterladen eines neuen Installationsprogrammes für das besondere elektronische Anwaltspostfach beA auffordern. Anwälte sollen dem Link nicht folgen, so die BRAK. Die für das Update erforderliche beA-Client-Security könne ab 3. September ausschließlich von der beA-Startseite und nicht von anderen Seiten heruntergeladen werden.
Polizeirechte bei Demonstrationen: Die Frage, ob Polizisten verhindern können, dass sie während eines Einsatzes gefilmt werden, untersucht der Wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Schwab im JuWissBlog. Der Autor kritisiert dabei die bisherige Rechtsauffassung, wonach zumindest bei einer Veröffentlichung der Aufnahme ein Verstoß gegen das Kunsturheberrecht und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Polizisten verstößt. Polizeibeamte hätten als Verkörperung staatlicher Gewaltausübung kein (Grund-)Recht und könnten sich daher auch nicht auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen.
Maskenpflicht an Schulen: Im Verfassungsblog antwortet die Juniorprofessorin Johanna Wolff auf einen früheren an gleicher Stelle erschienenen Beitrag zur Maskenpflicht an Schulen. Wolff spricht sich darin für eine differenziertere Bewertung der Schüler- und Lehrerrechte aus und meint, dass Länder, Gemeinden und Schulen zu Recht Mittelwege suchen.
Fall Oury Jalloh: Im Fall des in Polizeigewahrsam vor 15 Jahren umgekommenen Asylbewerbers Oury Jalloh haben die beiden vom sachsen-anhaltinischen Landtag eingesetzten Sonderberater ihren Bericht vorgestellt, in dem erneut schwere Vorwürfe gegen Polizei und Justiz erhoben werden. Über den Bericht schreiben die Sa-taz (Christian Jakob), die Sa-SZ (Ulrike Nimz und Antonie Rietzschel), die Sa-FAZ (Reinhard Bingener) und LTO.
Im Gespräch mit spiegel.de (Christopher Piltz) erläutert Jerzy Montag, einer der beiden Sonderberater, dass es auch bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen zu Ungereimtheiten gekommen ist. Und dass bei den Untersuchungen der Sonderberater sich einige der damals zuständigen Staatsanwälte geweigert hätten, mit ihnen zu sprechen.
Fiktionen im Recht: Die Rechtswissenschaftlerin Kristin Y. Albrecht hatte sich in ihrer Dissertation mit Rechtsfiktionen befasst und fasst die Ergebnisse ihrer Forschung auf LTO zusammen. So seien die Fiktionen im Recht seit langem Gegenstand juristischer Diskussionen, Rechtswissenschaftler hätten Fiktionen meist bekämpft, weil man in ihnen ein Symbol der Verdeckung eigentlicher Probleme gesehen habe.
Verfassung und Literatur: Der Berliner Verfassungsrechtsprofessor Christian Waldhoff macht sich im FAZ-Einspruch auf die Suche nach der literarischen Aufarbeitung von Verfassungen und stellt dabei fest, dass es, anders als den Justizroman, den "Verfassungsroman" i.e.S. (bei dem also die Verfassung als solche, ihre Entstehung oder Anwendung thematisiert wird) weder gab noch gibt.
Wahl des Bundesratspräsidenten: Martin Rath (LTO) erinnert daran, wie es am 30. August 1950 in Königstein zur Einigung über die Reihenfolge des Vorsitzes im Bundesrat gekommen ist.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 29. bis 31. August 2020: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42639 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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