VGH legt EuGH Fragen zum Asylrecht vor: Ernst­hafte Gefahr bei Rück­füh­rung nach Afg­ha­nistan?

09.12.2019

Ob Asylsuchende subsidiären Schutz bekommen, hängt davon ab, ob ihnen im Herkunftsstaat ernsthafte Gefahren drohen. Welche Faktoren zur Bestimmung einer solchen heranzuziehen sind, will der VGH Mannheim nun vom EuGH wissen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat in zwei Verfahren den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung asylrechtlicher Fragen angerufen. Die Fragen betreffen die Auslegung der unionsrechtlichen Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach der so genannten Qualifikationsrichtlinie (Az. A 11 S 2374/19 und A 11 S 2375/19).

Die beiden klagenden Asylsuchenden stammen aus der afghanischen Provinz Nangarhar. Seit Jahren herrscht dort ein bewaffneter Konflikt mit hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung. Die beiden Afghanen hatten Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, diese wurden jedoch abgelehnt. Auch ihre Klagen gegen die Ablehnung blieben in der ersten Instanz erfolglos. Der 11. Senat des VGH hat nun aber jeweils die Berufung zugelassen, soweit es um die Zuerkennung subsidiären Schutzes geht. 

Subsidiär schutzberechtigt ist ein Antragsteller nach § 4 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG), wenn die Annahme besteht, dass ihm bei Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Das ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG unter anderem dann der Fall, wenn im Herkunftsland "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" besteht. Diese Bestimmung setzt die Vorgaben der europäischen Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) um.

In den vorliegenden Verfahren stellt sich also die Frage, ob den beiden klagenden Schutzsuchenden in der Provinz Nangarhar eine solche Gefahr droht. Wann eine solche Gefahr besteht, wird in der deutschen Rechtsprechung bisher maßgeblich anhand der Zahl der zivilen Opfer bestimmt. Aktuell wird ein Schwellenwert zugrunde gelegt, der in der Provinz Nangarhar trotz hoher Opferzahlen nicht überschritten wird. Danach hätten die beiden klagenden Männer keinen Anspruch auf subsidiären Schutz in Deutschland. 

VGH wendet sich an den EuGH

Nach Auffassung des VGH weisen jedoch andere Umstände auf nicht mehr hinnehmbare Gefahren für die Zivilbevölkerung in der Region hin. Hohe Zahlen an Vertriebenen, die Anzahl, Unvorhersehbarkeit und Verbreitung der Kampfhandlungen sowie die Natur des in Afghanistan herrschenden Konflikts sprächen für die Annahme einer Gefahr – die Bundesrepublik Deutschland müsste dann also subsidiären Schutz gewähren.

Nach welchen Kriterien zu entscheiden ist und ob nach unionsrechtlichen Vorgaben eine relevante Bedrohung der Zivilbevölkerung im besagten Teil Afghanistans herrscht, muss der EuGH nun konkretisieren. Der VGH hat das Verfahren solange ausgesetzt. Er will insbesondere wissen, ob das Unionsrecht einer Beurteilung der Gefahr, die sich maßgeblich auf die Opferzahlen stützt, entgegensteht - und wenn ja, nach welchen Kriterien im Einzelfall zu entscheiden ist. 

ast/LTO-REdaktion

Zitiervorschlag

VGH legt EuGH Fragen zum Asylrecht vor: . In: Legal Tribune Online, 09.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39137 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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