Mordfall Frederike: BVerfG-Ver­hand­lung zu ums­trit­tener Wie­der­auf­nahme im Mai

22.03.2023

Sollen einmal rechtskräftig des Mordes Freigesprochene bei neuer Beweislage doch noch verurteilt werden können? Über die erst kürzlich eingeführte und sehr umstrittene Wiederaufnahmevorschrift in § 362 Nr. 5 StPO verhandelt das BVerfG im Mai.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einen Termin für die mündliche Verhandlung über die umstrittene Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten des Freigesprochenen im Mordfall Frederike angekündigt. Ismet H. wurde im Jahr 1983 rechtskräftig von dem Vorwurf freigesprochen, die 17-jährige Frederike von Möhlmann vergewaltigt und getötet zu haben. Das Verfahren wurde jedoch 2021 wegen neuer Beweismittel wieder aufgenommen, den gegen den Mann erlassenen Haftbefehl hatte das BVerfG unter Bedingungen außer Vollzug gesetzt (Beschl. v. 20.12.2022, Az. 2 BvR 900/22).

Nach dem recht neuen § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung (StPO), der erst im Dezember 2021 in Kraft getreten ist, darf ein Strafverfahren gegen einen rechtskräftig Freigesprochenen wiederaufgenommen werden, wenn aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe gegeben sind, die möglich machen könnten, dass der Betroffene nunmehr wegen Mordes (oder bestimmter Straftaten gegen das Völkerrecht) verurteilt wird.

Im Jahre 2012 wurden im Mordfall Frederike Spermaspuren auf einem Stück Toilettenpapier im Slip der Getöteten gefunden, die H. belasten sollen. Das Verfahren gegen H. wurde deswegen wiederaufgenommen. Dagegen wandet sich H. mittels einer Verfassungsbeschwerde. Er macht geltend, dass § 362 Nr. 5 StPO gegen das Rückwirkungsgebot aus Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verstoße.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Die noch junge Vorschrift zur Wiederaufnahme ist verfassungsrechtlich äußerst umstritten. Nach Auffassung einiger von LTO befragten Strafrechtlerinnen und -rechtler verbietet der "ne bis in idem"-Grundsatz aus Art. 103 Abs. 3 GG eine Doppelverfolgung nach einem Freispruch. Genau dagegen verstoße § 362 Nr. 5 StPO.

Das Landgericht (LG) Verden hatte die Vorschrift im Februar 2022 erstmals angewendet und einen Wiederaufnahmeantrag in dem Fall für zulässig erklärt sowie Untersuchungshaft gegen H. angeordnet. Das LG lehnte es dabei ab, die umstrittene Norm im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen Kontrolle vorzulegen, da es nicht von deren Verfassungswidrigkeit überzeugt war.

Nach dem Beschluss des LG (Beschl. v. 25.02.22, Az. 1 Ks 148 Js 1066/22) legte H. Verfassungsbeschwerde ein.

Das BVerfG kündigte an, in der mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2023 unter anderem zu erörtern, wie das in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegte grundrechtliche Verbot der Doppelbestrafung insgesamt zu verstehen sei. Ein Schwerpunkt werde auf der Frage liegen, ob Art. 103 Abs. 3 GG einer Abwägung mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang zugänglich sei.

Bislang hatte sich das BVerfG lediglich mit einzelnen Aspekten dieses Prozessgrundrechts befasst.

bit/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Mordfall Frederike: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51372 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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