Thüringer Verfassungsgerichtshof: Corona-Ver­ord­nungen im Sommer teil­weise ver­fas­sungs­widrig

01.03.2021

Nachdem die AfD-Fraktion in Thüringen einen umfassenden Normenkontrollantrag bezüglich der Corona-Verordnungen im Sommer gestellt hatte, sprach der thüringische VerfGH nun ein Urteil und gab der AfD aus formellen Gründen teilweise Recht.

Die Thüringer Corona-Maßnahmenfortentwicklungsverordnung vom 12. Mai 2020 und die Thüringer Corona-Infektionsschutzverordnung vom 9. Juni 2020 sowie die Zweite Corona-Infektionsschutzverordnung vom 7. Juli 2020 sind teilweise verfassungswidrig. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof (VerfGH) erklärte die betroffenen Regelungen daher für nichtig (Urt. v. 1.3.2021, Az. VerfGH 18/20).

Die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im thüringischen Landtag hatte im vergangenen Jahr einen umfassenden Normenkontrollantrag bezüglich der damals geltenden Coronaverordnungen beim VerfGH in Thüringen gestellt. Die AfD hielt die Verordnungen komplett für sowohl formell als auch materiell mit der Thüringer Verfassung unvereinbar und deshalb nichtig. Insbesondere reiche die Verordnungsermächtigung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) für das Ausmaß der erlassenen Coronamaßnahmen nicht aus.

Eingeschränkter Prüfungsmaßstab wegen völlig neuer Situation für die Landesregierung

Der VerfGH kam nun zum Ergebnis, dass das IfSG zumindest für den im vorliegenden Verfahren relevanten Zeitraum bis zum 11. November 2021 eine ausreichende Verordnungsermächtigung darstelle. Es habe zu dieser Zeit keine Verletzung des Wesentlichkeitsvorbehalts feststellen können, die Grenzen des parlamentarischen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums seien daher eingehalten worden. Bei Bestehen einer Gefährdungslage mit erheblichen prognostischen Unsicherheiten sei der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel für eine Übergangszeit hinzunehmen.

Die grundrechtliche Kontrolldichte sei allerdings auch eingeschränkt, wie der VerfGH betonte, da das Gericht seine Einschätzungen und Schlussfolgerungen nicht an die Stelle des Ermessens des Verordnungsgebers stellen dürfe. Dieser hätte vorliegend auch einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums gehabt, da er mit einer neuartigen und schnell verändernden Entscheidungssituation konfrontiert war, die auch erhebliche Gefahren für die Bevölkerung barg. In Anbetracht dieser Feststellungen konnte der VerfGH keine offensichtlichen Fehleinschätzungen oder Überschreitungen der Rechtssetzungsbefugnis durch den thüringischen Verordnungsgeber erkennen.

Allerdings wurde die Corona-Maßnahmenfortentwicklungsverordnung aus formalen Gründen für nichtig erklärt, da sie nicht von einem formell ordnugsgemäß ermächtigten Verordnungsgeber erlassen worden war. Die Zuständigkeitsverordnung, die die Landesregierung ermächtigte, entsprach nämlich bis zum 10. Juni 2020 nicht den Anforderungen des Zitiergebots. Die Ermächtigung zur Subdelegation wurde in der Verordnung nicht als Rechtsgrundlage angegeben, erklärte das Gericht.  Außerdem entsprächen die Bußgeldregelungen der angegriffenen Verordnungen nicht dem Bestimmtheitsgebot und seien deshalb nichtig.

Entscheidung hat keine Auswirkungen auf aktuelle Verordnungen

Wichtig zu beachten sei aber, so der VerfGH in seiner Pressemitteilung, dass diese Entscheidungen keine Aussage über zeitlich nachfolgende Corona-Verordnungen träfen. Die zeitlich nachfolgenden Verordnungen seien nämlich nicht Gegenstand dieses Verfahrens gewesen, stellt das Gericht klar.

Außerdem weist das Gericht daraufhin, dass der weitere, nachträglich gestellte Antrag der AfD zur Überprüfung der Corona-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung vom 31. Oktober 2020 durch Beschluss des VerfGH nach mündlicher Verhandlung am 11. November abgetrennt wurde und in einem gesonderten Verfahren fortgeführt wird (Az. VerfGH 110/20).

ast/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Thüringer Verfassungsgerichtshof: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44384 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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