Die Venedig-Kommission befürchtet aufgrund der jüngsten Pläne der polnischen Regierung eine "unmögliche Situation" für Richter. Auch das Europaparlament macht Druck auf Warschau.
Das jüngste Gesetzesvorhaben der nationalkonservativen Regierung in Polen untergräbt nach Ansicht von Verfassungsrechtlern weiter die Unabhängigkeit polnischer Richter. Das geplante "Disziplinierung-Gesetz" beschneide unter anderem die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit von Richtern, teilte die Venedig-Kommission des Europarates am Donnerstag in einer dringenden Stellungnahme mit. Die Expertengruppe der Staatengemeinschaft berät Länder zum Thema Verfassungsrecht. Sie war vom polnischen Senat, in dem die Opposition die Mehrheit hat, eingeschaltet worden.
Das Vorhaben der Regierungspartei PiS sieht unter anderem vor, dass Richter künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie Legalität oder Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen. Auch die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova hatte Polen jüngst dazu aufgefordert, das Projekt auf Eis zu legen. Die Regierung hielt jedoch daran fest.
Die Venedig-Kommission führte nun aus, das Gesetzesvorhaben bringe Richter in eine "unmögliche Situation". So drohten ihnen Disziplinarverfahren für Entscheidungen, die auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention oder EU-Rechts erforderlich seien. Kritisch sehen die Juristen zudem, dass die geplante Reform die Teilhabe von Richtern an der Rechtspflege reduziere und der Einfluss des Justizministers wachse. Das Parlament in Warschau solle das Gesetz nicht verabschieden, empfahl die Kommission. Seit die PiS 2015 in Polen an die Macht kam, hat sie das Justizwesen massiv umgebaut.
Druck auf Polen und Ungarn wächst
SPD-Europapolitikerin Katarina Barley nannte den Bericht vom Donnerstag "eine weitere rechtsstaatliche Bankrotterklärung an die PiS-Regierung". Einmal mehr sei es eine europäische Institution, die die Aushöhlung des Rechtsstaats in Polen anprangere.
Auch das Europaparlament erhöhte am Donnerstag den Druck auf Polen sowie auf Ungarn. Gegen beide Länder laufen derzeit Verfahren nach Art. 7 des EU-Vertrags wegen mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Grundwerte. Damit können einem Land in letzter Konsequenz die Stimmrechte im Kreis der EU-Staaten entzogen werden.
Die EU-Regierungen müssten sich nun klar zu den Verfahren positionieren, forderte das Parlament in einer mit großer Mehrheit angenommenen Resolution. Man sehe es mit Bedauern, dass die bisherigen Anhörungen nicht zu nennenswerten Fortschritten geführt hätten. Die EU-Kommission sowie internationale Gremien hätten darauf hingewiesen, dass sich die Lage in beiden Staaten seit Beginn des Verfahrens sogar noch verschlechtert habe, erklärte das Europaparlament. Kroatien, das derzeit den Vorsitz der EU-Staaten innehat, müsse dafür sorgen, dass die Anhörungen regelmäßig, objektiv und sachlich seien.
Polens Justizminister Zbigniew Ziobro wies die Kritik der Venedig-Kommission am Donnerstag in Warschau als "Parodie" zurück. Das Papier spiegele die neokoloniale Haltung mancher EU-Mitgliedsstaaten gegenüber Polen wieder, sagte Ziobro. Er warf den Autoren vor, Länder in zwei Kategorien einzuteilen: die alten und die neuen Demokratien, von denen die neuen weniger Rechte hätten. "Wir lassen nicht zu, so behandelt zu werden."
"Der Rat muss Ungarn und Polen klare Empfehlungen geben und die nächsten Termine für das Verfahren nach Artikel 7 ansetzen", sagte die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, Gwendoline Delbos-Corfield (Grüne). Die EU-Kommission und das Parlament hätten gehandelt - nun müssten die EU-Regierungen reagieren.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Stellungnahme der Venedig-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39729 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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