Präsidentenwahl in der Türkei: Ent­schei­dung fällt erst in der Stich­wahl

15.05.2023

Die Wahl zum Präsidenten in der Türkei geht in eine zweite Runde. Weder Amtsinhaber Erdogan noch sein Herausforderer Kilicdaroglu erreichen nach vorläufigem Endergebnis 50 Prozent der Stimmen - sie müssen sich in zwei Wochen einer Stichwahl stellen.

Wie der Wahlsonntag in der Türkei ausging, ist eine Frage der Perspektive. Erdogananhängerinnen und -anhänger sind enttäuscht, dass ihr Präsident nicht in der ersten Runde die 50-Prozent-Hürde überschritten hat, die Opposition ist enttäuscht, dass ihr Mann Kemal Kilicdaroglu nicht zumindest vor Erdogan gelandet ist. Denn in der zweiten Runde dürfte es für sie nicht leichter werden, für den 28. Mai steht nun die Stichwahl an.

Nach Angaben der Wahlbehörde zum vorläufigen Endergebnis entfielen auf den amtierenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan 49,51 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kam auf 44,88 Prozent. Auf dem weit abgeschlagen dritten Platz landete Sinan Ogan (5,17 Prozent) von der ultranationalistischen Ata-Allianz. Das Ergebnis für die gleichzeitig abgehaltene Parlamentswahl lag zunächst nicht vor. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, laut Wahlbehörde habe die Wahlbeteiligung im Inland bei vorläufig 88,92 Prozent und im Ausland bei 52,69 gelegen. 

Ausgang der richtungsweisenden Wahl bleibt spannend

Wegen der zu erwartenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen galt die Wahl in der Türkei als eine der weltweit wichtigsten in diesem Jahr. Der 69 Jahre alte Erdogan ist seit 20 Jahren an der Macht, hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse und regierte in der Regel an den 600 Parlamentariern vorbei. Umfragen hatten ein knappes Rennen vorausgesagt - die Hoffnungen darauf, dass die Türkei sich "den Rechtsstaat zurückwählt", wurden nun allerdings nicht erfüllt.

Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident, seit 2014 ist er Staatspräsident. Im Wahlkampf hatte er mit Großprojekten in der Infrastruktur und Rüstungsindustrie geworben. Diese präsentierte er als Erfolge seiner Regierung. Angesichts einer grassierenden Inflation versprach er Wahlgeschenke wie Lohnerhöhungen für Beamt:innen und Mitarbeiter:innen im öffentlichen Dienst. Oppositionsführer Kilicdaroglu (74) kandidiert für ein Bündnis aus sechs Parteien unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung. Er ist unter anderem mit dem Versprechen angetreten, das Präsidialsystem wieder abzuschaffen, das Land zu demokratisieren und die massive Inflation von rund 44 Prozent zu senken. 

Wahlbeobachter:innen weisen auf Mängel an der Auszählung hin

Der Wahlkampf stand auch im Zeichen des verheerenden Erdbebens vom 6. Februar in der Südosttürkei. Gerade in diesen Gebieten war die Wahlbeteiligung vorläufigen Zahlen nach sehr niedrig. Es hat zwar keine tatsächlichen Hindernisse gegeben, die große emotionale Belastung hat aber wohl viele von ihrer Stimmabgabe abgehalten. Insgesamt waren rund 64 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen, davon etwa 3,4 Millionen im Ausland. 

Bei den rund 1,5 Millionen wahlberechtigten Türkinnen und Türken in Deutschland zeichnet sich bei der Präsidentschaftswahl erneut eine deutliche Mehrheit für Erdogan ab. Auf den Amtsinhaber entfielen beim Stand von knapp 98 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland knapp zwei Drittel der Stimmen, wie aus Zahlen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montag hervorging: Rund 65,4 Prozent stimmten für Erdogan, nur 32,6 Prozent für Kilicdaroglu kam dagegen nur auf 32,6 Prozent.

Die Abstimmung in der Türkei am Sonntag verlief ohne größere Zwischenfälle. Allerdings haben Wahlbeobachter:innen Mängel an den Abläufen geäußert. Die Türkei erfülle die Prinzipien einer demokratischen Wahl nicht, sagte Frank Schwabe (SPD), Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats, am Montag in Ankara. Bei der Stimmauszählung habe es an Transparenz gefehlt, hieß es von der Delegation. Die Wahlbehörde solle klarstellen, wie genau sie Wahlergebnisse veröffentliche. Der Behörde wird unterstellt, unter dem Einfluss der Regierung zu stehen.

dpa/ast/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Präsidentenwahl in der Türkei: Entscheidung fällt erst in der Stichwahl . In: Legal Tribune Online, 15.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51779/ (abgerufen am: 20.07.2024 )

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