Nach vielen presserechtlichen Gerichtsprozessen nun das Ende im Strafverfahren gegen den Rammstein-Sänger. Laut StA Berlin standen keine unmittelbaren Zeuginnen zur Verfügung. Auch der Informantenschutz erweist sich als Hürde.
Die Staatsanwaltschaft (StA) Berlin hat das Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, wie die Behörde am Dienstag mitteilte. Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen war, ob der Rammstein-Sänger Sexualdelikte begangen oder gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat. Nach Auswertung der Beweismittel kam die StA zu dem Schluss, dass kein hinreichender Tatverdacht vorliegt, also eine Verurteilung durch ein Strafgericht nicht überwiegend wahrscheinlich wäre.
Als Beweismittel standen den Ermittlern laut Mitteilung der StA zum einen die "Presseberichterstattung, die sich auf anonyme Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber bezieht", zur Verfügung. Auch habe die StA selbst Zeuginnen ergänzend vernommen. Das alles habe "keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass der Beschuldigte gegen deren Willen sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen, diesen willensbeeinflussende oder -ausschaltende Substanzen verabreicht oder gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen ein Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen".
Ins Rollen gebracht hatten den Skandal die YouTuberin Kayla Shyx sowie die nach eigenen Angaben selbst Betroffene Irin Shelby Lynn. Shyx hatte in ihrem Anfang Juni veröffentlichten YouTube-Video unter dem Titel "Was wirklich auf Rammstein-Afterpartys passiert" geschildert, wie sie selbst auf einer Rammstein After-Aftershowparty gewesen war, und die Prozesse zur Rekrutierung junger Frauen für diese Partys beschrieben. Das Video hatte sich nicht auf eigene Wahrnehmungen beschränkt, sondern eine Reihe darüber hinausgehender schwerer Vorwürfe gegenüber Till Lindemann erhoben.
Angaben von Kayla Shyx und Shelby Lynn nicht konkret genug
Lynn dagegen hatte am 25. Mai auf Instagram und Twitter ein Foto eines Blutergusses am Oberkörper veröffentlicht, dies mit Lindemann in Verbindung gebracht ("Till gave everybody a tequila shot.") und den an niemanden Konkretes gerichteten Verdacht erweckt, auf einem Konzert im litauischen Vilnius unter Drogen gesetzt worden zu sein ("I was spiked at the concert, only had 2 drinks at pre party.").
Auf beide Fälle geht die StA Berlin in ihrer Pressemitteilung vom Dienstag ein: Shyx habe man selbst als Zeugin vernommen. Ihre Schilderungen seien aber "zu unkonkret geblieben" – "zumal die Zeugin jedenfalls kein eigenes Erleben strafrechtlich relevanter Vorfälle schildern konnte". Die wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (vgl. § 250 S. 2 StPO) gebotene Vernehmung der selbst betroffenen Frauen sei nicht gelungen, teilte die StA mit. Die Frauen seien "nicht hinreichend identifizierbar benannt" worden, auch die Polizei habe sie nicht ausfindig machen können.
Shelby Lynn hat die StA Berlin laut eigenen Angaben nicht persönlich vernommen. Insofern zogen die Ermittler aber Unterlagen der litauischen Strafverfolgungsbehörden bei. Diese hatten Lynn vernommen, aber die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Lindemann wegen der Vorfälle beim Konzert in Vilnius abgelehnt. Nach Auswertung der litauischen Ermittlungsakten habe die StA Berlin auch in Bezug auf Lynn "keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für Sexualstraftaten" durch Lindemann finden können. "Die Herkunft eines Hämatoms allein lässt jedenfalls weder einen Rückschluss auf eine solche Tat noch auf einen bestimmten Beschuldigten zu."
Presserechtliche Entscheidungen als Fingerzeig
Damit wird voraussichtlich kein Strafgericht über die gegen Lindemann erhobenen Vorwürfe des "Machtmissbrauchs" bei Konzerten urteilen. Machtmissbrauch selbst ist schließlich auch kein Straftatbestand. Ganz im Gegensatz zur heimlichen Verabreichung von Drogen mit dem Ziel, Frauen zum nicht einvernehmlichen Sex gefügig zu machen – wenn dies zuträfe, handelte es sich um eine Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 StGB). Für diesen Vorwurf fehlt es allerdings – Stand jetzt – an belastbaren Beweismitteln.
Mit dieser Problematik haben sich bereits Zivilgerichte – insbesondere das Landgericht (LG) Hamburg – in Medienrechtsstreitigkeiten beschäftigt. Dies war womöglich ein Fingerzeig für die heute bekannt gewordene Entscheidung der StA Berlin, das Ermittlungsverfahren einzustellen: Das LG hatte dem Spiegel, der Recherchekooperation aus SZ und NDR sowie Kayla Shyx die Verbreitung des Verdachts, Lindemann habe Frauen für Sex unter Drogen gesetzt oder setzen lassen, mangels hinreichender Beweistatsachen verboten.
Der Spiegel hatte in einem Rechtsmittelverfahren vor dem LG am Freitag auch gar nicht argumentiert, es lägen konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Spiking-Verdacht vor. Vielmehr hatte das Nachrichtenmagazin – am Ende erfolglos – versucht, die Richter der Pressekammer davon zu überzeugen, in dem betreffenden Leitartikel, in dem neben Lynn auch andere mutmaßlich betroffene Frauen zitiert worden waren, gar keinen solchen Verdacht erweckt zu haben.
Informantenschutz verhindert Ermittlung weiterer Zeugen
Das führt zur Frage, ob Polizei und StA die Personalien dieser Frauen nicht auch über die genannten Medien hätten in Erfahrung bringen können. Laut StA-Mitteilung scheiterte dies aus rechtlichen Gründen: "Mutmaßliche Geschädigte haben sich bislang nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt, sondern ausschließlich – auch nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens – an Journalistinnen und Journalisten, die sich ihrerseits auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen haben."
Dieses in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO normierte Zeugnisverweigerungsrecht dient dem Informantenschutz und kennt nur enge Ausnahmen. Inwiefern diese geprüft und für nicht einschlägig befunden wurden, teilte die StA nicht mit.
Zudem stellte die StA auch die Ermittlungen gegen eine mittlerweile entlassene Tourmanagerin der Band ein. Gegen sie war "wegen des vermeintlichen Zuführens junger Frauen bei Konzerten in den Backstagebereich Anzeige" erstattet worden, was der Spiegel in seinem vom LG Hamburg partiell verbotenen Artikel als "perverses Groupie-System" bezeichnet hatte. Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten konnten die Berliner Strafverfolger nicht erkennen.
Kein hinreichender Tatverdacht einer Sexualstraftat: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52587 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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