LG Stuttgart sieht Beleidigung: Stu­dent bezeichnet Poli­zisten als "Ras­sis­ten­ve­rein"

von Kevin Japalak

18.07.2024

"Da ist ja wieder der Rassistenverein": So begrüßte ein Student anlasslos zwei Polizisten. Das LG Stuttgart verurteilte den 25-Jährigen nun wegen Beleidigung. Die Äußerung sei insbesondere keine straflose Kollektivbeleidigung.

Zwei Polizisten waren zu Fuß unterwegs, als ihnen ein junger Mann über den Weg lief und sie ohne Anlass mit "Da ist ja wieder der Rassistenverein" begrüßte. Er äußerte dies in normaler Lautstärke, aber für umstehende Passanten hörbar. Das Landgericht (LG) Stuttgart verurteilte den 25-jährigen Studenten daraufhin wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 Euro (Urt. v. 30.04.24, Az. 39 NBs 148 Js 130025/23).

Der Fall wirft vor allem zwei rechtliche Fragen auf: Zum einen stellte sich die Frage, ob eine straflose Kollektivbeleidigung vorliegt, und zum anderen, ob die Meinungsfreiheit des Studenten das Persönlichkeitsrecht der Beamten überwiegt. Mit beiden Fragen setzte sich das Gericht auseinander.

Abgrenzung zu "Soldaten sind Mörder"

Der Fall erinnert an die wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur (fehlenden) Strafbarkeit der Äußerung "Soldaten sind Mörder" aus dem Jahre 1995. Damals entwickelte der Erste Senat die "Je-Desto-Formel": "Je größer das Kollektiv ist, auf das sich eine herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden" (Beschl. v. 10.10.1995, Az. 1 BvR 1476/91 u. a., Rn. 140).

Das BVerfG führte dazu seinerzeit aus: "Da die Meinungsfreiheit nur in dem Maß eingeschränkt werden darf, wie es zum Schutz der persönlichen Ehre erforderlich ist, diese durch herabsetzende Äußerungen über unüberschaubar große Kollektive aber nicht berührt wird, liegt in der Bestrafung wegen derartiger Äußerungen eine unzulässige Beschränkung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG".

Diese Formel übernahm das BVerfG auch im Jahr 2016 zur Äußerung "All cops are bastards"; es bedarf laut dem BVerfG in solchen Fällen einer "personalisierten Zuordnung" (Beschl. v. 17.05.2016, Az. 1 BvR 257/14, Rn. 16 f.).

Im Fall des LG Stuttgart konnte das Gericht eine solche Individualisierung jedoch unschwer bejahen, weil der Mann die Polizisten als Individuen direkt adressiert und damit nicht bloß eine Meinung über das Kollektiv der Polizisten geäußert habe. Insoweit sprach das LG Stuttgart von einem "Gewand der scheinbaren Kollektivbeleidigung"; der Angeklagte habe die Aussage "zielgerichtet gegenüber den beiden Polizeibeamten" getätigt.

Persönliche Ehre überwiegt die Meinungsfreiheit

Des Weiteren musste das Gericht klären, ob die Äußerung des Studenten nach § 193 Strafgesetzbuch (StGB; Wahrnehmung berechtigter Interessen) gerechtfertigt war. Insoweit ist wiederum die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) zu berücksichtigen. Das LG Stuttgart verneint hier eine Schmähkritik und wägt anschließend die Meinungsfreiheit mit dem Persönlichkeitsrecht der Polizisten ab.

Vor Gericht verwies der Angeklagte auf verschiedene Quellen zu etwaigen Rassismusproblemen in der Polizei und machte geltend, er habe eine politisch beziehungsweise sachlich gemeinte Kritik an der Polizei üben wollen. Davon ließ sich das LG Stuttgart jedoch nicht überzeugen. Der Angeklagte habe seine Äußerung nämlich "nicht im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen der Beamten, die auf ein rassistisches Verhalten – wie zum Beispiel einer Kontrolle von nur dunkelhäutigen Menschen – schließen lassen könnten" getätigt. Es habe daher keinerlei Veranlassung für eine solche Kritik gegeben.

Erschwerend hinzu kam laut dem LG, dass es sich "bei dem Vorwurf, Rassist zu sein, um einen hohen herabwürdigen Angriff auf die Ehre der betroffenen Polizeibeamten handelt".

Damit sei die Äußerung des Angeklagten im Rahmen der Güterabwägung für die Beamten nicht hinnehmbar. Die Grenze zur Ausübung der Meinungsfreiheit sei überschritten, sodass sich der Angeklagte wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar gemacht habe.

Zitiervorschlag

LG Stuttgart sieht Beleidigung: Student bezeichnet Polizisten als "Rassistenverein" . In: Legal Tribune Online, 18.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55027/ (abgerufen am: 18.07.2024 )

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