Die Deutsche Bahn verlangt beim Kauf eines Tickets im Internet die Anrede "Herr" oder "Frau". Für Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen, gibt es keine Auswahl. Das muss die Bahn künftig ändern, so das OLG Frankfurt.
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main verpflichtet die Deutsche Bahn (DB), ab dem nächsten Jahr eine geschlechtsneutrale Ansprache von Personen bei Fahrkartenbuchungen im Internet zu gewährleisten. Das Gericht entschied am Dienstag, der Bahnkonzern habe es ab dem 1. Januar 2023 zu unterlassen, "die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als Herr oder Frau angeben muss" (Urt. v. 21.06.2022, Az. 9 U 92/20).
Im konkreten Fall ging es um die Buchung einer Fahrkarte der Deutschen Bahn von Berlin nach Braunschweig über das Internet. Sowohl bei der Registrierung als auch beim Kauf gab es nur die Auswahl "Herr" oder "Frau". Ohne diese Zuordnung war ein Fahrkartenkauf nicht möglich. Die als "Herr" angesprochene Person des nicht-binären Geschlechts hatte daraufhin Klage wegen Diskriminierung erhoben. Das Landgericht (LG) Frankfurt hatte den Unterlassungsansprüchen stattgegeben, die Entschädigungsansprüche aber abgewiesen.
Unterlassungsansprüche aus dem AGG
Das OLG hat die Unterlassungsansprüche nun bestätigt. Der Senat hat den Anspruch allerdings unmittelbar aus den §§ 3, 19 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hergeleitet, sodass es – anders als die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz – keines Rückgriffs auf §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S.2 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bedurfte. Die klagende Person sei unmittelbar wegen des Geschlechts und der sexuellen Identität benachteiligt.
Da sich das Online-Buchungssystem nicht nur an die klagende Person richtet, muss die Bahn es nun umstellen, wie eine Sprecherin des OLG erläuterte. Weil dies eine technische Umstellung erforderlich macht, wurde der Bahn eine Frist bis zum Jahresende eingeräumt. Die individuelle Kommunikation mit der klagenden Person muss die Bahn der Entscheidung zufolge umgehend umstellen.
Entschädigung wegen psychischer Belastung
Das OLG sprach dieser zudem eine Entschädigung von 1.000 Euro zu. Die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten, begründet das Gericht seine Entscheidung. Sie erlebe "die Zuschreibung von Männlichkeit" seitens der DB als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe.
Der Senat berücksichtigte zugunsten der Bahn, dass sie die klagende Person nicht individuell benachteiligte und auch nicht zu erkennen sei, dass mit dem Online-Ticketverkauf bewusst oder absichtlich auf geschlechtsneutrale Optionen verzichtete. Allerdings habe die Bahn ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person - so etwa hinsichtlich der BahnCard - nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
OLG Frankfurt a.M. sieht Diskriminierung des Geschlechts: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48808 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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